Rakshazar, das Riesland, für DSA. Ribukan

 

Oh Ribukan, reich an Gold,
wie war dir dein Schicksal hold!
Doch Zeit vergeht
und Gold verweht!

 

Die Marhys sind rätselhafte Kaimanmenschen, deren einstige Metropole Marhynia verschollen ist und die heute degeneriert im dichten Urwald leben, manchmal zusammen mit den schlangenleibigen Naghas, die ebenso sehr die Menschen hassen. Die eigentliche Heimat der Naghas ist ein brodelnd heißes Sumpfland, dessen einziger Ausgang zum Ozean von der Menschenfestung Ribukan bewacht wird.

— eine Basargeschichte aus Khunchom, zitiert nach den bislang unveröffentlichten Tage- und Logbüchern Ruban des Rieslandfahrers (Kap. 2: Historische Einleitung) (Zitiert nach der Geographia Aventurica, S. 99f.)

 

Die Stadt Ribukan und der Krieg der hundert Prinzen

Als bis vor wenigen Jahrzehnten der Sultan Sabu-Amin aus dem edlen Hause der Djiassamiden über Ribukan herrschte, sahen die Dinge für die Stadt, die ab 992 BF ihrer Magokratie entkleidet worden war, sehr gut aus. Sie war reich und mächtig, die Geschäfte mit dem Inselvolk liefen hervorragend und die starke Armee des Sultans hielt die blutrünstigen Ipexco dort wo sie hingehören: hinter weit entfernt liegenden Bergen. Auch bewies der Sultan ein Händchen für die Bewältigung innenpolitischer Gefahren: Die jahrhundertealte „Bruderschaft der Schlangen“, eine Kaste aristokratischer Beschwörer und Hexer, welche sich in der Nachfolge der gestürzten Magokratie wähnte und viele Jahr lang starke Ambitionen zur Machtergreifung gezeigt hatte, wurde unter seine Führung endgültig zerschlagen. Sabu-Amins einzige größere Schwäche war die Fleischeslust. Sein Harem war riesig und bot weit über dreihundert Nebenfrauen und Konkubinen Unterkunft. Eines Tages jedoch waren in einer lauen Voll­mond­nacht des Jahres 1024 BF plötzlich verzweifelte Klagerufe aus den Frauengemächern des Palastes zu hören. Der alte Sultan hatte sich beim Liebesspiel überanstrengt. In den Armen seiner drei jüngsten und liebsten Konkubinen verschied er entkräftet. Nach dem Tod Sabu-Amins brachen in Ribukan die Niederhöllen los.

Der Sultan hatte weit über zweihundert Kinder hinterlassen. Jeder der rund einhundert Söhne war nach dem überkommenen Erbrecht theoretisch erbberechtigt. Sabu-Amin hatte zu Lebzeit nie einen Nachfolger bestimmt und auch kein Testament hinterlassen. So kam es, dass knapp hundert Prinzen gleichzeitig Anspruch auf den Thron von Ribukan erhoben. Zunächst wurde noch versucht, die Sache auf dem Rechtsweg zu klären, doch bald kam es zu Intrigen und Morden. Zuerst gab es hier und da einen kleinen Giftmord, oder es drangen gedungene Meuchler in die Gemächer eines Konkurrenten ein, um es zu erdrosseln oder zu erdolchen. Die Situation wurde mehr und mehr von Paranoia geprägt, bis die (gegenwärtig nur noch vierzig) Prinzen, auch „Amune“ genannt, beschlossen, von nun an offen und mit allen Mitteln gegeneinander vorzugehen. Sie scharten kleine Söldnertruppen um sich und zogen gegen ihre Kon­kur­ren­ten zu Felde. Wechselnde Bündnisse und der Tod einiger Prinzen ließen einige dieser Truppen auf stattliche Kriegshaufen anschwellen, die Tod und Verwüstung über Ribukan brachten. Diesem „Krieg der hundert Prinzen“, wie er genannt wird, fielen ab 1025 BF große Teile der Stadt zum Opfer, bis vor einigen Jahren der Hauptmann der Palastgarde, welche sich stets neutral verhalten hatte, gemeinsam mit den mächtigsten Thronaspiranten einen Waffenstillstand für das Palast- und Hafenviertel aushandelte, damit überhaupt noch etwas da sein würde, was man regieren konnte, wenn ein neuer Sultan den Perlenthronbestieg. Dieser Zustand hat bis heute Bestand.

Die Prinzen haben sich folglich dahingehend einigen können, dass die Stadt Ribukan selbst seit einigen Jahren als neutrales Gebiet angesehen wird und im Belagerungsfall auch gemeinsam verteidigt würde. Eine späte Einsicht, welche sich erst einstellte, nachdem drei Fünftel der Stadt bereits verheert worden waren. Der Bürgerkrieg findet stattdessen in den Sümpfen und Dschungeln der Ribukanischen Halbinsel statt und verläuft dort umso blutiger. Zugleich wissen die Amune, dass die Stadt selbst für sie Sperrgebiet ist, da sie, halten sie sich dort auf, sogleich zur Zielscheibe ihrer Brüder und deren Lakaien werden. Jeder Besuch eines Prinzen in Ribukan hat großes Potenzial, der letzte zu sein.

Da sich die einzelnen “Sultane” kaum mehr um die äußeren Grenzen scheren, wundert es nicht, dass sich im Norden ein alter Feind wieder regt. Die Ipexco, einst durch Hernanda Pizarra, genannt “die Comtesse”, unterworfen, welche später zur ersten Magokratin Ribukans werden sollte, haben den Ribukanern die Zeit der Unterdrückung nicht verziehen und üben nun grausame Rache an den im Norden liegenden ribukanischen Dörfern.

Die Herrinnen der Schwarzen Pagode von Angankor, einer überwucherten Ruinenstadt im Süden der Ribukanischen Halbinsel, haben wieder an Macht gewonnen. In den Nagah-Städten im südlichen Teil der Halbinsel gedeihen Wissenschaft und Magie. Uralte Traditionen und Gesellschaftssysteme konnten sich nahezu unverändert bis zum heutigen Tage erhalten. Die Bewohner der Städte, die geheimnisvollen Nagah-Archaen, Chimärenwesen mit dem Oberkörper eines Menschen und dem Unterleib einer Kobra, sehen sich auf dem Weg in ein neues, Goldenes Zeitalter, in dem ihre Kultur sich zu neuen Höhen aufschwingt. Einst beherrschten sie die gesamte Ribukanische Halbinsel und angrenzende Gebiete. Doch in den letzten Jahrhunderten sorgte die Konkurrenz durch Marus, Sanskitaren und Ipexco dafür, dass ihre Herrschaft sich nunmehr auf die fünf bekannten Städte beschränkt und zeitweilig vor der Schwelle zum Zusammenbrechen stand.

Den sanskitarischen Legenden zufolge befinden sie sich im Besitz des Geheimnisses der Unsterblichkeit, daher werden sie von den Ribukanern von Alters her als Wunder wirkende Orakel und Gesandte der Göttin H’Shesshivan verehrt. Heute suchen fast alle Prinzen den Rat der Nagah. Viele laufende Militäraktionen beruhen auf Strategien der Schlangenwesen. Was die Nagah mit ihren widersprüchlichen Prophezeiungen und Ratschlägen wirklich bezwecken, ist unbekannt. Die Prinzen sind viel zu sehr auf sich selbst konzentriert, um hinter den Intrigen der Schlangenleibigen irgendeinen höheren Plan zu vermuten. Tatsächlich verfolgen die Echsen jedoch ihre eigenen Ambitionen.

Ein Schlüsselelement im Krieg um Ribukan ist die legendäre Schwimmende Festung der Stadt. Die Sanskitaren verfügen nur über drei dieser wundersamen, steinernen Kriegsschiffe aus der Zeit vor dem Weltenbrand. Ribukans Festung wurde stets als ultimatives Machtinstrument zur Kontrolle der Stadt genutzt. Einzig Sabu-Amin der Weise verzichtete seinerzeit darauf, die Elendsviertel seiner eigenen Stadt dann und wann zwecks Einschüchterung mithilfe der Festung einzuäschern. Auf dem höchsten Turm der Festung befindet sich ein riesiges Katapult, mit dem man äußerst präzise selbst weit entfernte Ziele mit brennenden Feuerkugeln beschießen kann. Unglücklicherweise ist die magische Krone, mit der die Festung gelenkt wird, seit dem Tode des alten Sultans spurlos verschwunden, und so suchen seine zerstrittenen Erben fieberhaft nach dem Artefakt. Dass die Krone von Salpikon Savertin mit nach Aventurien genommen worden ist und der Sultan nur so getan hat, als sei er noch immer in ihrem Besitz, ist den Prinzen nicht einmal im Ansatz bewusst.

Die Einwohnerzahl der Stadt Ribukan ist durch den Krieg stark gesunken. Heute leben “nur” noch rund 300.000 Menschen, darunter 220.000 Sanskitaren, auf dem Gebiet oder im Umland der einst zweitgrößten Stadt Rakshazars. Bis zu 100.000 weitere Ribukaner be­wohnen kleinere Garnisonsdörfer und Höhlen, verteilt über die gesamte Halbinsel. Noch immer ziehen die Kriegshaufen der Amune durch die Wälder und liefern sich sowohl untereinander als auch mit den Ipexco, welche immer wieder auf ribukanisches Gebiet vordringen, um die Dörfer zu überfallen, gnadenlose Gefechte. Verlaufen solche Überfälle erfolg­reich, nehmen die Ipexco Beute mit, darunter auch lebende Ribukaner, welche als Sklaven oder Opfer für die Ipexco-Götter benötigt werden.

Das einstmals mächtige Ribukan ist enthauptet, die Grenzverteidigung ist so gut wie nicht mehr vorhanden, und viele Reisfelder liegen brach. Die Viertel nördlich, östlich und südlich des Palastviertels sind ein Ruinenmeer, in welchem sich Söldner, Mörder und der Abschaum der Gesellschaft im Schatten der rußgeschwärzten Mauern tummeln. Nur zwei der fünf Stadtviertel sind noch halbwegs intakt. Ein sicheres Betreten und Verlassen der gebeutelten Stadt ist nur noch über den Seeweg möglich.

 

Das Gelbe Meer

Durchfährt man die Meerenge zwischen Jomin und dem Kap, so stößt man ins Gelbe Meer vor. An seiner Ostküste liegt die Stadt Ribukan. Die Gebäude der Ansiedlung schmiegen sich malerisch in die kleine Bucht von Ribu-Yassaf, die einen natürlichen Hafen bildet. Fische gibt es hier haufenweise, und der schmale Landstreifen hinter der Stadt ist eines der wenigen Gebiete der Ribukanischen Halbinsel, die intensiven Ackerbau erlauben. Ansonsten ist der Boden zu sumpfig, zu felsig oder fest in den Krallen des schlangenverseuchten Urwalds.

Noch vor wenigen Jahren war sie eine blühende Metropole, voller Leben und Reichtum. Ribukan war und ist es zum Teil noch: ein Verkehrsknotenpunkt, wo verschiedene Handelsrouten zusammenlaufen. Früher einmal wurde der Handel zwischen den Jominischen Inseln und dem Festland fast ausschließlich über diesen Ort abgewickelt. Die Hand Sultan Sabu-Amins lastete nur leicht auf der Stadt, die Ipexco waren aus den dichten Wäldern vertrieben, Handelsschiffe mit Gewürzen und Edelhölzern von den Inseln, Reis aus Shahana, Mais und Kupfer aus dem Yal-Hamat-Gebirge und Zinn aus Teruldan trafen beinahe täglich ein und die Schwimmende Festung, ein Bauwerk, älter als alle Zeit, verkündet schon von weitem: „Hier liegt Ribukan, die Beherrscherin des Gelben Meeres und all jener Länder, die daran angrenzen!

Ribukan könnte einer der wenigen wirklich angenehmen Orte des Rieslands sein, doch die Götter haben anders entschieden. All dies änderte sich schlagartig, als in der Nacht, in der Sultan Sabu-Amin beim Liebesspiel sein Leben aushauchte, zwischen den rund 100 Prinzen der Stadt ein erbitterter Krieg um seine Nachfolge entbrannte. Heute leben nur noch etwa 40 dieser Prinzen und Ribukan, der Preis des Machtkampfes, ist zu einem einzigen, gewaltigen Elendsviertel verkommen.

 

Allgemeines Bild: Wegen Sedimenteinspülungen leicht gelbliche Farbe. Tidenhub von 1-2 Schritt.
Inseln: Jomin, Kaluma, unzählige kleine, unentdeckte Inseln.
Fanggründe: Häufig
Bedeutende Häfen: Ribukan
Seemächte: Yal-Mordai, Flotte einiger Prinzen aus Ribukan, Ipexco.
Mysterien: Tempel der Nagah, geheime Tempel diverser Wassergötter, Schwimmende Festung von Ribukan samt verlorener Krone, Ruinen aus längst vergangener Zeit, versunkene Schiffe.
Gefahren: Kriegsschiffe der Prinzen, Seemonster, Ipexco, Piraten, Untiefen.

 

Die schwimmende Festung

Gut eine halbe Meile vor der Stadt liegt die Schwimmende Festung Ribukans, die seit dem Tod des letzten Sultans einsam und verlassen Wind und Wellen trotzt. Die Sanskitaren verfügen nur über drei dieser wundersamen steinernen Kriegsschiffe aus grauer Vorzeit.

Die Schwimmende Festung Ribukans ist trotz ihres hohen Alters nahezu intakt und diente dem Sultan nicht nur als Kriegsgerät, sondern auch als Rückzugsort, wenn ihm das Treiben der einst überlaufenen Metropole zu viel wurde.

Die Festung ist bewegungsunfähig, da die Krone, die sie aktivieren könnte, seit dem Tod des Sultans als verschollen gilt und nun von den Amunen fieberhaft gesucht wird. Gerüchte besagen, sie befinde sich in der Hand der Nagah und sei in einer ihrer Städte verborgen. Der Aufenthalt in und auf der Festung ist strengstens untersagt. Auch die Palastgarde darf sie eigentlich nicht betreten, ist de facto aber immer wieder dazu gezwungen. In den letzten Jahren haben sich immer wieder einige Schmuggler und Piraten in den äußeren Anlagen der Festung eingenistet, die jedoch stets schnell und mit aller Härte von der Palastgarde vertrieben werden.

Herausragendstes Merkmal der Festung ist ein riesiges Katapult auf dem höchsten Turm, das selbst weit entfernte Ziele mit großen Brandkugeln einäschern kann.

 

Die Krone von Ribukan (Szenarienvorschlag, Variante 1)

Die Schwimmende Festung ist seit vielen Jahren das Objekt der Begierde vieler Amune und diverser anderer Machtgruppen, seien es die religiösen Führer, die Bruderschaft oder hoffnungsvolle Glücksritter. Die Helden könnten in eine der zahlreichen Schatzsuchen um die Krone, mit der sich die Festung aktivieren und steuern lässt, verwickelt werden. Die fieberhafte Suche kann die Schatzjäger in düstere Verliese im Dschungel, auf unbewohnte Inseln oder sogar in die Katakomben der Bibliothek von Ribukan führen. Die Prinzen, welche um die Macht in der Stadt kämpfen, sind davon überzeugt, dass ihr Vater aufgrund seiner Herzensgüte auf den Einsatz der schwimmenden Festung verzichtete hat und die zur Kontrolle des Gefährts nötige Krone mit seinem Tod spurlos verschwunden sei. Sie haben nicht einmal den Hauch einer Ahnung, dass bereits ihr Erzeuger nicht mehr im Besitz des Artefaktes war, welcher diese Tatsache geschickt zu verbergen wusste. Tatsächlich befindet sich die Krone in unerreichbarer Ferne: auf einem unordentlichen Schreibtisch in Mirham, wo sie von einem gewissen Herrn Savertin als schnöder Briefbeschwerer missbraucht wird. Er, der als Magokrat Ribukans Zugriff auf das Steuerartefakt hatte, hat es bei seiner Flucht mit nach Aventurien genommen, um es den heutigen Herrschern Ribukans unmöglich zu machen, auf die Macht der Festung zurückzugreifen. Und um sie nach einer eventuellen Rückkehr ins Riesland selbst in Besitz nehmen zu können.

In diesem Zusammenhang können die Helden womöglich auf den Schmuckgolem treffen.

Siehe dazu Dnalors Blog unter der URL:
https://dnalorsblog.wordpress.com/2018/09/05/des-trolls-mosnterhandbuch-schmuckgolem-mit-werten-fuer-rakshazar-und-beutelschneider/ .

 

Die Krone von Ribukan (Szenarienvorschlag, Variante 2)

Die Helden werden von Prinz Hussain iben Sabu-Amin angeworben, die Krone Ribukans zu finden, mit deren Hilfe er den Sultansthron besteigen will. Aus sicheren Quellen vermeint er zu wissen, dass die Krone in Assanra, genauer gesagt in der H’Shinxio-Pagode, versteckt liegen soll. Die Helden sollen durch den Dschungel reisen, in die schwer bewachte Stadt eindringen, die Krone stehlen und sicher zurückbringen. Abgesehen davon, dass der Prinz auf die Lügen eines eher durchschnittlichen Gauners hereingefallen und die Krone nicht in Assanra versteckt ist, sind die Nagah so ganz und gar nicht begeistert davon, dass irgendwelche Menschen in die heilige Stadt des H’Shinxio-Kultes, das Bollwerk gegen die Ipexco, eindringen wollen. Sowohl auf dem Hinweg als auch auf dem Rückweg warten Ipexco-Stammeskrieger, Nagah-Strategonen, Kämpen diverser Prinzen und die tödliche Tierwelt des Dschungels auf die Helden. Und dann wären da auch noch Agenten von Al-H’Rastor, die sich auf die Fährte der Helden setzen und am Liebsten die Krone samt schwimmender Festung nach Yal-Mordai entführen würden …

Die Helden könnten bei ihren Recherchen zur Krone auch auf Thin’Chha Sseleuhaan Sessila Grgrgrgrgch Ruuuch, die durch eine magische Krone die Waldechsen kontrollieren soll, stoßen. Zwar ist auch dies eine falsche Fährte, doch vor allem Ryscca interessiert sich für die Krone, leidet es doch seit einiger Zeit unter den Angriffen wilder Sirdakstämme. Doch wo befindet sich die Krone tatsächlich? Ganz unter uns: Sie befindet sich auf einem unaufgeräumten Schreibtisch in Mirham, wo sie einem gewissen Herrn Savertin als schnöder Briefbeschwerer dient …

 

Das Hafenviertel

Das Hafenviertel ist das pulsierende Zentrum der Stadt und der letzte Ort, an dem überhaupt noch ein halbwegs zivilisiertes Leben auf der ribukanischen Halbinsel möglich ist, auch wenn die Gegensätze zwischen arm und einigermaßen wohlhabend unübersehbar sind. Nur hier befinden sich Häuser und Paläste, die einen Eindruck von der einstigen Macht der „Perle des Südens“ erwecken können. Bürger, Händler, Seeleute und auch einige Adelsfamilien fristen hier auf engstem Raum ein halbwegs erträgliches Dasein. Trotz des Bürgerkriegs legen noch immer viele Schiffe im Hafen an, welcher von der zentralen Hafenmeisterei verwaltet wird. Der Hafenmeis­ter ist de facto einer der mächtigsten Männer der Stadt, sieht man vom wechselhaften Einfluss einzelner Aristokraten aus den Prinzenfamilien und dem Hauptmann der Palastgarde ab. Da er stets vom aktuell erfolgreichsten Kult eines der vier Meeresgötter gestellt wird, enthält die Hafenmeisterei einen Kultraum und außerdem einen geheimen Zugang in den von Katakomben, welche größtenteils noch aus der marhynianischen Vorgängersiedlung stammen, durchzogenen Untergrund von Ribukan. Sie ist außerdem der Sitz des jeweils amtierenden (selbsternannten) Königs der Piraten, dessen angemaßter Titel nicht selten darauf beruht, dass er auch das Amt des Hafenmeisters innehat.

Im Hafenbecken tummeln sich regelmäßig Thalukken und Handelsschiffe von den Jominischen Inseln, aus Yal-Kalabeth oder aus Shahana, seltener aus dem konkurrierenden Yal-Mordai oder Amhalashal. Einige Katamarane gehören Parnhai, welche damit die gefährliche Route zwischen Ribukan und Jomin bewältigen. Aber natürlich haben auch die Ribukaner selbst hier ihre Besitzungen, Einbäume, Fischerboote oder die als Kriegsschiffe genutzten Thalukken. Hausboote bzw. -flöße liegen teils dauerhaft vor Anker. Die Hausschiffchen sind Heimstatt der Ärmsten der Armen. Auf diesen etwa fünfzehn Schritt langen und vier Schritt breiten Gefährten hausen dutzende Gestallten unter Zeltplanen oder in einfachen Palmblatthütten. Die Vielzahl der mehr oder minder gut schwimmenden Gefährte im Hafenbecken versperrt zuweilen ankommenden Schiffen die Weiterfahrt, so dass der Weg zwischen dem neu ankommenden Schiff und Kaimauer mit einem Einbaum zu überbrücken ist. An Land hoffen Bettler auf ein paar Münzen. Verfall und Gestank sind überall präsent. Ratten und Tschakripp huschen durch die Gassen. Letztere waren ursprünglich eine von einigen Thhh’Raij-Stämmen domestizierte Echsenart. Die kleinen, zweibeinigen Reptilien erfüllen in den Sanskitarenstädten die Funktion, welche andernorts Hühner innehaben. Sie werden zur Fleischgewinnung genutzt. Ihr Fleisch ähnelt in Farbe und Geschmack sehr stark Hühnerfleisch. Zwei- bis dreimal pro Woche legen die Weibchen ein Ei, das etwa halbsogroß wie ein Hühnerei ist. In vielen Armenviertelm ist ihr raues Krächzen omnipräsent.

Dominiert wird das Hafenviertel von der beeindruckenden Hafenmauer und einem kalkweißen Leuchtturm, in dem schon manch einer der Hafenmeister residiert hat. Der aktuelle Leuchtturmwärter ist ein fettes, geldgieriges Kerlchen. Ganz in der Nähe des Leuchtturms befindet sich der Seherthron. Diese abenteuerliche Holzkonstruktion hängt an der äußeren Hafenmauer und ist Wohnsitz der greisen Seherin Okari und ihrer Schülerin.

Darüber hinaus prägen Spielhöllen, Tavernen und allerlei heruntergekommene Hafenkaschemmen das Bild des Viertels. Der berüchtigste Vergnügungstempel ist „Das Loch“, das gar eine Arena beherbergt, in der Sklaven und Gladiatoren auf Leben und Tod gegeneinander antreten. Bei der Arena handelt es sich um eine fünf Schritt tiefe und drei Schritt durchmessende Grube, über der ein schweres Bambusgitter liegt. Die Wände der Grube selbst sind mit spitzen Tonscherben bedeckt, so dass den armen Kreaturen, die ins Loch müssen, nichts anderes übrigbleibt, als gegeneinander zu kämpfen. Bei Azzar ai ben Brokthar, einem Eunuchen und ehemaligen Palastwächter, kann man auf Kämpfe Mann gegen Mann, Frau gegen Frau oder Kulturschaffender gegen Bestie wetten. Hier sind Männer noch richtige Männer, Frauen noch richtige Frauen, Diverse noch richtige Diverse und riesige fellbewehrte Bestien aus dem Echsendschungel noch richtige riesige fellbewehrte Bestien aus dem Echsendschungel. Sucht man den besonderen Nervenkitzel, bleibt man seinen Einsatz schuldig. Will man richtig viel Geld gewinnen, so öffnet Azzar das Gitter über dem Loch und lässt auch Freiwillige hinab in den Ring. An das Etablissement ist eine Spielhölle angegliedert. Eine besondere Attraktion sind die dort stattfindenden Schildkrötenrennen.

Zu den bekannteren Hafentavernen gehören der gemütliche „Drachenschlund“ und die völlig überlaufene „Morsche Planke“. Im Gasthaus „Zum halben Anker“ werden sogar Speisen serviert, etwas was – von Adelshäusern und Marktständen abgesehen – im Riesland eher ungewöhnlich ist. Es gehört zu den besseren Etablissements der Stadt, sofern man in Ribukan von solch besseren Etablissements reden möchte. Der dreckige Spucknapf indes ist eine eher heruntergekommene Kaschemme, in der sich Piraten und anderes Gesindel tummeln. Der einheimische Besitzer des Bordells „Zur Grotte“, Hasan, und die ehemalige Amhasim-Soldatin Tia mit ihrem direkt gegenüberliegenden Bordell „Oase“ liefern sich – vor ihren Eingangstüren stehend – fast täglich teils wüste und nicht selten sehr originelle Wortgefechte, um sich gegenseitig auszustechen und die Kundschaft abspenstig zu machen. Nur die wenigsten Ribukaner wissen, dass die beiden Gebäude durch einen Tunnel miteinander verbunden und Hasan und Tia ein (sehr ungleiches) Liebespaar sind, das auf diese Weise den (gemeinsamen) Umsatz ankurbelt.

Weiter landeinwärts, in unmittelbarer Nähe zum Palastviertel, dessen beeindruckende Tortürme von schwer gerüsteten Gardisten besetzt sind, liegt der ribukanische Markt, wo exotische und einheimische Waren und selten auch Sklaven feilgeboten werden. Es handelt sich um keinen regulären Marktplatz, vielmehr quetschen sich die Händler mit ihren Ständen in die engen Gassen zwischen den für diesen Bereich so charakteristischen Lehmbauten am Rande des Palastviertels. Dem Markt schließen sich kleinere Gässchen an, die meist von Händlern und Handwerkern bewohnt werden, welche es zu einem vergleichsweise stattlichen Wohlstand gebracht haben.

Der eigentliche Sklavenmarkt von Ribukan, auch großer Sklavenmarkt genannt, befindet sich innerhalb der Ruinen eines Gebäudes, das noch aus marhynianischen Zeiten stammt. An den Außenwänden wurden im Laufe der Jahrhunderte Hütten und Stände errichtet. Der Sklavenhandel findet im Inneren statt. Früher konnte man hier hunderte von Sklavenhändlern finden, die Parnhai für die Galeeren, zum Perlentauchen oder für die Arbeit auf den Feldern kauften und verkauften. Heute sind fast nur noch die Einkäufer der Prinzen unterwegs, welche hier Sklaven für den Dienst an der Waffe suchen. Manch Sklave erzielt nur einen Preis von läppischen 30 TE.

Die einzigen, die vom Prinzenstreit um den Thron profitiert haben, sind die Schwertgießer und Rüstungsbauer, die hier im neutralen Gebiet täglich unzählige neue Schwerter und Rüstungen fertigen. Stets Hämmern und der Duft glühender Essen sind in den belebteren Gassen des Marktbereichs ständig präsent. Hier finden sich kaum Holz- oder Lehmgebäude. Massive Mauern umziehen die bis zu drei Stockwerke hohen Häuschen, welche wie kleine Wehrtürme wirken und in deren Höfen die Schmiedefeuer leuchten. Waffen und Rüstungen sind in Ribukan gefragter als alles andere. Die Schmiedehöfe sind entsprechend prächtig, und oftmals steht ein eitler Pfeffersack inmitten einer Schar schwitzender Arbeiter, die seinen gebrüllten Anweisungen folgen wie Galeerensklaven.

Der kleine Platz vor dem Tor wird oftmals für Ansprachen und die Prozesse des Volksgerichts genutzt.

 

Das Palastviertel

Das Palastviertel war das einstige Zentrum Ribukans und Rückzugsort für den Sultan und seine Familie. Mächtige Mauern umschließen die einst prächtigen Gärten und schneeweißen Prachtbauten mit ihren güldenen Kuppeln. Heute wird jeder Quadratschritt des Palastgartens zum Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern verwendet, damit das Viertel im Notfall einer Belagerung standhält und die Palastgarte ihre Unabhängigkeit von Stadt und Umland sicherstellt. Hühner und andere Nutztiere laufen frei auf den von Moosen überzogenen Mosaikböden herum. Das Hauptgebäude, der eigentliche Palast, wurde nach dem Tod des Sultans versiegelt und seither von niemandem mehr betreten. Nun nagt der Zahn der Zeit an den Gemäuern, die einst Kinderlachen und die größten derischen Freuden beherbergten.

Besuchern Ribukans erscheinen die Mauern des weißen Palastes, dem Zentrum der einst größten Metropole des Südens, als von Riesen oder gar den Göttern selbst geschaffen, immerhin mussten die mächtigen Steinblöcke aus den Gebirgen der Halbinsel durch Nagahgebiet hierher geschafft werden. Der Palast ist eines der größten Bauwerke, das die meisten Südländer je gesehen haben, auch wenn es sich strenggenommen um viele Mauern und Türme handelt, welche den Eindruck eine großen Gesamtgebäudes erwecken. Auch die Tatsache, dass nur ein Bruchteil der Anlage bewohnt ist, nimmt dem Palastviertel nicht seine majestätische Pracht.

Das zweitgrößte Gebäude ist die Garnison der Palastgarde, die als einzige freien Zugang zum Viertel hat. Im Keller der Ganison befindet sich der Kerker Ribukans, in dem die Luft unerträglich ist – er war einmal Teil der Kanalisation. In früheren Zeiten wurden Delinquenten durch den Stadtfürsten, den Sultan oder einen Magokraten verurteilt, je nachdem, wer gerade an der Macht war. Dieben, Gaunern und Vergewaltigern wurden oft umgehend Finger, Hände und privatere Körperteile abgehackt, schlimmere Vergehen wurden mit dem Tode bestraft. Ein großer Kerker war bis zum Tod des Sultans deshalb nicht erforderlich. Heutzutage darf keine Todesstrafe mehr verhängt werden, da laut Gesetz nur der Sultan über Leben und Tod entscheiden darf, einen amtierenden Sultan gibt es jedoch nicht. Die Stadtgarde umgeht dies, indem sie Schwerstverbrecher in die Siechenkolonie verfrachtet, was einem indirekten Todesurteil gleichkommt. Schwerverbrecher, die nicht den Tod verdient haben, bei denen aber eine Verstümmelung als Strafe nicht genügt, werden in dem provisorischen Gefängnis im Untergrund eingesperrt. Ein weiteres Nebengebäude des Palastes ist die Sternwarte des Sultans, in der sich der Hauptmann der Garde eine halbwegs standesgemäße Wohnstatt geschaffen hat.

Zwei weitere auffällige Gebäude schließen sich an den Palast an: Die Ruinen der Bibliothek von Ribukan, welche bereits vor der Geburt des letzten Sultans ein Opfer der Flammen wurde, sowie der große Tempel der Stadt, wo einst hunderten Göttern und Götzen gehuldigt und geopfert wurde. Einmal im Jahr gestattet die Garde den Kulten in der Stadt den Zutritt, um im Rahmen des Ribukanischen Opferfestes den Tempeldienst zu versehen. Einige religiöse Führer schimpfen hinter vorgehaltener Hand, dass Ribukan längst einen neuen Sultan hätte, würde die Garde nicht durch dieses Verhalten das Ansehen der Götter mit Füßen treten.

Drei der vier Tore des Viertels wurden auf Befehl des Hauptmanns zugemauert, um den Stadtteil zu einer unein­nehm­baren Festung zu machen. Der einzige Zugang erfolgt über das Hafenviertel. Das Palastviertel ist so gut gesichert wie kein zweites Fleckchen Dere im Umkreis von tausend Meilen. Auf den Mauern laufen dutzende Gardisten in Vierertrupps auf und ab. Nachts sind sie sogar zu fünft. In jedem der vier doppelt gesicherten Torhäuser stehen jederzeit bis zu dreißig Schwerbewaffnete bereit, jederzeit einzugreifen.

Die Kanalisation Ribukans allerdings ist allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz noch weitestgehend intakt und wird insgeheim von der Garde genutzt, um in Windeseile an jeden Ort der Stadt zu gelangen. Nur wenige wissen, dass die fast fünfhundert Gardisten über Grabmäler in den Ruinenvierteln und Vorposten in Handelshäusern inmitten des Hafenviertels quasi aus dem Nichts heraus zuschlagen und Störenfriede ver­schwin­den­ lassen können.

 

Die Ruinen Alt-Ribukans nördlich des Palastviertels

Der Ruinengürtel um die bewohnten Stadtviertel nimmt den größten Teil der einstigen Stadtfläche ein. Alt-Ribukan besteht aus dem völlig verwüsteten Reichenviertel im Norden, dem zur Hälfte im Brackwasser versun­ke­nen Händlerviertel im Osten und dem nach wie vor bewohnten Armenviertel im Süden. Alle drei Stadtteile waren früher durch wie die Speichen eines Rades angeordnete imposante Mauern voneinander getrennt, die nun größtenteils im Trümmern liegen. Seit einigen Jahren gibt es Bestrebungen von Händlern und Aristokraten, das Ar­men­viertel erneut zu befestigen und als Händler- und Handwerkerviertel zu etablieren.

 

Die Ruinen Ribukans: Das Reichenviertel im Norden

Nördlich des Palastviertels war das Stadtbild einst von den Villen und Höfen der Adligen geprägt. Heute ist das Adelsviertel nur noch ein Ruinenfeld: Kaum eine der noch stehenden Mauern ist höher als ein Mensch, und mit Ausnahme der Siechenkolonie gibt es hier nichts, was einen Aufenthalt rechtfertigen würde. Manche sagen gar, dass es hier spuken würde. Die Tore zum Hafen- und Palastviertel sind zugemauert, so dass ein direkter Weg in den bewohnten Teil der Stadt nicht möglich ist. Die Stadtgarde gelangt über die offene Seeseite per Schiff in das Viertel, wenn sie einmal wöchentlich die Siechenkolonie aufsucht.

Die an unzähligen Stellen durchbrochene Mauer, die einst das Adelsviertel vom benachbarten Händlerviertel im Osten trennte, dient als Versteck und Wachtposten für Ipexco, die das umliegende Gebiet mit Fallen gesichert haben. Die Handvoll Späher wird regelmäßig abgelöst. Der örtliche kleine Ipexco-Stamm wurde aus den Kernlanden der Tempelstädte vertrieben und hofft, zwischen den Interessen der Amune und den einstigen Brüdern nicht aufgerieben zu werden.

Im Reichenviertel befinden sich auch die Ruinen der Akademie der Schatten, der früheren Magierakademie Ribukans und Keimzelle der 760 BF ins Leben gerufenen und 992 BF gestürzten Magokratie des Stadtstaats. Der als Mitläufer verurteilte Salpikon Savertin entkam bis 994 BF auf dem Schiff Bote von Ribukan seiner Strafe und siedelte in aventurische Mirham über. Dort spielt er seither innerhalb der Schwarzen Gilde eine gewichtige Rolle. Savertin ist einer der wenigen lebenden Bewohner Deres, der sich bewusst ist, dass die Akademie der Schatten im Zuge einer nie publik gewordenen Rieslandreise des Fran-Horas als Schwesterakademie der Hohen Akademie zu Punin gegründet worden ist und zeitweilig über das Netz der Dunklen Pforten der Magierakademien eine Verbindung bestand, die von Bosparan über Kuslik, Punin und Fasar bis nach Ribukan reichte und auch eine Abzweigung nach Khunchom enthielt. In ihren Anfangstagen zeigte sich die Akademie interessiert an dem Versuch, das seit dem Kataklysmus verheerte Netz der Kraftlinien des Rieslands zu analysieren und eventuell zu reparieren. Im Laufe der Zeit, insbesondere während der Ära der Magokratie, wo sie breite Unterstützung durch die Nagah fand, verlegte sich die Zauberschule auf Ver­wandlungs- und Heilmagie, Medizin und Anotomie. Savertins profunde Kenntnisse in diesen Bereichen gehen auf seine Zeit an der Akademie zurück, und auch der 1017 BF von ihm auf aventurischem Boden gegründete Bund der Schatten beruft sich indirekt auf die Tradition der untergegangenen rakshazarischen Zauberschule. Mag sein, dass die Ruinen der Akademie der Schatten noch unzählige Geheimnisse aus der eineinhalb Jahrtausende währenden Geschichte der ribuka­nischen Zauberkundigen beherbergt, darunter auch die Dunkle Pforte, die einst nach Fasar führte.

 

Die Ruinen Ribukans: Das Händlerviertel im Osten

Das Händlerviertel bietet einen traurigen Anblick, liegt es doch zur Hälfte im Wasser eines Sees, der vor einigen Jahren durch die Deichsabotage durch einen Amun entstanden ist und nun eine unratgeschwängerte Wolke üblen Gestanks ausdünstet. Auf kleinen Inseln stehen die ausgebrannten Grundmauern der teils zweistöckigen Häuser, in denen sich Zelte aus grobem Segelstoff verstecken. Tatsächlich haben sich einige Menschen erfolgreich mit der Situation arrangiert. Nicht weniger als drei kriminelle Banden haben hier ihr Hauptquartier aufgeschlagen und kleine Zeltdörfer errichtet. Ferner huldigt ein Todeskult, der aus der Stadt geworfen wurde, seinem finsteren Herrn. Ein kleiner Schwarzmarkt bildet das Zentrum des Ostviertels, das nachts in den Schein hunderter Fackeln und Feuerstellen getaucht ist. Nicht selten durchstreifen die Anwerber eines Amuns die zugewucherten Straßen und heuern neue Krieger für die Kämpfe im Umland an. Das Händlerviertel ist der richtige Ort für all jene, denen es im Hafenviertel unter den strengen Augen der Palastgarde zu unbequem geworden ist.

Eine Besonderheit des Viertels ist die alte Stadtmauer zwischen dem Ostviertel und dem Armenviertel im Süden. Diese ist fast vollständig intakt, und selbst das Tor wird noch bewacht: Eine der Banden des Ostviertels regelt den Zugang, so dass gewährleistet ist, dass alle Moralapostel und Spitzel der Stadtgarde draußen bleiben. Dass die Garde durch die Kanalisation auch Zugang zum Händlerviertel hat, ist niemandem bekannt. Der Hauptmann lässt die Bewohner des Viertels vorerst gewähren, sorgt das isolierte Ostviertel doch dafür, dass die meisten Unzufriedenen, Quertreiber und Unholde nicht im Stadtkern herumlungern.

 

Die Ruinen Ribukans: Das Armenviertel im Süden

Das Südviertel ist das kleinste der drei Ruinenviertel, welche die Stadt umgeben, aber gleichzeitig das bevölkerungsreichste. Jeder, der sich den Aufenthalt im Hafenviertel nicht leisten kann und dem es im Händler­vier­tel zu grob zugeht, landet hier. Ausgerechnet das ehemalige Armenviertel beherbergt auch heute noch einige intakte Gebäude und eine halbwegs funktionierende Infrastruktur. Die Palastgarde lässt sich des Öfteren blicken und sichert das einzige verbliebene Tor zum Hafenviertel. Auch hier stehen zahlreiche Zelte, und der Schwarz­markt blüht. Eine befestigte Straße verbindet das Tor des Hafenviertels mit den Reisfeldern bei den Südausläufern des Armenviertels.

Bekanntester Ort im Armenviertel ist der Friedhof Ribukans mitsamt dem palastartigen Grabmal Sabu-Amins, des letzten Sultans. Hier wacht eine geheimnisvolle Schwesternschaft bewaffneter Kriegerinnen über den verwesenden Leib des Sultans. Die rund fünfzig bis hundert „Mashabars“ („Grableuchten“), wie die Frauen genannt werden, sind allesamt ehemalige Geliebte oder (Enkel-)Töchter des Sultans, die mit ihrer kultisch verehrten Anführerin einer nekrophilen Götzenverehrung nachgehen. Über ihre Absichten und Hintergründe ist wenig bekannt. Nur, dass sie niemanden zum Grab des Sultans vorlassen, schon gar keinen hoffnungsfrohen Amun, der durch den Besuch seines Vaters oder Großvaters womöglich seine Nachfolgeansprüche untermauern will. Nicht selten landete ein solcher Prinz mitsamt seiner Gefolgschaft in einem namenlosen Massengrab in der Nachbarschaft.

 

Die Macht im Hintergrund: Die Nagah

 

 

Einige der Adelshäuser sind vom geheimnisvollen Volk der schlangenleibigen Nagah unterwandert, die sich durch ihre Illusionsmagie vor den Blicken anderer erfolgreich verbergen können und sich nur wenigen Eingeweihten offenbaren. Ob man so weit gehen kann, die Schlangenfrauen als die heimlichen Herrscher Ribukans zu bezeichnen, ist unklar. Profitieren sie etwa von der Lage der zerstrittenen sanskitarischen Mehrheit? Stecken sie gar hinter dem Thronstreit? Oder treiben sie ein ganz anderes, eigenes Spiel?

Die Herrinnen der Schwarzen Pagode von Angankor, einer überwucherten Ruinenstadt im Süden der Halbinsel, haben wieder an Macht gewonnen, so heißt es im gemeinen Volk. Seit Urzeiten wurden sie von den Ribukanern als wunder wirkende Orakel und Gesandte der Göttin H’Shesshivan (aventurisch: Hesinde) verehrt und um Rat gefragt. Eine Tradition, mit der der letzte Sultan gebrochen hat. Heute suchen fast alle Prinzen den Rat der weisen Schlangenfrauen. Einige Verschwörungen und militärische Aktionen der Amaune basieren in Wahrheit auf Plänen der Nagah, die mit widersprüchlichen Prophezeiungen und Ratschlägen die gutgläubigen Amune gegeneinander ausspielen.

Viele Nagah scheinen den Zorn der Meeresgötter zu fürchten und meiden das Meer oder selbst größere Wasserflächen. Für alle Nagah gilt das aber nicht, immerhin hat ihr stolzes Volk von Namakari bzw. Unlon aus über Jahrhunderte den Aventurienhandel organisiert.

 

Die Krypta und eine Schlangensekte Rakshazastans

Geschichte: Vor etwa tausend Jahren hatte eine kleine, elitäre Gruppe der Sera’Aszi nach jahrzehntelangen Bemühungen endlich einen Großteil der Schriften aus den verbotenen Kammern der Schwarzen Pagode von Angankor in ihren Händen vereint und sogar entziffert. Damit hatte sie Zugriff auf unheimliches magisches Wissen, dunkle Magie, welche die Priester für ewig gebannt gehalten hatten. Sie lernten Invokationen und Transmutationen. Getrieben von bösem Schöpferwahn, nutzten sie ihre neu gewonnene Macht, um Wesen nach ihrem Vorbild zu erschaffen. Sie vereinten in unheiligen Ritualen Schlangen mit Menschen, Orks, Brokthar oder Sirr’Dacc (Sirdak) und machten sie sich gefügig.

Die Kultisten erzogen ihre grausamen Schöpfungen nach ihrem Willen. Mit ihrer Hilfe wollten sie ihre einstige Führungsrolle unter den Magiewirkern der Nagah zurückerlangen. Doch ihre Pläne entwickelten sich anders als gedacht. Trotz aller Geheimhaltung kam man ihnen auf die Schliche. Die H’Stsivapriesterschaft richtete über die schändlichen Zauberwirker und befahl den Tod aller Schöpfer und ihrer Unkreaturen.

Jene Unkreaturen jedoch, später Chimaeras (“unheilige Schöpfung”) genannt, waren schlauer als gedacht. Viele von ihnen entkamen in die Sümpfe und verbargen sich vor den Häschern der Nagah. Nur ihre Schöpfer fanden den Tod. Ziellos irrten sie durch die Wälder und Moorlandschaften, bis sie auf ihre neue Herrin trafen, eine Skrechu, welche den riesländischen Kontinent unterwerfen wollte. In den Chimaeras fand dieses Wesen ebenso treue wie ergebene Diener.

Die Skrechu wusste, dass die meisten Menschen die Chimaeras nicht von echten Nagah unterscheiden konnten. Sie nutzte die Verehrung, welche die einfachen Menschenvölker des Südens den Nagah entgegenbrachten, um ihre Schlangenkulte zu etablieren.

Und das tut sie bis heute. In vielen Städten fanden die Kinder der Krypta (Syccausdruck für: “die Verborgene”) Anhänger unter den Menschen, die sich für ein bisschen Macht, Schutz und Versprechungen leicht verführen ließen. Was genau die Krypta mit diesen Menschen vorhat, ist wohl nur ihr bekannt, sicher ist aber, dass Blutopfer zu den gebräuchlichen Riten der Kryptakulte gehören.

 

Verbreitung und Anzahl: Heute hat sich die Krypta ein ansehnliches Imperium erschaffen. In den Sanskitarenstädten haben sich ihre Nester etabliert, die sie von ihrem Hauptnest, welches mal im Dreistromland, mal in den Öden Gestaden vermutet wird, lenkt. Inzwischen steckt sie ihre Klauen auch in Richtung Norden aus. Ihre Mischwesen, die sich aus den alten Nistplätzen rekrutieren, haben sogar schon einige Broktharstämme infiltriert. In Ribukan, wo die Nagah weit verbreitet sind, hält sich die Krypta mit Aktionen sehr bedeckt, um unter den Schlangenleibigen nicht aufzufallen.

Organisation und Vorgehen: Noch immer laufen alle Fäden bei der Krypta zusammen. Sie scheint eine Art geistige Verbindung mit ihren Chimaeras zu haben, über welche sie ihre Diener lenken kann.

Wird ein neues Nest gegründet, ist das Vorgehen der Chimäras stets das Gleiche. Sie bringen Menschen in eine missliche Lage, helfen ihnen dann im Namen ihrer Herrin Krypta aus dieser heraus und bringen sie mit Versprechungen von Sicherheit und Macht dazu, sich ihrem Kult anzuschließen. Nach und nach selektieren sie die aussichtsreichen Kandidaten, um sie in ihrem Sinne zu formen. Schwache Mitglieder verschwinden still und heimlich und werden nie wieder gesehen. Ihre Kameraden ficht das nicht an. Wen kümmert das Schicksal der anderen im Antlitz des eigenen Aufstiegs.

Ziele: Die wirklichen Ziele des Kultes kennt nur die Krypta selbst, alle anderen kennen nur Teil des Gesamtplans, so viel wie gerade nötig ist. Seit Jahrhunderten lässt die Krypta Menschen für sich bluten, um mit der Kraft dieses Blutes, welches von ihren Chimäras in Sangurit-Kristallen gesammelt wird, dereinst ihr Ziel zu erreichen.

 

Juchazz

Erscheinung: Auch wenn Nagah im allgemein für Menschen alterslos und vor allem emotionslos erscheinen, gilt dies in besonderem Maße für Juchazz. Er ist wohl über achtzig Jahre alt und hat einen Großteil seines Lebens abseits der Heimat verbracht. Seine wichtigen Aufgaben, die ihn seit Jahrzehnten unter den Menschen binden, sorgen dafür, dass er beinahe permanent seine menschliche Gestalt beibehalten muss, um nicht enttarnt zu werden. Diese Tarnung ist so perfekt, dass sie auch den Unterleib und damit die für Nagah ungewohnte Gangart der Menschen imitiert. Einzig wenn man ihm lange und sehr genau in die Augen blickt, mag man ein mulmiges Gefühl bekommen, weil sie gar so starr wirken. Die Menschengestalt des Nagah hat das Aussehen eines gemütlichen, aber kräftigeren Mannes im mittleren Alter.

 

Hintergrund: Als Meister des Intrigenspiels, der Illusionskunst und der Überredung bewegt sich der Nagah unter den Menschen, ohne dass diese auch nur der leisesten Hauch einer Ahnung beschleicht, mit wem sie es zu tun haben. Als diese Eigenschaften weisen ihn als Diener des Sssahombri aus, und tatsächlich ist er nicht nur irgendein Priester, sondern Yssaho, das Schattenauge, der Oberbeauftragte der Gottheit in den Sanskitarischen Stadtstaaten. Er beriet einst die Herrscherfamilie von Yal-Kharibet, um sie mit sanftem Druck dorthin zu bewegen, wo es ihm und den Nagah am besten passte. Nachdem die Stadt durch Al’Hrastors Schergen unterworfen wurde, musste Juchazz die Stadt in einer Nacht- und-Nebel-Aktion verlassen, denn die finstere Magie des Hexersultans und seine Zelothim hätten ihn gewiss enttarnt.

Hätte er vom Überleben der jüngsten Tochter der Herrscherfamilie gewusst, hätte er vermutlich alles darangesetzt, um bleiben oder jedenfalls zurückkehren zu können. So jedoch verlegte er, auch um dem Wiedererstarken der Ipexco seit dem Fall der ribukanischen Magokratie zu begegnen, seine nächste Operationsbasis näher an die Heimat, in die Stadt Ribukan. Nach dem Tod Abu Samins, der den Nagah eher ablehnend gegenübergestanden hatte, sah er seine Chance gekommen, einen den Nagah gefälligen Thronfolger bei seinen Ansprüchen auf den Thron zu unterstützen. Ein Unterfangen, das bisher keine nachhaltigen Früchte getragen hat. Bisher haben alle Kandidaten, denen zu helfen er sich entschlossen hat, über kurz oder lang das Zeitliche gesegnet, und unter den vierzig Überlebenden fällt es ihm schwer, einen weiteren passenden Kandidaten zu finden. Einzig Prinz Alechat ben Sabu, der mehrere seiner Konkurrenten ausgeschaltet hat, ist ihm eine Überlegung wert. Er schätzt den Rat der Nagah, ist jedoch nicht so leicht zu kontrollieren, wie diese das gerne sehen würden. Ihn zu unterstützen könnte sich auf Dauer als Bumerang erweisen, der zu den Nagah zurückkehrt.

Juichazz gehört zu denen, die unermüdlich die Stadt und ihre Umgebung nach der Krone der Schwimmenden Festung durchsuchen, doch genau wegen Leuten wie ihm hat Savertin sie bei seiner Flucht aus dem Riesland mitgenommen.

 

Motivation: Juchazz bedient sich gerne der Mithilfe von Abenteurern, tritt zuweilen aber auch als ihr Gegner in Erscheinung. Nach jahrelangem Krieg ist die ribukanische Gesellschaft dermaßen gespalten, dass der Nagah kaum noch weiß, auf wen er sich verlassen kann. Deshalb greift er gerne auf die Hilfe von Fremdländern zurück.

 

Begabungen: Wie andere Ssahombri-Priester beherrscht Juchazz Magie, vor darunter der Illusionen und die Einflusszauberei, mit der er sich Menschen mit einem Wimpernzucken gefügig machen kann. Meist benötigt er allerdings keine arkanen Kräfte, um die Zweibeiner in seinen Bann zu ziehen. Er hat in all den Jahren, die er unter ihnen verbracht hat, gelernt, ihre Mimik zu deuten, sodass ihm kaum einer etwas vormachen kann. Der Kampfkunst ist Juchazz hingegen wenig zugetan. Er hält sie für äußerst stillos, sodass ein repräsentativer Dolch an seiner Seite das höchste der Gefühlen ist. Wenn es sein muss, kann er mit diesem allerdings vorzüglich umgehen.

 

Rechtsprechung in Ribukan

Markos, der Hauptmann der Garde, hält den Vorsitz eines Volksgerichts, das bei Bedarf vor dem Tor des Palast­vier­tels tagt. Die einflussreichsten Bürger Ribukans, darunter auch der Hafenmeister und die Seherin, vertreten durch ihre Novizin, verhängen in Vertretung des Sultans Urteile über Straftäter. Das Fällen eines Todesurteils ist ausdrücklich dem Sultan vorbehalten. Die Höchststrafe ist daher die Verbannung in die Siechenkolonie, was auf kurz oder lang auf dasselbe hinausläuft.

 

Mchatoo

Nahezu jedes Dorf der Nagah Sumpfländer kennt seine eigenen Spiele, eines jedoch, dass in fast allen Dörfern gespielt wird, ist seit kurzem auch in den Straßen Ribukans unter dem Namen Mchatoo verbreitet. Dabei versuchen die Spieler mittels ruhiger Hand oder flinker Zunge bunt bemalte Stäbchen aus einem wild dahingeworfenen Stapel zu entfernen, ohne dass sich ein anderes dabei bewegt. Nahe Ribukan soll es auch eine Variante geben, bei der der Einsatz von Schnaps spielverschärfend wirkt.

 

Liebesgrüße aus Ribukan

Liebesgrüße aus Ribukan” bezeichnet ein tückisches Gift, das in der Region zum Einsatz kommt.

Siehe dazu Dnalors Blog unter der URL:
https://dnalorsblog.wordpress.com/2016/09/30/liebesgruesse-aus-ribukan/.

 

Persönlichkeiten und Organisationen

 

Die Seherin Okari

 

 Die Nutzung der Grafik erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Ramona von Frau

 

Der Legende nach kam es vor vielen Jahrhunderten zu einer furchtbaren Flut, bei der fast die gesamte Stadt Ribukan ein Raub der Wellen wurde. Seither stimmt die Seherin Okari die Götter des Meeres gnädig. Die spirituelle Führerin der Stadt, welche immer den gleichen Namen trägt, wird stets von ihrer jeweiligen Vorgängerin erwählt und darf nach deren Tod die Hafenmauer zeitlebens nicht mehr verlassen. Die Seherin wird von Seeleuten und Händlern mit Baumaterial aus Treibholz versorgt und ist voll und ganz auf Zuwendungen angewiesen. Man sagt, es bringe Glück auf langen Seereisen, der Seherin von Ribukan etwas zu opfern. Aus den Zuwendungen erbaut sich die Seherin auf bzw. an der Mauer mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihre Behausung.

Stirbt sie, wird sie mitsamt ihres Zuhauses in Brand gesteckt, bis die verkohlten Überreste des Gebäudes, im Volksmund auch „Seherthron“ genannt, ins Hafenbecken stürzen. Sogleich wird ihre Novizin zur neuen Seherin erwählt, die ebenfalls den Namen Okari annimmt und nach dem Brand zunächst nackt und mittellos auf der Hafen­mauer zurückbleibt. Später errichtet sie von neuem einen Seherthron.

Gegenwärtig ist die Seherin eine alte Frau, die sogar den alten Sultan noch kannte. In früheren Jahren konnte man sie des Öfteren dabei beobachten, wie sie auf der Mauer entlangging, Leute begrüßte und segnete. Heute ist es ruhiger um sie geworden. Bereits jetzt munkeln die Ribukaner hinter vorgehaltener Hand, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis der Seherthron ein weiteres Mal brennt. Eine Erfahrung, die die meisten Ribukaner noch nie gemacht haben. Einige munkeln sogar, dass die alte Okari längst gestorben sei und die Novizin ihre Leiche versteckt halte. Jedes Mal jedoch, wenn diese Gerüchte lauter werden, lässt sich die Greisin kurz sehen und krächzt den Versammelten zu, dass sie noch nicht tot sei und sich die Ribukaner gefälligst davonscheren sollten, um endlich einen verdammten Sultan zu finden.

Okari steht eine junge Novizin zur Seite, die den Seherthron verlassen darf, um wichtige Besorgungen zu machen oder Nachrichten Okaris an den Hauptmann oder den Hafenmeister zu übermitteln. Meist folgen die Novizinnen ihrer Meisterin in ihrem Amt nach. Doch die sommersprossige Novizin zählt noch keine vierzehn Sommer und dient erst seit wenigen Jahren ihrer Herrin, da ihre Vorgängerin in einer Sturmnacht von der Hafenmauer fiel und vom Meer verschlungen wurde. Tatsächlich klammert sich die alte, müde Seherin so lange ans Leben, bis ihre Schülerin in ihren Augen fähig ist, ihr Amt zu übernehmen und einen eigenen Seherthron zu errichten.

 

 Die Nutzung der Grafik erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Ramona von Brasch

 

Markos, Hauptmann, Herr der Palastgarde von Ribukan

 

 Die Nutzung der Grafik erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Ramona von Brasch

 

Der Hauptmann, von den Ribukanern nur „der Alte“ genannt, gilt seit jeher als Stimme der Vernunft im Konflikt um den Thron. Nur sein Ehr- und Pflichtgefühl hielten den Sanskitaren einst davon ab, mit seiner mächtigen Garde in den Konflikt einzugreifen und die Sultanswürde kurzerhand selbst an sich zu reißen. Markos hat bald achtzig Sommer gesehen und ist über die Jahre immer schweigsamer und nachdenklicher geworden.

Sein gütiges, großväterliches Wesen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er seine Stadt mit harter Hand verwaltet und auch sich selbst keine Schwäche zugesteht. Tagtäglich beteiligt er sich persönlich an den Patrouillen, packt mit an, wo es nötig ist und pflegt seine prächtige Rüstung aus echtem amhasischen Stahl, die einen Eindruck von der einstigen Pracht und Reichtum Ribukans vermittelt. Langsam beginnt er sich jedoch mit der Tatsache zu arrangieren, dass es zu seinen Lebzeiten keinen neuen Sultan mehr geben wird. Gegenwärtig unternimmt er alles, um seinen Offizieren jegliche Ambitionen auf die Sultanswürde auszutreiben, damit sein Nachfolger in seinem Sinne weiter handelt.

Mit Okari verbindet ihn ein Band der Hassliebe: Einstmals erbitterte Kontrahenten, hat das Alter die beiden zusammengeschweißt. Längst sind alle Gefährten gegangen, und ausgerechnet seine alte Gegenspielerin teilt mit ihm das Schicksal, noch unter den Lebenden zu weilen.

Mindestens einmal im Monat besucht er sie auf der Hafenmauer, lacht, prahlt, streitet und redet mit ihr über die alten Zeiten.

 

Azzar ai ben Brokthar bzw. Azzar aiben Brokthar, Grundbesitzer und Gladiator aus Ribukan

Azzar kam als junger Bursche nach Ribukan. Er war in Ketten geschlagen, als Sklave, denn sein Stamm war einem Orkkriegerkez im Kampf unterlegen, und die Orks hatten ihn gewinnbringen verkauft. Die Freiheit war nicht das Einzige, was Azzar in Ribukan verlor. Heute ist er ein Eunuch. Nach dem einschneidenden Erlebnis wurde er im Kampf mit Morgenstern und Großem Sklaventod sowie im Nahkampf ausgebildet und als Wache des Harems eingesetzt. Während seiner Dienstzeit exekutierte er mindestens fünf Verwegene, die in den Serail des Sultans eindringen wollten.

Nachdem den Sultan von Ribukan der Schlag traf und der Krieg der hundert Prinzen ausbrach, eröffnete der nun arbeitslose Haremswächter eine Grube für Faustkämpfe in Ribukan, passenderweise „Das Loch“ genannt. Dort brachte er es zu bescheidenem Wohlstand. Er lässt es sich nicht nehmen, mit mutigen Fremden (was im örtlichen Dialekt die Umschreibung für „umnachteter Idiot“ ist), die ihn fordern, und mit Zechprellern persönlich in den Ring zu steigen. Azzar trat auch einmal gegen El Qursan an, den selbsternannten König der Piraten, als dieser eine Rechnung nicht bezahlen konnte. Auf seiner zweiten Reise nahm El Qursan ihn in seine Mannschaft auf.

Der Kämpfer hegt große Sympathie für Kinder. Gern gibt er ihnen Obst, wenn sie ihn danach fragen, und auch so manchen Prinzensohn hat er vor Verfolgern gerettet.

Obwohl Azzar Eunuch ist, kennt er sexuelles Verlangen, da er bereits in der Pubertät war, als man ihn entmannte. Er sehnt sich nach Befriedigung und Nähe, egal ob durch einen Mann oder eine Frau.

 

Weitere Details zu dem Charakter siehe auf Dnalors Blog:

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Zu Arenakämpfen in Ribukan siehe Dnalors Blog unter der URL:

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El Qursan, der König der Piraten

 

 

Das Wort Qursan stammte aus der Sprache der Kunkomer, die älter als unser Sanskitarisch ist. Das Wort soll wohl „Räuber“ oder „Pirat“ bedeuten. Passend für jemanden, der sich selbst zum König aller Piraten ausgerufen hat.

— Yal-Mordai, vor etwa neun Jahren.

 

Ich durfte unter ihm segeln. Es gab gute Kämpfe. Er ist guter Kapitän. Schlau, schnell. Kuros mit ihm!

— Hor der Barbar, Ribukan, vor zwei Jahren

 

Einst kam ein junger Pirat auf die Idee, die Stadt Lubaantuna auszurauben. So segelte er allein auf einem Boot zur Küste und stahl sich nachts in die Stadt. Keine der vielen Wachen entdeckte ihn, und so schlich er weiter, bis zum Tempelbezirk, und dort raubte er den Federschmuck vom Kopf des Hohepriesters, den Tempelschatz und das Herz einer Prinzessin, die dort gefangen gehalten wurde und darauf wartete, den Göttern geopfert zu werden …

— Moea, Geschichtenerzählerin in Ribukan

 

Und so schwamm El Qursan im Schutze der Nacht hinüber in die Stadt der Ipexco und klaute dem frechen Häuptling all sein Gold und seine Sklaven, während dieser tief und fest in seinem Tempel schlief. Die Schätze aber, die El Qursan mit Hilfe eines Kanus zu seinem Schiff brachte, reichten immer noch nicht aus, um König der Piraten zu werden. Da sprach ein Sklavenmädchen, das er gerettet hatte …

— Gehört in Ribukan, neuzeitlich. Die Plünderung Lubaantunas durch den Piraten El Qursan ist erst wenige Jahre her, die Handlung des Märchens wurde aber vom Geschichtenerzähler in die Regierungszeit des letzten Sultans verlegt.

 

Ziemlich vermessen, sich König der Piraten zu nennen, wenn der Herausforderer ihm in der Nacht des Sieges das eigene Schiff samt Schätzen stiehlt. Zumal mein Herr … äh … ich meinte natürlich der Kapitän Monolus, nur kriechen konnte. Der sogenannte König der Piraten hatte ihm die Fußsehnen durchgeschnitten. Er soll am nächsten Morgen, als er in Ribukan entdeckte, dass er von Monolus besiegt worden war und sein Schiff fehlte, so laut gebrüllt haben, dass sich in Kurotan spontan drei Weltuntergangssekten gegründet haben.

— Ribukan, gestern

 

Schlag keine Kinder im Hafen, es könnten deine eigenen sein!

— Alte Seemannsweisheit

 

Angeblich ist El Qursan irgendwo in Rakshazar verschollen. Er wollte vor drei Jahren nach seiner Schwester suchen oder so. Nun, ich bin mir sicher, so wie ich den alten Haudegen kenne, dass er grade irgendwo eine Piratencrew zusammenstellt und nach seiner geliebten Todesheuler sucht.

— Alkar in Ribukan, gestern spätabends. Oder doch schon heute morgen?

 

Die Eltern des Piraten kamen auf dem Weg nach Yal-Kalabeth ums Leben. Er hat eine Schwester namens Shafish, selbsternannte Königin der Diebe, die er als anstrengend empfindet. Sie nennt ihn zuweilen “Bocki”, vor allem, wenn sie sich über ihn ärgert.

 

El Qursans Schiff, die Todesheuler

 

Amun Sabin Amin, Tochter des Amun Camhal Amin, Herrin und Beschützerin Ribukans und des Gelben Meeres, Erbin des Perlenthrons und der Meereskrone

 

 

Obwohl die weiblichen Kinder des verstorbenen Sultans von Ribukan eigentlich nicht erbberechtigt sind, hat Amun Sabin Amin, eine seiner Töchter, eigene Ambitionen, den Thron an sich zu reißen. Aktuell residiert sie im Küstendorf Vharka. El Qursan und seine Schwester gerieten während der zweiten Reise des Piraten in ihre Gefangenschaft. Der Piratenkönig übernahm für die Amun den Auftrag, gegen die “Roten Kultisten” vorzugehen, durch deren Wirken alle Schiffe, welche in die Nähe der Bucht kamen, mit Wasser vollliefen und sanken. Ein Vorgang, welcher der Amun zunächst recht gelegen gekommen war, weil sie Mannschaften und Ausrüstung aufnehmen konnte, um ihre Reihen zu schließen, aber inzwischen war Vharka nicht mehr in der Lage, alle Neuankömmlinge zu ernähren. Es erwies sich, dass der Kult in den Diensten Al’Hrastors stand.

Im Dorf Vharka befindet sich ein Tempel einer Gottheit, die von ihren Dienerinnen und Dienern Lix genannt wird, karmesinrote Herrin der Gischt. Ihr Kult hat den Wahlspruch: “Wo Brandung ist, ist Land.

 

Abenteuerideen/Szenarien

 

Tod der Alten

Seherin Okari und Hauptmann Markos, die greisen Führer der Stadt, sind annähernd achtzig Jahre alt. Der Tod eines oder beider würde neuen Thronaspiranten und/oder Korruption und Intrige Tür und Tor öffnen.

Einmal monatlich treffen sie sich auf dem Seherthron, der an der äußeren Hafenmauer hängt. Die Helden könnten einen Anschlag durchführen (oder verhindern), welcher beide Führer gleichzeitig tötet.

Nach dem Tod Okaris gibt es weitere Handlungsoptionen: Zum Beispiel könnte man versuchen, der unerfahrenen, zukünftigen Seherin eine Novizin unterzujubeln, die für eine der Mächtegruppen in der Stadt tätig ist. Auch wäre es möglich, dass entgegen der alten Tradition andere Persönlichkeiten (auch männliche Kandidaten, inklusive der Spielercharaktere) das Amt für sich beanspruchen. Dies würde zu einem Wettbewerb führen, bei dem sich die Anwärter miteinander messen müssen. Sofern die Helden nicht selbst teilnehmen, könnten sie den einen oder anderen Bewerber unterstützen oder sabotieren.

Nach dem Tod des Hauptmanns kommt es zum Machtkampf innerhalb der Garde: Der designierte Nachfolger, ein gemäßigter Offizier, hat einen schweren Stand, da gleich zwei Kontrahenten gegen ihn vorgehen. Die Helden können erfahren, dass mindestens einer der Nachfolger versuchen wird, sich zum Sultan auszurufen, sollte er die Garde unter seine Kontrolle bringen. Natürlich kann auch ein Spielercharakter Mitglied der Garde sein und eigene Ambitionen hegen.

 

Die religiösen Führer

Die religiösen Führer verlangen schon seit langem nach einer Reinstitution des Glaubens in Ribukan. Das jährliche Opferfest ist für sie blanker Hohn. Nur einmal jährlich dürfen im großen Tempel Opfer dargebracht werden.

Bislang haben sich die Gurus zu sehr untereinander bekriegt, um gemeinsam in dieser Angelegenheit vorzugehen, aber seit einigen Monden herrscht ein sensibles Gleichgewicht: Man stimmt darin überein, dass erstmal dieser lästige Hauptmann aus der Welt geräumt werden sollte und man sich hinterher schon einig werdem wird.

 

Die Bruderschaft der Schlangen

Vor über vierzig Jahren zerschlagen, haben einige Mitglieder der alten Magierkaste im Verborgenen überlebt und planen erneut ihre Machtergreifung. Die Bruderschaft agiert stets im Hintergrund und hat die Kunst der Unterwanderung perfektioniert. Sie trachtet zunächst nach einem Sitz im Volksgericht, wobei sie es in erster Linie auf das Amt des Hafenmeisters abgesehen hat, da dieses großen Reichtum und die Kontrolle über ein- und auslaufende Schiffe (und deren Ladungen) mit sich bringt.

 

Die Bibliothek von Ribukan

Dieser Ort wurde bereits lange vor der Geburt des letzten Sultans ein Raub der Flammen. Doch noch immer soll es geheime Räume geben, die den großen Brand unbeschadet überstanden haben und in denen unschätzbares Wissen lagert. Dumm nur, dass die Bibliothek im Palastviertel liegt und der Zutritt streng verboten ist.

 

Im Ostviertel

Immer wieder verschwinden Personen im Ostviertel. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch die drei großen Banden schwören Stein und Bein, dass sie nichts mit der Sache zu tun haben. Offensichtlich will jemand oder etwas den brüchigen Frieden zwischen den Banden stören. Sind es die Ipexco, die sich im Nordviertel eingerichtet haben? Steckt etwa diese verrückte Schwesternschaft im Südviertel dahinter? Oder hat jemand anderes seine Finger im Spiel?

 

Das neue Südviertel

Nach Ausrufung des Waffenstillstands im Stadtgebiet waren es zunächst einfache Leute und Obdachlose, die im einstigen Armenviertel Zuflucht suchten. Doch mittlerweile haben sich auch Händler und Handwerker hier niedergelassen, denen das Hafenviertel zu eng geworden ist.

Zwei Drittel des Südviertels liegen in Trümmern, doch im Schutze der Mauer zum Hafenviertel haben sich einige belebte Straßenzüge erhalten, in denen sogar die Stadtgarde gelegentlich patrouilliert. Sowohl einflussreiche Handelsfamilien als auch die Aristokraten und Priester haben seit einiger Zeit damit begonnen, möglichst großzügige Grundstücke im Viertel abzustecken und beim Hauptmann nachdrücklich den Wiederaufbau der Stadtmauern zu fordern. Auch die Helden können ganze Straßenzüge für sich beanspruchen, Häuser errichten oder eine der zahlreichen Interessensgruppen unterstützen. Das Südviertel dient der Spielleitung als riesige Sandbox, in der sich die Helden nach Herzenslust austoben dürfen. Auch bei der Namensgebung könnten die Helden ein Wort mitreden: Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Reichen und Mächtigen damit brüsten möchten, im „Armenviertel“ zu leben, so dass der Ruf nach einem neuen Namen nur eine Frage der Zeit sein dürfte.

 

Priesterkrieg

Dies ist ein Ereignis, das zu jedem beliebigen Zeitpunkt stattfinden kann. Es handelt sich um Geschehnisse im Reich der Ipexco. Die Stadt Kamilinaxo wurde im letzten Nagah-Krieg von der Bel-Quiratl-Priesterschaft übernommen. Diese brach mit den alten Traditionen, verdrängte die anderen Priesterschaften vollständig aus der Stadt und errichtete eine Alleinherrschaft. Nunmehr scheint sie ein Bündnis mit Al’Hrastor geschlossen zu haben und mischt im Ribukanischen Bürgerkrieg mit.

Die anderen Priesterschaften sehen dadurch die alte Ordnung gefährdet und beschließen, dem Treiben in Kamilinaxo ein Ende zu setzen. Es gelingt ihnen, einen Bündnis unter der Führung der Stadt Uxmatl zu schmieden. Von dort bricht ein Heer auf, um die Ordnung in Kamilinaxo wiederherzustellen.

 

Die verlorenen Städte

Im und rund um das Tal der Tempel gibt es etwa ein gutes Dutzend Städte, die einst reich und mächtig waren und die Umgebung beherrschten, dann aber im Krieg zerstört wurden oder aus anderen Gründen im Dunkel der Geschichte verschwunden sind.

Viele, aber bei weitem nicht alle sind einstige Ipexco-Siedlungen. So soll eine dieser Städte noch immer Heimat jener uralten Völker sein, die Rakshazar vor Urzeiten beherrschten.

Eine weitere alte und vergessene Siedlung ist ribukanischer Abkunft und liegt am Rande des Totec-Wassers. Gegenwärtig dient sie Prinz Amun Mazlom Iben Sabu-Amin, einem Thronanwärter aus Ribukan, als Rückzugsort für seine Truppen und Piraten.

Von einer Stadt irgendwo im Dreieck zwischen Sumataco, Maru-Himal und Ipexim heißt es, dass dort das “Auge der Leere” zu finden sei, welches bis jenseits der Sterne blicken könne und jeden, der es besitzt, unbesiegbar machen soll … Je nachdem, welcher Legende man folgt, haben Nagah oder Ipexco die Stadt gestürmt, alle Einwohner getötet bzw. geopfert und das Auge in eine tiefe Gruft gebannt.

Eine Stadt soll noch immer Heimat jener uralten Völker sein, die Rakshazar vor Urzeiten beherrschten.

 

Abenteuerideen/Kurzszenarios

Von einer Stadt irgendwo im Dreieck zwischen Sumataco, Maru-Himal und Impexim heißt es, dass dort ein Artefakt namens Auge der Leere zu finden sei, ein trollkopfgroßer, purpurner Meterorit, der als Schwarzes Auge dienen könne, mit welchem man in der Lage sei, bis jenseits der Sterne zu blicken und das jeden, der es besitzt, unbesiegbar machen soll. Die Legende hat einen wahren Kern. Das Auge existiert und verleiht seinem Besitzer vorübergehend die Kraft eines Gottes, verwirrt jedoch seinen Geist und verdirbt seine Seele, bis sie dem Widersacher anheimfällt. Je nachdem, welcher Legende man folgt, haben Nagah oder Ipexco die Stadt gestürmt, alle Einwohner getötet bzw. geopfert und das Auge in eine tiefe Gruft gebannt. Nicht unwahrscheinlich, dass dies eine Reaktion auf Feindseligkeiten war, die durch den letzten Träger des Auges initiiert worden sind, der wiederum durch die unheilvolle Macht des Auges dazu gedrängt worden ist.

In der jün­geren Vergangenheit haben Prinz Amun Mazlom Iben Sabu-Amin, Tezozómoc Xi´rabuun Bel-Quiratl und Thin’Chha Sccri Buccan Zhachtzt Tzachza Fuch Gom Kunde von dem Artefakt vernommen. Die Gefahren, welche der Umgang mit ihm birgt, sind ihnen unbekannt oder werden von ihnen heruntergespielt, die Überlieferungen über die Macht, die es verleihen soll, faszinieren sie indes außerordentlich. Entsprechend hat jeder von ihnen bereits mehrere Expeditionen ausgesandt, das Auge zu bergen, bislang erfolglos. Der Prinz möchte mit Hilfe des Artefakts endlich den Thron Ribukans erobern, Der Ipexco-Priester will eine Armee formen und das Tal der Tempel unter seine Kontrolle bringen. Die Nagah halten es für ein Artefakt ihrer Göttin H’Stsiva, deshalb möchten sie es bergen und es genau untersuchen.

Schatzsucher und andere Abenteurer erhalten hier eine Chance, sich zu profi­lieren, finden sich jedoch rasch mit mutierten Bestien des Dschungels, Geistern, Untoten und nicht zuletzt den Expeditionen der Konkurrenten konfrontiert. Um das Auge zu bergen, müssten die Expeditionsteilnehmer in eine Stufenpyramide des Namenlosen eindringen. Die Eroberer, welche einst die Stadt zerstörten, um die unheilvolle Macht des Auges zu brechen, konnten es nicht zerstören, sondern haben es tief im inneren der Pyramide in einer Gruft eingemauert und diese mit einer Reihe von Schutzzaubern versehen. Für einen Eindringling sollte es offen­sichtlich sein, dass derartige Maßnahmen gewiss nicht grundlos ergriffen worden sind. Daraus erwächst die Frage, ob man die Versieglung der Gruft wirklich brechen und sich des Auges bedienen sollte. Seiner finsteren Macht zu widerstehen ist schwer, und man kann es nur mit Hilfe starker Magie oder durch göttliches Wirken zerstören. Es im Sumpf zu versenken mag auch eine Lösung sein, jedoch ist die Gefahr viel zu groß, dass es dort eines Tages gefunden wird. Es an seinem angestammten Platz zu lassen ist jedoch ebenfalls nicht die beste Idee, den auch dort kann es geborgen werden und eines Tages erneut mit seinem verderbten Einfluss Unheil über die Region bringen.

 

Die fünf Höllen Rakshazars

Abgewandt liegend von der Götterburg Alveran, verheert vom Kataklysmus, unterwandert von den Kulten des Widersachers, der Erzdämonen und einiger Mythos-Wesen, geprägt von Monstren, wilden Bestien und Barbaren, ist Rakshazhar, der westliche Teil des Rieslands, seit jeher ein Ort, an dem das Leben kurz und schmerzvoll sein kann, voller Entbehrungen, Pein und Kampf. Wo andere Kontinente ihre Errungenschaften hervorheben und sie stolz als Wunder präsentieren, die die Welt bestaunen sollte, überbietet sich Rakshazar eher mit Lokalitäten furchterregender, grausamer und unmenschlicher Natur. Angesichts ihrer Vielzahl fällt es schwer, eine Auswahl jener Plätze zu treffen, die jeder, der keine ausgesprochen masochistische Ader hat, auf jeden Fall meiden sollte, doch hat Shimou Tuka, eine Parnhai, die lange als Sklavin sanskitarischer Herrn gedient hat, bis ihr 1025 BF schließlich die Flucht nach Kurotan gelang, genau dies getan und jene Orte bestimmt, die ihr als die fünf Höllen Rakshazars gelten. Ihre Kategorisierung hat in der Gesellschaft Kurotans nicht nur Aufsehen erregt, sondern auch Anerkennung gefunden, und mittlerweile ist es so, dass beinahe in ganz Rakshazar verstanden wird, von welchen Orten die Rede ist, wenn jemand die fünf Höllen erwähnt.

Obwohl man über Lumpenrott, Stadtteil Kurotans, sagt, er gleiche einer niederhöllischen Domäne auf derischem Boden, wird er nicht zu den fünf Höllen gezählt. Die fünf Höllen werden im Volksglauben mit den fünf Tagen der Sternenleere und ihren dämonischen Tagesherrschern in Verbindung gebracht, den Namenlosen Tagen, wie man in Aventurien sagen würde. Allerdings finden sich in den Legenden zuweilen Andeutungen, es habe einst einen sechsten Tagesherrscher und damit einen sechsten Tag der Sternenleere gegeben. Es ist also eher mythischen Ereignissen zu verdanken, dass Lumpenrott nicht als sechste Hölle gewertet wird.

 

Die Siechenkolonie von Ribukan

In direkter Küstennähe, auf einer kleinen Anhöhe im Westen des Adelsviertels Ribukans, liegt die Siechenkolonie. Ursprünglich handelte es sich um einen Salzstock, der als Salzbergwerk genutzt wurde und später zur letzten Heimstatt für Seuchenkranke und Schwerstkriminelle wurde. Die Kolonie ist nicht mehr als ein gewaltiges Loch im Boden, aus dem es so gut wie kein Entkommen gibt. Ein bedrohlich knarzender Lastenkran befördert einmal wöchentlich neue Kranke, Delinquenten und Nahrungsmittel in die Tiefe. Im Gegenzug werden die leeren Körbe mit Salz aufgefüllt, dem die Stadt einen bescheidenen Wohlstand verdankt. Wer hier landet, führt ein Leben in fast vollständiger Finsternis, umgeben von Todkranken und Aussätzigen sowie dem schlimmsten gesellschaft­li­chen Abschaum der gesamten Halbinsel. Über die Siechenkolonie kursieren die haarsträubendsten Geschichten. So sollen unter der Erde Mord und Totschlag unter den rund drei Dutzend Gestalten an der Tagesordnung sein und die Verstorbenen in den Suppenkesseln der anderen halbverhungerten Insassen enden. Die durchschnittliche Lebenserwartung in dieser Grube beträgt wenige Wochen bis Monate. Ein längeres Überleben ist nur möglich, wenn man zu den den kompromisslosen Schwerverbrechern gehört, die als erstes an die Futtertöpfe gelangen. Die Insassen haben nicht nur mit einlaufendem Sickerwasser und einstürzenden Stollen, sondern auch mit jungen Ipexco zu kämpfen, die im Schutze der Nacht als Mutprobe zur Insel schwimmen, um Schlangen und anderes Giftgetier in die Tiefe zu werfen und sich diebisch am Geschrei der Gefangenen zu erfreuen. Bei Sturm brechen sich gigantische Wellen an der Insel und schwappen oftmals bis ins Innere, wo die Schwachen und Kranken jämmerlich ertrinken.

 

Abenteueridee/Szenario

 

Flucht von der Insel

Ein Freund/Bekannter/Informant der Helden wurde in die Siechenkolonie geschickt, entweder wegen krimineller Handlungen oder weil er unheilbar erkrankt ist.

Die Helden müssen das Unmögliche wagen: In die Kolonie eindringen und eine Person befreien. Ein geradezu halsbrecherisches Unterfangen.

 

Die Außenbezirke Yal-Mordais

In einer Stadt, die in Wahrheit nicht von Hrastor und seinem Rat der Schemenhaften, dem Hexersultan Al’Hrastor, den Hexern von Yal-Mordai, den Zelothim oder den Wesiren regiert wird, sondern von Angst und Panik ihrer Einwohner, ist es für die Menschen schwer, bei klarem Verstand zu bleiben, und so ist kaum ein Yal-Mordaier bei vollständiger geistiger Gesundheit.

Dies umso mehr, als das Amazth-Unheiligtum von Sach Ard’m mit der Sternensenke schleichend Amazeroths unheilvolle Aura über die Stadt verbreitet und so die Geister und Seelen der Bevölkerung verdirbt. Schon wenige hundert Meter abseits der Keshals und Stelen-Labyrinthe findet man fast nur noch verlorene Seelen. Auf Yal-Mordai liegt der sengende Blick eines blinden Gottes, und nur im Schutz der Keshals kann man den stetig einsickernden Einfluss der Sternengrube einigermaßen unbeschadet überstehen. Es heißt, die geometrischen Reliefs, Rilken, Fortsätze und Arabesken an den Mauern der Keshals bilden ein Geflecht aus komplexen Bannsprüchen, welches Sterbliche vor der gewaltigen Präsenz des Gottes schützen soll. Auch die Stelen bieten angeblich einen gewissen Schutz, wobei dieser zuweilen – man munkelt, dass bestimmte Sternenkonstellation dafür verantwortlich sind – versagt. Die Bevölkerung weiß inzwischen sehr genau, dass sie die unbewohnten Teile der Stadt meiden muss, und hält sich aus den Randbereichen fern. Fremdländer, die sich hierher verirren, verfallen oft binnen weniger Stunden dem Irrsinn.

Nach außen hin gibt sich Yal-Mordai den Anstrich einer vollkommen normalen Sanskitarenstadt, deren Bewohner ähnlich leben wie die Einwohner Shahanas oder Ribukans. Eine Fassade, die für Fremdländer meist problemlos aufrechterhalten werden kann, für jemanden, der die Stadt nicht nur oberflächlich betrachtet, aber allzu leicht bröckelt.

Auf den Hauptwegen wirkt die Stadt einigermaßen intakt. Die Bewohner halten die Fassaden mühselig instand, obwohl dies strengstens verboten ist und den Lehren der Zelothim widerspricht, für welche die Baukunst, die Dinge erschafft und ordnet, ein Sakrileg gegen Amazth’ Willen darstellt. Wer hinter die Kulissen schaut, entdeckt eine herunterkommende, ja verrottende Stadt, die kurz vor dem völligen Verfall steht. Für die Zelothim zählt nur das Jenseits. Das Investieren von Zeit und Geld in die körperliche Welt gilt als frevelhaft.

Vieles hat einen subtilen, unheimlichen Einschlag. In der Regel, die durch Ausnahmen bestätigt wird, ist er nicht niederhöllischer Natur, sondern die Folge von Angst und Wahnsinn, welche die Stadt beherrschen. Das altehrwürdige Sanatorium Arkhabal, das in der Nähe des Hafens liegt, aber anders als dieser innerhalb des von der Sternensenke verderbten Bereichs, ist in Wahrheit eine gewaltige Nervenklinik, in welche die schweren Fälle eingeliefert werden und das nicht selten Keimzelle für neue kriminelle Vereinigungen ist oder von korrupten Ärzten mit eigenen, finsteren Ambitionen geleitet wird. Manche Menschen sind durch das Wirken der Zauberkundigen dämonisiert. Die meisten wirken auf den ersten Blick nur missgestaltig oder krank.

 

Die Minen von Amhas

 

 

Für all jene, die ihre Freiheit verloren haben, um für den Rest ihres Lebens für die Amhasim zu schuften, und die dabei noch nicht jenen Grad an Gehirnwäsche erreicht haben, der viele Sklaven in der Stadtmitte oder in der Stahlverarbeitung stolz sein lässt, in den Diensten gottgleicher Wesen zu stehen, ist ganz Amhas eine Hölle, vor allem der Äußere Ring und das an die Stadt angrenzende, alles zersetzende Totenwasser.

In den Außenbezirken, gleich hinter den titanischen Stadtmauern, finden sich Eisenhütten, Stahlöfen, Schmieden und Indoktrinations­lager für frisch gefangene Sklaven. Die qualvollen Schreie der Gefolterten sind im Umfeld der Stadtmauer überall zu hören. In den Lagern werden die Opfer der Amhasim auf ihr zukünftiges und in der Regel sehr kurzes Leben vorbereitet. Mit einer Mischung aus Überzeugungsarbeit und schierer Brutalität wird ihnen jeder Wille zum Widerstand ausgetrieben. Zu diesem Zweck kommen alchimistische Mittel zum Einsatz, die dem kargen Essen der Gefangenen zugesetzt werden. Ist der Wille der Neuankömmlinge gebrochen, werden die meisten von ihnen über das Totenwasser in die gefürchteten Eisenminen gebracht.

Als eine der fünf Höllen gelten nur die Minen selbst. Die Schichten sind lang, die Arbeit ist hart, die Lunge wird krank vor lauter Staub. Wer nicht die erwartete Leistung erbringt, bekommt es rasch mit körperlicher Züchtigung zu tun. Die meisten Sklaven halten nicht länger durch als ein Jahr, und so gut wie keiner von ihnen bekommt je wieder die Sonne zu Gesicht.

 

Die Finsterbinge

Dass die Finsterbinge der Faulzwerge zu den fünf Höllen zählt, hat anders als bei den anderen Höllen wenig mit persönlicher Erfahrung zu tun. Ihr Ruf basiert vielmehr auf den Geschichten, die über diesen Ort kursieren und die meist nicht überprüft werden können, weil niemand, der kein Faulzwerg ist, und manchmal nicht einmal diese, die Binge wieder lebend verlässt. Von unendlicher Qual ist die Rede, Folter, Verstümmelung, einem langsamen, schmerzhaften Tod. Von Beschwörungen, Pakten und Opferungen. Von jeglicher Grausamkeit, zu der ein Sterblicher fähig ist. Manche meinen gar, dass die Legenden sogar eher untertreiben.

 

Die Minen von Mornfest

Mit den Minen von Mornfest sind die Agrim noch ein zweites Mal vertreten. Wie die Amhasim lassen sie Sklaven aus allen möglichen Völkern in ihren Minen schuften. Die sind sogar noch erschreckender, weil in den Ausläufern der Götterberge reichlich Monstren unterderisch leben, die beim Graben zuweilen aufgescheucht werden und dann unter den Sklaven wüten. Einige der Gefangenen sind selber Monstren, darunter Daimonide und Werkreaturen. Außerdem kommen die gefährlichen Höllenmaschinen der Agrim zum Einsatz.

 

Der Krieg der Kulte der Meeresgötter und das Amt des Hafenmeisters

In Ribukan streiten die Kulte von insgesamt vier Meeresgöttern um das lukrative Amt des Hafenmeisters:

 

Bel-Sholairak

Bel-Sholairak wird fast ausschließlich in Ribukan verehrt. Er ist wahrscheinlich mit Sholai’rr’rak identisch, einer von den Krakoniern Wahjahds angebeteten Erscheinungsform Brazoraghs, allerdings erinnert sein Name auch an Belshirash und Belharhar. Wie die Krakonier sehen auch die Sanski­ta­ren ihn als haigestaltig an und halten die gelegentlich auftretenden Werhaie – ebenso wie normale Haie – für seine Kinder. Die Gottheit wird vor allem von Piraten verehrt. Der Kultvorsteher bemüht sich stets um das Amt des Hafenmeisters, steht dabei aber in ständigem Wettstreit mit den Anhängern Numinorus, Tlalclatans und Uzhuchs. Das Amt zu halten bedeutet lukrative Einnahmen durch besondere Hafenzölle, die in die Taschen der Kultisten fließen. Als Aspekte werden Bel-Sholairak Seefahrt, Piraterie, Hierarchie (Kapitäne gelten an Bord als gottähnliche Wesen), Diebstahl, Jagd, Furchtlosigkeit, Gnadenlosigkeit, Chaos (im Hafen), Rausch und Meeres­lebe­wesen (Raubfische) zugeschrieben. Der Hafen von Ribukan gilt als ihm heiliger Ort. Als Opfergaben akzeptiert er Fische, Beute, Feinde des Kultes und Elfenbein, verhasst sind ihm Meuterei, Untreue gegenüber der Mannschaft und vor allem gegenüber dem Kapitän, der Kult des Numinoru sowie Feigheit. Das Motto des Kultvorstehers (wie auch das der anderen Meereskulte) lautet: „Wir beherrschen das Meer, wir vertreten das Meer, wir sind das Meer! Also her mit dem Hafenzoll!“ Solchen Zoll kann der Kult aber nur dann erheben, wenn er im Wettstreit mit den anderen Kulten gerade die Nase vorn hat. Aufgrund der verlorengegan­genen Primärliturgie Brazoraghs ist auch Bel-Sholairak keine karmaspendende Entität. Die Gottheit weiht selbst keine Priester, schickt aber sehr selten einmal Erwählte zur Dere.

 

Numinoru

Auch Numinoru, bei dem es sich wenig überraschend um den auch andernorts so genannten Meeresgott handelt, findet vor allem in Ribukan Verehrung. Numinorus Kult ist ein Mysterienkult, dessen Anhänger – ein Kultführer, ein Nachfolger und etwas drei Dutzend Gläubige – sich aufgrund ihres gestelzten und geheimniskrämerischen Auftretens unter den eher raubeinigen Bewohnern der Stadt den Ruf des blasierten Spinners eingehandelt haben. Die Gottheit wird mit den Aspekten Meer, Geheimnisse, Stürme, Schutz vor Meereslebewesen (Bestien), Schutz vor Sturmfluten, Wasser, Magie, Magiebann, unbelebte Natur, Regen, Seefart und Prophezeiung verehrt. Das Meer als Ganzes gilt ihr als heilig. Als Opfergaben akzeptiert sie Fische, Blumen und Schiffsmodelle. Verhasst ist ihr Bel-Sholairak und sein Kult. Der Numinoru-Anhänger stehen mit dem Bel-Sholairak-Kult und den anderen Meereskulten im Wettstreit um das lukrative Amt des Hafenmeisters von Ribukan und hat in Bezug auf die Zolleinnahmen dasselbe Motto wie diese.

 

Tlaclatan

Mit Tlaclatan haben die Sanskitaren Ribukans eine Ipexco-Gottheit übernommen. Während die Ipexco sie als Göttin verehren, gilt sie den Sanskitaren als männlich. In ihren Aspekten, akzeptierten Opfergaben, Heiligtümern etc. gleicht sie ihrem Ipexco-Pendant. Auch in seiner sanskitarischen Variante ähnelt der Gott eher Numinoru als dem allzu oft erzürnten Efferd, sodass womöglich in Ribukan zwei Numinoru-Kulte um die Vorherrschaft zanken, ohne zu ahnen, dass sie denselben Gott anbeten. Tlalclatan ist eine von mehreren den Sanskitaren bekannten Meeresgottheiten. Im Gegensatz zu den düsteren Wesenheiten Uzhuch und Bel-Sholairak ist Tlalclatan ein gerechter Herrscher der Meere, der auch in Seemannsgarn als freundlicher Helfer erscheint und Fischer vor der Willkür der anderen Götter bewahrt. Er verlangt dafür allerdings stets einen Anteil an den Gaben, die er den Fischern beschert, also in erster Linie Fische und andere Meeresfrüchte. Eine besonders wichtige Gabe an Tlalclatan ist Rotwein, denn die Liebe des Gottes zu diesem Getränk und seine freundliche Stimmung nach dessen Genuss wird in vielen Märchen der Küstenbewohner beschrieben. Die Sitte, dem Gott Wein zu opfern, ist ein Überbleibsel der Blutopfer der Ipexco, welche diese Gottheit in Ribukan überhaupt erst heimisch machten. In der Zeit der Blutpriester wurde Menschenblut in spezielle Ritualflaschen abgefüllt und als Gabe für Tlalclatan im Meer versenkt. Abgesehen von den Weinopfern praktiziert die sanskitarische Variante des Talclatan-Kultes aber keine Komponenten des Ipexco-Blutkults.

Tlalclatan wird als bartloser Mann mit langem, wallendem Haaren aus Seetang dargestellt. Die Haarpracht ist ein Überbleibsel seiner weiblichen Gestalt bei den Ipexco. Es ist nicht bekannt, warum die Sanskitaren in Ribukan zu der Überzeugung gelangten, Tlalclatan sei ein Mann. Die eher volkstümliche Natur des Kultes äußert sich darin, dass jede Dorfgemeinschaft, ja im Grunde jede Familie, die den Gott verehrt, eine eigene Tradition entwickelt hat, sich seiner Gunst zu versichern. Streit über die rechte Art und Weise, den Herrn der Fluten zu ehren, und um Details der über ihn getätigten Aussagen gibt es dennoch kaum. Oft kursieren in einer Gemeinschaft sogar sich gegenseitig widersprechende Geschichten; zum Beispiel darüber, wer seine Gemahlin ist (in der Regel wird Ishma als solche gesehen) oder welche Opfergaben ihm besonders wohlgefällig sind.

Nicht nur Fischer und Bootsbauer verehren den Gott, sondern auch Piraten aus Ribukan und Seereisende aller Art. Die Piraten haben ihn kurzerhand zum Schutzgott der Piraterie erklärt, von den Seereisenden wird er dagegen als Schutzmacht vor Piratenüberfällen angerufen. Die Piraten kennen die Tradition des „Trockenen Monats“, ein Monat im Hochsommer, in dem es ihnen verboten ist, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen. Stattdessen werden alle erbeuteten Getränke als Gabe an Talclatan ins Meer geschüttet. Piraten und Küstenbewohner kennen spezielle Lieder zu Ehren des Wassergottes, die sie bei ihrem Tagwerk singen und die meistens einen fröhlichen und humorvollen Inhalt haben. Sie hoffen, mit diesen Gesängen Tlalclatan zu amüsieren und freundlich zu stimmen. Traurige Lieder hingegen sind auf See streng verboten.

Auch im Landesinneren ist Tlalclatan als Herr des Regens bekannt,. Dort wird er vor allem von Bauern zur Zeit der Aussaat angerufen, die ihn um günstigen Niederschlag bitten. Höhepunkt dieser Zeit ist ein Fest, bei dem eine Strohpuppe mit langen Haaren aus grün gefärbten Seilen die Rolle des Gottes einnimmt und symbolisch mit Speisen und Rauschmittel bewirtet wird. Nach dem Fest wird diese Puppe als Vogelscheuche auf dem Acker aufgestellt, um den Feldern den Schutz der Gottheit angedeihen zu lassen. Außerhalb dieser Zeit findet die Gottheit kaum Beachtung und spielt im Leben der Bewohner des Landesinneren so gut wie keine Rolle.

Es existiert keine organisierte Priesterschaft des Tlalclatan. Bei den Küstenbewohnern nimmt das Familien­ober­haupt die Rolle des Mittlers zur Gottheit wahr, bei den Piraten der Kapitän und bei den Bauern die alten Frauen, welche die Puppen herstellen. Wer auch immer diese Rolle übernimmt, seine Tätigkeit besteht in jedem Fall aus dem formlosen Vortragen der Wünsche der Gemeinschaft im Gebet an die Gottheit. Dazu gehören auch private Wünsche, die vorher an die Mittler herangetragen worden sind. Manchmal haben diese Wünsche nichts mit Tlalclatans Aspekten zu tun haben, sondern werden einfach aufgrund seiner allseits bekannten Milde und Verhandlungsbereitschaft an ihn herangetragen.

 

Uzhuch

Uzhuch wird als Fürst der Fluten oder Der alles Ertränkende angebetet. Dahinter verbirgt sich Ulchuchu, ein einge­hörnter Dämon aus dem Gefolge Charyptoroths. Als Aspekte sind ihm Wasser, Meer, Tod, Meereslebewesen (Bestien, Quallen), Pflanzen (Algen), Schicksal und Gnadenlosigkeit zugeschrieben. Verehrung findet er vor allem in Ribukan, teilweise aber auch in den anderen Stadtstaaten. Heilig sind der Gottheit Flussdeltas, Algen und Quallen. Als akzeptierte Opfergaben gelten Menschenopfer (werden ertränkt), Blut und Wein.

 

Scrri Buccan

 

 

Um 239 BF nutzten die Nagah das temporäre Kriegsbündnis mit Ribukan gegen die Ipexco, um Abu-Malak zu überreden, der Gründung einer Kriegsschule der Nagah auf ribukanischem Territorium zuzustimmen. Zwei Tagesreisen den Fluss Ribun aufwärts erwuchs die kleine Siedlung Sccri Buccan („Neues Ribukan“). Hier entstanden bald ein Tempel des Nagah-Kriegsgottes Shinxio und eine Strategonenschule. Nominell untersteht das Dorf der Stadt Ribu­kan, die tatsächliche Gewalt liegt aber bei den Nagah aus Assanra, welche Sccri Buccan, den Tempel und die Stra­tegonenschule verwalten. Die Ortschaft überstand das Kriegsende, und da die Strategonenschule auch für Nicht-Nagah geöffnet wurde, genoss sie bald auch in der Welt der Schuppenlosen einen ausgezeichneten Ruf.

Aufgrund der engen geschichtlichen Verbundenheit genießen Schuppenlose in Sccri Buccan ein höheres Ansehen als in den übrigen Nagahstädten und gelten nicht als Yrachi („Verstoßene“). In gegenwärtigen Zeiten leben etwas ein Dutzend Menschen in Sccri Buccan, hauptsächlich Ribukaner. Die meisten von ihnen befinden sich in Ausbil­dung zum Strategonen. Eine Ausnahme ist Ali ibn Ribukan, der mit seiner Thaluk als Flusshändler zwischen Ribukan und Sccri Buccan pendelt und mit allerlei Gütern handelt.

Im Krieg der Hundert Prinzen mischten die Strategonen aus Sccri Buccan auf allen Seiten mit. Sie dienten als Offiziere, Leibwächter und Berater in den Heerhaufen der Prinzen und ließen sich ihre Dienste mit Gold, Wein, Elfenbein und Metall vergüten.

Sccri Buccan liegt auf einer Halbinsel an einer Flussschleife des Ribun, geschützt durch mächtige Mauern. Inner­halb der Stadtumwallung leben Bauern, Jäger und Handwerker, welche für die Versorgung des Tempels und der Schule sorgen. Das Leben der einfachen Bevölkerung ist im Vergleich zu dem der Bewohner der Sumpfdörfer ver­hält­nismäßig sicher, obwohl das Dorf bereits des Öfteren von Feinden berannt worden ist. Zu diesen Feinden zählen vor allem die Ipexco. Dank der soliden Mauern und der Schüler des Strategonenschule ist es Belagerern aber noch nie gelungen, einen Fuß in das Dorf zu setzen.

Friede und Sicherheit fordern jedoch ihren Tribut. Alle Macht geht vom obersten H’Shinxio-Priester aus. Dieser hat das Leben in der Stadt streng reglementiert, um stets höchste Wachsamkeit zu gewährleisten. Der Genuss von Alkohol ist strengstens untersagt, und auch ausgedehnte Feste sind verboten. Die Strategonen sind omni­prä­sent und begegnen den Dorfbewohnern mit unverhohlener Arroganz.

Die Strategonenschule liegt an der Spitze der Halbinsel und ist Teil der Verteidigungsanlage. Die Tore der Schule von Sccri Buccan stehen auch Sirdak, Marus und sogar Schuppenlosen offen, daher wird auch der Umgang mit für Nagahverhältnisse exotischen Waffen wie dem Sichelschwert, dem Bogen und schwerem Belagerungsgerät gelehrt. Zu diesem Zweck stehen drei leichte Ballisten zur Verfügung, die so positioniert sind, dass sie weite Teile des Flusses un des angrenzenden Ufers bestreichen können. Normalerweise wird auf dort befindliche Baum­stümpfe geschossen, im Kriegsfall jedoch werden anstürmende Ipexco und deren Kanus beschossen.

In unmittelbarer Nähe des Eingangsportals erhebt sich die wabenförmige Pagode des H’Shinxio acht Schritt in die Höhe. Fünf Priester verrichten hier ihren Dienst und bilden zugleich die Strategonen der Schule aus. Der Tempelvorste­her fungiert auch als Priester der anderen Nagah-Götter, und das Dorf unsteht seiner Kontrolle.

Gleich neben der Pagode liegt das „Feld der tausend Götzen“. Die zahlreichen fremden Zöglinge der Stratego­nen­schule, Marus, Sirdak, Ribukaner und Parnhai, brachten im Laufe der Jahrhunderte ihre eigenen Kriegsgötter mit nach Sccri Buccan. Wie bei der Gründung vereinbart, durften die Fremden jedem Gott eine Stele weihen und dort Opferrituale abhalten. Die Oberhoheit des H’Shinxio-Kultes allerdings müssen sie anerkennen, um sich dieses Privileg zu erhalten. Diese Stelen, welche meist nur grobe, abstrakte Körper ohne oder mit nur angedeutetem Gesicht darstellen, sind der einzige Ort im Reich der Nagah, wo ungestraft Götter des „Kalten Nestes“ verehrt werden dürfen.

Aktuell ist die junge H’Shinxio-Priesterin Thin’Chha Sccri Buccan Zhachtzt Tzachza Fuch Gorn, welche in Ribukan und inkognito auch in Yal-Mordai fremde Kulte studierte, mit der Wacht über die zwanzig Stelen beauftragt, wozu einerseits deren Schutz vor Vandalismus gehört, andererseits aber auch die Durchsetzung der Oberhoheit H’Shin­xios. Eine denkbar schlechte Wahl, ist sie doch während ihres Aufenthalts in Yal-Mordai mit einem Kult in Kontakt gekommen, der einem gesichtslosen Kriegsgott huldigt, welcher seinen Gläubigen Macht, Sieg und Reichtum verspricht, wenn sie nur genügend unschuldiges Blut, unsterbliche Seelen und – als Zeichen absoluter Unterge­benheit – einen Teil ihrer Selbst opfern würden. Die junge Priesterin zeigte sich fasziniert von dem Kult und ließ sich zur Priesterin, ja, mehr noch, zur Klingenmagierin des dunklen, namenlosen Gottes weihen. Das Weiheopfer war ihre Schwanzrassel, die sie nach offizieller Darstellung im Kampf gegen einen Blutzahn verloren hat. Zurzeit versucht die charismatisch, freundlich erscheinende Klingenmagierin an die Spitze des Tempels aufzusteigen, um Sccri Buccan zum Namenlosen zu konvertieren und aus der Herrschaft Assanras herauszulösen. In dem Priester Fuch und dem Orkkämpen Gom hat sie zwei wichtige Verbündete gefunden.

Obwohl der Kult vergleichsweise klein erscheint, ist er nicht ungefährlich. Direkt neben der Pagode und unter ihrem Schutz macht sich der Namenlosen im warmen Nest breit. Die Ideologie des Kultes wird unter den Strate­gonen verbreitet und durch diese in die Armee der Nagah und in die Armeen der unterschiedlichen Völker getragen. Der eigentliche Kriegskult der Nagah indes wird ausgehöhlt. Fällt er, dürfte es schwer werden, dem Namenlosen im Reich der Nagah Paroli zu bieten. Strategonen, die auf Abenteuerreise gehen oder sogar eigene Dörfer, Städte oder Reiche gründen, tragen den Kult in die Welt hinaus.

 

Die Strategonen

Anders als viele andere Kulturen kennen die Nagah keine Kriegerehre. Sie halten nichts davon, wehrlose zu verschonen. Der Sieg ist alles, was zählt, und der Zweck heiligt alle Mittel.

Tonangebend ist dabei der Kult des H’Shinxio, der anders als der rondrianisch geprägte Kulte auf Taktik, Tricks und Strategie setzt und nichts von Helden und Individualisten hält. Daraus folgt, dass das Leben eines Soldaten wenig zählt, wenn sein Opfer zum Sieg führt.

Die heutige Situation ist dennoch eine andere als die früherer Tage. Einst standen den Strategonen und Priestern zehntausende willige Krieger zur Verfügung, die alles zum Schutz des Volkes getan hätten. Die heutige Armee der Nagah indes ist im Vergleich winzig, daher stellt jeder einzelne Soldat eine wertvolle Ressource dar.

Die übrigen Aspekte des h’shinxischen Kampfprinzips sind aber noch sehr präsent. Die Nagah können sich noch immer mit den besten Strategen Rakshazstans aus anderen Völkern vergleichen. Sie wissen, wie man einen Gegner ausschaltet, auch ohne sich in die Schlacht werfen zu müssen.

Einst, als die Armee der Nagah noch zehntausende Köpfe zählte, gab es nicht genug H’Shinxio-Priester, um das Heer zu führen. Deshalb wurden Kriegerschulen eingerichtet, in denen die Strategonen, die Offiziere der Armeen, ausgebildet wurden.

Heute scheinen diese Schulen Relikte eine längst vergangenen Zeit zu sein, denn die Anzahl der Priester reicht eindeutig aus, um die Legion von Xan’Thriash zu führen. Drei der einstigen acht Schulen haben sich der Herrin H’Stsiva zum Gefallen gewandelt und den Lauf der Zeit überlebt.

 

Strategonen aus Sccri Buccan

Ganz in der Nähe des heutigen Ribukan werden die „Söldnerstrategonen“ ausgebildet. Sie haben den alten Lehrplan beibehalten und beschäftigen sich nach wie vor mit dem Führen großer Armeen. Nur ihr Auftraggeber hat sich geändert, den sie arbeiten nicht mehr für die Legion der Nagah, sondern für die Armeen anderer Reiche, die groß genug sind, dass die Söldnerstrategonen ihr Potential ausschöpfen können. Und man sollte gar nicht glauben, wie groß die Nachfrage nach den Sccribuccanischen Strategonen ist, besonders unter den Herrschern der Sanskitaren.

 

Strategonen aus Angankor

Diese altehrwürdige Schule hat die großen schlachtenentscheidenden Strategielehren aus dem Lehrplan gestrichen und bildet nun die „Shinthr“ aus, die Sterne: Elitekrieger, welche in Gruppen von zwei bis fünf Kriegern perfekt aufeinander eingestimmt in die Schlacht ziehen. Sie sind weniger ein Teil der Legion als alleine agierende Einheiten, die als Joker eingesetzt werden, um mächtige Gegner auszuschalten. Oft sind sie Leibwächter wichtiger Persönlichkeiten, weil wohl kaum jemand mehr von „Manndeckung“ versteht als sie.

 

Strategonen Ssahombris

Sie haben die Wandlung wohl am vollkommensten durchgezogen, denn mehr als der Name „Strategonen“ erinnert nicht an das, was sie einmal waren. Auch haben sie sich von den Idealen des H’Shinxiokultes abgewandt. Die Schule bildet nun Einzelkämpfer aus. Doch erinnern diese weniger an Rondrianer als vielmehr an die Anhänger Ssahombris. Wo genau diese Ausbildungsstätte liegt, weiß kaum jemand, doch haben die meisten Südländer von den „Astaris„, den Dolchen gehört, die sich zweifellos zu den besten Meuchelmördern des Kontinents zählen können.

 

Vala, die Wildkatze

Sechs Tage waren sie nun schon unterwegs, und noch immer hatte ihr stummer Führer kein Wort gesprochen. Tiefgrüne Höllen, so hatte sie es in den Geschichten der Lager gehört, erwarteten jene, die nach Süden zogen. Seit ein paar Stunden meinte Vala den Duft einer salzgeschwängerten Meeresbrise wahrzunehmen. Die junge, dunkelhaarige Frau war keine Schönheit. Ausgeprägte Wangenknochen zeugten von einem entbehrungsreichen Leben, während die zahlreichen Narben der mühsamen Arbeit überraschend vor ihrem hübschen Gesicht Halt gemacht hatten.

Zunächst hatte sie ihren linken Arm versteckt gehalten. Es war ihr immer unangenehm gewesen, anderen Menschen ohne Handschuhe gegenüberzustehen. Amun-Vul hatte sie eindringlich davor gewarnt, jemals die große Stadt ohne solche Vorsichtsmaßnahmen zu betreten. Zu leicht würde man ihre abgetrennte Hand als das Ergebnis einer Strafe verstehen, die sie als Diebin erlitten hatte. Vala hatte jedoch den beiden die Geschichte erzählt, wie sie als kleines Mädchen ihre Eltern bei einem Erdbeben verloren hatte und zwei Tage lang mit der unter einem Felsen eingequetschten Hand im Eingang der Wohnhöhle gelegen hatte. Schließlich hatte man sie gefunden und sich keinen anderen Rat gewusst, als den Schmied herbeizurufen, der das Mädchen mit einer großen Axt befreite.

Rehbraune, stets etwas traurig wirkende Augen beobachteten nun abwechselnd den alten und ausgemergelten Führer und den katzenhaft anmutenden Mann, der sie aus den rauchenden Trümmern ihres Dorfes gezogen hatte. Dieser schlug sich in einer raschen Bewegung ins Gesicht, doch anstelle des erwarteten Klatschens blieb es ruhig. Der Mann lächelte Vala an, als er ihr den zappelnden fingergroßen Moskito präsentierte, dessen Flügel er zusammenhielt.
Töten setzt Geist voraus, nicht Kraft. Wenn du mit deinem Geist eine Einheit bildest, dann entscheidest du selbst, wie etwas stirbt. Ob schnell oder quälend langsam. Und das will ich dir als nächste Regel mitgeben: Warte nicht, bis die Schlange dein Opfer beißt. Du musst es stets selbst tun. Wenn du also einen Mann töten willst, dann schlitz ihm lieber den Hals auf, anstatt ihn in eine Schlangengrube zu werfen.

Vala hoffte mittlerweile inständig, dass dieses Gerede irgendwann ein Ende finden würde. Sie wollte etwas Praktisches üben, irgendetwas, was ihr bei ihrer Rache helfen würde. Der dunkelhaarige Mann mit den kohlschwarzen Augen trug nichts außer dem Lendenschurz aus Schwarzgrolmfell und einem schwarzen Umhang aus schwerem Stoff. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er dem Moskito die Flügel herauszupfte und ihn zu Boden fallen ließ. Er war durchaus muskulös und gutaussehend, aber die junge Frau hatte im Moment kein Auge für solcherlei Dinge. Vorgestellt hatte er sich nicht, also blieb Vala dabei, ihn mit „Rabenschopf“ anzusprechen. Das behagte dem Fremden anscheinend gar nicht. Er ließ es aber grummelnd über sich ergehen.

Als der Abend dämmerte, ließen sich die drei erschöpften Reisenden auf einer Lichtung in der Nähe einer Quelle nieder und teilten ihre letzten Vorräte.
Morgen werden wir das große Wasser erreichen“, brach Rabenschopf endlich das lange Schweigen zwischen der Lektion im Dschungel und dem Abendessen.
Ich habe es bereits gerochen“, meinte Vala und biss zaghaft in die gerösteten Schlangenscheibchen auf ihrem Holzspieß.
Du warst schon mal am Meer?“, fragte Rabenschopf und blickte das Mädchen erstaunt an.
Vala lehnte sich zurück an den knorrige Baumstamm und kaute langsam weiter. „Nein. Aber wenn die Winde günstig stehen, dann riecht man es bis nach Ha’temar. Meine Tante sagte mir dann immer: ‘Riech nur, Vala! Das große Wasser, das uns umgibt.’ Allerdings roch man viel öfter nur den stinkenden Qualm der Schmieden aus Ysenlohk.

Vala riss erschrocken die Augen auf und fluchte innerlich. Nun hatte sie ihren Namen doch verraten. Sie wollte es Rabenschopf mit gleichen Dingen vergelten, dass er mit seinem Namen nicht herausrückte. Also hatte sie ebenfalls geschwiegen und sich obendrein von ihm noch als „kleine Nagah“ bezeichnen lassen. Sie blickte demonstrativ zur Seite und ließ ihren Blick auf den grauhaarigen und enorm dürren Führer fallen. Dieser schien wie jeden Abend ein stummes Gebet zu rezitieren und hob die Arme anklagend gen Himmel. Anscheinend verstand er kein Wort von dem, was Vala und Rabenschopf sprachen. Der Alte machte wirklich nicht den Eindruck, besonders helle zu sein, aber dafür brachte er sie sicher durch die Tiefgrünen Höllen.

Nun, Vala aus Ha’temar. Wie wäre es, wenn du mir deine Geschichte erzählst. Schließlich habe ich dir dein Leben gerettet. Wir sitzen am Feuer, tausend Sterne stehen am nächtlichen Himmel, und ich bin zwar erschöpft, aber noch nicht müde.
Vala lehnte sich zurück und ließ sich auf den Rücken fallen, während sie die Sterne betrachtete.
Nun gut … Aber danach verrätst du mir deinen Namen, Rabenschopf!
Vala wartete nicht ab, ob sich der Mann äußerte, sondern begann sogleich ihre Erzählung.
Ich warne dich, ich bin keine gute Geschichtenerzählerin. Aber das macht nichts, denn die Geschichte ist alles andere als gut.
Seit einigen Jahren schon hielt Prinz Amun-Vul in meinem Dorf, Ha’temar, seinen bescheidenen Hof. Er, der rechtmäßige Herrscher Ribukans, vertrieben aus der großen Stadt, lebte zwischen Hühnern und Schweinen in der Hütte unseres Dorfältesten. Alle wussten, eines Tages würde unser Prinz wieder in die große Stadt einziehen, und dann würde er alle Ha’temarin fürstlich entlohnen für ihre jahrelange Gastfreundschaft und Treue. Amun-Vul war mehr als mein Prinz. Er war mein Geliebter. Mein Freund. Mein Lehrer. Keinen Augenblick waren wir getrennt. Vor einem Mond haben wir geheiratet. Ja Rabenschopf, es ist wahr. Ich war seine Prinzessin. Eines Tages, so erzählte er mir, würde ich an seiner Seite über Ribukan herrschen und die große Stadt in eine neue Zeit führen. Eine Zeit ohne Krieg und Hunger. Ohne Leid und Schmerz.
Doch es sollte anders kommen. Vor ein paar Wochen waren fremde Männer in das Dorf gekommen. Niemand kannte sie, und Amun-Vul versteckte sich mit unseren Kriegern, um ihnen aufzulauern, falls sie Übles im Schilde führten. Doch sie füllten nur ihre Vorräte auf und gingen wieder fort. Wir vergaßen den Besuch, doch nur wenige Wochen später waren sie wieder da. Viele maskierte Männer mit fürchterlichen Waffen. Zunächst dachte ich, das Blutvolk von den Tempeln wäre gekommen, doch als die Hütten meiner Heimat brannten und sie meinen Prinzen zu Füßen des Götzen, den sie mit sich führten, das Herz durchstießen, da wusste ich, dass die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren.
Überall wurden meine Freunde ermordet. Junge, Alte, Frauen … Die Männer des anderen Prinzen machten keinen Unterschied. Ich hörte, wie jemand seinen Namen rief, und werde ihn nie vergessen. Amun-Karak.
Ich floh mit meiner Tante über den Zakorikamm. Dorthin würden sie uns nicht folgen, denn die tiefen Felsspalten und die wilden Tiere sind hier überall. Wir gingen nicht, um zu fliehen, wir gingen, um zu sterben. Nicht durch die Speere des Feindes wollten wir vergehen, sondern durch die Klauen und Fänge unserer Heimat. Doch bis zum nächsten Morgen war nichts geschehen. Ob es wirklich Vrynn war, die uns beschützte, wie meine Tante meinte, vermag ich nicht zu sagen. Ich glaube nicht mehr an die Götter. Wenn wir ihnen wirklich wichtig wären, so würde ich sie hassen … Doch auch im Verlauf des neuen Tages geschah uns nichts, und so schlichen wir nach Ysenlohk.
Dort lag ebenfalls alles in Ruinen, und die Feinde hatten alle Toten zu einen großen Berg aufgetürmt, der noch immer brannte. Flammen züngelten über den schwarzen, stinkenden Boden. Alle Hütten waren zerstört und die Mine eingestürzt. Bei dem Anblick ihres Geburtsortes zerbrach es meiner Tante das Herz. Sie warf sich, Vrynn anrufend, auf den großen Scheiterhaufen. Auch sie hatte mich verlassen.
Ich irrte in den Ruinen umher und zog wie im Traum alles aus dem Weg der Flammen, was sich noch retten ließ. Doch schließlich zog der Rauch in meine Kehle. Ich stolperte in den Wald zurück. Dann war das erste, was ich sah, dein Gesicht, Rabenschopf.

Vala schloss die Augen, wohlwissend, dass dann die Träume zurückkommen würden. Ein paar Minuten war es still. Keiner sprach. Dann regte sich etwas.
Schlaf jetzt, Prinzessin. Du wirst deine Rache bekommen, und noch viel mehr.
Rabenschopf?
Ja?
Sprich mich bitte nie wieder so an.
Schlafe, kleine Nagah.“
Es dauerte nicht lange, da war Vala in einen tiefen Schlaf gefallen.

***

Eine glutrote Sonne ging auf über den endlosen Weiten des Unbezwingbaren Ozeans. Die dumpf tönenden Hörner der Wächter auf den fernen Nordklippen schienen die ganze Insel zu erfassen und hallten von den Wänden des Talkessels wider. Erst gestern hatten die Reisenden Shâktwinnd erreicht und sich umgehend zur Ruhe gelegt. Rabenschopf war seit dem Vorabend irgendwo in den Rohrhütten des Vorpostens verschwunden, und der Alte hatte in der Tropfsteinhöhle an der Südseite der versteckten Hüttensiedlung eine Schlafstatt aufgesucht.

Vala lag auf dem feuchten Lehmboden und fühlte sich so schmutzig wie noch nie in ihrem Leben. Die braune und kratzige Hängematte hatte sie nach ein paar Stunden, in denen sie vergeblich Schlaf zu finden suchte, schließlich verschmäht und sich auf dem Boden niedergelassen. Ihr Rücken würde ihr noch dankbar sein, dachte sie schläfrig, als sie blinzelnd den neuen Tag zur Kenntnis nahm, wenngleich sie das Gefühl hatte, dass ihr jeder Knochen im Leib schmerzte.

Ein dunkelhäutiger, kräftiger Mann war im Eingang aufgetaucht. Er betrachtete sie misstrauisch, wobei seine Augen unter der feuchten Kapuze seines schwarzen Umhangs nur zu erahnen waren.
Aufstehen!“, schnarrte er und blieb regungslos stehen. Vala zog schlaftrunken an ihrer groben Wolldecke und hob den Kopf, um den Mann zu mustern.
Schon verstanden. Aber ich möchte mich bitte vorher einkleiden.
Aufstehen!“, wiederholte der unwillkommene Gast.
Um es mal ganz deutlich zu sagen, du Vrott: Ich habe nichts an! Hau ab, damit ich mich anziehen kann!
Und ich habe dir gesagt, du sollst aufstehen. Ein viertes Mal werde ich es nicht tun, Weib!
Vala sah, wie der Kerl die Kapuze zurückschlug und einen geschorenen und vernarbten Kopf entblößte, während seine Hand unter das Gewand strich und einen beeindruckenden rußigen Knüppel hervorzog. Zwei entschlossene Augen, die keinen Widerspruch zuließen ruhten auf ihr. Vala schnaubte trotzig, warf die Decke beiseite und stand auf, nicht ohne dem Sklaventreiber einen vernichtenden Blick zuzuwerfen, und ging zu ihren Kleidern herüber.
Hätte ich gewusst, dass mich hier solch gastfreundliche Menschen erwarten, hätte ich unterwegs Blumen gepflückt.“
„Halt. Du ziehst das hier an.“
Vala war sich nicht sicher, ob er sie mit dem verschnürten Kleidungsbündel wirklich am Kopf treffen wollte oder nicht. Zumindest riss sie rechtzeitig die Arme hoch, um das schwere Kleidungsstück zu fangen. Innerlich fluchend, entfernte sie mühselig den Riemen mit ihrer gesunden Hand und rollte ein langes braunes Gewand aus, das im Gegensatz zu ihren flickenübersäten Kleidern nicht nur neuwertig aussah, sondern auch angenehm duftete. In Windeseile hatte sie den Einteiler übergestreift und staunte, wie genau er ihr passte. Lange Ärmel und eine Kapuze fielen wie angegossen über ihre Schultern und ließen den Stoff bis zu ihren nackten Füßen laufen.
Folge mir“, bellte der Mann und trat in die feuchtwarme Morgenluft hinaus.
Vala beobachtete interessiert die Umgebung. Das kleine Rohrhüttendorf war inmitten eines Felsenkessels errichtet worden und hatte nur einen Zugang von Norden her. Sie fragte sich, wie jemals einer auf die Idee gekommen sein konnte, eine solche Siedlung auf einer solch kleinen Insel zu gründen. Vielmehr interessierte sie aber, warum man überhaupt so eine Geheimniskrämerei betreiben sollte.
Viele hundert Meilen im Umkreis gab es praktisch nichts als Dschungel und Stechfliegen, von den eher zurückgezogen lebenden Nagahstämmen einmal abgesehen.

Als sie das emsige Treiben zwischen den Hütten beobachtete, schob sie ihren Anfangsverdacht, an Sklavenhändler geraten zu sein, wieder zur Seite. Es gab nirgendwo Käfige oder schwerbewaffnete Söldner, vielmehr tummelten sich Kinder lachend auf den Felsen und spielten verstecken. Anscheinend war bereits das ganze Dorf auf den Beinen. Vala nahm neben den freundlichen Menschen, die ihr herzlich zuwinken, auch den würzigen Geruch von Maisfladen wahr, der von der großen Hütte am Taleingang zu ihr herüberwehte.

Vor dem größten der Gebäude sprudelte der Geysir, welcher die Siedlung mit warmem, aber dafür sauberem Wasser versorgte. Wie sie bereits am Vorabend von Rabenschopf erfahren hatte, brach er jeden Tag zur Mittagszeit einmal aus. Ein Wunder, wie es ihr schien, und doch sah sie, wie der feine Wasserdampf von jedem der umliegenden Gebäude aufstieg und sich im morgendlichen Himmel verlor.

Der kräftige Führer winkte ein paar ebenfalls schwarzgewandete Männer herbei und deutete auf Vala. Dann setzten diese sich in Richtung der Höhle in Bewegung und bedeuteten ihr zu folgen. Sie erkannte mehrere Menschen, die sich bereits vor dem Eingang eingefunden hatten, die meisten in jenes Art von braunem Gewand gekleidet, wie auch sie eines trug. Die anderen lachten und schwatzten miteinander. Einige, sowohl Alte als auch Junge, klopften ihr anerkennend auf die Schultern und begrüßten sie wie eine alte Freundin. Eine freundliche, kahlköpfige Frau, die wohl ein paar Jahre älter als sie selbst sein musste, verbeugte sich kurz vor ihr und forderte sie auf, mitzukommen. Vala wurde bleich.
Ich gehe nicht in Höhlen.
Nun stell dich nicht so an, Mädchen. Der letzte Nagah wurde vor zwei Wochen vertrieben“, lachte sie über ihren eigenen Scherz und nahm Vala an die Hand.
Nun komm schon.
Vala blickte sich zu ihrem wortkargen Führer um, der anscheinend nicht „eingeladen“ war, und folgte der Frau ängstlich in die Höhle.
Dort hinten sind die Kavernen für die weiblichen Personen. Wir haben Glück, es gibt nicht so viele Frauen auf Shâktwinnd, deshalb haben wir genügend Platz, um auch unsere Habseligkeiten einfach dort liegen zu lassen.
Während Vala sich Mühe gab, ihren Atem flach zu halten und den Blick auf den Boden zu richten, führte sie die Frau an einer Gabelung vorbei, tiefer in die Höhlen hinein. Während sie sich noch fragte, wo sie hier nur gelandet war, wurde es ihr sogleich klar, als sie die anderen Frauen in einem großen Wasserbecken, ähnlich dem des Geysirs auf dem Vorplatz, sitzen sah. Sie säuberten sich im Wasser und lachten immer wieder lauthals. Die junge Frau blinzelte sie an, als sie Valas Blicke ob der hallenden Wände zur Kenntnis nahm.
Du solltest es mal erleben, wenn der Meister zum Sonnenwendfest einlädt. Dann versteht man hier sein eigenes Wort nicht mehr vor lauter Geschnatter.

Nach einer halben Stunde fühlte sich Vala wie neugeboren. Noch nie in ihrem Leben war sie in den Genuss einer wohlig warmen Thermalquelle gekommen. Nur zu gerne wäre sie länger hiergeblieben, doch so langsam machte sich der Hunger bemerkbar. Unfassbar, dachte sie, ausgerechnet in einer Höhle fühlte sie sich plötzlich so wohl. In einer Höhle! Die anderen Frauen schienen zunächst auf Distanz zu bleiben, tauten jedoch schnell auf, nachdem sie einige mit Fragen zu überhäufen begann.
Warte es nur ab, der Meister wird dir gleich alles erklären“, bekam sie zur Antwort. Sie erfuhr noch nicht einmal, wieso anscheinend jeder im Lager auf eine angemessene Haarpracht zu verzichten schien, denn genau wie der flegelhafte Wächter und die Leute im Dorf, so waren auch die Frauen allesamt kahlgeschoren. Auch fielen ihr die zahlreichen gut verheilten Narben an den Körpern der Frauen auf.

Vala fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben richtig sauber, als sie die Höhle wieder verließ. Sie ging, von der allgemeinen Freundlichkeit angesteckt, fast schon beschwingt zu dem zuverlässig finster dreinschauenden Wächter herüber.
Das wurde auch Zeit. Wenig später und ich wäre reingekommen und hätte dich rausgescheucht. Gehen wir.
Vala verkniff sich jede Bemerkung und folgte dem Mann in das Hauptgebäude. Dieses war mit weichen Fellen ausgelegt und bestand nur aus einem großem Raum, in dessen Mitte ein einfacher Holzhocker stand. Ansonsten gab es kein Mobiliar. Die wenigen anwesenden Männer saßen auf dem Boden und hielten große Holzschalen in der Hand. Als sie den Raum betrat, blieb sie hinter ihrem Führer stehen, der sich zunächst verbeugte und dann wartete, bis auch der Letzte sein Gespräch beendet hatte. Nun schauten alle erwartungsvoll zu ihnen herüber.

Rat von Shâktwinnd, ich bringe euch Prinzessin Vala, Witwe des Amun-Vul, Prinz von Ribukan. Möge sie sich der Saat als würdig erweisen.
Vala biss sich auf die Lippen. Dieser Dreckskerl, hätte sie die Geschichte doch gar nicht erst erzählt. Wenn sie diesen Rabenschopf in die Finger kriegen würde, dann …
Sei gegrüßt Vala, tritt doch ein!“, sprach ein älterer Schwarzgewandeter und kam auf sie zu, um sie zu umarmen. Vala, zu überrascht, um etwas zu erwidern, ließ die unvertraute Prozedur über sich ergehen. Die anderen Männer im Raum folgten dem Beispiel des Alten. Sie schüttelten ihre Hand, herzten sie und blickten sie aus liebevollen Augen an. Vala rang sich ein verwirrtes Lächeln ab. Wo war sie hier nur gelandet? Als auch ihr Führer sie mit unbewegter Miene an sich zog, war sie vollkommen perplex.
Sie haben dich akzeptiert. Du bist nun eine von uns“, sagte er und drückte sie sanft an sich. „Willkommen, Schwester.“

Ein Gong ertönte, und die Stimme des Alten verkündete: „Der Herr der Wogen und des Regens, der Herr von Shâktwinnd und Meister der Saat.
Vala blickte sich zum Eingang um und war nun vollkommen durcheinander. Rabenschopf kam lächelnd durch die Tür, gefolgt von einem dicken Mann mittleren Alters, der ein großes Holztablett mit Maisfladen in die Hütte balancierte.
Was…?
Guten Morgen, Vala!“, grinste er und umarmte sie kurz, um sogleich auf dem Holzhocker in der Mitte des Raumes Platz zu nehmen.
Bitte, setz dich doch und iss.
Rabenschopf wies mit ausladender Geste auf den Boden und ließ ihr eine Schale reichen.
Aber, du …
Am besten unterhält man sich nach dem Mahl, nicht wahr?
Dankbar nahm sie die duftende Schale entgegen. Sie nippte vorsichtig an der Trinkschale, welche das warme Wasser der heißen Quelle enthielt, welches man offensichtlich mit Kokosmilch und einem ihr unbekannten Gewürz verfeinert hatte.

Du hast mit Sicherheit viele Fragen, nicht wahr?
Vala spülte den Rest ihres eilig verputzten Maisfladens mit einem kräftigen Schluck herunter, um dann ganz unumwunden zur Sache zu kommen.
Was machen all die Leute hier auf dieser Insel? Bist du hier der Anführer? Warum tragen alle diese Sachen?“
Langsam, langsam … Du musst mich auch antworten lassen, ja?“, lachte Rabenschopf und stellte seine Trinkschale beiseite.
„Nun, wir sind eine Gemeinschaft aus Ribukanern, Waldbewohnern und Heimatlosen. Ich führe diese Leute an. Und auf dieser kleinen Insel sind wir deshalb, damit uns keiner stört.
Stören? Wobei?
Nun, wir bereiten uns vor. Wir sind so etwas wie Söldner, falls dir der Ausdruck etwas sagt. Wir kämpfen, wenn man uns dafür bezahlt. Damit sichern wir den Wohlstand unserer Gemeinschaft.
Kämpfen? Für wen?
Wir kämpfen für denjenigen, der uns bezahlt. Es gibt uns schon sehr sehr lange. Die Saat, so nennen wir uns, blickt auf eine jahrhundertealte Geschichte zurück. Es gab uns bereits vor dem Prinzenkrieg von Ribukan und auch schon vor der Besiedelung der Südlande. Wir können unsere Gemeinschaft bis zu den Tagen des Kometen zurückverfolgen. Irgendwann kam unser Urahn, Viret, aus dem Norden hierher. Ob er auf der Flucht oder auf der Suche nach etwas war, wissen wir nicht. Zumindest entdeckte er Shâktwinnd und ließ sich hier nieder. Dies hier ist unsere Heimat und unser Ausbildungslager. Die Roben, die du siehst, werden immer noch nach den alten Überlieferungen angefertigt. Unsere Kunst ist ebenfalls altehrwürdig, ebenso die Erkennungszeichen der Gemeinschaft, der geschorene Kopf und das Brandmal auf unserer Schulter.
Vala beobachtete die anderen, welche interessiert lauschten und jedem Satz Rabenschopfs ein gemurmeltes „So ist es!“ nachschickten.
Und ich, äh… Ich dachte, ich bin hier, um Leute zu suchen, die meinen Mann rächen?
Rabenschopf blinzelte geheimnisvoll.
Das wird nicht nötig sein. Du selbst wirst es tun können. Wenn du dich lehren lässt und eine der Unsrigen wirst.
Ich soll eine von euch werden? Eine Söldnerin?
Vala hielt ihren linken Arm hoch.
Ich glaube nicht, dass ich eine große Hilfe wäre …
Rabenschopf lachte. „Na, erstmal schauen wir, wo wir deine Talente unterbringen können, aber grundsätzlich ja. Du scheinst mir ziemlich heimatlos zu sein. Hier hast du ein zu Hause. Und …“ Rabenschopf blickte in die Runde, dann fuhr er fort: „… eine Familie, die auf dich achtgibt. Glaub mir, wenn du mit deiner Ausbildung fertig bist, wirst du mit jedem Teil deines Leibes töten können. Du wirst dir aussuchen können, ob du deine rechte Hand überhaupt einsetzen möchtest, um deine Ziele zu erreichen …
Und was ist, wenn ich das nicht will?
Dann steht es dir frei, zu geben. Verbringe noch ein paar Wochen im Dschungel und stirb dann einen einsamen Hungertod. Vorausgesetzt, die Nagah holen dich nicht, oder die wilden Untiere … Zunächst müsstest du aber erstmal von der Insel herunter. Und leider wollen es unsere Gesetze so, dass jedem, der Shâktwinnd betreten und unsere Siedlung gesehen, nur zwei Möglichkeiten bleiben: Entweder er tritt der Saat bei, oder er wird von den Klippen geworfen.
Ein weiteres Mal war ein allgemeines und gemurmeltes „So ist es!“ zu vernehmen.
Das ist aber eine schwere Wahl …“, spöttelte Vala und ließ sich die Trinkschale nochmals nachfüllen.
Lecker übrigens …“, lächelte sie und schien angestrengt nachzudenken.
Also gut … „Meister … Deshalb bin ich mit dir hierhergekommen. Auch wenn ich mir die Sache anders vorgestellt hatte. Aber … Doch, es würde mir gefallen, bei euch zu leben. Ja, ich schließe mich euch an.
Dann heißen wir dich willkommen, Vala“, entgegnete Rabenschopf und erhob sich feierlich. „Willkommen, Schwester, in der Saat. Die Saat mag auf schwarze Erde fallen und aufgehen. Auf dass sie verändert und Leben gibt, wo sie es nimmt. Die Bäume, die sie hervorbringt, werden Schatten werfen. Schatten, die schützen, verbergen und töten. Die Saat ist nicht gut und nicht schlecht. Dort, wo sie hinfällt, wird sie reiche Früchte bringen oder Licht rauben. Vala ist die Saat und die Saat ist Vala. So sei es!
So ist es!“, stimmten die Versammelten zu und erhoben ihre Trinkschalen.
Du hast viel zu lernen, Schwester, doch heute wollen wir feiern. Genieße den Tag, denn bereits morgen wird deine Ausbildung beginnen. Und du wirst dir noch manches mal wünschen, du hättest die Klippen gewählt.
Das unerwartet ernste „So ist es!“, welches auf diese Worte folgte, machte Vala irgendwie nervös …

***

Ihr wolltet mich sprechen, Herr?
Ja, danke das du so spät noch gekommen bist. Heute so förmlich?
Verzeihung mein Freund. Aber du warst eine Weile nicht hier. Wie kann ich dir dienen?
Mit einem Rat, alter Freund. Es geht um Vala. Mir kam zu Ohren, dass einige im Rat nicht ganz glücklich darüber sind, dass sich eine ribukanische Prinzessin der Saat anschließt. Allein schon durch die Tatsache, dass sie eine Frau ist. Was denkst du darüber?
Es steht mir nicht zu, deine Entscheidungen in Frage zu stellen. Aber diese Bedenken kann ich zum Teil nachvollziehen. Kann sie beispielsweise Ansprüche geltend machen? Wie ist es um ihre Treue bestellt? Wieso soll ein Mädchen ausgebildet werden, welches nicht im Mindesten mit Loma und den anderen mithalten könnte? Das sind Fragen, die man sich stellt.
Das ist wahr. Doch sei unbesorgt, sie wird uns keine Probleme bereiten. Ganz im Gegenteil. Mit ihr haben wir an unserem großen Tag eine Verbündete. Sie ist und bleibt eine Prinzessin Ribukans. Das bedeutet eine zusätzliche Legitimation für uns. Darüber hinaus ist sie von Rache getrieben. Sie lässt es sich nicht anmerken und scheint es gewohnt zu sein, zu gehorchen und zu dienen. Kein Vergleich also mit den Weibsbildern von Loma. Doch in ihr brodelt ein Feuer der Vergeltung. Ich sehe es, auch wenn sie schwächlich wirkt.
Aber sie ist ein Krüppel, Karak!
Sie ist die kleinste und unauffälligste Saat, die wir jemals in unseren Reihen hatten. Sie wird in Ribukan genauso unauffällig und unscheinbar Ranken schlagen wie in einem Dschungeldorf. Sie wirkt hilflos und harmlos. Jeder, der sie sieht, wird sie unterschätzen.
Und was für eine Aufgabe willst du ihr zuteilen?
Zunächst benötigt sie Führung. Doch ab einem bestimmten Zeitpunkt lassen wir sie gewähren. Sobald sie dann beginnt, Amun-Karak zu suchen, wird sie in einem Meer aus Blut waten.
Sie wird ihn wohl nicht finden …
Nein, alter Freund, das wird sie nicht. Aber je länger sie sucht, desto mehr Prinzen werden unter ihrer Klinge fallen, da sie den Krieg und die Prinzen allesamt für den Tod ihrer Leute verantwortlich macht. Ich habe mich mit ihr unterhalten. Im Boot, auf dem Weg zur Insel. Als sie das Wasser sah, nannte sie die Prinzen eine Krankheit. Eine Krankheit, die das einstmals so friedvolle Ribukan überschwemmt hätte. Und wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, diese Krankheit auszuwaschen, dann wird sie es tun.
Das klingt bitter …
Sie ist verbittert… Tu mir bitte einen Gefallen.
Welchen?
Bilde du sie aus.
Aber Herr. Sie wird die Strapazen nicht überstehen. Das Leben eines Shâktar ist nichts für eine Frau. Schon gar nicht für so eine Frau. Überleg es dir noch einmal, Herr.“
„Ich habe meine Entscheidung getroffen. Du wirst sie ausbilden wie jede andere Saat, die ich dir anvertraue. Und sie wird es überleben! Cromar, nur damit wir uns richtig verstehen: Ich übergebe dir eine flackernde Kerze. Wenn du wiederkommst, will ich, dass du mir einen brennenden Kometen schenkst. Du wirst mir den siebzehnten Shâktar schenken.
Wie du wünscht, mein Prinz.

***
***
***

Zu Gast in einer Krypta…

Nur wenige Kerzenflammen tauchten die massiven Obsidiansäulen in ein diffuses Dämmerlicht und ließen sie wie die Stämme mächtiger Bäume erscheinen. Ihre Wipfel formten Rundbögen, die sich in nachtschwarzem Dunkel verloren. Frisches Hainkraut, zu Kränzen gebunden, schmückte die kalten Wände der unterirdischen Krypta. Am Eingang wachten ein halbes Dutzend verkniffene Augenpaare über die nahende Entweihung des Ortes. Das Gewand, welches die Gestalten verhüllte, offenbarte nichts, abgesehen von den harten Zügen der mit blutroter Farbe geschminkten Gesichter sowie das lange, hellebardenartige Stangenschwert, welches jeder der sechs Wächter spalierartig vor sich ausgestreckt hatte. Dann krachten schwere Stiefel, klirrten die provisorischen Rüstungen und Waffen der Expedition und zerrissen, gepaart mit den wütenden Rufen der Vorhut, die feierliche Stille. Ein fackelschwingender Mob drang in das Gewölbe ein, die Keulen und Messer im Anschlag, um sich – überraschend geordnet – gleichmäßig in die Krypta zu ergießen. Es galt, einen toten Amun zu ehren. Der letzte, der diesen Titel unbestritten tragen konnte, ohne dass er Opfer seiner eigenen Legitimation wurde. Und jene, die sich nun anmaßten, sein Erbe anzutreten, wurden niemals müde, ihm die Aufwartung zu machen.

Drei Tage und drei Nächte hatten die Leute des Amun Dureth die Katakomben und Gänge auf mögliche Fallen, Hinterhalte, oder Hindernisse durchsucht. Einen Raum hatten sie vergessen oder zumindest nicht gründlich genug abgesucht: Die Krypta selbst. In jeder Ecke waren sie herumgekrochen. Jeden dunklen Schatten konnten sie vertreiben. Dennoch würde Amun Dureth in wenigen Augenblicken den Raum mit dem großen, goldenen Sarg betreten und ihn nicht mehr lebend verlassen.

Zu Gast in einem Sarg … Dureth war einst überhaupt nicht scharf auf den Thron von Ribukan gewesen. Ganz im Gegenteil. Während der Zeit des Erbstreits ließ er sich im Norden der Ribu-Yassafbucht die Sonne auf den Bauch scheinen und wartete zunächst ab, bis der immer blutiger gewordene Konflikt schlussendlich zum Bürgerkrieg ausartete und die ersten mächtigen Opfer unter den Thronanwärtern forderte. Sein ganzes Leben lang war der dicke Prinz den Stadtmauern ferngeblieben. Doch nun, da er glaubte, alle anderen hätten sich gegenseitig niedergemetzelt, kam er mit hunderten ausgehungerten Wilden in die Stadt marschiert und dachte, er könnte den Laden übernehmen.

Wie sollte er auch von den Spielregeln wissen, die man hier besser einhalten sollte … Die erste Regel lautete: Halte dich versteckt, wenn du darauf abzielst, Sultan zu werden. Die zweite Regel besagte: Lass andere die Drecksarbeit machen und halte dich versteckt. Die dritte Regel reit: An dem Punkt, wo du denkst, dass die Stadt dir gehört: Halte dich versteckt. Die vierte Regel: Versuche niemals, dir irgendeine Legitimation einzuholen, weder durch Gegenstände noch durch Paraden durch die Stadttore, weder durch Besuche beim toten Sultan noch beim dem verwaisten Thron im Palast. Halte dich versteckt. Die fünfte Regel, und diese hatte er unwissentlich bruchstückhaft berücksichtigt, bescherte ihm zunächst vielversprechende Anfangserfolge: Verlass dich auf keinen Ribukaner. Verlass dich auf die Leute, die du entweder selbst gezeugt oder selbst eingekauft hast. Lass letztere immer im wissen, dass du im Zweifel mehr zahlen könntest als ein anderer Amun. Sorge dafür, dass jeder weiß, dass nur du an deine Zahlungsmittel herankommst, und halte sie und dich selbst versteckt. Dureth war schlau genug, dass er vor allem auf das beträchtliche Vermögen seines Clans setzte und ausschließlich Kämpfer aus dem Umland anheuerte. Männer und Frauen, denen nichts an Ribukan lag und für die das blutige Leben in den Ruinen der Halbinsel noch sehr viel mehr zu bieten hatte als der tödliche Dschungel und die mageren Ernten der nördlichen Täler.

Die Meuchlerin lächelte grimmig und schloss angespannt die Augen. Angestrengt versuchte sie, sich auf die Geräusche zu konzentrieren. Mit ihrem unfreiwilligen Gastgeber hatte sie sich mittlerweile abgefunden, man war schließlich entfernt verwandt.

Ehrwürdiger Sabu-Amin, prächtigster der Dynastie Djiassamid-Gkun, ehrwürdigster deines Hauses, verehrungswürdiger Nachfahr der alten Erbauer, allergöttlichster Sproß vom Samen der sieben Haine, Bewahrer der Würde von Prai und Kelotha, Hüter der Waagschale der Fruchtbarkeit und Beschützer des Volkes von Ribukan: Sei gegrüßt im Namen meines Herren, dem nicht minder ehrwürdigen Amun Dureth, deinem Sohn und rechtmäßigen Erben.
Das Rascheln eines Gewandes war zu vernehmen. Vala konnte vor ihrem inneren Auge förmlich sehen, wie der hagere Leibdiener die samtweich gepolsterte Niederwerfungsstätte vor dem Sarg des „Allergöttlichsten Sproß der sieben Haine“ verließ und sich der feiste Möchtegern-Amun angeekelt und unbeholfen auf dem staubigen Stoff niederkniete.
Oh, Sabu-Amin, höre hier vor all diesen Zeugen, deinen Sohn, Amun Dureth, genannt der Bescheidene, der sich durch Sand und Wüste kämpfte, um dir die Aufwartung zu machen …
Vala verdrehte die Augen. Diesen Prinzen war nicht zu helfen. Sobald sie vor einem Sarg lagen, wurden sie plötzlich zu Barden und wortgewandten Speichelleckern.
… du, der du in deiner allergrößten Vorhersehung und Weisheit …

Schluss mit dem Gequatsche… Erneut zu Gast in einer Krypta… Vala registrierte den ungläubigen Schrecken auf den Gesichtern der mindestens dreißig Männer, die sich in die Krypta gequetscht hatten, um dem feierlichen Augenblick beizuwohnen. Zwei wurden durch den güldenen Holzdeckel des Sarges augenblicklich ins Reich der Träume geschickt, als Vala sich mit der katapultartigen Hebelkraft beider Beine dem Kerzenlicht aussetzte und den nächsten Schwung ausnutzte, um auf die Beine zu kommen. In der Hand hielt sie einen vertrockneten Schädel, den sie lächelnd anblickte, bevor sie sich dem fetten Amun zuwandte.
Der gute Sabu-Amin hier …“ Vala klopfte gegen die Stirn des Schädels, „hat mir in seiner allerehrwürdigsten Vorhersehung prophezeit, dass du ihm heute Nacht die Aufwartung machen wirst. Und er teilte mir ebenso mit, dass er dich nicht leiden kann.
Valas Blick wurde kalt und fixierte den schwitzenden Bastard des letzten Sultans, während sie den Schädel des Verblichenen in den Sarg zurückplumpsen ließ. Amun Dureth blickte, ob der Situation überfordert, abwechselnd den linken Armstumpf und den zornigen Blick der kahlköpfigen Schönheit an, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach.
Du willst mich töten? Du und welche Armee?“, lachte er und stand langsam von dem Kissen auf. Vala stimmte in das Lachen ein, während um sie herum die Garde des Amun ihre Waffen auf sie richtete.
Nun, werter Amun, ich habe überhaupt keine Armee, die ich mein Eigen nenne. Aber dein werter Herr Vater, auf dessen staubigen Gebeinen ich lange genug gelegen habe, war ein sehr sehr sehr sehr sehr sehr wohlhabender Mann.
Vala setzte ihr verführerischstes Lächeln auf, als sie fortfuhr: „Und wenn er eines ganz und gar nicht leiden konnte, dann waren es irgendwelche Leute, die ihn störten, wenn er sich ganz und gar den liebreizenden Geschöpfen seiner Stadt widmete.
Vala schürzte die Lippen, während sie in einer Art und Weise aus dem Sarg stieg, die auf den Betrachter wirken musste, als würde sie sich aus den Kissen eines Harems schälen.
Und jeder in dieser Stadt, den du in den letzten Tagen mit deinen endlosen Paraden, Plünderungen und Schikanen beglückt hast, weiß, dass man den Sultan auch auf dem Totenbett nicht stören sollte, und dass aus gutem Grund nur Frauen das Grab betreten dürfen.

Noch während Vala erzählte, ließ in einer der hinteren Reihen einer der gedrungenen Schläger seine Klinge scheppernd fallen, und der eben noch so wortgewandte Diener des Amuns japste ebenfalls verzweifelt nach Luft. Vala ließ ihr Gewand fallen.
Ich bin unbewaffnet, mein Amun. Ich bin nicht hier, um dich zu töten. Ich bin deine Kriegsbeute. Komm und nimm mich. Du hast doch sonst nie gezögert, wenn sich dir eine solche Gelegenheit bot, oder?
Der Amun sank auf die Knie und keuchte schwer.
„Du …“, krächzte er, während um ihn herum die unglückseligen Kämpfer wild mit den Armen ruderten und versuchten, durch die Masse der Leiber den Ausgang zu erreichen. Schon lagen die ersten ausgestreckt auf dem Boden und verbargen ihre blau angelaufenen Gesichter in der gnädigen Schwärze der Schatten.
Was ist, mein Amun? Willst du mir Gold und Macht versprechen, damit ich dich rette? Willst du mir teure Kleider schenken oder prächtigen Schmuck?
„Du …“, versuchte er es erneut. „Wer bist du?
Die junge Frau setzte eine verzückte Miene auf.
Welche Ehre, dich interessiert es, wer ich bin. Wie schön, dass mich einmal ein echter Prinz auf seinem Sterbebett bedenkt.
Sie tänzelte um ihn herum und ging in die Hocke, um ihn verspielt zu massieren, während sie ihm ins Ohr flüsterte: „Ich heiße Vala. Und ich bin eine Meuchlerin. Eine ziemlich gute sogar …

Vala konnte spüren, wie der Leib unter ihr erschlaffte. Zu ärgerlich, der Dicke hatte ebenso wie der Rest seiner Truppe schlappgemacht. Sie fühlte seinen Puls und lächelte, als sie keinen ausmachen konnte. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie die völlig verängstigte Kriegerin, die inmitten der Leichen ihrer Kameraden an einer Steinwand lehnte und sie panisch anblickte.
Keine Angst, Schwester. Von dir will ich nichts, genau wenig wie vom Rest deiner Truppe. Bedauerlich, dass sie sich mit ins Unglück gestürzt haben, aber Sabu ist ein wenig eigensinnig in der Wahl seiner Gäste.
Die schwarzhaarige und narbenübersäte Veteranin zog sich verängstigt an einer der Säulen auf die Beine.
Du… wirst mich also nicht töten?“, jammerte die Frau.
Vala warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Wieso sollte ich? Ich habe noch nie eine Waffe in die Hand genommen.“
Die Frau stutzte. „Aber du sagtest doch, du wärest eine Meuchlerin?!
Vala streifte sich gelangweilt das verdreckte Gewand über und sprang barfüßig über die Leichen zu der älteren Frau herüber.
Aber keine gewöhnliche. Ich suche mir ein Opfer aus, und dieses Opfer stirbt, wann ich will und wo ich will. Du bist eine Kämpferin. Du tötest mit deinem Schwert, das ist dein Werkzeug. Ich hingegen verwende kein Werkzeug. Ich richte lediglich die Gefahr ein, in die sich mein Ziel aus freien Stücke begibt.
Die Frau zögerte kurz, bevor sie wagte, die Klinge wieder aufzuheben und vorsichtig zu verstauen.
Darf ich jetzt gehen?
Vala lächelte. „Hast du was zu essen dabei? Und zu trinken?“
Die Frau ignorierte ihre eigene Überraschung ob dieser Frage und begann in ihrem Lederbeutel zu kramen.
Hier, ein wenig Wurst. Und mein Weinschlauch.
Gib mir beides“, lächelte Vala. „Glaub mir, ich brauche das nötiger als du.
Nachdem sie Wurst und Wein mit einem gezielten Wurf in den Sarg geworfen hatte, schlenderte Vala leichtfüßig zur Stirnseite der Krypta und hob den Sargdeckel an, während sie interessiert den hastigen Schritten der Kriegerin lauschte.

***

Erneut zu Gast in einem Sarg …

Stimmen drangen an ihr Ohr, als sie den Deckel erneut über sich schloss. Wenig später hallten Schritte durch den Raum. Ein Schrei des Entsetzens war zu vernehmen, als die Menschen, welche sie verursacht hatten, die Krypta betraten. Vala vernahm zwei weibliche Stimmen, die sich unterhielten.

Na sowas. Der fette Dureth. Dahingerafft von seiner eigenen Überheblichkeit. Geschieht ihm Recht. Vielleicht kehrt nun wieder etwas Ruhe ein.
Was sollen wir mit dieser Söldnerin machen, die wir am Ausgang geschnappt haben, Herrin? Die gehörte offensichtlich zu Dureths Leuten.
Was ist denn das für eine Frage, Vrina? Macht das Miststück einen Kopf kürzer. Und dann hol die anderen und entferne diesen Saustall hier. Einige dieser fetten Prinzen schnallen es wohl nie, dass man hier nicht einfach so reinspazieren kann.

***

Ein letztes Mal in einer Krypta …

Cazanda hielt sich ungern in der alten Krypta auf, und doch hatte sie sich nicht gerade widerwillig Danicas Grableuchten angeschlossen. Die alten Grüfte waren so ziemlich der ruhigste Ort in der ganzen Stadt. Außerdem musste man hier nicht die durchaus naheliegende Gefahr von Raub, Mord und Schlimmeren befürchten, da sich die Kontrahenten, wie durch ein unausgesprochenes Gesetz gebunden, von den alten Grabstätten fernhielten. Dennoch war dies kein Ort für ein junges Mädchen wie sie. Ständig spielten einem die Schatten üble Streiche. und die unheimlichen Ornamente auf dem Sarg des geliebten Sultans trugen nicht gerade dazu bei, ihre Stimmung maßgeblich zu heben. Als sie die letzte Leiche auf den äußerst porös anmutenden Schubkarren verstaut hatte. vermeinte sie gar, schmatzende Geräusche aus des Sultans letzter Ruhestatt zu hören. Nichts wie raus aus dieser unheimlichen Kulisse … Cazanda und ihr Karren rumpelten in die Dunkelheit.

***

In einem dunklen Keller.

Der Blinde hörte, wie die Falltür gegen den Balken krachte, und ordnete eilig sein Gewand.
Sei gegrüßt, edler Shâktar“, murmelte er, während er die Kapuze zurückschlug und seine milchig-weißen Augen wie Bergkristalle im Fackelschein aufleuchteten.
Ich habe dir schonmal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst, Sked!
Dieser registrierte den Sprung der Meuchlerin nur durch den Lufthauch und das minimale Vibrieren des Bodens unter ihm. Vala duftete nach Lavendel. Sie tat es nicht wirklich, aber Sked hatte sich angewöhnt, den Personen in seinem Umfeld Duftnoten zuzuordnen. Der Alte hatte wohl noch nie Lavendel in seinem Leben gerochen, aber er wusste, wenn er die Gelegenheit hätte, dann müsste dieser wie Vala duften.
Wie du wünscht, edler Shâktar“, entgegnete er, während er auch ohne seine Augen wusste, dass Vala gerade die ihren verdrehte.

Gibt es Neuigkeiten?
Sked bemerkte, wie Vala vor ihm in die Hocke ging.
In der Tat. Ich empfehle dir, schleunigst aus der Stadt zu verschwinden. Soris Leute haben jemanden auf dich angesetzt.
Nun sprang Vala umgehend wieder auf. Sked hatte die Angewohnheit, umgehend zur Sache zu kommen, wenn es um unangenehme Dinge ging. Missmutig setzte sie den Weinschlauch wieder von den Lippen ab.
Oh, wie schön. Wie wäre es das nächste mal zunächst mit ‘Wie war dein Tag, Vala? Hast du wieder einen dicken Sultan zu den Geistern gejagt?’ oder ‘Bist du unverletzt, geht es dir gut?’. Stattdessen erzählst du mir jedes Mal, wenn ich gerade dabei bin, mich todmüde in die Decken zu hauen, dass irgendwer oder irgendetwas wieder Ärger macht.
Sked lächelte und griff nach dem Weinschlauch.
Nun, du hast gefragt, ob es Neuigkeiten gäbe. Aber wir können das auch verschieben. Also … Wie war dein Tag?“
Scheiße!“, schnappte Vala und klopfte dem Alten patschend auf die Finger, um abermals zum Trinken anzuheben.
Nachdem sie ein paar große Schlucke genommen hatte, drehte sie den Pfropfen wieder drauf und pikste geistesabwesend mit ihren Finger immer wieder in das dicke Leder.

Ich hab mit Cromor gesprochen“, fuhr Sked fort. „Er lässt ausrichten, dass du besser sofort nach Shâktwinnd zurückkehrst, um für eine Weile abzutauchen. Es sind mittlerweile ziemlich viele hinter dieser rehäugigen und einhändigen Diebin her, die sie die ‘Wildkatze’ nennen.
Vala schnaufte empört.
So so … Dann macht man mich eher zur Diebin, als auch nur in Erwägung zu ziehen, dass ich eine Meuchlerin sein könnte. Wie freundlich von den Leuten …
Vor allem, da du ja gar nicht meuchelst“, meinte Sked.
„Vielleicht muss ich schon recht bald damit anfangen, Sked. Soris Sekte hat sich in den letzten drei Jahren über den ganzen Norden ausgebreitet. Wenn Rabenschopf nicht bald etwas einfällt, dann verlieren wir auch noch unsere letzten Zufluchten.
Sked räusperte sich und hielt die Hand vor sein Gesicht, um den heransausenden Weinschlauch mit einer lässigen Bewegung zu fangen und aufzudrehen.
Du kannst den Schwur nicht brechen. Sobald ein Shâktar Blut vergießt, fällt der Schutz der Geister von ihm ab. Und dann kann man ihn töten.
Mich kann man allemal töten“, korrigierte Vala. „Nur weil mir in den letzten drei Jahren nichts passiert ist und ich immer mit ein paar Schrammen davongekommen bin, ist das noch lange kein Beweis für irgendwelche Unverwundbarkeit. Es war einige Male ziemlich knapp. Wenn man von einem Leibwächter beinahe ersäuft wird und dann ausgerechnet an dieser Stelle ein spitzer Bambushalm senkrecht im Wasser steht, der Kerl abrutscht und sein linkes Auge an die Rückwand seines Schädels hämmert, dann nennt man so etwas ‘Glück’ und nicht ‘Unverwundbarkeit’. Außerdem, sag mir mal, wieso ich von Cromor die wirklich wirkungsvollen Sachen gelernt habe, wenn ich sie nicht benutzen darf?

Sked verstaute den Weinschlauch wieder hinter sich in der Dunkelheit und seufzte.
Cromor durfte dir das gar nicht beibringen. Dein eigener Dickschädel war es. Und glaub es oder nicht: Jeder Shâktar, der zur Klinge griff, kam durch die Klinge um.
Und was passierte mit den Artigen?“, grinste Vala.
Es gab keine. Der letzte Shâktar lebte dreihundertvierundzwanzig Sommer, diente zuletzt dem alten Sultan und setzte seinem Leben nach dessen Tod von selbst ein Ende.
Oha. Skeds Märchenstunde. So alt wird doch niemand …
Du bestimmt nicht, wenn du weiterhin so frech bist zu einem armen alten Mann.
In Ordnung, armer alter Mann. Dann erzähl mir mal lieber was über denjenigen, der mir ans Leder will.
Der Blinde stand auf und ging zur Feuerstelle herüber, wo nur noch die Glut einen Rest von Wärme verteilte.
Es ist kein Ribukaner“, begann Sked. „Soviel ich weiss kommt er aus dem Norden. Ein Amhasim, der sich der Sklavenjagd gewidmet hat, bevor er selbst in Ungnade fiel und zum Sklaven wurde. Er kämpfte sich frei, erschlug vierzig Amhasim, wie es heißt, durchquerte das Tal der Tempel, zog dabei eine blutige Spur des Todes hinter sich her. Dann schlich er sich in Soris Geheimversteck, da einer seiner Leute im Tags zuvor die Schuhe geklaut hatte.

Vala pfiff durch die Zähne.
Ich möchte nicht wissen, was man über mich erzählt, wenn ich wirklich nach Shâktwinnd zurückgehe… Erzähl weiter.“
Sked schüttelte den Kopf, während er den kleinen Kessel mit Rübeneintopf in die Glut legte.
„Da gibt’s nichts mehr zu erzählen. Soris war schwer beeindruckt und gab ihm seine Schuhe wieder, nachdem er ihn zum Dieb begleitet hatte. Nachdem der – und ein Freund, so hörte ich; zwei Kratergladiatoren übrigens – innerhalb von kürzester Zeit in ihrem Blut lagen, war Soris noch mehr beeindruckt und überredete ihn, in seine Dienste zu treten. Tja, und der erste Auftrag, den er ihm gegeben hat, lautet: Finde die Wildkatze und zieh ihr die Krallen einzeln raus.
Soris will dich übrigens lebend, da er dich in seinem Harem gebrauchen kann, wie er sagt.

Vala hielt prüfend den Finger in den Kessel und lachte.
Wirklich verlockend, aber ich denke ich verzichte drauf.
Worauf? Auf Soris Harem?
Nein, dem wollte ich einen Besuch abstatten, um mir diesen Amhasim mal anzuschauen. Ich rede von deinem Brechmittel hier. Wie alt sind diese Rüben eigentlich?
Vala wischte angeekelt den Finger an einem herumliegenden Stofflumpen ab und richtete ihre Robe.
Du willst jetzt sofort da hin?“ Sked klang nervös. „Aber du weißt doch gar nicht, wo sich Soris versteckt?
Vala zwängte sich in die ledernen schwarzen Beinkleider und packte ihr „Besteck“ ein, wie sie die Einbruchswerkzeuge und Nahkampfaufsätze nannte, die sie als austauschbare Armprothese verwendete. Das eng anliegende Lederwams prüfend und Seil und Dolch verstauend, blickte sie zu Sked, der nun aufgestanden war und mit den Händen suchend in ihre Richtung stapfte.
Nein, Vala! Ich dulde es nicht mehr, dass du dich immer in Gefahr bringen musst. Nicht nur dein Schicksal hängt am Seidenfaden, sondern das von uns allen.
Vala wich den rudernden Händen lautlos und routiniert aus.
Sked, nun sei kein Spielverderber. Ich schaue mich doch nur um“, lachte sie und prüfte ein weiteres Mal den Sitz ihrer Ausrüstung, nachdem sie die mitternachtsblaue Kapuze ihrer staubigen, aber unauffälligen Robe tief ins Gesicht gezogen hatte.
Du bist ein dummes, wirklich dummes Mädchen!“, schimpfte der Blinde. Vala tauchte ein weiteres mal unter den tastenden Händen hinweg, streichelte dem Alten kurz über das Haupt und sprang zur Deckenluke hoch.
Mach dir keine Gedanken Sked. Ich komme heil zurück.“ Sked seufzte und ließ sich schwer auf die Decken fallen.
Das Mädchen schafft mich noch!“, stöhnte er und begann missmutig in den Rüben zu stochern.

 

Die Geschichte der Wildkatze ist zuerst in Ausgabe 1 und 2 des Fanzines “Der Komet” erschienen.

Sie sollte in Ausgabe 3 des Fanzines fortgesetzt werden. Die allerdings ist nie erschienen.

 

Historia

 

Die Gründung Ribukans

 

Um 1.000 v. BF waren die Städte des Rieslands inzwischen wirtschaftlich autonom und ähnlich wohlhabend wie die Tulamidenstädte des aventurischen Mutterlandes. Im Osten des Kon­tinents gründeten sie auf den Ruinen einer alten marhynianischen Siedlung die unabhängige Stadt Ribukan, welche vom Abbau von Edelmetallen und -steinen lebte. Sie unterstand nicht dem aventurischen Sultan, sondern direkt dem Rat der riesländischen Städte, von denen sie als eine Art Privatunternehmen betrieben wurde. Die wertvollen Rohstoffe musste der Sultan von den Riesländern kaufen. Ebenso verhielt es sich mit Kap Parhami südlich des Orthwall-Gebirges. Dort existierte keine staatliche Ordnung, dafür aber fruchtbarer Boden. Die zahlreichen Stämme vom Volk der Parnhai wurden von den Siedlern zum Ackerbau, zur Metallverarbeitung und zur Webkunst angeleitet. Sie stell­ten als Gegenleistung für den Schutz vor den marodierenden Marus den Großteil ihrer Pro­duktion den hungrigen Städten und dem Handel mit Aventurien zur Verfügung. Auch hier hatte das Diamantene Sultanat keinen Einfluss mehr.

 

Die Rückkehr des Diamantenen Sultanats

Um 900 v. BF meldete sich eine Macht, deren Einfluss schon fast vergessen war, zurück. Das Diamantene Sultanat stieß vom Westkontinent Aventurien kommend erneut ins Riesland vor und konnte durch geschickte Diplomatie die sanskitarischen Städte in ein Bündnis führen. Hinzu kamen die Handelskontakte mit einer wohlhabenden Nagah-Stadt namens Unlon auf den Jominischen Inseln, die es ermöglichten, dieses Eiland bei den Reisen der Aventurier auf das Festland von Rakshazar als Zwischenstation zu nutzen. Auf die Angebote zur Zusammenarbeit reagierten die Republiken Yal-Kharibet und Yal-Amir eher reserviert, während sich die autokratischen Städte Ribukan und Shahana, wie Sha-An-Arr jetzt meist genannt wurde, weil sich der Name so besser aussprechen ließ, praktisch als Kolonien dem Mutterland anschlossen. Shahana gehörte somit wieder, Ribukan erstmalig zum Diamantenen Sultanat. Die beiden Städte suchten den Schutz der Tulamiden, um sich vor den konkurrierenden Stadtstaaten, vermeintlichen Rorkhas, ihren eigenen Bürgern und deren aufrühre­rischer Stimmung zu schützen.

 

Die Suche nach dem Alveraniar des Verbotenen Wissens

Ab 650 v. BF mehrten sich die astrologischen Anzeichen, dass der Alveraniar des Verbotenen Wissens bald reinkarnieren würde. Alles deutete darauf hin, dass dies erneut in Aven­turien geschehen werde. Für Merclador war dies die Aufforderung, seine Forschungen zu unter­bre­chen. Der Alveraniar des Verbotenen Wissens war seit 1.326 v. BF, dem Todesjahr Assarbads von Fasar, nicht mehr auf Dere erschienen. Amazeroths Diener, dessen Hauptauf­gabe nach wie vor darin bestand, seinem niederhöllischen Herrn den Alveraniar, der während seiner Zeit als Nandus sein Geschöpf gewesen war, in die Hände zu spielen, hatte somit Jahrhunder­te Zeit gehabt, sich eigenen Untersuchungen zu widmen. Merclador hatte ein Projekt wiederauf­genommen, das ihn schon zu seinen Lebzeiten beschäftigt hatte. In der Zeit nach dem Kata­klysmus hatte er versucht, in das auf dem Kontinent entstandene Machtvakuum vorzustoßen und eine dauerhafte Herrschaft zu etablieren. Dabei hatte ihn das Verhalten Pyrdacors überrascht. Merclador hätte vermutet, dass sein Vater entweder eigene Ambitionen entwickeln würde, auf dem geschwächten Kontinent die Macht an sich zu reißen, oder aber seine Initiative wohlwollend unterstützen würde, hätte sie doch auch für ihn einen erheblichen Machtzuwachs bedeutet. Aber nichts von alledem war geschehen. Pyrdacor hatte lediglich sein Desinteresse bekundet und jedes Mal, wenn Merclador auf das Riesland zu sprechen kam, rasch das Thema gewechselt. Heute wusste der einstige Drache, dass die Marhynianer Einfluss auf seinen Karfunkel und damit auf seinen Geist genommen hatten. Dieser Einfluss hatte eine bis zu seinem Tod anhaltende Unfähigkeit begründet, sich mit dem Riesland zu beschäftigen, auf dass er sich nicht in die Welteroberungspläne Marhynias einmischen sollte. Damals war Merclador das Verhalten seines Vaters völlig unverständlich erschienen.

Anmerkung: Pyrdacor und seinen Getreuen gelang es auch nicht, ihre Herrschaft auf Myranor auszudehnen. Die Gründe dafür sind allerdings anders gelagert. In Bezug auf Rakshazar haben sie es gar nicht erst versucht. Myranor plante der Goldene Drache der Elemente durchaus zu unterwerfen. Zunächst versuchte er, sich die Echsenvölker Unter­tan zu machen, doch diese verweigerten ihm die Gefolgschaft. Also beschloss Pyrdacor, ihre Reiche zu vernich­ten. Im 53. Jahrhundert vor der Imperialen Zeitrechnung, also um 9.050 v. BF, wurden sämtliche myranische Kulturen von dem Goldenen Drachen der Elemente attackiert. Die Shindra wurden fast ausgerottet und konnten sich mit Not und Mühe auf die shindrabanischen Inseln zurückziehen. Die große Bucht, auf deren Inseln die Sumurrer siedelten, trocknete aus und verwandelte sich in die lebensfeindliche Wüste Nakramar. Ein „Regen feuriger Steine“ ging über den Zyklopenlanden nieder und übersäte das Land mit schwarzem Sterneneisen und Endurium. Die meisten Städte, Tempel und Pyramiden wurden zertrümmert. Die menschliche Bevölkerung reduzierte sich auf Era’Sumu und die Eshbathi.

Jahrtausende später versuchte Pyrdacor, das 3.476 v. BF gegründete Erste Imperium zu unterwerfen. Er scheiter­te jedoch an der Wehrhaftigkeit der Myraner. Vom hohen Norden bis in den tiefen Süden des Thalassions, des Meers der Sieben Winde also, unterbrechen immer wieder Unterwasserberge die See. Auf einigen von ihnen be­finden sich selbst in der Gegenwart noch Ruinen oder gar intakte Türme. Das Erste Imperium hatte sie gebaut, um die Horden Pyrdacors daran zu hindern, an die Gestade Myranors zu gelangen. Schiffe der Echsen, die bis in die Nähe der Verteidigungsanlagen segelten, wurden von mächtigen Zaubern mit elementarem und dämoni­schem Eis daran gehindert, diese Grenze zu überwinden. Das Element Eis war von den Myranern mit Bedacht gewählt worden, wussten sie doch sehr wohl, dass Pyrdacor den Schlüssel des Eises nicht mehr besaß und damit einen Großteil seiner Macht über dieses Element verloren hatte. Nicht einmal der Riefenstein half ihm, die Defensivanlagen zu überwinden, und auch seine Drachen konnten die altimperiale Verteidigungslinie nicht überfliegen. Wer es versuchte, wurde vom magischen Eis in Kältestarre versetzt und versankt auf dem Grund des Meeres. Es heißt, dass manche Kreaturen noch heute darauf warten, aus den uralten Zaubern befreit zu werden.

Merclador hatte daraufhin beschlossen, auf eigene Faust die Herrschaft über Raksha­zar anzustreben. Dabei stand ihm die verheerte magische Struktur des Rieslands im Weg. Wann immer Merclador einen mächtigen Zauber wirkte, wandte sich dieser aufgrund der Kritischen Essenz gegen ihn. Der Drache hatte deshalb begonnen, nach Wegen zu suchen, die aus den Fugen geratene arkane Struktur des Rieslands wiederherzustellen.

Seit einigen hundert Jahren forschte Merclador erneut in diese Richtung. Nicht mehr, um das Riesland zu beherrschen – das hätte sein dunkler Herr gewiss nicht zugelassen oder zu sei­nem eigenen Vorteil umgemünzt. Es war vielmehr etwas Persönliches geworden. Der Drache Merclador war seinerzeit gescheitert, und auch der Dämon Merkator/Merclador hatte außer einigen hoffnungsvollen Ansätzen wenig vorzuweisen. Merclador konnte das nicht ausstehen, er hasste es genauso wie alles andere, was sich seinem Willen widersetzte. So wur­de eine Idee geboren. Vielleicht konnte er seine Passion mit seiner Pflicht verbinden. Was, wenn es ihm gelänge, den Alveraniar des Verbotenen Wissens für sein Vorhaben zu begeistern … Wenn jemand ihm bei dieser Aufgabe helfen konnte, dann der mächtigste Magier, den Dere je gese­hen hatte. Und sollte es ihnen gelingen, gemeinsame Erfolge zu erringen, würde das den Alveraniar gewiss in Amazeroths Lager treiben – oder sie beide in die Lage versetzen, sich für immer des Erzdämons zu entledigen. Merclador war flexibel, was diesen Teil seiner Pläne anging.

Da seine Macht als Quitslinga ihm ermöglichte, drachische Gestalt anzunehmen, verwandelte sich Merclador in einen Lindwurm von nahezu seinem ursprünglichen Aussehen und flog in aventurische Gefilde. Dabei querte er die Inseln der Schattenlords und weckte die Neugier Gorgafans, des Trolls, der als Drachenlord galt und in dem Ruf stand, Lindwürmer mit Hilfe seines magischen Zepters beherrschen zu können. Dieser wusste sehr wohl, wer Merclador war. Die Schattenlords beobachteten das Wirken von Ama­zeroths Gesandten, der ihnen als Feind ihres Gottes – des Namenlosen – galt, sehr genau. Wenn er sich anschickte, den Westkontinent aufzusuchen, standen offenbar Umbrüche epochalen Ausmaßes ins Haus. Gorgafan beschloss, sich der Sache persönlich anzunehmen. So schwang er sich auf seinen Reitdrachen, der ein alter Bekannter Mercladors war: Asgathor, Sohn Nirandors, der vor Jahrhunderten in Gefangenschaft geraten war. Der einstige Beschützer der Archäer hatte im Zweiten Drachenkrieg gegen Famerlor und Pyrda­cor gleichermaßen intrigiert und nach Pyrdacors Sturz dem geschwächten Famerlor eine Schuppe geraubt, was den Großen Drachen einen bedeutenden Teil seiner Macht gekostet und ihn verwundbar gemacht hatte. Doch war Asgathor selbst nicht ohne Blessuren aus dem Raub hervorgegangen. Famerlors Flammenatem hatte ihm eine klaffende Wunde zugefügt, und Asgathor war gezwungen gewesen, sich für mehrere Jahre schlafen zu legen, auf dass seine Heil­kräfte die Verwundung schließen konnten. In dieser Zeit war es Gorgafan gelungen, den Drachen aufzuspüren und ihm mit Hilfe des Zepters seine Macht aufzuzwingen. Seither stand Nirandors Sohn – seines freien Willens beraubt – in seinen Diensten. Ein Coup, dem Gorgafans besonderer Stolz galt, schließlich war Asgathor zwar maßlos bequem, aber doch einer der mächtigsten Drachen Deres, dem es oft genug gelang, selbst einem der Großen Drachen die Stirn zu bieten. Wenn nicht gar mehreren.

Auf dem Westkontinent angekommen, nahm Merclador menschliche Gestalt an und mischte sich unter die aventurische Bevölkerung. Er wusste nicht, ob der Alveraniar des Verbotenen Wissens bereits geboren war. Die Astrologie verriet zwar sein bevorstehendes Erscheinen, der genaue Zeitpunkt seiner Geburt und seine Identität ließen sich hingegen nicht bestimmen. Merclador hielt die Ohren offen. Interessant erschien zunächst ein Vorgang aus dem Jahre 641 v. BF, die sogenannte Khunchomer Korrespondenz. Der Diamantene Sultan Hasrabal al’Milta versuchte mit beeindruckenden Geschenken die Bosparaner von der Überlegenheit der Tulamiden zu überzeugen. Damit entfachte er in Svelinya-Horas aber nur den Eroberungsdrang. Letztlich sah sich das Diamantene Sultanat gezwungen, das Emirat Mirham mit Al’Anfa und Mirham zu räumen und das Land dem Bosparanischen Reich zu überlassen.

Merclador fand trotz äußerst kritischer Betrachtung dieser Geschehnisse zunächst weder ein Anzeichen des Wirkens des gesuchten Alveraniars noch seines Widerparts, des Alveraniars des Verborgenen Wissens, der in aller Regel in nahem zeitlichem Abstand zum Alveraniar des Verbotenen Wissens geboren wurde. Dann jedoch vernahm der Drachendämon, dass der Kronprinz des Bospara­nischen Reiches, Fran von Bosparan, durch seine von einem Ucuri-Funken herrührende starke magische Begabung aufgefallen war und sein Studium an der Academia Arcomagia Horasiens Imperatique auf­ge­nom­men hatte, der bedeutendsten Magierakademie des Reiches. Dies schien ihm ein aussichtsreicher Kandi­dat zu sein. Merclador begab sich nach Bosparan, ermordete einen Jahrgangskollegen Frans und schlüpfte in dessen Rolle. Bald schon hatte er sich mit dem Kaisersohn angefreundet, der ihn für den Spross eines Adligen hielt, welcher zu den getreuen Vasallen des Kaiserhauses zählte.

Für Merclador begann eine Zeit der Qual. In seinen Augen strotzten die Menschen vor Ignoranz und Unwissen­heit. Die Akademie galt als die bedeutendste Zauberschule des Rei­ches, doch ihre Kenntnisse waren fragmentarisch und beruhten ganz überwiegend auf falschen Annahmen. Schon seine Drachenmagie war der der Menschen turmhoch überlegen, und die hatte noch nicht das Wissen um die Beschwörung und Beherrschung und Dämonen beinhaltet, das Merclador sich hatte aneignen müssen, seit er Amazeroth diente und in der Lage sein musste, sich seine Führungsrolle unter seinen Gesandten zu erstreiten. So kam es, dass Merclador begann, Fran selbst auszubilden. Er konnte ihm nicht so viel beibringen, wie er es gern getan hätte, nur so viel, dass er sein Wissen gerade noch mit „Habe ich in einem Buch meines Vaters gelesen“ begründen konnte.

Merclador brachte Fran besonders die Magie der Kraftlinien näher. Die Kenntnisse der Men­schen waren diesbezüglich besonders bruchstückhaft. Aber Fran würde dieses Wissen benötigen, um ihm bei der Restauration der Kraftlinien des Rieslands zu helfen. In seinem vierten Lehrjahr beschloss der Kronprinz, für ein Jahr an die Akademie der Geistigen Kraft zu Fasar zu wechseln, die während Mahwads Krieg gegründet worden war. Die Alte und Erhabene Al-Achami-Akademie der Bruderschaft der Wissenden vom Djer Tulam zu Fasar stand in der Tradition der Kopthanim und hatte die letzte Inkarnation des Alveraniars des Verbotenen Wissens ausgebildet, Assarbad von Fasar. Merclador bestürmte Fran, ihn begleiten zu dürfen, und so brachen die vermeintlichen Freunde schließlich gemeinsam nach Fasar auf, das seinerzeit noch Yol-Fassar hieß.

 

 Verwendung des Bildes erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Ramona von Brasch

 

Auch die Magier Fasars waren in Mercladors Augen Magiedilettanten, aber ihre Philosophie war mit der seinen eher kompatibel. In der Magietradition der Kophtanim, die ihr zugrunde lag, ließ sich alles magische Wirken mehr oder weniger direkt auf die Beherrschung und Unterwerfung fremder Mächte und Wesenheiten zurückführen. Mit Beschwörungsmagie unterwarf man elementare oder transsphärische Wesen seinem eigenen Willen, Heilmagie verstand man als die Herrschaft über den Körper, Illusion galt ihnen als Beherrschung der Sinne. Die Beherrschung als solche begriffen die Fasarer folglich als Krone der Zauberei.

Fran und Merclador als „die Neuen“ gerieten bald in den Fokus von Menuril ibn Mendossa. Er war der gelehrigste und der mächtigste Schüler seines Jahrgangs, und das ließ er die anderen spüren. Er erwartete von seinen Mitschülern Gefolgschaft und hatte sich wie selbstverständlich zum Sprecher seines Jahrgangs gegenüber dem Lehrpersonal aufge­schwun­gen, ohne dazu ernannt worden zu sein. Dem Lehrpersonal erschien er arrogant und anmaßend, und allzu gern hätten ihn die Dozenten diszipliniert. Doch Menuril kannte die Akademieregeln ganz genau, und es gelang dem Lehrkörper nie, ihn einer Regelverletzung zu überführen, mit der sie ihn zu fassen bekamen. Zumal Menuril sich selten selbst die Finger schmutzig machte, wenn es um solche Übertretungen ging. Er brachte andere dazu, an seiner Stelle zu handeln. Wenn sie erwischt wurden, dann wurden sie bestraft, er selbst blieb unbehelligt. Manch einer ließ sich aus schierer Furcht zu Menurils Werkzeug machen, gegen andere setzte der Jungmagier hemmungslos das ein, was die Akademie ihn lehrte – die Beherrschung des menschlichen Geistes.

Beim routinemäßigen Versuch, auch Fran und Merclador seinem Willen zu unterwerfen, musste Menuril feststellen, dass er sich diesmal mit den Falschen angelegt hatte. In der Regel genügte es, seinen Mitschülern Befehle zu geben und zu unterstreichen, dass auch die anderen Schüler ihm folgten, um sie gefügig zu machen. Doch das wirkte in diesem Fall nicht. Fran verspottete ihn, Merclador erklärte ihm eisig, dass er ihm gar nichts zu befehlen habe. Also verlegte Menuril sich auf Plan B, die unterschwellige Drohung mit künftigem Ungemach. Als auch das nicht fruchtete, sandte der selbsternannte Herrscher des Jahrgangs seine Lakaien los, um die Neulinge zu disziplinieren. Die Lehrer waren sehr verwundert, als am nächsten Morgen die halbe Klasse mit erheblichen Blessuren zum Unterricht erschien, während Fran und Merclador gutgelaunt und bei bester Gesundheit den Klassenraum betraten.

Jetzt wurde es Menuril zu bunt, und er beschloss, selbst aktiv zu werden. Er wob einen machtvollen Zauber, der Fran und Merclador seinem Willen unterwerfen sollte. Doch Fran gelang es, den Zauber zu blockieren, bevor er seine Wirksamkeit entfalten konnte. Merclador indes schleuderte die Magie auf ihren Urheber zurück und zwang diesen auf die Knie. Und indem Amazeroths Gesandter dem unverschämten Zauberlehrling seinen Willen aufzwang, erkannte Menuril, dass der vermeintliche Bosparaner eine fremde Entität war, die ihm turmhoch überlegen war. Jedenfalls in dieser Phase seiner Ausbildung. Trotzdem ließ sein Stolz es nicht zu, sich von dem Fremden dominieren zu lassen. Er lehnte sich mit all seinem Zorn gegen den Einfluss auf seinen Geist auf, und schließlich gelang es ihm, Mercladors Einfluss zu brechen. Menuril wusste nun, dass sein Gegenüber gleichermaßen Drache wie Dämon war. Und Merclador hatte erkannt, dass er sich geirrt hatte. Nicht Fran war die gegenwärtige Inkarnation des Alveraniars des Verbotenen Wissens. Es war dieser junge, anmaßende fasarer Zauberlehrling. Und Merclador hatte ihn gerade noch rechtzeitig gefunden, um ihn formen zu können.

 

Von diesem Tag an waren Fran, Merclador und Menuril unzertrennlich. Der Jungmagier aus Fasar wusste nun, dass er durch die Konfrontation mit den Neulingen nichts zu gewinnen hatte. Ein Bündnis mit ihnen jedoch war mehr wert als alles Gold und alle Diamanten der Welt. Schon der bosparanische Magier war ihm an Macht mindestens ebenbürtig, das seltsame Wesen jedoch, das zugleich Drache, Dämon und schiere Magie war, konnte ihn lehren, was kein menschlicher Zauberkundiger der Welt ihm jemals hätte beibringen können. Es dürstete Menuril nach Wissen, vor allem nach solchem, das man ihm vorzuenthalten versuchte, und diese beiden konnten es ihm verschaffen. Fran und Merclador nahmen zu Kenntnis, dass der Magier seine Strategie geändert hatte, und akzeptierten sein Ansinnen eines Bündnisses. Ihre Gründe waren sehr verschieden. Fran versicherte sich schlicht der Gunst des Klassenspre­chers und rückte somit in der Hierarchie zur Nummer Zwei hinter Menuril auf, was seine Zeit in Fasar wesentlich erleichterte.

Merclador indes machte den Alveraniar des Verbotenen Wissens zu seinem Schüler, wie er es von Anfang an geplant hatte. Fran zu unterrichten war ein Drahtseilakt gewesen. Er musste stets aufpassen, dass der Kronprinz, die Dozenten der Akademie zu Bosparan oder gar der Kaiser selbst ihn nicht als den erkannten, der er war, und durfte deshalb nicht zu viel von seinem Wissen preisgeben. Die Fasarer indes pflegten einen entspannteren Umgang mit verbotenem Wissen, außerdem hatte Menuril ihn durchschaut und wusste, was er war. Aber nicht wer, wie Merclador mit Genugtuung feststellte. Der Alveraniar des Verbotenen Wissens hatte keine Ahnung, dass der Quitslinga von Amazeroth entsandt worden war, um ihn auf die Seite seines dunklen Herrn zu ziehen, und Menuril war weit davon entfernt, die wahre Natur seiner selbst zu erkennen. Wie schon des Öfteren brauchte es seine Zeit, bis die aktuelle Inkarnation ihr eigenes Wesen erkannte und dadurch gewahr wurde, dass der Alveraniar des Verbotenen Wissens geschworen hatte, sich von Amazeroth und seinen Intrigen fernzuhalten, den er nach wie vor nicht als legitimen Nachfolger des Nandus akzeptierte. Merclador brachte Menuril alles bei, was dieser zur Umsetzung seiner Pläne wissen musste. Die Magie der Kraftlinien, verschiedenste Beschwörungen, Limbusmagie, Sphärenkunde, Elementarmagie, Beherrschungen.

 

Die Akademie der Hohen Magie

Als für Fran die Zeit gekommen war, nach Bosparan zurückzukehren, verabschiedete sich Merclador von ihm und verkündete seinen Entschluss, an der Akademie von Fasar zu bleiben. Wenige Jahre später absolvierten er und Menuril dort ihren Abschluss und schnitten mit weitem Abstand als die beiden Klassenbesten ab. Mit Fran blieben sie weiter in Kontakt. Der erwarb zum Stolz seines Vaters seinen Abschluss in Bosparan ebenfalls mit besonderer Belobigung. Mit dem Wissen, das ihm Merclador über die Kraftlinien und ihre Nodices verschafft hatte, begab sich Fran auf die Suche nach besonders machtvollen Kreuzungspunkten mehrerer Kraftlinien und fand für ihn überraschend einen solchen Nodix in der bosparanischen Grenzfeste Puninum, die das Reich vor tulamidischen und zwergischen Aggressionen schützte. 619 v. BF – Fran war dreiundzwanzig Jahre alt – gründete er dort eine Magierakademie, die Academia Arcomagica Scholasque Arcania, und barg dabei das Humus-Ei, das zu Pyrdacors „Erben des Zorns“ gehörte.

Die Schule der Hohen Magie zu Puninum sollte sich der Erforschung der einheimischen Zauberei in den damals noch weitgehend unbekannten Nordregionen des Bosparanischen Reiches widmen. Fran setzte Alveran und Niederhöllen in Bewegung, um sie hervorragend auszustatten, mit einem Gebäude, zehnmal so groß wie das bis dato größte Bauwerk der Stadt, mit einer großzügigen Bibliothek und zahlreichen Artefakten. Und natürlich mit pekuniären Mitteln, die ihr weitreichende Forschungstätigkeit ermöglichten. Fran nutzte die Akademie bald für seine eigenen Experimente. Diese umfassten Blut- und Todesmagie, das Schamanentum der Wudu, tulamidische Ritualmagie und vor allem Beschwörungen. Als erster Bosparaner beschrieb Fran die Dämonenzitadelle. Er ließ die Akademie zudem an ein Netz aus Dunklen Pforten anschließen, sodass die Magister andere Akademien, darunter die in Cuslicum und Fasar, ohne Zeitverzögerung erreichen konnten. Cuslicum wiederum war mit Bosparan verbunden, so dass auch zur Hauptstadt eine schnelle Reisemöglichkeit bestand. Die Errichtung einer Direktverbindung zwischen dem Pentagrammaton mit der Gilde der Hauptstadt scheiterte, sodass die entsprechende Dunkle Pforte Punins seither im Limbus endet. Das Ritual, das Fran vollführte, um die Tore in Cuslicum, Puninum und Yol-Fassar über den Limbus miteinader zu verbinden, erregte die Aufmerksamkeit der Menacoriten, die während der Dunklen Zeiten mehrfach die Akade­mie heimsuchten.

Die damalige Architektur ist dennoch bis heute erhalten. Es heißt, der Akademiegründer habe das Bauwerk mit Dschin­nenkraft aus dem Marmor des Raschtulswalls geformt. Ebenso hartnäckig halten sich Behauptungen, Fran habe seinerzeit die unterschiedlichsten symbolischen wie konkreten Informationen im Bauplan verschlüsselt und diverse bis heute unentdeckte Katakomben voller Artefakte angelegt.

Fran-Horas entdeckte auch die Goldkaverne, eine geheime Höhle aus purem Gold unterhalb des Puniner Goldackers und Ursprung von dessen Namen. Zu Pyrdacors Zeiten aus einem noch größeren Berg geschaffen, wurde die Kaverne von Fran-Horas und später von Zulipan von Punin wiederentdeckt. Kaiser Eslam I. von Almada ließ hier ein Bad errichten, dessen Quelle auch die Mada-Thermen speist.

Fran nutzte die Pforte zum Austausch mit dem Heschint-Tempel zu Cuslicum nebst der dortigen Akademie und mit den Magiern in Yol-Fassar. Besonders interessiert zeigte er sich an der Geschichte der Magiermogule vom Gadang einschließlich der Erzählungen über den Auslöser der Skorpionkriege, Assarbad. Mehrmals besuchte der Bosparaner Kronprinz die älteste Menschenstadt Aventuriens, die 2.046 v. BF auf den Resten einer Skrechim-Stadt gegründet worden war. Die Yol-Fassarer Magier duldeten die Limbusreisen zunächst und zeigten sich interessiert, schließlich profitierten auch sie vom Wissensaustausch. Doch Fran versuchte in die tieferen Geheimnisse der Magie vorzudringen, und das stimmte die Fasarer misstrauisch. Um sie sich gewogen zu halten, bot er ihnen Unterstützung gegen den Dia­man­tenen Sultan an, den die Fasarer inbrünstig hassten und nach wie vor nur widerwillig als Herrscher akzeptierten. Die Yol-Fassarer, die wahlweise darauf hinarbeiteten, Fasar zu Hauptstadt des Diamantenen Sultanats zu machen und das konkurrierende Khunchom abzu­lösen oder seine Unabhängigkeit zu erstreiten, schlossen nur zu gern ein Bündnis mit den Bosparanern. Fran stellte ihnen außerdem magisches Wissen in Aussicht, für das er natürlich Antworten auf seine Fragen erwartete. Der Kronprinz brachte durch die Pforte Artefakte, Standbilder und andere Fundstücke in die Akademie zu Puninum. Diese wurden in den gewaltigen und sich über mehrere Ebenen erstreckenden Katakomben gelagert.

 

Merclador indes hatte Menuril inzwischen seine Pläne offenbart. Jedenfalls den Teil davon, den der Jungmagier wissen musste, um ihm bei ihrer Realisation nützlich zu sein. Der Drachen­dämon behauptete nun, sein wirklicher Name sei Dorador, ein Diener des Drachenkaisers Thufir vom Djer Mussa. Sein Herr, selbst ein äußerst fähiger Limbologe, sei in hohem Maße interessiert, die durch den Kataklysmus verheerte arkane Struktur des Rieslands wieder­her­zu­stel­len. Der Kataklymus habe die Drachen ihrer Macht über das Riesland beraubt. Drachenmacht beruhe vor allem auf Drachenmagie, doch machtvolle Drachenmagie sei dank der Gefahr durch Kritische-Essenz-Effekte in Rakshazar kaum noch sinnvoll einzusetzen. Drachen wie Thufir, denen an der Herrschaft über den Kontinent oder einzelne Landstriche gelegen sei, strebten daher seit jeher danach, die verheerte Struktur der Kraftlinien im Riesland wiederherzustellen. Als es ihnen mit herkömmlichen Mitteln nicht gelungen sei, habe er als Diener Thufirs auf der Suche nach Antworten immer mächtigere Dämonen aus den Niederhöllen herbeigerufen, bis er von einem Siebengehörnten im Dienste Agrimoths besiegt und selbst zum Dämon gemacht worden sei. Seinem Herrn Thufir sei es jedoch gelungen, seinen ehemaligen Diener zu beschwören und zu beherrschen, und so diene er, Dorador, nun wieder seinem früheren Herrn. Es sei nach wie vor sein Ziel, die Kraftlinien des Rieslands wiederherzustellen. Einem Zauberkundigen, dem das gelänge, würde gewiss große Macht zuteil.

Menuril entschloss sich nach dieser Offenbarung, Merclador ins Riesland zu folgen. Wie immer ging es dem Alvereniar des Verbotenen Wissens nicht primär um persönliche Macht. Aber die Herausforderung, ein Rätsel zu lösen, an dem Geister gescheitert waren, die sehr viel mächtiger schienen als er selbst, konnte er unmöglich links liegen lassen. Dank seines hervorragenden Abschlusses standen ihm viele Türen offen, und so gelang es ihm, mit einem finanziell großzügig dotierten Forschungsauftrag ins riesländische Ribukan entsandt zu werden. Der ribukanische Emir Mustafa ben Mohamad, von stetigen Geldsorgen geplagt, vermietete dem aus dem Mutterland stammenden Magier für einen nicht unbeträchtlichen Mietzins großzügige Räumlichkeiten in einem bis dato ungenutzten Turm seines Palastes, und so verfügte der Alveraniar des Verbotenen Wissens nicht nur über ein angemessenes Domizil, sondern konnte seinen Einfluss auf den Emir geltend machen. Als jemand, der die Gabe der Manipulation so geschickt einzusetzen verstand wie die der Beherrschung, kostete es ihn weniger als ein Jahr, sich den Rang eines Wesirs zu sichern.

 

Der Mord an Haldur-Horas

Während all dieser Zeit hatte Gorgafan die Aktivitäten Mercladors genauestens beobachtet. Dadurch war er natürlich auch auf Fran von Bosparan aufmerksam geworden und erkannte ihn als Bedrohung für die Machtinteressen des Namenlosen. Dank Amazeroths Diener hatte der Kronprinz Zugriff auf allerlei verbotenes Wissen erhalten, mit dessen Hilfe er die Macht Bosparans festigen und ausweiten konnte. Sollte es ihm gar gelingen, das Diamantene Sultanat zur Kapitulation zu zwingen, würde es nicht lang dauern, bis Bosparan seine gierigen Klauen in Richtung des Rieslands ausstreckte. Etwas, das nicht in die Pläne von Gorgafans finsterem Herrn passte. Bosparanische Legionen, die fanatisch den Kriegsgott Shinxir um Schlachtenglück anflehten, waren in etwa das Letzte, was er in seiner Domäne brauchen konnte. Deshalb entschloss sich Gorgafan, das Bosparanische Reich zu destabilisieren und Zorn und Streben des Kronprinzen auf ein Ziel innerhalb seiner eigenen Herrschaftsdomäne zu richten.

Der Streit zwischen den Einwohnern Gareths und Frans Vater, Kaiser Haldur-Horas, war da bereits im vollen Gange. Um 640 v. BF hatte der legendäre Alchimist Enarch der Goldmacher mit dem heute verschollenen Zauber AURUM ARGENTOR Brunnen, Statuen und Dächer der Stadt in Silber und Gold verwandelt und somit den Reichtum der Stadt begründet. Als der Kaiser nun Gareth besuchte und feststellte, dass die Metropole prächtiger war als Bosparan, bezichtigte er Gareths Bürger der Steuerhinterziehung. Die zu Unrecht Beschuldigten arg­wöhn­ten, Gareth solle zugunsten Bosparans in Armut und Bedeutungslosigkeit versinken, und erklärten ihre Heimat zur freien Stadt. Haldur-Horas ließ daraufhin die Stadtmauern Gareths 200 Tage lang belagern und zwang die Einwohner zur Kapitulation. Der Kaiser nötigte die Garether zu horrenden Steuerzahlungen und ließ unter anderem ihre goldene Rondrastatue in Ketten nach Bosparan bringen, hatte er doch den Rondrakult verboten, der vor allem in den wilden Landen im Zentrum des Kontinents verehrt wurde und mit dem bosparanischen Kriegsgott Shinxir konkurrierte.

Der Troll und Schattenlord Gorgafan, in enger Abstimmung mit dem Dämon Grakvaloth stehend [Die Quellen sind sich uneins, ob es viele Grakvalothim gibt – Überlieferungen erzählen von seinen 13.000 Brüdern – oder ob Grakvaloth ein Einzeldämon ist, der über eine Vielzahl ähnlicher Dämonen herrscht. Letzteres unterstellen jene, die ihn für einen Alveraniar des Kor namens Graqualos halten. Hinter dem einzigartigen Grakvaloth könnte sich Gra-Kahl verbergen, eine Gottheit der myranischen Pardir, die als Erstgeborener Aphermarras gilt und auch mehr als vier Hörner aufweist.], sorgte dafür, dass Haldur-Horas nur zwei Monate später mit einem Dolch ermordet wurde, der in der Farbe seines dunklen Herrn purpurn glänzte. Sein Sohn und Erbe, der sich nunmehr Fran-Horas nannte, sah den Bezug zum Namenlosen sehr wohl, vermutete die Täter aber dennoch in Gareth. Der aufbrandende Hass und die Rachsucht, die ihn erfassten, verwandelten den bisher durch Umsicht, Klugheit und beeindruckende Zaubermacht aufgefallenen Kronprinzen in einen grausamen Kaiser, der Jahr für Jahr wahllos Bürger aus Gareth verschleppen ließ, um sie in Bosparans Folterkammern einem qualvollen Tod zu überantworten. Zugleich ließ er die Truppen der Stadt aufstocken, um jeden noch so minimalen Ansatz von Protest blutig niederschlagen zu können. Die Steuerschraube zog er noch fester an, sodass Gareth mehr und mehr im Elend versank. Fran erhielt dadurch im ganzen Reich den Beinamen „der Blutige“. Den Mörder Haldurs konnte er trotzdem bis an sein Lebensende nicht ausfindig machen. Gorgafan war zu alt, zu mächtig und zu gewieft, um den Häschern des Kaisers ins Netz zu gehen. Und natürlich konnte Fran-Horas nicht ahnen, dass der Mord mit dem Riesland zu tun hatte und mit seinen vermeintlichen Freunden Merclador und Menuril.

 

Großwesir Menuril

Letzterer sorgte für Ribukans raschen Aufstieg zur mächtigsten der Sanskitarenstädte. Binnen zweier Jahre zum wichtigsten Berater des Emirs aufgestiegen, zog er die Fäden zunächst im Hintergrund. Bald jedoch wurde er offiziell in den Rang des Großwesirs, also des obersten Wesirs, erho­ben. Damit war damit de facto der verlängerte Arm des Emirs, der viele Entscheidungen im Namen des Herrschers traf. Zwar hatte Menuril mit der Erforschung der aus dem Lot geratenen Kraftlinien des Rieslands bereits begonnen, doch einstweilen gab er der Politik den Vorzug. Wenn sein Vorhaben erfolgreich verlaufen sollte, benötigte er politische Stabilität, weitgehenden Handlungsspiel­raum und gewaltige finanzielle Mittel. Ribukan, noch immer reich an edlen Metallen und Edelsteinen, entwickelte sich durch Menurils Wirken zum Knotenpunkt verschiedener Han­delsrouten. Der Handel zwischen den Jominischen Inseln und dem rakshazarischen Festland wurde von nun an fast ausschließlich über den Stadtstaat abgewickelt. Dies bedeutet, dass auch alle aventurischen Waren, die über Unlon erworben worden waren, zunächst Ribukan passierten. Die besten und wertvollsten von ihnen behielten Ribukans Einwohner für sich, an den übrigen verdienten sie kräftig mit. Einen Teil der Gewinne setzte Menuril ein, die Truppen der Stadt aufzustocken. Dadurch konnte er aufkeimenden Widerstand rasch niederschlagen, ohne das Diamantene Sultanat um Hilfe bitten zu müssen. Allerdings ließen die Konflikte zwischen dem Palast des Emirs und den Einwohnern der Stadt im gleichen Maße nach, in dem die Stadt an Prosperität gewann. Menuril sorgte dafür, dass die Bürger am neu erworbenen Reichtum partizipierten, wodurch sich die einstige Konfliktsituation auflöste. Die Soldaten behielt er trotzdem unter Waffen. Die Präsenz eigener Truppen verschaffte Ribukan die Möglichkeit, vergleichsweise autark aufzutreten, obschon sich der Stadtstaat hütete, sich vom Diamantenen Sultanat loszusagen.

So bedeutsam Menurils Beitrag zur Entwicklung des Stadtstaats auch sein mag, so wenig kannte man seinen Urheber in der Öffentlichkeit. Wenn die Menschen den Großwesir zu Gesicht bekamen, dann als hochgewachsene, weiß verhüllte Gestalt. Für die Umsetzung seiner Befehle entsandte er Untergebene – niedere Verwaltungsbeamte oder Diener. Anders sah es in den Kreisen des ribukanischen Adels aus, wo der Großwesir ein- und ausging. In den ersten Jahren nach seiner Ankunft hatten viele der Adligen den fremden Emporkömmling erbittert bekämpft und doch dabei zusehen müssen, wie er an ihnen vorbeizog und seinen Platz an der Füh­rungs­spitze Ribukans einnahm. Inzwischen wagte es niemand mehr, sich dem mäch­ti­gen Großwesir zu widersetzen. Mehr noch. Die meisten Adligen hatten ihn als fähigen Politiker und Staats­beamten, mächtigen Zauberkundigen und weisen Ratgeber kennen­ge­lernt. Sich gegen ihn zu stellen brachte ihnen keine Vorteile. Ihn sich gewogen zu halten, ihn bei Pro­blemen zu konsultieren und sich von ihm beraten war die deutlich bessere Wahl.

Menuril erkannte dies als Gelegenheit, sich eine eigene Anhängerschaft aufzubauen, und unterstützte die, die ihn um Hilfe ersuchten, großzügig, mit seiner Weisheit, mit Magie und finanziellen Mitteln. Gegenüber den Zauberkundigen Ribukans sprach er recht freimütig von den Kraftlinien Rakshazars, die durch den Kataklysmus aus dem Gleichgewicht geraten seien. Allerdings nannte er sie nicht Kraftlinien, sondern wählte eine Metapher, das „Goldene Netz“. Der Großwesir malte in blumigen Worten einen Kontinent mit blühenden Landschaften, die entstehen würden, sobald das Gleichgewicht des verfluchten Kontinents wiederhergestellt sei. Dann könne jedermann wieder ohne Gefahr Magie ausüben, das Land werde erblühen und die Zeit der Finsternis werde enden. Für die Zauberkundigen Ribukans wurden diese Worte bald zur frohen Botschaft, die davon kündete, dass sie den Kontinent allein beherr­schen würden. Sie mussten nur dafür sorgen, dass die verheerenden Wirkungen der Kritischen Essenz sie nicht mehr an der Ausübung ihrer magischen Kräfte hinderte.

 

Der Esoterische Orden des Goldenen Netzes

Im Laufe der Jahre gewann diese Botschaft quasireligiösen Charakter, und Menuril wurde zum Hoffnungsträger und Heilsbringer verklärt, der weit über die Grenzen Ribukans hinaus verehrt wurde und in den sanskitarischen Städten mehr und mehr Anhänger fand. Man kannte ihn in Yal-Kharibet und Yal-Mordai, die meisten Verehrer jedoch fand er im fernen Shahana, dessen Einwohner für die Botschaft von Freiheit und Macht besonders empfänglich waren. Dort, wo man ihn persönlich gar nicht kannte, blieb reichlich Raum für die Ausbildung von blumigen Legenden und phantasievoller Märchen, die aus der weißgekleideten Gestalt bald einen Sohn der Götter machten. Damit kamen die Einwohner Shahanas der Wahrheit ziemlich nahe, ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, mit wem sie es wirklich zu tun hatten.

Schließlich bildete sich in Shahana ein magischer Zirkel heraus, der auf den Lehren Menurils beruhte, der Esoterische Orden des Goldenen Netzes. Die Zauberkundigen, die sich ihm anschlossen, hatten eine ungefähre Vorstellung vom Wesen der Kraftlinien, doch wie sie sie wieder ins Gleichgewicht bringen konnten blieb schiere Spekulation, die beinahe täglich um neue, mehr und mehr ins Phantastische abgleitende Theorien ergänzt wurde. Inzwischen widmeten auch Menuril und Merclador einen Großteil ihrer Zeit der Erforschung der raksha­zarischen Kraftlinien und mussten zu ihrer Ernüchterung feststellen, dass diese so nachhaltig beschädigt waren, dass sie auch ihren hoffnungsvollsten Ansätzen trotzten. Als ihre Forschun­gen in eine Sackgasse gelangten, schlug Menuril dem Drachendämon vor, ihren alten Schulkameraden Fran ins Boot zu holen, aus dem ja ebenfalls ein machtvoller Zauber­kundiger geworden war. Da auch Merclador die Ideen ausgegangen waren, willigte er schließlich ein, obwohl das Einbeziehen des Horas in seine Pläne auf vielfache Weise riskant erschien.

 

Fran-Horas im Riesland

609 v. BF erschuf Menuril in seinem Domizil im Emirspalast eine Dunkle Pforte, die eine direkte Verbindung zwischen Ribukan und Fasar etablierte, sodass nun eine schnelle Reisemöglichkeit zwischen Ribukan, Fasar, Puninum, Cuslicum und Bosparan bestand. Fran-Horas rea­gier­te erfreut, als seine alten Freunde aus Akademietagen in seiner Hauptstadt Bosparan erschienen, schließlich hatte er sie seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Er ließ sich rasch überreden, dem Riesland einen Besuch abzustatten und zu versuchen, den beiden bei ihrem Problem behilflich zu sein. Nachdem der Horas begriffen hatte, an welchen Punkten die Forschungen seiner Freunde in der Sackgasse steckten, erkundigte er sich bei Menuril, ob in den Ruinen jener uralten, zerstörten Stadt, auf denen Ribukan erbaut worden war, Folian­ten gefunden worden seien. Als Menuril dies bejahte, ließ Fran sich jeden einzelnen von ihnen vorlegen. Während die Sammlung zusammengestellt wurde, bereiste Fran-Horas über die Dunkle Pforte die Akademie zu Puninum und ließ sich dort alle verfügbaren Artefakte aus­­händigen, die alte Schriften übersetzen konnten. Dann kehrte er nach Ribukan zurück und durchforstete die Werke nach Hinweisen, wie das Kraftliniennetz des Rieslands vor dem Kometeneinschlag ausgesehen hatte.

Es dauerte mehrere Wochen, bis er die entscheidenden Ausführungen fand. Anscheinend hatte die riesländische Hauptstadt Marhynia auf einem mächtigen Nodix gestanden, an dem sich nicht weniger als dreizehn der bedeutendsten Kraftlinien des Rieslands gekreuzt hatten. Er übertraf damit sogar die Dämonenzitadelle an Bedeutung, an der sich mit der Zwölf­saitigen Götterharfe nur zwölf machtvolle Kraftlinien vereinigten. Es hieß, die stärkste der Kraftlinien habe die Dämonenzitadelle und Marhynia miteinander verbunden und dabei einen ebenfalls bedeutenden Nodix passiert, den, auf dem einst die Hochelfenstadt Callastir gestanden hatte. Die Kraftlinie reichte somit von Marhynia bis an den Rand des Rieslands. Es ließ sich unschwer ausrechnen, dass dies bei den anderen Kraftlinien nicht anders gewesen war. Sie hatten bei der einstigen Metropole Rakshazars ihren Ausgangspunkt genommen und sich dann bis zum Rand des Kontinents erstreckt, gegebenenfalls sogar darüber hinaus. Das Gleichgewicht der Kraftlinien des Kontinents war aus ihrer Verbindung über diesen zentralen Nodix erwachsen – in Aventurien, wo die Kraftlinien eher dezentral miteinander verknüpft waren, gab es nichts Vergleichbares.

Stellt man sich den Nodix als einen mächtigen Knoten vor, der zwölf straff gespannte Taue miteinander verbindet, kann man in etwa ermessen, welche Wirkung der Kometeneinschlag hatte. Der Knoten wurde nicht nur durchtrennt, sondern völlig zerstört, die Taue waren plötzlich nicht mehr verbun­den, sondern wiesen je ein loses Ende auf. Bedingt durch die Spannung, der sie zuvor ausgesetzt gewesen waren, begannen diese Enden wild hin und her zu springen. Dies war der Grund, warum der Kometeneinschlag das rakshazarische Kraftliniennetz so nachhaltig und weitläufig beschädi­gen konnte. Die Kraftlinien hatten keinen festen Verlauf mehr, sondern wechselten ständig Ort und Richtung. Sie wurden nur noch durch die Verknüpfungen an den geringeren Nodices notdürftig zusammengehalten, die aber teilweise ebenfalls brüchig wurden oder sogar ganz rissen. Dabei peitschten die außer Kontrolle geratenen Kraftlinien die Ströme an Astralkraft auf, welche sich in einem intakten Kraftliniensystem normalerweise gleichmäßig verteilen. Es konnte also überall und jederzeit passieren, dass sich zu viel Astralkraft auf zu engem Raum sammelte. Es bedurfte dann nur noch einer Initialzündung wie einem inmitten dieser Ansammlung gewirkten Zauber, um eine Kettenreaktion auszulösen, welche die Zauberkun­di­gen das „Überschreiten der Kritischen Essenz“ nannten.

 

Reise nach Marhynia

Fran regte eine Reise ins nördliche Rakshazar an. Bisher waren ihre Bemühungen vor allem magietheoretischer Natur gewesen, doch Fran hatte längst gelernt, dass sich magische Ge­heim­nisse am besten vor ihrem kulturellen und historischen Kontext erforschen ließen. Wenn er einem Mysterium auf die Spur kam, reiste er zum Ort seines Ursprungs und versuchte der Sache direkt vor Ort auf den Grund zu gehen. Das war meist weitaus erfolg­versprechender als rein theoretische Erwägungen. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass die durch Fran-Horas gegründete Akademie der Hohen Magie zu Punin geradezu das Musterbeispiel einer Zauberschule ist, die es genau umgekehrt hält und eher magietheore­tische Grundlagenforschung betreibt, als sich ins offene Feld zu begeben.

Es galt jenen Ort aufzusuchen, an dem die Zerstörung des Gleichgewichts der rakshazari­schen Kraftlinien seinen Ausgang genommen hatte. Den Standort der alten Hauptstadt Mar­hynia, Einschlagsort des Kometen Kataklys, das Lavameer. Fran wollte zu diesem Zweck bosparanische Reiseartefakte organisieren, aber Merclador winkte ab und eröffnete dem verblüfften Horas, dass er sich in einen Drachen verwandeln könne. Menuril und Fran sollten auf seinem Rücken Platz nehmen, so werde die Reise am schnellsten und sichersten zu bewerkstelligen sein.

Tatsächlich war die weite Reise auf Mercladors Rücken eine Sache von wenigen Tagen. Nachdem die drei Zauberkundigen das Lavameer erreicht hatten, überflogen sie stundenlang eine Landschaft, die aus nichts bestand als flüssigem Feuer, auf dem sporadisch kleine schwimmende Inseln aus erkaltetem Magma trieben. Bald schon fiel ihnen der Himmel über dem Lavasee auf, der ständig von dicken schwarzen Wolken verhüllt war, die vom glühenden Magma rötlich angestrahlt wurden. Die Wolken bildeten einen gigantischen, kreisrunden Wirbel über dem Meer, dessen Zentrum wie ein schwarzes Loch im Himmel direkt über der zentralen Insel schwebte, wo sich die Klosteranlage der Brokthar befand.

Die unglaublichen, chaotischen Kräfte, die das Land verheeren, waren hier am deutlichsten zu spüren. Immer wieder kam es ohne Vorwarnung zu den seltsamsten magischen Anomalien, und selbst die drei Besucher, die zu den mächtigsten Zauberwirkern Deres zählten, wurden von den ungeordneten magischen Strukturen beeinflusst. Es fiel ihnen dennoch nicht schwer, den Wirbel als offene Wunde zu erkennen. Sumus Leib war an dieser Stelle aufgerissen worden, und es hatte sich eine direkte und dauerhafte Verbindung zum Limbus gebildet. Immer wieder schwappten die magischen Ströme, welche von den vibrierenden Kraftlinien umher­ge­trieben wurden, in den Wirbel hinein und verschwanden dort auf Nimmerwiedersehen. Umgekehrt wurden durch das Schwarze Loch ungenannte limbische Schrecken ins Freie befördert, die das beschädigte System in permanentem Aufruhr hielten. Es war offensicht­lich, dass jeder Versuch, das Gleichgewicht des Kraftliniennetzes wiederherzustellen, hier ansetzen musste. Es war nötig, den Riss in den Limbus zu versiegeln, damit sich die Kraftlinien beruhigen konnten und nicht mehr in ständiger Bewegung gehalten wurden. Erst danach konnte man daran gehen, sie erneut zu verknüpfen. Am besten auf eine weniger zentralisierte und damit störanfällige Weise, als sie es vor dem Kataklysmus gewesen waren.

 

Dämon on the rocks

Auf dem Weg zurück nach Ribukan war Menuril überraschend schweigsam. Zu Frans Über­raschung forderte der Wesir ihn auf, nach Aventurien zurückzukehren und sich eine Weile nicht im Riesland sehen zu lassen. Der Horas versuchte die Gründe für Menurils Verhalten zu erkunden, doch der Magier verweigerte ihm jede Auskunft. Enttäuscht tat Fran, was sein Freund von ihm verlangte. Menuril zog sich in seine Gemächer zurück, befahl seinen Wachen, niemanden zu ihm zu lassen. Dann wob er einen machtvollen Zauber, der ein Lebewesen zu Eis gefrieren konnte, und legte ihn in ein Artefakt, eine Kugel aus Bergkristall. Anschließend begab er sich zu Merclador, und ehe der noch begriff, was Menuril tat, wirkte dieser bereits den Zauber gegen ihn. Der Flug über das Lavameer hatte die verborgenen Erinnerungen des Alveraniars des Verbotenen Wissens erweckt. Er wusste nun, was und wer er war, und er hatte auch Merclador erkannt, den Diener seines Feindes Amazeroth, der seit Äonen versuchte, ihn in die Dienste seines dunklen Herrn zu zwingen.

Nachdem der Dämon vollkommen im Eis eingeschlossen war, ließ Menuril den Eisblock von Ribukan fortbringen und im Nebelmeer versenken. Er wusste, dass er Merclador nicht auf ewig würde einsperren können, aber doch für einige Jahrzehnte. Vielleicht lange genug, dass er ihn in dieser Inkarnation nicht mehr behelligte. Dass es Amazeroths Diener war, der ihn auf die Erforschung der riesländischen Kraftlinien aufmerksam gemacht hatte, stellte das gesamte Ziel in Frage, und dass ihm nun die Unterstützung Mercladors und Frans fehlte, ließ es nahezu aussichtslos erscheinen, seine Forschungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Menuril grübelte mehrere Jahre lang, ob er das Projekt nicht einstellen und andere Ziele verfolgen sollte, doch immer wieder kehrten seine Gedanken zu der Frage nach den Kraftlinien zurück, und schließlich nahm er den Faden wieder auf.

 

Gargym und Gargylen

Inzwischen schrieb man das Jahr 598 v. BF. Fran hatte die Stadt Wehrheim als Gegengewicht zu Gareth gegründet, die Zyklopeninseln unterworfen, die sich aufgrund der Wiedereinführung der Sklaverei für autonom erklärt hatten, den Süden Aventuriens bereist und dabei einen Abstecher nach Elem unternommen, wo er in einem Ssad’Hvar-Tempel einen hühnereigroßen Diamanten entdeckt hatte. Es war ihm gelungen, seine Seele in diesen Stein zu versetzen und damit seinen Leib unsterblich und annähernd unverletzlich zu machen. Von den wenigen Eingeweihten wurde der Diamant seither Fran-Horas‘ Kristallherz genannt.

Nunmehr nahm Menuril erneut Kontakt zu ihm auf. Fran reagierte zunächst eisig, aber der Magier eröffnete ihm die Wahrheit, oder jedenfalls einen Teil davon. Er habe während des Fluges über das Lavameer Merclador als Verräter erkannt, als Dämon, der in den Diensten Amazeroths stehe. Er habe daraufhin Fran zu dessen eigenen Schutz fortschicken müssen. Ohne Sorge um den Freund hätte er die erforderlichen Schritte einleiten können, den Feind zu überwältigen. Danach habe er sich lange die Frage gestellt, ob es noch Sinn ergebe, die Kraftlinien des Rieslands zu erforschen, schließlich stammte die Idee dazu von Merclador. Letztendlich habe er sich aber doch entschlossen, das Projekt wiederaufzunehmen.

So kam es, dass Menuril und Fran sich erneut der Erforschung der riesländischen Kraftlinien widmeten. Doch fanden sie trotz aller Bemühungen keine Antwort auf die Frage, wie sie den Wirbel über dem Lavameer schließen konnten. Die beiden Magier nahmen Kontakt mit den Gargym auf, die als Hüter uralten Wissens galten. Doch lehnten diese es ab, ihr Wissen mit den Zauberkundigen zu teilen. Fran schlug vor, es ihnen mit Gewalt zu entreißen, doch Menuril wies dieses Ansinnen zurück. Das Risiko erschien ihm zu groß. Die Wesenheiten, die steinernen Wasserspeiern ähnelten, wie man sie an Brunnen oder Häusern anbrachte, waren aufgrund ihrer hohen Magieresistenz nur schwer zu beherrschen, und man wusste wenig über sie, nicht, woher sie genau kamen, nicht, wo sie ihr geheimes Wissen aufbewahrten, nicht einmal, wie viele von ihnen es gab. Sich ihre Feindschaft zuzuziehen würde vermutlich mehr Probleme bereiten als lösen.

Die Begegnung mit den Gargym ließ den Kaiser nicht mehr los. Er wollte eine solche Kreatur besitzen, aber sie sollte kein unwilliger Verbündeter sein oder gar eine Gefahr für ihn bedeuten, sondern ihm als widerstandsfähiger und loyaler Diener zur Seite stehen, der auch unter widrigen Bedingungen seinen Auftrag erfüllen konnte. Fran wusste, dass es in Aventurien ganz ähnliche Kreaturen gab. Sein Vater hatte von ihnen erzählt. Sie waren im verhassten Gareth zu finden und den bosparanischen Truppen während der Belagerung der Stadt mehrfach begegnet. Offenbar riefen die Garether sie Gagolschwingen, benannt nach ihrem Ahnherrn oder Anführer, der auf den Namen Gagol hörte. Man munkelte, sie seien Feenwesen oder würden zumindest aus einem Feenreich stammen. Fran vermutete eine Verwandtschaft zwischen ihnen und den Gargym. Da es in Rakshazar hieß, dass die Gargym bereits seit Äonen dort leben, war eine Abstammung der Gagolschwingen von den Gargym wahrscheinlicher als umgekehrt. Womöglich hatten vor langer Zeit einige Gargym den West­kontinent bereist und schlussendlich in einer Feenglobule eine neue Heimat gefunden.

597 v. BF erging Frans Befehl, im Gebiet der Praefectur Vadocia (heutiger Kosch) eine große Anlage zu errichten, die der vertiefenden Erkundung und Erforschung heptasphaeri­scher Wesenheiten dienen sollte. Nach Errichtung der Anlage befahl er seinen Soldaten, in Gareth einige der Gagolschwingen gefangen zu setzen und sie in den Hortus Gloriae Franianis zu bringen. Da es weder Fran selbst noch seinen Untergebenen gelang, die Hellsichtresistenz der Kreaturen zu durchbrechen, blieb nur, sie zu kopieren, ohne ihre wahre Natur verstanden zu haben. Die Versuche, Granitstatuen mit unheiligem Leben zu erfüllen und so die Gagol­schwingen zu kopieren, sollte schließlich gelingen, doch hatten diese frühen Formen der heutigen Golemschwingen zunächst nur eine kurze Lebenszeit, bis sie wieder erstarrten.

 

Der Angriff auf die Nagah

Menuril hatte unterdessen andere Probleme und fasste einen alternativen, kaum minder waghalsigen Plan. In der unmittelbaren Nachbarschaft Ribukans lag die Hauptstadt der Nagah, Angankor. Dort, wo sich Jahrhunderte später die Schwarze Pagode erheben sollte, befand sich ein uraltes Heiligtum der H’Stsiva, in dem eines der größten Archive des Kontinents verwahrt wurde. Sollte sich irgendwo ein Hinweis finden, wie die Aufgabe, die sich der Alveraniar des Verbotenen Wissens gestellt hatte, zu bewerkstelligen sein könnte, dann dort.

Menuril versuchte es zunächst auf diplomatischem Wege. Die Einwohner Ribukans und die Nagah standen traditionell auf gutem Fuß, und so waren die Schlangenleibigen nicht vollkommen abgeneigt, dem Wesir Zugang zu den Archiven zu verschaffen. Jedoch konnte bzw. wollte dieser nicht genau erklären, was er dort suchte, und das stimmte die Nagah skeptisch, die das alte Wissen nicht ohne Grund sorgfältig unter Verschluss hielten. Den eigentlichen Grund, warum sie Menurils Ansinnen schließlich ablehnten, lieferte jedoch Sza’Ne’Szal, Hohepriester der H’Stsiva und rechte Hand der Ssizitay, oberste H’Stsiva­prie­sterin und Hüterin des Enigranums, des selbstschreibenden Buches, des heiligsten Artefakts der Göttin also. Er, Inkarnation des Alveraniars des Verborgenen Wissens, wusste um die Identität Menurils und seine Absichten und legte deshalb bezüglich dessen Ansinnen sein Veto ein. Zwar schienen die Pläne seines dunklen Zwillings diesmal edler zu sein als in anderen Inkarnationen, doch hätte die Wiederherstellung des rakshazarischen Kraftlinien­netzes vor allem einem in die Hände gespielt: dem Gott ohne Namen. Wenn Zauberkundige wieder eine wirkliche Macht im Riesland darstellten, hätte der Widersacher sich gewiss sofort daranbegeben, sich überall im Riesland Magiewirker aller Coleur untertan zu machen und mit ihrer Hilfe seine Herrschaft zu erneuern. Womöglich würde sogar der Orden der Scherbenmagier eine Renaissance erleben, was nicht weniger bedeutet hätte als die Gefahr des Entstehens eines dritten Marhynianischen Imperiums.

Nunmehr versuchte Menuril, mit Hilfe seiner magischen Kräfte in die Archive einzudringen, was ihm ohne Sza’Ne’Szal zweifelsfrei gelungen wäre. So jedoch wurde er von den Nagah aufgegriffen und vor seinen „Zwillingsbruder“ geschleift, den er sogleich erkannte. Der Alverniar des Verborgenen Wissens verzichtete darauf, Menuril einsperren zu lassen. Er wusste, dass er ihn ohnehin nicht würde halten können. Aber er machte deutlich, dass er die Archive um jeden Preis vor unbefugtem Zugriff schützen werde. Damit blieb Menuril nur noch eine Option. Innerhalb der nächsten zwei Jahre sorgte er für schwere diplomatische Verstimmungen zwischen Ribukan und Angankor, bis sich der Emir gezwungen sah, zum Krieg zu rüsten.

Fran entschloss sich, den bevorstehenden Kampf mit eigenen Truppen zu unterstützen, auch wenn ihre Zahl zwangsläufig begrenzt blieb. Ihm stand nur die Dunkle Pforte zur Verfügung, um seine Frauen und Männer ins Riesland zu schaffen, und abgesehen von dem magischen Aufwand, große Lasten durch den Limbus zu jagen, musste er zwangsläufig die Akademie im tulamidischen Fasar passieren, und die war unter Garantie wenig begeistert davon, größere bosparanische Truppenbewegungen über das Territorium des Diamantenen Sultanats abzuwickeln. Hinzu kam die Gefahr durch die selbsternannten Wächter des Limbus, die Menacoriten. So schleuste der Horas seine Frauen und Männer in größter Heimlichkeit durch das Portal, stets die Stunden ausnutzend, in denen dieses von den Fasarer Magiern nicht verwendet wurde.

Schließlich rückten Frans Truppen gemeinsam mit den ribukanische Verbündeten gegen Angankor vor. Doch sie konnten die Verteidigungsanlagen der Stadt nicht überwinden, und so kam es zu einer monatelangen Belagerung der Nagahstadt. Fran beschloss, dass es an der Zeit sei, seine magische Macht zu mehren. Also bediente er sich der Zauberkraft des Drachen Abbadihr.

Der Abbadihr war einst ein Riesenlindwurm und früherer Diener Pyrdacors. Den Beinamen „Wurm von Chababien“ hatten ihm die Menschen gegeben. Es hieß, dass der Drache vor langer Zeit durch den Rondraheiligen ”Geron der Einhändige“ am Einsamen See mit fünf Hieben des Schwertes Siebenstreich erschlagen worden sein soll. Sein Karfunkel wurde später als „Aarenstein“ bekannt. Saya di Zeforika versuchte ihn 1019 BF an sich zu bringen. Im Folgejahr erschuf sie mit Borbarads Hilfe um das untote Herz des Drachen herum einen Zauberleib. Shafir der Prächtige vernichtete diesen schließlich. Zunächst aber arbeiteten die Menschen den Stein, welcher in zwei Hälften geteilt wurde, in das linke und rechte Szepter der Herrschaft des bosparanischen Reiches ein.

Als Kaiser war Fran-Horas traditionell das Oberhaupt der Praioskirche. Als überaus begabter Magier ließ er sich 595 v. BF den Titel des Magus Maximus verleihen und galt seither als mächtigster Magier seiner Zeit. Damit wurde er der einzige Mensch der aventurischen Geschichte, der die drei höchsten Titel auf sich vereinte. Ihm wurden die beiden Szepter der Herrschaft in die Hände gegeben. Fran, der sehr wohl wusste, dass in ihnen der Geist des Wurms von Chababien schlummerte, vereinte die beiden Szepter dennoch, erweckte damit den Drachengeist, zwang ihm seinen Willen auf und vervielfachte auf diese Weise seine Macht. Doch nach und nach verseuchte das finstere Wesen sein ohnehin vor Trauer und Hass schwelendes Herz und trieb ihn damit in den Untergang.

Mit Hilfe der Drachenmagie, die Fran sich nunmehr nutzbar machte, gelang es Menurils Truppen, nach Angankor vorzustoßen. Doch die Nagah, geführt von Sza’Ne’Szal, verteidigten ihre Metropole wildentschlossen und kämpften erbittert um jedes Haus. Als Fran einen Treffer erlitt, der ihn hätte töten müssen, wurde Menuril seiner Unverwundbarkeit gewahr. Der Alverniar des Verbotenen Wissens bedrängte ihn, sein Geheimnis zu offenbaren. Fran, der eigentlich hatte schweigen wollen, ließ sich schließlich dazu hinreißen, seinem Freund von dem Kristallherz zu erzählen, und weckte damit die Gier des Alveraniars. So etwas musste er unbedingt besitzen. Wenn nicht in dieser, dann in einer späteren Inkarnation. Schließlich wendete sich gar das Blatt, und die ribukanisch-bosparanischen Truppen wurden rund fünfhundert Schritt vor Erreichen des Heiligtums von ihren Feinden eingekesselt und Stück für Stück dezimiert.

Da entschloss sich der Schattenlord Gorgafan zum Eingreifen. Er beobachtete noch immer sehr genau, was Menuril und Fran taten, und er hatte begriffen, dass ein Wiederherstellen des Gleichgewichts der Kraftlinien seinem Herrn seine Macht über den Kontinent zurück­bringen konnte. Mit Hilfe seines Artefakts aus Schattenstein, das ihn als Schattenlord aus­wies, rief er die Schatten von Ongrapur herbei, damit sie auf Seiten der Angreifer intervenierten. Und die kamen und hielten und den Nagah blutige Ernte. Bald schon konnten Menurils Truppen den Kessel durchbrechen und weiter auf die Tempelanlage vorrücken. Doch Sza’Ne’Szal hatte Gorgafan entdeckt, der wie üblich auf Asgathor ritt. Der Alverniar des Verborgenen Wissens drang mit aller Macht, die ihm noch blieb, auf den Diener des Namen­losen ein und schaffte es, ihn so schwer zu verwunden, dass der tonnenschwere Troll von seinem Reitdrachen herunterkippte und sogar zeitweilig die Kontrolle über dessen Geist verlor. Der Drachenlord brach sich beim Aufprall eine Reihe von Knochen und verlor eine Weile das Bewusstsein. Damit waren die Schatten frei, und sie wandten sich nun willkürlich gegen jeden, der ihnen im Weg stand, Nagah, Ribukaner, Bosparaner.

Ohne seine Drachenmagie hätte nur noch sein Kristallherz Frans Leben retten können, und vermutlich wäre er in Gefangenschaft geraten. So indes gelang ihm mit knapper Not die Flucht. Als Gorgafan aus seiner Ohnmacht erwachte, war Angankor von Leichen übersät. Die Nagah hatten fast die Hälfte ihrer Truppen verloren, für die Ribukaner fiel die Bilanz noch verheerender aus. Kein einziger Bosparaner war mehr am Leben. Von Menuril und Sza’Ne’Szal fehlte jede Spur, und sie wurden nie wieder im Riesland gesehen. Eiligst gebot Gorgafan den Schatten Einhalt, schickte sie nach Ongrapur zurück, zwang Asgathor erneut seinen Willen auf und trat den Rückzug an. Die ribukanischen Truppen taten es ihm gleich. Der Streit zwischen Ribukan und Angankor währte noch einige Monate und wurde dann auf diplomatischem Wege durch Abschluss eines lukrativen Handelsabkommens zwischen den Städten beigelegt.

Fran indes wusste nun von den Schatten und von dem Troll, der sie gerufen hatte, auch wenn er seinen Namen nicht kannte und nicht einmal im mindesten ahnte, dass er den Mörder seines Vaters gefunden hatte. Er beschloss, den Emir von Ribukan vor der Gefahr zu warnen, und erfuhr auf diese Weise, dass die Schatten bereits zuvor im Riesland erschienen waren. Wo sie auftauchen, richteten sie verheerende Schäden an. Man vermutete, sie seien Geschöpfe des Widersachers, doch Fran wusste es besser. Er hatte den Troll gesehen, der sie gerufen hatte. Sie hatten sich seinem Willen unterworfen, bis er diesen aufgrund seiner Ohnmacht nicht mehr ausüben konnte, erst danach hatten sie aus freiem Antrieb gehandelt. Es mochte sein, dass der Namenlose involviert war, aber dann dergestalt, dass seine Diener in der Lage waren, die Schatten zu beherrschen.

 

Die Akademie der Schatten

Erneut stiftete Fran-Horas eine Zauberschule, die Akademie der Schatten zu Ribukan. Auch wenn Menuril verschwunden war, blieb der Horas mit dem Emir in Kontakt und stattete die Akademie mit großzügigen Mitteln aus. Ihre Schwerpunkte wurden die Obskuromantie, im Bosparano auch Magica opacitatis genannt, also die magische Veränderung von Schatten, und die Antimagie. Dadurch hatte Fran sichergestellt, dass sie sich sowohl für die Frage nach der Wiederherstellung der ries­ländischen Kraftlinien interessieren würde als auch für die Verteidigung gegen Wesenheiten wie die Schatten. Aber es bildete sich auch bald eine eigene Fakultät für Anatomie heraus, da die Magier vermuteten, dass profunde Kenntnisse über den Körper der verschiedenen Völker ihnen dabei helfen würden, die Wirkungsweise der magischen Flüsse besser zu verstehen. In späteren Jahrhunderten stellte sich die anatomische Fakultät breiter auf, indem sie sich allem widmete, was mit dem menschlichen Körper (und dem der Angehörigen anderer Spezies) zu tun hatte, darunter auch Heilung und Verwandlung. Die Akademie der Schatten sollte zur Keimzelle für die spätere Magokratie von Ribukan werden, die schließlich mehr als ein Jahrtausend später einen Salpikon Savertin hervorbrachte, welcher ironischerweise in die Opposition der letzten Inkarnation des Alveraniars des Verbotenen Wissens geriet. Dass Savertin auf aventurischem Boden den Bund der Schatten gründete, kann unter dieser Prämisse schwerlich überraschen, und ebenso wenig, dass man sich auch dort der Obskuromantie zuwandte.

Fran verlangte als Gegenleistung für die Gelder, die er stiftete, ein Forschungsprojekt, das die Heimat der Schatten ausfindig machen sollte. Die Angst begleitete Fran-Horas von nun an. Er befürchtete, der Widersacher könnte sie eines Tages herbeirufen, um die Städte des Bosparanischen Reiches zu verheeren und die Menschen zu versklaven.

Gleichermaßen der Heimlichkeit und der Schattenmacht verpflichtet, lässt sich im Laufe der Geschichte immer wieder heimliche Kooperation zwischen der Akademie der Schatten und den geheimen Logen der riesländischen Schattenkrieger ausmachen, obschon gerade die Magokratie Ribukans nur allzu gern den Schulterschluss mit den echsischen Nagah suchte, den erklärten Feinden der Schattenkrieger.

 

Der Orden der Sternschatten

Zu den Gründermüttern und -vätern der Akademie der Schatten zählen auch Angehörige des geheimnisumwitterten Ordens der Sternschatten. Bei diesen handelt es sich um die Magier des Fuchsgottes, von denen es heißt, sie würden im Namen des Phex töten und gegen seine Feinde vorgehen, darunter die Paktierer und Dämonen Tasfarelels. Angeblich ist der Orden bereits zu Zeiten Bastrabuns auf aventurischem Boden gegründet worden, um im Namen des Feqz gegen magiebegabte Echsenwesen vorzugehen, die furchtbarsten Gegner der Urtulamiden jener Tage. Als sein Gründer wird Kirbez al-Fenneq genannt, der ein erfolgreicher Streiter gegen den geschuppten Feind gewesen sein soll. Zu Zeiten der Schattenlande hat ihm ein Paktierer aus Xeeranien unterstellt, seinerseits eine Halbechse gewesen zu sein, Kirbez al-Achaz, und auch die Sternschatten bezichtigt, Phex als Echsengott zu verehren, was wohl borbaradianischem Wahnsinn und ebensolcher Propaganda geschuldet sein dürfte. Einflussreich war außerdem Jirtan Orbas, der 795 BF die Macht in Phexcaer an sich riss. Gerüchten zufolge soll der Orden an der Beseitigung Fran-Horas’ beteiligt gewesen sein, und es ist nicht einmal unwahrscheinlich, dass es schlussendlich Angehörige der von ihm selbst gestifteten Magierakademie Ribukans waren, die sich angesichts des fortdauernden Missbrauchs seiner Kräfte während der Dämonenschlacht gegen den Dämonenkaiser wandten.

 

Hetmann Olvir

Im Jahre 595 v. BF entdeckte erstmals eine Expedition aus Thorwal das Eherne Schwert, ohne es jedoch in Richtung Riesland zu überqueren. Hetmann Olvir war der erste Hjaldingerstämmige, der aus der Brecheisbucht zurückkehrte. Zusätzlich zum Ehernen Schwert fand er auch die Letta-Mündung und zählt damit zu den bedeutenden Entdeckern der Nordleute.

 

Ongrapur

589 v. BF vermeldeten die Zauberkundigen Ribukans den Erfolg ihrer Bemühungen, die Schatten ausfindig zu machen. Offenbar kamen die sonderbaren Kreaturen von einer Insel im Unbezwingbaren Ozean, näher an Frans aventurischer Heimat gelegen als am Riesland.

In seiner Funktion als Oberhaupt der Praioskirche rief Fran einen Rat von hohen Priestern aus allen Teilen des Landes nach Bosparan, um zu beratschla­gen, wie der Bedrohung zu begegnen sei. Die Kirchen waren sich einig, dass man nicht riskie­ren durfte, unvorbereitet auf einen Invasor aus dem Osten zu treffen, und so beschlossen die Priester des Praios, des Shinxir, des Boron und der Hesinde, eine Expedition auszurüsten, welche die Heimat der Schatten ausfindig machen und die Bedrohung eliminieren sollte. Dann wollte man in der Nähe einen Vorposten errichten, um die Bewegungen potenzieller Feinde zu beobachten, auf dass Bosparan rechtzeitig gewarnt würde.

Erstmals stießen Bosparanische Schiffe gen Osten in See und gerieten nicht selten in Konflikt mit dem Diamantenen Sultanat, welches das Perlenmeer beherrschte. Es entbrannte ein regelrechter Seekrieg, bei dem die Bosparaner meist den Kürzeren zogen. Fran ließ daraufhin riesige Galeeren erbauen, die Schwimmenden Städte des Fran-Horas, die sich an der Schwimmenden Festung orientierten, die Fran während eines Besuches in Yal-Mordai gesehen hatte. Die bis zu hundert Schritt langen Meisterwerke der Schiffsbaukunst wurden von Hunderten oder gar Tausenden von Rudersklaven angetrieben. Sie waren schwerfällig und kaum zu manövrieren und dienten weniger dem Kampf als der Repräsentation und Machtdemonstration, konnten aber auch größere Truppenkontingente transportieren. Sie verfehlten ihren Zweck nicht. Der Diamantene Sultan zog es vor, nicht in Konflikt mit den Ungetümen zu geraten, und ließ die Bosparanischen Schiffe fortan unbehelligt.

Schließlich war es der Freihändler Warn Ongra, der die Insel entdeckte, nach der der Horas so verzweifelt suchen ließ. Fran befahl, auf der Insel, die nach ihrem Entdecker Ongrapur getauft wurde, eine Stadt zu errichten, und ließ zu diesem Zweck sowohl die Wälder auf der Insel abholzen als auch Baumaterial aus Aventurien zu der Insel verschiffen. Beim Abholzen der Wälder trafen die Kaiserlichen auf einen Turm aus schwarzen Steinen, der keinen Eingang zu haben schien. Die vier an der Unternehmung beteiligten Kirchen ließen je einen Tempel auf der Insel errichten, die einen Platz umrahmten, in dessen Zentrum der Turm stand. Danach errichteten die Bosparaner Wohn- und Wirtschaftsgebäude und siedelten bewafffnete Truppen mit ihren Familien, eine Priesterschaft für die Tempel und Experten für die wichtigsten Handwerke auf der Insel an.

572 v. BF besuchte Fran-Horas Ongrapur, bedankte sich bei seinen Leuten für deren Be­mü­hun­gen und ging dann daran, die Geheimnisse des Schwarzen Turms zu ergründen, den er rasch als Werk eines Dieners des Widersachers identifizierte. Mit Hilfe der Drachenmagie aus den beiden Szeptern erzwang Fran Einlass in den Turm und erkannte ihn als Einstieg in eine Globule, eine Hohlwelt ungleich Tharun, in welcher die Schatten lebten. Diese reagierten feindselig auf den Eindringling, doch der Horas wusste genug über Beschwörungsmagie, um sie in Schach zu halten. Nach und nach erfuhr der Kaiser, dass die Schatten keine bösen Absichten wider die Menschen hegten, jedoch dem Widersacher zum Gehorsam verpflichtet waren. Die Diener des Namenlosen, die den Turm einst erbauen ließen, hatten ihre ganze eigene Art entwickelt, sich der Gefolgschaft der Schatten zu versichern. Sie hatten im Giebel des Turms einen magischen Stein hinterlegt, dessen Kräfte entfesselt würden, sollte er je von dort entfernt werden. Die freiwerdende Magie würde die Globule vernichten und damit auch die Schatten. Die Artefakte, mit denen die Schattenlords die Schatten herbeiriefen, konnten die Kraft des Schwarzen Steins aus der Ferne freisetzen, ganz gleich wo der Schattenlord sich gerade aufhielt.

 

Die erste Dämonenschlacht

Obwohl die Schatten dem Kaiser gerade verraten hatten, wie sie zu vernichten seien, entschied sich Fran wider alle Vernunft dagegen und besiegelte so sein Schicksal. Der Dra­chengeist, der seinen beiden Herrschaftsszeptern innewohnte, hatte seinen Verstand verwirrt und trieb ihn zu einer falschen Entscheidung. Statt die Gefahr für das Reich zu eliminie­ren, beschloss Fran, sich die mächtigen Wesen untertan zu machen. Es war ihm ein Leichtes, die Macht des Schwarzen Steins zu ergründen und seinerseits ein Artefakt zu schaffen, das dessen Kräfte aus der Ferne entfesseln konnte. Fran-Horas stellte den Schatten in Aussicht, er werde nicht zögern, die Drohung, die sie bereits von den Dienern des Namenlosen kannten, in die Tat umzusetzen, sollten sie es jemals wagen, sich gegen das Bosparanische Reich zu wenden. Die Schatten willigten daraufhin in einen Handel ein, der besagte, dass sie den Kaiser sofort warnen würden, sollten die Schattenlords ihnen jemals befehlen, im Kaiserreich aktiv zu werden. Darüber hinaus dürfe er sie einmal zu Hilfe rufen, sollte die Lage es erfordern. Der Kaiser versicherte den Schatten, dass er darüber hinaus nichts von ihnen verlangen würde, anders als die Schattenlords, die sich nach Lust und Laune ihrer Macht bedienten.

Kaum bekannt ist, dass Fran-Horas, nachdem er Ongrapur verließ, eine Expedition ins Eherne Schwert unternahm. Er berichtet davon in den Epitomen zur kompletten Formelsammlung, die zu seinem Nachlass gehören und, 564 v. BF geraubt, ihren Weg in den Besitz der Skrechu gefunden haben. Offenbar legte der Kaiser das Zeichen der Dämonenzitadelle mit seinem Blut auf Pergament nieder, woraufhin seine Begleiter dem Irrsinn verfielen und sich und einander töteten. Der Himmel verfinsterte sich für einen Tag, obwohl das Zeichen allmählich verblasste. Womöglich hatte auch diese Reise zum Ziel, die Kontrolle über die Schatten zu erlangen. Der Horas berichtet in blumigen Worte, dass derjenige, der die Zitadelle betritt, keinen Schatten mehr benötigt und dieser sich von ihm löse. Etwas, was allerdings weder der Lichtvogelexpedition noch Pardona passiert zu sein scheint, welche gegen Ende des Elften Zeitalters die Zitadelle betraten.

Drei Jahre nach seiner Reise gen Osten, 569 v. BF, kam es zum zweiten Aufstand Gareths. Fran-Horas, der noch immer nicht ahnte, dass er dem wahren Mörder seines Vaters längst auf der Spur war, vermutete diesen nach wie vor in Gareth, verfolgte die Einwohner der Stadt mit blankem Hass und presste sie aus bis aufs Blut. Die Abgaben waren so hoch, dass den Menschen kaum etwas zum Leben blieb, doch wer nicht zahlte, dem drohte die Schuldsklaverei oder Schlimmeres. In ihrer Not stürmten einige Bürger, mit nicht viel mehr als Knüppeln, Schaufeln und Mistgabeln bewaffnet, ein Garnisonsgebäude und verjagten die Steuereintreiber und die Kaiserlichen. Inspiriert durch das Beispiel der mutigen Garether, strömten Sympathisanten aus dem gesamten Land herbei, die der blutigen Herrschaft des Fran überdrüssig waren. Darunter waren so illustre Namen wie Graf Hlûthar von Gratenfels, Träger des Schwertes Siebenstreich, Graf Hadrik Tlarun von Vadocia und der junge albernische Fürst Ardis Bragold. Entsprechend sagten sich die Fürstentümer Albernia und Nordmarken sowie die Grafschaft Kosch von Bosparan los. Fran sah sich genötigt, seine Truppen zu mobilisieren und gen Gareth in Marsch zu setzen. Als er erfuhr, dass die Garether inzwischen zahlreiche Verbündete gewonnen hatten und seine Truppen nicht reichen würden, sammelte er eine zweite Streitmacht und setzte sich selbst an deren Spitze.

568 v. BF entbrannte eine fürchterliche Schlacht, die als Erste Dämonenschlacht in die Geschichte eingehen sollte. Als Fran-Horas erkannte, dass seine Truppen zu unterliegen drohten, erinnerte er die Schatten an den Handel, den er mit ihnen geschlossen hatte. Fran rief, und die Schatten kamen. Sie huschten durch die Reihen der Gegner und mähten mit Sicheln und Klauen alles nieder, niemand konnte ihrem gnadenlosen Morden entgehen. Schließlich waren die Garether vollständig geschlagen.

Der Anführer der Schatten trat vor Fran und fragte ihn, ob der Handel zwischen ihnen damit erfüllt sei. Als Fran dies bejahte, nickte der Schatten und sprach: „Wie ihr wisst, umfasst unser Handel eine weitere Vereinbarung. Wir sollen Euch warnen, sobald uns ein Schatten­lord befiehlt, wider das Bosparanische Reich vorzugehen. Ich möchte hiermit auch diesen Teil unserer Abmachung erfüllen. Uns wurde soeben befohlen, Euch und Eure Truppen vollständig zu vernichten.

Zum Entsetzen des Horas wandten sich die schattenhaften Wesen unter den grimmigen Augen Gorgafans, der von seinem Reitdrachen Asgathor das Geschehen verfolgte, den Bosparanern zu, die das Schauspiel voller Grauen beobachtet hatten. Fran versuchte mit allen Mitteln, die Schatten aufzuhalten, doch diese hörten nicht auf seine verzweifelten Schreie und Bannformeln. Mit knapper Not konnte er selbst entkommen und mit wenigen Getreuen zurück nach Bosparan flüchten, wo er sich in seinem Palast verschanzte. Doch einer der Schatten war in seinen Körper gefahren und versuchte fortan, die Kontrolle über ihn zu bekommen. Es tobte ein fast vierjähriger Kampf zwischen Frans Seele und dem Schatten, über den der Kaiser langsam den Verstand verlor.

Im Zuge der ersten Dämonenschlacht drangen die Schatten in die Feenwelt Mandariel ein, die parallel zu Gareth existierte. Die Feen hatten sich gleichermaßen von den Elfen Simyalas wie von den menschlichen Bewohnern Gareths dazu inspirieren lassen, in ihrem Reich eine imposante Stadt inmitten eines Waldes zu errichten. Die Grenzen Mandariels wurden von Wächtern gesichert, die unter der Führung ihres mächtigen Anführers Gagol auf neun mystische Türme an Feentoren achtgaben. Von den Türmen aus konnten sie Bedrohungen erkennen, aber auch Veränderungen in der Menschenwelt beobachten. Zu­weilen verließen sie voller Neugier ihre Wacht, um Gareth einen Besuch abzustatten. Dies war auch der Fall, als die Dämonenschlacht entbrannte. Gagol selbst und viele seiner Untergebenen waren in der Stadt unterwegs, als der Kampf tobte, und kamen deshalb zu spät, um das Eindringen der Feinde in ihre Heimat zu verhindern. Als die Schatten die Grundmauern der Globule erschütterten, war es eine Hexe, die zu dieser Zeit am Hofe des Feenkönigs zu Gast war, der es gelang, Teile von Mandariel zu retten. Sie schrumpfte das Herzstück und verschloss es in einer gläsernen, murmelgroßen Kristallkugel, während weite Teil der Globule in Scherben zersplitterten und fortan Teile Gareths in der Wirklichkeit überlagerten. So entstanden die Nirgendgassen, die gleichermaßen Teil der derischen wie der feeischen Realität sind und in sich stabil und lokal gebunden wirken. Ein feines Astralgespinst hält die Trümmerstücke zusammen und wird insbesondere von der Phexkirche als Schattenpfade benutzt, die ähnlich wie die Limbuspfade der Donari, die auf ähnliche Weise entstanden sind, in Windeseile von einem Ort zum anderen führen. Gagol und seine Leute, ihrer angestammten Heimat beraubt, mussten in Gareth bleiben und wurden schließlich dort heimisch.

Der Austragungsort der Dämonenschlacht blieb verflucht. Kaum jemand traute sich dorthin, um die Leichen zu begraben und den Grabsegen zu sprechen, was niederhöllischen Umtrieben Tür und Tor öffnete. Bald schon begann an dieser Stelle ein dämonischer Wald zu wuchern, der als Dämonenbrache in die Geschichte eingehen sollte. Hlûthar war in der Schlacht gefallen, das Schwert Siebenstreich ging vorerst verloren. Erst Jahre später begaben sich einige mutige Streiter in die Brache, um es zu bergen. Neben Siebenstreich soll Hlûthar von den Nordmarken auch die Smaradlöwin getragen haben, die später zu einem der Löwinnenschwerter wurde, jene zwölf Schwerter, die einst die Gründer des Theaterordens trugen. Seine Trägerin war Lutisana von Kullbach. Heute befindet sich das Schwert im Besitz von Melcher Dragendot.

Als die Schatten nach Ongrapur zurückkehrten, töteten sie auf Gorgafans Befehl auch dort sämtliche Bewohner und kehrten dann in ihre Hohlwelt zurück. Einzig der Hohepriester der Hesinde hatte das Massaker überlebt, weil er sich in der magischen Kammer des Tempels verborgen hatte. Mit Hilfe eines Großen Wunders der Hesinde gelang es ihm, in den Schwarzen Turm einzudringen. Er brachte den Schwarzen Stein in seinen Besitz und entfernte ihn von seinem angestammten Platz. Die Hohlwelt stürzte ein, die Insel wurde in drei Teile geteilt. Die Schatten, die nicht unter den Trümmern begraben wurden und starben, kamen mit Wasser in Kontakt und versteinerten. Der Hesindegeweihte sammelte Bücher und Wert­gegenstände aus den Trümmern der Stadt und schaffte sie in den Hesindetempel, auf dass sie dort gefunden werden sollten. Danach versank er in ein langes Gebet zu seiner Göttin, bis der Tod ihn ereilte.

Das plötzliche Machtvakuum, das die Vernichtung von Frans Truppen hinterlassen hatte, sorgte für Gelegenheiten. Die Zyklopeninseln erstritten ihre Unabhängigkeit, die Orks und Goblins begannen gegen das Reich vorzurücken. Doch auch andernorts brach Chaos aus, sahen doch viele Lokalmachthaber die Chance gekommen, ihre Ansprüche zu erheben. Mit den Mantra’kim trat ein Gegner auf den Plan, mit dem niemand gerechnet hatte. Sie etablier­ten einen Drachenorden, der in Tobrien und Phecadien mehrere beeindruckende Festungen errichtete, von denen aus er die Umgebung beherrschte. Malugin Kouramon, ein dem myranischen Optimatenhaus Kouramnion entstammender Meister­schüler des Fran-Horas, über den die Legende des Fyrst von Cuslicum berichtet, eroberte als Centurio-Magus (Legionsmagier) der Präto­rianer für die Zeit zwischen 567 und 563 BF Cuslicum und tötete die dortige Hesinde-Geweihtenschaft. Er schloss ein Bündnis mit Jal Stenans (= Yalstenes) Drachen­orden und beabsich­tig­te, sich als Draco-Horas zum Erben Frans aufzuschwingen. Das Reich gedachte er von Cuslicum aus zu beherrschen, welches er zur neuen Hauptstadt erheben wollte. Dann jedoch wurde er mitsamt dem Umbilicus, einem rätselhaften Hesinde-Artefakt, vom Kreis der Sechs, einem geheimen Magierzirkel, in den Limbus gestoßen. Daraufhin brach die Zentralmacht des Reiches zusammen, und die Dunklen Zeiten brachen an.

564 v. BF verschwand der nun „Dämonenkaiser“ genannte Fran, ohne in den vergangenen Jahren noch ein Wort gesprochen, etwas gegessen oder seinen Palast verlassen zu haben. An diesem Tag hallten stundenlang fürchterliche Schreie durch die leeren Hallen und Gänge des Palastes, die irgendwann plötzlich verstummten. Als sich die ersten Bediensteten endlich in die Räume wagten, fanden sie keine Spur von Fran. Es wurde gemunkelt, die Dämonen hätten ihn in die Siebte Sphäre entführt. Frans Kristallherz wurde nie gefunden und tauchte erst über tausend Jahre später in den Händen Borbarads wieder auf, der letzten Inkarnation des Alverniars des Verbotenen Wissens, welcher sich bereits vor Angankor ein solches Artefakt gewünscht hatte.

Es war Frans Kristallherz, das den Kaiser vier Jahre lang am Leben hielt, obwohl er nicht mehr in der Lage war, die üblichen menschlichen Bedürfnisse zu stillen. Mit Hilfe des Rituals war sein Herz zwar nicht physisch, doch astral in das Artefakt transferiert worden. Dies verschaffte ihm Unverwundbarkeit, ließ ihn jedoch viele menschliche Aspekte verlieren. Er musste nicht mehr essen und trinken, konnte keine Nachkommen zeugen und wurde im wahrsten Sinne des Wortes zusehends herzlos. Sollte Fran in die Niederhöllen entführt worden sein, hätte er dort mindestens bis in die Borbarad-Zeit überlebt, denn seine Lebenskraft, noch immer im Kristall­herz gebunden, wäre dem Zugriff der Erzdämonen entzogen gewesen. Jedoch sind Erzdämonen in der Lage, einem Menschen Dinge anzutun, die Unsterblichkeit als Fluch erscheinen lassen. Indes sollte Fran sein Leben verloren haben, als eine Heldengruppe, die aus der Zukunft gekommen ist, während des Kriegs der Magier das Kristallherz zerstörte, das sich nun in Borbarads Besitz befand. Wird der Fokus zerstört, fließt die Lebenskraft sofort in den Körper zurück. Ob ein Tod in den Niederhöllen eine Erlösung darstellt, dürfte eher fraglich sein. Aber es eröffnet einer Seele den Weg, in etwas anders transformiert zu werden, eine Spukgestalt, einen Untoten oder einen Dämon.

Kurz nach seinem Ableben raubte die Skrechu aus Fran-Horas Nachlass in Zhayad verfasste Aufzeichnungen des Kaisers namens „Epitome zur kompletten Formelsammlung“, welche seine Reise zur Dämonenzitadelle und die dortigen Experimente mit Zauberzeichen beschreiben: »Und das anmaßend redende Maul zeigte mir den in alle Himmel aufragenden, gottvergessenen Abgrund im Götterschwert: Über Sonne und Maul höhnend, bestimmen nur die nimmer ruhenden Windungen des Mahlstroms von Chaos, der unablässig lästert und brodelt, den Standort der wuchernden Zitadelle. Doch diejenigen, in denen das kreischende Wissen wohnt, brennt sie an jeden Ort des Derekreises in die Augen: ein faulender Pfuhl in SUMUs Leib, Hass, Neid und Eifersucht sind ihr Atem, Tränen tränken ihre schmatzenden Wurzeln, jeder Schmerzensschrei ist ein Klang in den jaulenden Akkorden, die ihre Äste verzückt wiegen. Ein triefendes Gespinst von Mysterien und Hysterien in alle Winde streuend, wartet sie auf diejenigen Erzfrevler, die ihr das äußerste Elixier schenken: Machtwahn. Wer sich dem Kerker von Myriaden Seelen nähert, wird umwabert vom gelbfettigen Nebel Yadhret-Ylam und begrüßt vom eiskalten Sturm Kh’bli. Asche wirbelt auf dem Boden, auf Haut und im Haar. Schatten wachsen und zittern, bis sich der dunkle Begleiter des unfassbar Staunenden selbst zu lösen beginnt, denn – so sprach das anmaßende Maul – wer das Tor der unsäglichen Glyphe zum Dämonaion der Unendlichkeit durchschreitet, braucht keinen Schatten mehr. […] Das Zeichen, das Stigma, das die Dämonenzitadelle repräsentiert, legte ich mit meinem Blut auf Pergament nieder. Als es meine Leibsklaven erblickten, fielen sie zu Tode und trockneten wie hundert Jahre in der Khôm gelegen, meine Prätorianer warfen sich in ihre Klingen, die Akolythen stammelten sich in den Irrsinn oder erwürgten sich gegenseitig mit ihren Tuniken. Im Sonnenlicht verging das Zeichen quälend und doch verfinsterte sich das strahlende Gestirn für einen Tag.« (Zitiert nach “Firuns Atem”, S. 77 f.)

Als der Schatten, der mit Frans Seele gekämpft hatte, zurückkehrte, fand er seine Welt vernichtet vor. Er versuchte, den Schuldigen zu bestrafen, doch dieser war längst tot. Also zog er in den Schwarzen Turm, und wann immer ein Mensch es wagte, des Nachts seinen Fuß auf die Insel zu setzten, tötete der Schatten ihn voller Zorn. Tagsüber hielt er sich versteckt, denn das Tageslicht schwächte ihn.

Gorgafan zog sich zornig auf seine Insel zurück. Fran-Horas war eliminiert worden, bevor er sich zur Bedrohung für die Schattenlords hatte entwickeln können. Gewiss hätte der Kaiser es nicht bei seiner Jagd nach den Schatten belassen. Früher oder später hätte er sich ent­schlossen, die Gefahr durch die Inseln der Schattenlords nicht hinzunehmen und die Bosparanische Armee in den Krieg gegen die Diener des Namenlosen geschickt. Aber der Preis für den Sieg über den Horas war zu hoch gewesen. Die Schatten waren vernichtet und die Schattenlords einer wesentlichen Machtquelle beraubt. Es würde Jahrhunderte dauern, einen adäquaten Ersatz zu finden. Gorgafan selbst konnte sich darauf konzentrieren, seine Herrschaft über die Drachen auszubauen, für viele der anderen Schattenlords wog der Verlust der Schatten deutlich schwerer.

Der anhaltende Kontakt mit den Menschen und die Erschütterung des Sphärengefüges durch die Dämonenschlacht weckten bei vielen Elfen den Wunsch nach einer Rückkehr ins Licht. Bis 522 v. BF brachen sie in Richtung der Wälder Sala Mandras auf, wo sie sich um Mha’Huin Traumeule sammelten. Ihr Weg ins Licht wurde vom Namenlosen gestört. Der erste Feylamia/Elfenvampir, Arantalwa lässt-Himmel-kreischen, versuchte sie ins “Unlicht” zu führen. Damit geriet auch der zweite Zug der Sehnenden, wie schon sein Vorgänger, zur Katastrophe.

 

Das Frevlergrab

Fran-Horas hatte viele dämonische Artefakte in seinem Besitz. Dazu zählt auch das Erstarrte Wams des Belshirash, welches Teil des Frevlergewandes ist. Ein hoher Centurio-Magus der Prätorianer trug die erzdämonische Rüstung während der Lebensspanne des Dämonenkaisers. Zu Beginn der Dunklen Zeiten wurde er in den Nordprovinzen von einigen Kämpen erschlagen. Dank der Kraft des Erzdämons und der niederhöllischen Rüstung stand er als Wesen von pervertiertem Eis wieder auf.

Die Kreatur, die aus ihm wurde, nannte man den Eisigen Wanderer. In kalten Wintern beging sie Untaten in der Gegen zwischen Havena und Perricum. Schließlich stellten sich ihm Firun-Priester aus Tralupum entgegen. Mit Hilfe einiger Abenteurer banden sie die schützende Macht des Artefaktes und vernichteten den Träger. Um weitere Verbrechen zu verhindern, beschlossen die Geweihten, im Ewigen Eis des Nordens nach einem geweihten Aufbewahrungsort für das Erstarrte Wams suchen zu lassen. Sie betrauten die bewährten Abenteurer mit dieser Aufgabe.

Deren Weg führte in die unerforschten Weiten, wobei sie von Dienern des eisigen Erzdämons verfolgt wurden. Nach Kontakten mit Nivesen, Goblins, Fjarningern und Yetis fand sie in einem bis dahin unbekannten Gebirge eine heilige Kaverne, in der sie das Gewand versteckten. Jeder Paktierer wird durch die Kraft Firuns im Eis eingeschlossen, sobald er die Höhle betrifft. Das Wams im Frevlergewand blieb daher für lange Zeit sicher verwahrt.

 

Mercladors Rückkehr

Etwa zu der Zeit, als die Dämonenschlacht geschlagen wurde, gelang es Merclador, sich aus seinem Eisgefängnis zu befreien. Er begab sich nach Ribukan und fand heraus, dass Menuril verschwunden war, Fran jedoch eine Magierakademie in der Stadt gegründet hatte. Also ruhten seine Hoffnungen, das Rätsel um die Kraftlinien zu lösen, nun voll und ganz auf dem bosparanischen Kaiser. Er befand, dass es an der Zeit sei, den Horas seinem Herrn Amazeroth näherzubringen. Und er hatte auch schon eine genaue Vorstellung davon, welche Art diese Verbindung sein sollte. Es war an der Zeit, den Stein der tiefsten Nacht wiederzubeschaffen. Fran würde sein würdiger neuer Träger werden.

Der Stein der tiefsten Nacht, das war der onyxartige Karfunkelstein, der aus der Vereinigung von Mercladors eigenem Karfunkel mit jenem des Elementardrachens der Kraft entstanden war. Nach Mercladors Tod hatte Amazeroth ihn an sich gebracht und für ein Jahrhundert unter Verschluss gehalten, bis er sich versichert hatte, dass sein neues Spielzeug zu seiner vollsten Zufriedenheit funktionierte und die Aufgaben erfüllte, die Iribaar ihm auftrug. Dann jedoch hatte der Erzdämon dem Drachen/Quitslinga den Schock seines Lebens versetzt und ihm den Karfunkel einfach übergeben. Eine typische Perfidität des vielgestaltigen Blenders. Wollte Merclador jemals die Freiheit wiedererlangen, benötigte er zwingend den Karfun­kel­stein, den der Herzog der Dunklen Weisheit ihm mit schier unerträglicher Beiläufigkeit überreichte, wohlwissend, dass es Merclador nicht gelingen würde, ihn zu seiner Befreiung einzusetzen.

Mit dem Besitz des Steins war der Auftrag verbunden, ihn an einen sterblichen Träger zu übergeben, der im Gegenzug einen Pakt mit Amazeroth schließen musste. Anschließend sollte Merclador den jeweiligen Träger des Steins begleiten, beraten und so gut es eben ging in Amazeroths Sinne formen. Mit dem Besitz des Steins waren magische Erkenntnisse verbunden, bisweilen von bis dato gänzlich un­be­kannten Spielarten der Magie, die Iribaar als Paktgeschenk verlieh. Der Stein erleichterte zudem die Ausübung der auf diese Weise erworbenen Fähigkeiten und verringerte die Menge an Astralkraft, die es benötigte, einen Zauber auszusprechen. Damit drängten sich vor allem skrupellose Magier als Paktierer auf. Diese mussten ein natürliches Interesse am Besitz des Steins haben, schließlich konnte dieser ihnen große Macht verleihen. Zugleich hatte Amazeroth mit dem Paktierer eine Waffe in der Hand, die er umso kraftvoller einsetzen konnte, je mehr Macht das Artefakt ihr verlieh.

Wie Merclador bereits aus Zeiten wusste, da er sich selbst der magischen Macht des Steins bedient hatte, verlor das Artefakt ungefähr alle vierhundert Jahre seine Kraft und musste zunächst wiederaufgeladen werden, was im Zuge des Paktschlusses geschah. Dieser verlieh Amazeroth die Fähigkeit, ihn mit gewaltigen magischen Energien zu versorgen, die für mehrere Jahrhunderte reichten. Wie der Alveraniar des Verbotenen Wissens in der Zukunft während seiner letzten Inkarnation leidvoll erfahren würde, können nur Wesenheiten des Chaos Astralkraft in beinahe unbegrenzter Menge zur Verfügung stellen. Bei Amazeroth, dem erzdämonischen Gegenspieler Hesindes, Herrin der Magie, gehörte die Vergabe von magischer Macht, gespeist durch die Lebenskraft der Sterblichen, zu seinen verderbten Prinzipien – der geheime Ursprung der borbaradianischen Zauberei.

Der letzte Paktschluss war etwa im Jahr 2.400 v. BF durch Merclador selbst erfolgt, und der Drache hatte die neu gewonnene Energie sogleich eingesetzt, seinem Vater Pyrdacor bei der Zerstörung von Chalwens Gebirge zu helfen. Jetzt, um das Jahr 2.000 v. BF herum, war die Zeit für einen erneuten Paktschluss gekommen. Merclador hatte nach einem würdigen Träger gesucht und sich schließlich für Rashtul al’Sheik entschieden, den er als Auserwählten eines Unsterblichen erkannt hatte. Doch selbst mit Tücke und List gelang es ihm nicht, Raschtuls Gesandten gefügig zu machen und zum Pakt­schluss zu überreden. Der Gigant, der ihn erschaffen hatte, hatte seinem Diener die Gabe mit auf den Weg gegeben, erzdämonische Tricksereien zu durchschauen. So unterwanderte Merclador schließlich die Zauberkundigen in Raschtuls Gefolge, und in den kommenden Jahrhunderten war der Stein der tiefsten Nacht durch die Hände verschiedener Kophtanim gegangen, die zu der von Rashtul eröffneten Zauberschule gehörten, dem Sternenkreis. Irgendwann nach Rashtul al’Sheiks Tod 1.779 v. BF, während der Regierungszeit seines Sohnes Bastrabun, gelangte mit N’shr Ssa’Khr Ssech eine Inkarnation des Alverniars des Verbotenen Wissens in den Besitz des Steins der tiefsten Nacht. Der durchschaute die Natur des Artefakts sehr wohl, einschließlich der Tatsache, dass es sich um den Karfunkelstein des lästigen Drachendämons handelte, der sich fortwährend in seiner Nähe aufhielt und ver­suchte, ihn in einen Pakt mit seinem Herrn Amazeroth zu treiben. Nichtsdestotrotz bediente Ensharzaggesi sich der Kraft des magischen Gegenstandes. Dieser besaß noch eine Menge Restenergie, die der Alveraniar des Verbotenen Wissens nutzen konnte, ohne dazu einen Pakt mit Iribaar ein­gehen zu müssen. Das hatte dankenswerterweise jemand anderer für ihn erledigt. Um 1.740 v. BF starb die Inkarnation des Alveraniars des Verbotenen Wissens in der Schlacht gegen Bastrabun ibn Rashtul und dessen Verbündeten Aliss’Szargo, die Inkarnation des Alverniars des Verborgenen Wissens. Der Stein gelangte in die Hände von Drachenkultisten, die trotz seines dreihundert Jahre zurückliegenden Todes abgöttische Verehrer des Pyrdacor waren.

Um 1.600 v. BF musste der Pakt mit Amazeroth erneuert werden, und es ist gewiss kein Zufall, dass aus dem Paktierer wenig später der erste der Magiermogule vom Gadang wurde. Der Stein der tiefsten Nacht wurde von Mogul zu Mogul weitergereicht und gelangte so auch in die Hände Assarbads von Fasar, der nächsten Inkarnation des Alveraniars des Verbotenen Wissens, der sich wiederum seiner Macht bediente, zu Mercladors Enttäuschung aber auch diesmal nicht sei­nem finsteren Herrn anheimfiel. Im Zug der Offensive der Khunchomer 1.327 v. BF bis 1.325 v. BF wurde Assarbad, der als Herrscher von Fasar die Skorpionkriege ausgelöst hatte, besiegt und verschwand spurlos. Er muss aber noch eine Weile am Leben geblieben sein, denn die Inkarnation des Alveraniars des Verborgenen Wissens, Sulman al-Nassori, begründete 1.324 v. BF das Diamantene Sultanat und herrschte dort bis 1.313 v. BF. Eine deutlich längere Zeitspanne, als ihm zur Verfügung gestanden hätte, wäre sein dunkler Zwillingsbruder dort bereits tot gewesen. Der Stein der tiefsten Nacht verschwand mit ihm, die nächste Spur findet sich erst, als 1.200 v. BF in auffälliger zeitlicher Nähe zum Erscheinen des Augensterns der Pakt erneuert wurde. Sollte sich das Erscheinen des Augensterns tat­sächlich auf Amazeroth und seinen Diener Merclador zurückführen lassen, wäre die gesamte Siedlungsgeschichte der Tulamiden im Riesland die Folge einer einzigen großen Amazerade, die dazu diente, die Macht des vielgestaltigen Blenders über Rakshazar zu mehren und weiteres Chaos auf dem Verfluchten Kontinent zu sähen. Womöglich befanden sich bereits unter den ersten Kopthanim, die ins Riesland übersiedelten, überzeugte Anhänger des Erz­dämons.

Sollte Amazeroth ein Loch im Sternenwall lokalisiert haben, wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, dahinter eine Lichtquelle zu installieren, welche die Illusion eines neuen Sterns erzeugt. Der Augenstern könnte sein geöffnetes Stirnauge darstellen, das den Erzdämon gedanklich in die Nähe der Archäer rückt, welche mit seinem Vorgänger Nandus, der für wissenschaftliche Erkenntnisse steht, trotz ihrer generellen Abneigung gegen die Unsterblichen und trotz der Eskapaden von Nandus’ Alveraniar des Wissens auf vergleichsweise gutem Fuß standen. Er könnte auch mit Amazeroths Diener Mhek’Thagor (das Blinde Auge, der Wissende Wahn) in Verbindung stehen. Dieser wird als Auge und dritte Zunge Amazeroths aufgefasst. Eine spricht wahr, eine falsch, und Mhek’Thagor Tod. Amazeroth schickt seinen Diener gerne aus, um Schwarze Augen zu verwirren und mit Falschinformationen zu füttern. Zu denken ist außerdem an die Gotongi, genannt “Das geflügelte Auge”, ein einäugiger niederer Dämon aus Amazeroths Domäne.

Das Aufleuchten des vermeintlichen Himmelskörpers brachte die Tulamiden dazu, Bastra­buns altehrwürdige Warnungen die Seefahrt und das Bannland Marustan betreffend außer Acht zu lassen und in Richtung des Verbotenen Kontinents in See zu stechen. Dies fachte den Konflikt zwischen den Echsen und den Menschen auch im Riesland an, veränderte nachhaltig die Machtverhältnisse in Rakshazar und brachte weitere Ereignisse in Gang, die Amazeroths Macht vergrößerten, wie die Reaktivierung der Sternensenke in Yal-Mordai. Schließlich hielt er offenen Einzug in die Glaubenswelt der Sanskitaren, die aus den Tulamiden und den Remshen hervorgingen. Die Amazth-Verehrung fand unter Al’Hrastor schließlich ihren Höhepunkt.

Zweifel an dieser Version der Ereignisse nährt die Tatsache, dass der Gigant Raschtul, die Göttin Marhyna und Raschtuls Auserwählter Rashtul al’Sheik ihrerseits auf die Ansiedlung von Tulamiden im Riesland und deren anschließende Vereinigung mit den Remshen zum Volk der Sanskitaren hingearbeitet haben. Hatte nicht gerade Marhyna, Wächterin wider die Niederhöllen, alles darangesetzt, um Amazeroths Pläne zu vereiteln? Hätte sie nicht in dem Augenblick, in dem für sie erkennbar wurde, dass der Vielgestaltige Blender die Tulamiden ins Riesland zu locken versuchte, um sie dort als neue Anhänger zu gewinnen, den Augenstern vernichtet und dafür Sorge getragen, dass kein Khunchomer Schiff jemals den Nachbarkontinent erreichte?

War die Wahrheit womöglich ein wenig komplizierter? Überwogen die Vorteile der Vereinigung der Sanskitaren mit den Remshen den Aufstieg des Amazth-Kultes, sodass Marhyna letzteren zähneknirschend als unvermeidbaren Kollateralschaden akzeptierte?

Die brennenden Fragen müssen einstweilen ungeklärt bleiben. Der Stein der tiefsten Nacht jedenfalls blieb von nun an in der Hand riesländischer Zauberwirker, und Merclador begriff rasch, dass er dort furchtbaren Schaden anrichtete, weil er seine Träger aufgrund der besseren Verfügbarkeit von Astralkraft zum Wirken mächtiger Zauber verführte, die dann wiederum aufgrund der Kritischen Essenz verheerende Wirkungen nach sich zogen. Dies trieb die Mortalität unter den Trägern des Steins in die Höhe, der meist innerhalb weniger Jahre, manchmal gar innerhalb von Monaten oder Wochen einen neuen Besitzer fand. Die Kehrseite der Medaille war, dass der Stein einen riesländischen Träger in der Regel umbrachte, bevor dieser zu echter Macht und wirklichem Einfluss gelangen konnte. Der Stein war somit ideal, um für eine überschaubare Zeitspanne maximales Unheil anzurichten, aber vollkommen ungeeignet, um mit seiner Hilfe langfristige Pläne zu verfolgen. Die ließen sich mit einem aventurischen, myranischen oder uthurischen Träger deutlich besser verwirk­li­chen. Einem solchen hätte Merclador sich aufgedrängt und ihn jahrelang heimgesucht, bis er ihn vollständig nach dem Willen Iribaars geformt hatte. Ein riesländischer Träger war diese Mühe nicht wert. Er würde gar nicht lang genug überleben.

Es dauerte Jahre, bis Merclador den Stein der tiefsten Nacht ausfindig gemacht und wieder in seinen Besitz gebracht hatte. Da er sich dazu weit von Ribukan entfernen musste, beschloss er, in seiner Drachengestalt nach Bosparan zu reisen und nicht die Dunkle Pforte zu benutzen. Er erreichte die Metropole siebzehn Tage nach Frans Verschwinden. Wenige Tage zu spät also. Hätte er Fran im Palast angetroffen, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, den Horas von der Besessenheit durch den Schatten zu befreien.

 

Das Ende von Bastrabuns Bann

Irgendwann im 6. Jahrhundert vor Bosparans Fall hörten die Tulamiden auf, die verbleibenden Echsen der Echsensümpfe, Maraskans und des Rieslands als kaum händelbare Bedrohung anzusehen. Von nun an erneuerten sie die Schutzzauber nicht mehr, die Bastrabuns Bann, den ihr zweiter Sheik-al-Sheik einst zum Schutz vor den Geschuppten errichtet hatte, aufrecht erhielten. Etwa zu Beginn des 5. Jahrhunderts vor Bosparans Fall erlosch die Barriere. Heute erinnern nur noch verwitterte Reste der Bannstelen an den einstigen Schutzwall, auch wenn während der letzten Borbaradkrise versucht worden ist, ihre Geheimnisse zu erforschen, um einen Schutz gegen die Schergen des Sphärenschänders zu finden.

 

Ash’Grabaal

Während mit Olruk-Horas I. ein der einstigen Macht des Kaiserstums weitestgehend entkleide­ter, schwacher Herrscher den Thron bestieg, begab sich Merclador enttäuscht auf die Suche nach einem neuen Träger für den Stein und fand ihn in Cerebash Dreigesicht von Puninum. Einem Absolventen von Frans Akademie der Hohen Magie traute Amazeroths Diener es am ehesten zu, ihm bei der Verwirklichung seiner Pläne nützlich zu sein. Beinahe noch schwerer wog allerdings, dass der Magier 567 v. BF, ein Jahr nach der Dämonenschlacht, in die in der Entstehung begriffenen Dämonenbrache ein­gedrungen war und dort mit dämonischer Unterstützung einen schwarzen Magierturm errichtet hatte. Dreigesicht hatte ambitionierte Pläne, die sein eigenes Domizil zum Zentrum eines ganzen Reiches machen sollten. Merclador entschloss sich, dieses Unterfangen zu unterstützen. In der Dämonenbrache sammelten sich sinistere Zauberkundige und Paktierer und errichteten ihre finsteren, runden Bauwerke, die zusammen das verborgene Zauberkönigreich Ash’Grabaal bildeten. Die eigensinnigen Bewohner verschrieben ihre Seele wie ihr Leben den Erzdämonen, vor allem Amazeroth, den sie unter dem Namen Iribius als Gottheit anriefen, und Asfaloth, den sie als Calynaria kannten. Mit Cerebash hatte Merclador leichtes Spiel. Zwar hatte dieser keinen Pakt schließen müssen, um die Macht des Steins der tiefsten Nacht zu erneuern – das war zuletzt um das Jahr 800 v. BF geschehen. Stattdessen hatte sich dem vielgestaltigen Blender freiwillig unterworfen, und er wusste die Kraft des Steins in einem Sinne zu nutzen, der Amazeroth wohlgefiel.

 

Die Rückkehr des Dorador

Merclador sorgte sogleich dafür, dass er wieder eine schnelle Reisemöglichkeit ins Riesland erhielt. Er ließ Cerebash in seinem Magierturm eine Dunkle Pforte installieren, die eine Verbindung zur Akademie der Schatten schuf. Niemand im Riesland wusste, dass Merclador, der wieder unter seiner Tarnidentität Dorador auftrat, und Menuril sich überworfen hatten. Und natürlich ahnte niemand, wer und was er wirklich war. An der Akademie der Schatten galt er als Menurils rechte Hand, sein Freund und Verbündeter. So fand er an der Zauberschule freundliche Aufnahme und stieg bald in eine hohe Position auf. Auch der Esoterische Orden des Goldenen Netzes akzeptierte ihn als Anführer. Der Kult suchte noch immer nach Wegen, die Kraftlinien des Rieslands wieder ins Gleichgewicht zu bringen, hatte aber nach wie vor keine Ahnung, wie dies zu bewerkstelligen sei. Er betrauerte deshalb das Verschwinden seines Idols, des weißgekleideten Wesirs, den man Menuril genannt hatte, und war hocherfreut über die Rückkehr von dessen Freund Dorador.

Merclador wirkte darauf hin, dass der Orden sich eine Machtposition in Ribukan aufbau­te. Viele Ordensmitglieder schrieben sich an der Akademie der Schatten ein und bildeten dort eine gewichtige Fraktion, die mehr und mehr Einfluss auf die Schulpolitik nahm. Das Ziel des Ordens, das magische Gleichgewicht des Verfluchten Kontinents wiederherzustellen, auf dass jedermann wieder ohne Gefahr Magie ausüben könne, wurde in den Akademiestatuten verankert. Da der Orden mit seinem Heilsversprechen eines Goldenen Zeitalters, in dem das Land erblühen und die Zeit der Finsternis enden werde, der Überhöhung der Person des Wesirs Menuril zur geheimnisvollen, ja beinahe heiligen Lichtgestalt und dem immer stärker werdenden Sendungsbewusstsein bereits zu dieser Zeit weit mehr Religionsgemein­schaft als wissenschaftliche Vereinigung war, wurden die Zauberkundigen von euphorischer Aufbruch­stimmung erfasst. Manche von ihnen zogen in die Welt hinaus, um Möglichkeiten zur Ordnung der Kraftlinien zu erkunden, die meisten der reisenden Zauberkundigen jedoch wurden zu Wanderpredigern, die von dem neuen Zeitalter kündeten. Aus der wissenschaft­liche Absicht, ein neues Zeitalter zu begründen, wurde nach und nach die Prophezeiung, dass es über kurz oder lang eintreten werde.

Unter den gegebenen Umständen verzichtete Merclador darauf, der Akademie der Schatten und dem Orden mitzuteilen, was Menuril, Fran und er während ihres Flugs über das Lavameer herausgefunden hatten. Wenn diese Dilettanten mit ihrer kaum Halbwissen zu nennenden Stümperhaftigkeit sich anschickten, am „Goldenen Netz“ herumzupfuschen, würde dies die Situation wahrscheinlich noch verschlimmern. Etwas, das Amazeroth vermutlich gefallen hätte. Nicht jedoch Merclador, der nicht nur Pyrdacors Sohn und Iribaars Dämon war, sondern auch der Drache der Kraft. Als Manifestation der Magie betrachtete Merclador sich als Erbe der Marhyna, ihres Frevels, vor allem aber der Sternenkraft, die sie durch die Sphären trieb. Dass sie ihn, den Gesandten des ihr persönlich verhassten Amaze­roth, mit aller Inbrunst bekämpfte, focht ihn dabei nicht an. Insgeheim sah er die Göttin als seine Mutter an oder jedenfalls als eine seiner Mütter. Hätte Marhyna davon auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt, hätte es sie gewiss entsetzt.

Merclador sollte recht behalten mit seiner Einschätzung. Wenige Zauberer aus Ash’Grabaal, die für eine Zeitlang das Riesland bereisten, hatten nach einigen Jahren weit größere Forschungserfolge aufzuweisen als die Anhänger des Ordens. So konzentrierten sich seine Bemühungen auf die aventurischen Zauberer, bis der Einfluss, den er auf sie ausübte, einen gehörigen Dämpfer erhielt.

 

Azuri ibn‘Zahalan und die Bronzene Dynastie der Sanskitaren

Nach dem Untergang der Nagah-Hochkultur wurde das Schicksal der Sanskitaren erneut durch das aventurische Mutterland bestimmt. Es war die Zeit Sheranbil V. al’Shahrs, des letzten Diamantenen Sultans der dritten Dynastie. Dieser zeigte sich während seiner Herrschaftszeit außerordentlich interessiert an altechsischen Geheimnissen. Um 480 v. BF brachte ihn das Studium der Reiseberichte tulamidischer Expeditionen ins Riesland auf die Spur eines geheimnisvollen Artefaktes, das Sarkophagus der Ewigkeit genannt wurde. Es erschien dort als immer wiederkehrendes Motiv der Legenden eines echsischen Volkes namens Nagah. Anscheinend war es zur Pyrdacorzeit in den Besitz aventurischer Achaz gelangt, ob durch Handelskontakte oder Raub ließ sich heute nicht mehr sagen. Sheranbil lokalisierte das sargartige Artefakt schließlich in einem echsischen Tempel und ließ es stehlen. Zeitgleich entführte er einen Achaz-Zauberer, der ihn unfreiwillig in die Geheimnisse des ehemaligen Nagah-Besitzes einweihte. Sheranbil erfuhr, dass es sich bei dem Sarkophagus der Ewigkeit um einen Kessel der Urkräfte handelte. Er verfügte über die Macht, geraubte Lebenskraft aufzunehmen und Menschen durch sie zu verwandeln, sie zu heilen oder sogar gänzlich neue Lebewesen zu erschaffen, ganz nach den Wünschen desjenigen, der die Geheimnisse des Sarkophagus kannte. Sheranbil musste einmal im Jahr nach einem bestimmten Ritual in ihm baden, damit der Sarkophagus seine Wirkung entfaltete. Von nun an alterte der Sultan nicht mehr, was ihm eine rigide Herrschaft von nicht weniger als 94 Jahren bescherte. Seinen Untergebenen erklärte er seine Langlebigkeit mit dem Segen der Götter, und die wenigen, die sich mit dieser Erklärung nicht zufriedengaben, brachte er für immer zum Schweigen.

Während seiner Ägide entsandte der Sultan Expeditionen zu den Waldinseln und in die Lande der Wudu, aber auch in den Eisigen Norden und über das Innere Meer nach Rakshazastan. Der Auftrag der Wagemutigen unterlag stets strengster Geheimhaltung, und nur wenige kehrten zurück. Denen, die nach Khunchom zurückfanden, war stets eine glanzvolle Karriere am Hofe des Sultans gewiss.

415 v. BF verschwand der Sultan plötzlich spurlos. Sheranbil, der sich für unsterblich gehalten hatte, hatte seine Nachfolge nicht geregelt und alle Emporkömmlinge beseitigt, bevor sie zu mächtig werden konnten. Von nun an erschütterten heftige interne Machtkämpfe das Sultanat und destabilisierten es fast so sehr wie das benachbarte Bosparanische Reich, das seit 564 v. BF die Dunklen Zeiten erlebte.

 

 Grafik verwendet mit freundlicher Genehmigung durch Ramona von Brasch

 

Für rund hundert Jahre wechselten die Diamantenen Sultane in rascher Folge, und nur wenige von ihnen starben eines natürlichen Todes. Das Verschwinden Sheranbils rief seinen Hofmagier, den Kophta Azuri ibn‘Zahalan, auf den Plan. Er wusste als einer der wenigen um das Geheimnis des Artefaktes, hatte aber keine Vorstellung davon, wie er sich seine Kräfte nutzbar machen konnte. In den Wirren der kriegerischen Auseinandersetzungen stahl er den Sarkophagus und nahm Raffid, einen von Sheranbils Söhnen, gefangen. Dieser war ebenfalls ein Kophta und kannte als einziger die Rituale zur Nutz­bar­ma­chung des Sarkophages, welche er für seinen Vater durchgeführt hatte. Azuri zwang Raffid, ihm diese Geheimnisse zu offenbaren. So erfuhr er auch, dass der Sarkophag vor Jahrhunderten einem riesländischen Volk schlangenleibiger Wesen namens Nagah gehört hatte.

Azuri forderte von Raffid, die lebensverlängernden Rituale zu seinen Gunsten durchzuführen. Raffid stimmte zum Schein zu, doch anstelle eines Rituals, das Azuris Leben verlängerte, führte er eine Zeremonie durch, die Azuri seine Lebenskraft rauben sollte. Azuri wurde von seinen Soldaten gerettet, noch bevor der Sarkophagus ihn umbringen konnte. Sie streckten Raffid nieder, jedoch war Azuri seiner Lebenskraft beinahe vollständig beraubt und befand sich in einem Zustand, der ihn zu einer Art untoter Existenz verdammte und in dem sein Körper zusehends verweste.

Der Magus erriet, dass der einzige Weg, sich selbst zu retten, darin bestand, bei den Nagah des Rieslands nach Antwor­ten zu suchen. Er nahm eines der wenigen Handelsschiffe, die immer noch zwischen den Kontinenten verkehrten, und setzte mit einigen Getreuen und dem Sarkophag im Schlepptau nach Rakshazar über. In Unlon angekommen, erlernte er zunächst magische Praktiken der Einbalsamierung, mit denen er sein Schicksal um einige Jahre hinauszögern konnte. Außerdem brachten ihm die Nagah die Kunst der magischen Tarnung bei, um seinen bereits teilweise verfallenen Körper gesund erscheinen zu lassen.

In Rakshazar schloss sich Azuri um 400 v. BF dem Amazth-Kult in Yal-Mordai an. Noch im selben Jahr überreichte ihm Uridabash, ein Dämon aus Amazeroths Gefolge, auf Geheiß des Meisters der Illusionen und der Täuschungen den Stein der tiefsten Nacht, Mercladors Karfunkel. Der Onyx strotzte vor frischer Kraft, der Pakt war gerade erst durch Balphemor von Punin erneuert worden. Da dieser sich jedoch als Störfaktor in Amazeroths Plänen erwiesen hatte, hatte der Erzdämon ihm den Stein unmittelbar nach dem Paktschluss wieder abgejagt. Mit Azuri hatte der Stein der tiefsten Nacht nun einen Träger mit ohnehin großer magischer Macht, der durch den Besitz des Artefakts noch einmal deutlich an Kraft gewann und dessen Wirken die Macht der Domäne Iribaar beständig mehrte. So wurde er im Laufe weniger Jahre zur führenden Persönlichkeit und hatte großen Einfluss auf die Politik der Sanskitaren. Durch den Einsatz von Gift gelang es ihm, den aktuellen Herrscher der Sanskitaren, Ratsmeister Charigh, zu töten und die Schuld auf eine vermeintlich allgegenwärtige Verschwörung der Nagah zu schieben. Er fingierte sogar eine Reihe von Schriftrollen, die er als „Aufzeichnungen der Schlangenpriester“ vorlegte. Sie präsentierten einen fiktiven Plan der Nagah, die Sanskitaren heimlich in Menschengestalt zu unterwandern, nachdem ihr eigenes Reich in Bürgerkriegen untergegangen war. Tatsächlich gab es einzelne Nagah, die unerkannt, aber friedfertig in Menschengestalt unter den Sans­ki­ta­ren lebten. Als sie durch die Amazth-Priester enttarnt wurden, ließ dies die fiktive Verschwörung nur noch glaubhafter erscheinen.

Um die eingebildete Bedrohung durch die Nagah zu bekämpfen, verlieh man den Amazth-Priestern große Macht, die sie in die Lage versetzen sollte, die magische Tarnung der schlangenleibigen Wesen zu durchschauen. Außerdem wurde der Offizier Mukal von den Amazth-Priestern zum Heermeister gewählt. Aus dieser Position heraus sollte er als Kopf einer starken Armee die verschiedenen Städte und Clans der Sanskitaren vereinen, um das Volk für den Krieg zu rüsten. De facto konnte er als Alleinherrscher regieren. Als erster seiner Familie, der den Rang des Heermeisters innehatte, begründete Mukal eine neue Herrscher­dynastie, die als kriegerische „Bronzene Dynastie“ bekannt wurde. Das bisherige Amt des Ratsmeisters wurde nach dem Tod von Charigh nicht neu besetzt. Damit war innerhalb von wenigen Jahren die relativ friedfertige Gesellschaft der Silbernen Dynastie in eine Militärherrschaft verwandelt worden. Puppenspieler im Hintergrund waren nicht etwa die Nagah, sondern Azuri ibn‘Zahalan, der den Echsen das Wissen um das Ewige Leben entreißen wollte und wie die Magier Ash’Grabaals daran ging, die Geheimnisse der Theurgie zu erforschen, der Beschwö­­rung der Götter und ihrer Alveraniare.

 

Der Krieg der Sanskitaren gegen die Nagah

Mukal, der oberste Heerführer der Sanskitaren, konnte sich der Treue aller sanskitarischen Städte versichern, um gemeinsam mit ihnen den vermeintlichen Einfluss der Nagah zurück­zu­drän­gen. Allein der Stadtstaat Ribukan schlug sich auf die Seite der Nagah, da traditionell kulturelle Nähe und Toleranz zwischen beiden Völkern herrschte, und wurde dafür noch Jahrhunderte später von den Bewohnern der anderen Sanskitaren-Städte als „Eiterbeule des Verrats“ verunglimpft. Dennoch gab es auch dort eine Minderheit, die Mukals und Azuris Lügen Glauben schenkte und lauthals die Ermor­dung des derzeitigen Stadtfürsten Samin forderte. Spitzel Mukals trieben in der Stadt ihr Unwesen, stachelten den Zwist weiter an und verübten Anschläge auf den Fürsten. Im beginnenden Bürgerkrieg bat Samin ca. 390 v. BF den Drachen Ishtazar um Hilfe. Dieser bot der Fürsten­fa­mi­lie in seiner Domäne, einem entlegenen Bergmassiv im Nagatwall, Unterschlupf, was aber als erneuter Beweis der Nähe Samins zu den Echsenvölkern aufgefasst wurde.

Aufgrund der großen Entfernungen dauerten die Kampfhandlungen über Jahre hinweg an. Zunächst bauten die Sanskitaren eine starke Präsenz nördlich des Flusses Ribun auf und eroberten die dortigen bäuerlich geprägten Siedlungsgebiete der Nagah. Erst nach zehn Jahren über­quer­ten die Invasoren den Fluss, um die Stadt selbst einzunehmen. An den Ufern des Ribun kam es zur Entscheidungsschlacht. Der Drache Ishtazar kämpfte Seite an Seite mit Nagah-Krie­gern, Ribukanern und den auf der ribukanischen Halbinsel lebenden Uthurim, die sich nun Ipexco nannten. Die Überschreitung des Flusses konnte verhindert werden, die Truppen Mukals wurden nach Norden zurückgedrängt. Doch für eine vollständige Vertreibung der Siedler von der Halbinsel hatte die Allianz nicht mehr die nötige Kampfkraft. Weitere Jahre gingen ins Land, Mukal war inzwischen an einem Fieber verstorben, und beide Seiten belau­­e­r­ten sich. Der Fluss Ribun bildete die Grenzlinie zwischen beiden Parteien. In der Stadt Ribukan selbst hatten inzwischen die Freunde der Nagah die Vormacht zurückerlangt, sodass der Frieden wiederhergestellt werden konnte.

Azuri ibn‘Zahalan, der Drahtzieher des Kon­fliktes, wusste, dass seine Zeit sich dem Ende zuneigte. Sein verwesender Körper hatte durch magische Mittel viele Jahre überstanden, doch befand er sich in einem Zustand des Siech­tums, der ihn seit langem schon ans Bett fesselte. Deshalb fasste er den Entschluss, einen Pakt mit dem Erzdämon Amazeroth zu schließen, der unter der Maske des Gottes Amazth bei den Sanskitaren großes Ansehen genoss und bis heute genießt. Zu diesem Zweck wandte er sich an den inneren Zirkel der seit langem etablierten Priesterschaft von Yal-Mordai. Durch diesen Bund gelang es ihm, noch einmal genug Kraft zu schöpfen, um sich von seinem Krankenbett zu erheben und einen letzten Versuch zu unternehmen, das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erlangen. Amazeroth wies ihm den Weg und überließ ihm ein Artefakt als Paktgeschenk, das Spiegelzepter. Unerkannt von feindlichen Truppen und nur begleitet von wenigen Magiern machte Azuri sich Anno 375 v. BF auf die Reise. Er wusste nun, dass es der Drache Ishtazar war, der allein die Rituale zur Nutzung des Sarkophages der Ewigkeit kannte und so dessen Geheimnisse hütete. Der Drache bewahrte eine Niederschrift der Zeremonien auf Steintafeln in seinem Hort auf. Es kam zu einem spektakulären Duell zwischen Drache und Mensch, in dessen Verlauf Azuri den Stein der tiefs­ten Nacht und das Spiegelzepter einsetzte und so die magischen Artefakte des Hortes gegen Ishtazar zum Einsatz brachte. Der Drache sah sich der Kritischen Essenz ausgeliefert und starb. Seine Todesschreie suchten die Nagah in ihren Träumen heim, und bis heute wird seines Todes in vielen traurigen Liedern gedacht.

In der Verwirrung, die auf den Tod Ishtazars folgte, wurden die Nagah mit Hilfe der magischen Besitztümer des Drachen tief in den Dschungel zurückgedrängt. Die Ipexco erkannten, dass sie eine Entscheidung treffen muss­ten, und schlossen sich den siegreichen Sanskitaren an. Nur Ribukan leistete lange Zeit Widerstand. Als es Jahrzehnte später immer noch nicht gefallen war, beschaffte Azuri sich das Erbgut des Drachen Ishtazar, den er getötet hatte, beeinflusste es mit Hilfe des Sarkophagus und schuf auf diese Weise schreckliche Wesen, die Düster­wür­mer. Er beseelte sie mit Hilfe von Lebenskraft, welche das Artefakt den fruchtbaren Dschungeln des Landes raubte, die dadurch zum Teil verdorrten. Bei den Düsterwürmern handelt es sich um eine intelligente, magiebegabte, blinde rakshazarische Drachenart, die in den Tiefen Deres haust und alles Licht in sich aufnimmt. Azuris Schöpfung verselbstständigte sich rasch und breitete sich über die Höhlen und Kavernen Rakshazars aus, vor allem in Ribukan, im Ödland(t), der Geistersteppe und dem Yal-Hameth. Im Westen des Kontinents sind sie heute auch unter dem Namen Wühldra­che bekannt.

 

Die Fahrt der “Schwarzen Rose”

»Wir hatten schon nicht mehr damit gerechnet, dass die Schwarze Rose von ihrer Fahrt zurückkehren würde. Vor mehr als drei Jahren war die stolze Zedrakke gen Rakshazastan in See gestochen. Die Kolonien rund um Ribukan hatten sich gut entwickelt, wenn man vom aufrührerischen Shahana absieht, so dass sich eine Überfahrt trotz aller Gefahren lohnte. Die Siedler drangen immer tiefer in das Land vor und sicherten sich die begehrten Rohstoffe und Handelsgüter (…) Bei ihrer Rückkehr war die Schwarze Rose mit Schattensteinen, Vizrangyi und Sulphur beladen. Schwarze Vulkanschrate und unterirdische Düsterwürmer hatten die Siedlung Ribukan bedroht, das war der Grund der verzögerten Rückfahrt. Das Bordbuch und die angefertigten Karten ließen wir sogleich in die Kartensammlung bringen. (…)«

— Assaf ibn Abdullah, Hafenmeister zu Khunchom, um 300 v. BF (Zitiert aus “Im Bann des Diamanten”, S. 68.)

 

Die bevorstehenden Entwicklungen fanden in der Reise der Zedrakke „Schwarze Rose“ einen bezeichnenden Auftakt.

303 v. BF stach die khunchomische Zedrakke „Schwarze Rose“ in Richtung Rakshazastan in See. Der Höhepunkt des Rieslandhandels lag da bereits weit in der Vergangenheit. Die Kolonien jedoch prosperierten, sodass eine Überfahrt trotz aller damit verbundenen Gefahren lohnenswert erschien. Einzig mit Shahana hatte man Probleme. Viele Bewohner der Stadt waren aranischer Abstammung. Ihre Vorfahren, Einwohner El’Burums, genannt „die Burumer“, hatten gegen den Diamantenen Sultan revoltiert und waren schließlich zur Flucht ins Riesland gezwungen worden. Gegen eine Herrschaft durch die Kunkomer und ihren Diamantenen Sultan setzten sie sich mit allem zur Wehr, was sie aufbieten konnten, und so befand sich Shahana seit einiger Zeit in Aufruhr gegenüber dem tulamidischen Mutterland. Von den militärischen Auseinandersetzungen zwischen den anderen Städten und Ribukan hatte man in der aventurischen Heimat indes keinerlei Notiz genommen, und es interessierte dort auch niemanden besonders, solange die Kolonien ihren Abgabenverpflichtungen nachkamen. Und das taten sie. Die Siedler drangen immer tiefer in das Land ein und sicherten sich begehrte Rohstoffe und Handelsgüter.

302 v. BF erreichte das Schiff Ribukan und fand es von Schwarzen Vulkanschraten und Düsterwürmern bedroht. Dies erschwerte der Besatzung ihre Arbeit, weshalb die Zedrakke mit einiger Verspätung nach Aventurien zurückkehrte, beladen mit Schattensteinen, Sulphur und dem astralaffinen, wasserfesten, schwarzen Holz des Vizrangyi ...

 

„… sowie drei Skeletten der Schlangenwesen, die die Ribukaner Nagah nennen, für den Sultan von Elem.“

— Auszug aus der Ladeliste der „Schwarzen Rose“, Dunkle Zeiten, wird derzeit von einer Maus in Khunchom als Nistmaterial verwendet.

 

Ein besonderes Schmuckstück der nekromantischen Sammlung des Sultans von Elem ist ein Exemplar, das aus Rakshazastan stammt. Auch wenn im Land der ersten Sonne wohl niemand je eine leibhaftige Nagha geschaut hat, so kann man am Hofe des Sultans ein Wesen über den Stein kriechen sehen, das einst zu Lebzeiten eine solche Nagha war. Die kräftigen und markigen Wirbel einer großen Schlange winden sich frei im Palast über den Boden. Am Ende des Schlangenleibs ist jedoch kein Schädel eines solchen Tieres, sondern der eines Menschen, genau wie man es von den Nagha des Rieslandes erwartet. Das Geräusch, das die Geisternagha durch ihre schlän­gelnde Bewegung mit dem Knochenleib auf dem Stein des Bodens macht, ist im ganzen Palast wohlbekannt und kündigt sie schon von weitem an. Jeder, der es hört, tut gut daran, dem Wesen schnell den Weg freizumachen, denn sie ist des Sultans Liebling. Wer sie blockiert oder gar – auch ohne Absicht – beschädigt, dem droht ein Schicksal, das schlimmer kaum sein könnte, denn er wird an dieses Biest verfüttert. Zwar kann das tote Ding nichts mehr verspeisen, jedoch blick es das Opfer aus seinen hohlen Augen an, auf dass es sich nicht mehr bewegt. Dann umwickelt es das Opfer auf Befehl des Sultans und zu dessen Belustigung mit dem Knochenleib so fest, dass die Wirbel ins Fleisch schneiden und es kein Entkommen mehr für den Armen gibt. Zuletzt nagen die schar­fen Zähne des menschlichen Schädels das Fleisch vom Gesicht wie ein Artgenosse dem anderen, was unter dem Jubel des Sultans und seiner Vertrauten bald zum Tode führt. Das Opfer aber tut nicht einen Mucks und wehrt sich nicht, denn der Bann der Nagha macht es völlig unbeweglich. Wer das vermeintliche „Glück“ hat, solange zu überleben, bis der Sultan sich anderen Vergnügungen hingibt, und die Nagha vom Opfer zurückruft, wird für sein Lebtag entstellt sein und am Hofe nur mehr die niedersten Pflichten verrichten dürfen.

— Aus dem Al Lamasshim nishuda Abu Leviatan des Mustrabaal, 300 v. BF (Zitiert aus “Von Toten und Untoten”, S. 22.)

Die untoten Nagahs waren am Hof von Elem als Geister-Nagha bekannt.

 

Der Konflikt mit Azuri

Den Ausgang des Konflikts mit den Verbündeten Azuris bekamen die Seeleute nicht mit, ebenso wenig wie ihren Hintergrund. Azuris Verbündete verheerten die Stadt und zwangen Ribukan zur Kapitulation.

Azuri hatte seine Pläne verwirklicht. Sein Interesse an der Halbinsel Ribukan schwand. Er legte das Land in die Hände von Mukals Sohn Grashin und wandte sich der Konsolidierung seiner Dominanz über den Amazth-Kult zu. Dies allerdings entsprach nicht den Vorstellungen des Erzdämons. Er sandte Uridabash aus, welcher Azuri den Stein der tiefsten Nacht stahl. Derartig geschwächt, geriet Azuris hochtrabendes Vorhaben ins Stocken und scheiterte schließlich.

 

Das Ende des Ersten Sanskitarischen Sultanats

Eine Folge von Krisen führte dazu, dass das Sanskitarische Reich, das eine Generation zuvor noch einen Sieg auf der Ribukanischen Halbinsel errungen hatte, um 290 v. BF zerfiel. Mit ihm endete die Bronzene Dynastie.

Die offensichtliche Krise war das Schicksal Grashins, des obersten Heerführers der Sanskitaren. Grashin regierte mit einer Gruppe von sanskitarischen Statthaltern despotisch und unterdrückte das Volk der Ipexco, das seine Freiheit nicht missen wollte. Einer Allianz aus ribukanischen Sanskitaren, die Gra­shin nie als einen der ihren angesehen hatten, und enttäuschten Ipexco gelang es schon nach wenigen Jahren, den Gewaltherrscher zu stürzen und als Geisel gefangen zu setzen. Als solche lebte er am Hofe der Stadt Ribukan. Zwar wurde Grashin letzten Endes in die Freiheit entlassen, aber erst nach einer demütigenden Tätigkeit als Sklave des Fürsten. Wieder zurück in Yal-Kharibet, war seine Autorität gebrochen. Er galt als Feigling, da er sich nicht nur hatte gefangen nehmen lassen, sondern geflohen war, statt den ehrenhaften Freitod zu wählen.

Außerdem hatte der Strippenzieher Azuri ibn‘Zahalan längst einen Nachfolger für Grashin benannt, einen eher unbedeutenden Adelsspross namens Amul VII. Bewegt durch die Aussicht auf ewiges Leben, die ihm der Magier eröffnet hatte, führte dieser jede von Azuris Anweisungen aus. Bald schlugen sich die meisten der sanskitarischen Siedlungen auf die Seite Amuls, einige wohlhabende jedoch auf die Seite Grashins. Die politische Einheit des Reiches war zerbrochen. Beide Kandidaten fielen letzten Endes Mordanschlägen zum Opfer, was möglicher­wei­se einen langwierigen Bürgerkrieg verhinderte. Dennoch hatte Azuri keine Gelegenheit mehr, einen weiteren Kandidaten zu benennen, denn auch er wurde während dieser Zeit der Unsicherheit ermordet.

Sein Tod hatte dabei nur auf indirekte Weise politische Gründe: Der Zirkel von Amazth-Kultisten, dem Azuri angehörte, wollte sich der Politik und generell allen weltlichen Angelegenheiten entziehen. Die frommen Amazth-Priester strebten stattdessen eine asketische Erleuchtung in höheren Kreisen der Verdammnis an. Azuri hingegen war ein Machtmensch, der den Kult des Amazth lediglich als zweckdienlich empfand und im Grunde nur seine eigene Position und sein eigenes ewiges Leben im Blick hatte. Als die Priester des Amazth Azuri durchschauten, war sein Schicksal besiegelt. Dies geschah anlässlich des Erscheinens mehrerer Erwählter der Götter, die auf der Suche nach dem Wissen über die Theurgie waren, welches Azuri heimlich angehäuft hatte. In einem Ritual verbannten die Kultisten ihren ehemaligen Förderer in den Limbus. Gegenüber den Erwählten der Götter gaben sie sich kooperativ und händigten ihnen zum Schein die Forschungsergebnisse die Theurgie betreffend aus, auf dass die Gesandten der Götter sie vernichten könnten. In Wahrheit brachten sie die bedeutendsten Erkenntnisse in Sicherheit, um sie beizeiten im Sinne ihres sinisteren Herrn zum Einsatz bringen zu können.

Zum Dank wurden sie von Amazth erhoben und zu halbkörperlichen Wesen transformiert, die bis heute im Riesland in unterschiedlichen Kulten und verschworenen Gemeinschaften ein und aus gehen. In ihrer schattenhaften Existenz sind sie Verbündete des heutigen Sultans Al’Hrastor, dessen Name auf das mächtigste der Schattenwesen zurückgeht, den Ratsvorsit­­zen­den Hrastor. Aber sie verfolgen auch unabhängig von seinen Ambitionen die Ziele ihres göttlichen Herrn. In den Sanskitarischen Städten ist die Verschwörungslegende vom alles lenkenden „Rat der Schemenhaften“ auf die Ränkespiele der ehemaligen Priester von Yal-Mordai zurückzuführen. Als Schattenwesen können die Schemenhaften von den Schatteninsignien der Schattenlords kontrolliert werden, etwas, das der Widersacher ein ums andere Mal zu seinem Vorteil zu nutzen verstand.

Trotz der politischen Umwälzungen ging das Ende des Sanskitarischen Reiches unblutig vonstatten. Es wurde kein neuer Heerführer oder oberster Sul­tan benannt, und die einzelnen Städte begannen eine mehr oder weniger friedliche Ko­exis­tenz, in der sich die Stadtfürsten zu Sultanen ausriefen. Niemand jenseits des Gelben Meeres war bereit, die Macht erneut zu erstreiten. Der kriegerischen Stimmung über­drüs­sig, schlossen die einzelnen Städte einen kühlen, aber stabilen Frieden mit dem aufstrebenden Volk der Ipexco und der rebellischen Stadt Ribukan. Für die Sanskitaren bedeutete dies ein Ende ihrer Vorherrschaft über die Ribukanische Halbinsel, zugleich jedoch brach für sie eine Ära der Ruhe an.

Später sollte es noch zwei weitere Reiche der Sanskitaren geben, sodass das ursprüngliche Zeitalter der Goldenen, Silbernen und Bronzenen Dynastie bei Gelehrten heute Altes Reich genannt wird.

So gingen die Vorherrschaft und die Handelshoheit über die Ribukanische Halbinsel ab etwa 286 v. BF an die unwahrscheinlichsten Kandidaten, die junge Kultur der Ipexco, welche bis zum Jahr 200 v. BF ihre fünf Städte gründeten. Sie, und nicht die zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkenen Enklaven der Nagah oder die aufgepeitschten Sanskitaren des Westens, sollten die Zukunft des Landes fortan bestimmen. Dank ihrer neu gewonnenen Dominanz gelangten sie in den kommenden Jahren zu großem Wohlstand.

 

Der Untergang von Ipextamaco

Das Reich der Ipexco hatte eine lange Zeit der Dominanz in Rakshazars Süden hinter sich. Nun jedoch hatten soziale, religiöse und kriegerische Unruhen ein Land mit einer zum Großteil aufgeriebenen Armee, mit Misstrauen der traditionellen Stände untereinander und mit Skeptizismus gegen die überlieferten Götter zurückgelassen. Zudem war mit dem Zusammenschluss des Stadtstaates Ribukan mit dem alten Volk der Nagah ein selbstbewusstes Bündnis entstanden, das bereit war, die morschen Fundamente des Reiches umzureißen. Kamilinaxo, ursprünglich gebaut, um die Handelswege zwischen dem Tal der Tempel und der südlichen Halbinsel von Ribukan zu erwachen, wurde zu einem gewaltigen Bollwerk ausgebaut, das verhindern sollte, dass die Feinde der Ipexco ins Tal der Tempel eindringen konnten.

Dies alles erfolgte sehr zum Nutzen der Priesterschaft des Kriegsgottes Bel-Quiratl. Die Anhänger dieser erbarmungslosen Gottheit boten sich den handlungsunfähig gewordenen Blutpriestern in der Hauptstadt als Ordnungsmacht an. Da sie ihre Kräfte im vorherigen Bürgerkrieg geschont hatten, war ihre Macht nach wie vor ungebrochen. Unter dem Vorwand, versteckte Anhänger des Namenlosen Gottes und Spione der Nagah zu jagen, wurde eine auf Abschreckung und grausamen Exempeln basierende Politik etabliert. Die Festungsstadt Kamilinaxo, in der die Priesterschaft ihren Hauptsitz hatte, wurde zur heimlichen Hauptstadt. Trotz der enormen Härte war ihres Vorgehens war die Priesterschaft Bel-Quiratls nicht erfolgreich darin, Ordnung und Sicherheit wiederherzustellen. Im Gegenteil: die Kriegerpriester wurden selbst zur größten Gefahr für Leib und Leben der Bewohner der Ipexcostädte. Sie waren eher damit beschäftigt, sich an hilflosen Opfern zu bereichern, sinnlose Fehden untereinander auszufechten und unprovozierte Angriffe auf Nagahsiedlungen zu führen, als die Interessen irgendwelcher anderen Menschen zu vertreten oder gar feindliche Eindringlinge aufzuspüren. Die Nagah, die mittels ihrer Tarnfähigkeiten tatsächlich weitgehend unentdeckt unter den Menschen leben konnten, blieben infolgedessen meist verschont. Mehr noch, es gelang ihnen sogar, in den Reihen der niedrigen Kasten Sympathisanten zu gewinnen, da sie es immer wieder schafften, diese vor der Willkür der Bel-Quiratl-Priester zu schützen.

Doch genauso wie Nagah im Reich der Ipexco aktiv waren, so fassten auch die Bel-Quiratl-Priester in Ribukan Fuß. Unter dem Namen „Orakel des Dschar’fai“ konnten sie sich zu einflussreichen Beratern des Sultans von Ribukan aufschwingen und gleichzeitig den Hass der Bürger durch Straßenprediger anfachen. Dieses merkwürdige Doppelspiel hatte zum Ziel, die beiden Parteien zu einem Krieg zu provozieren. Was sich die Diener Bel-Quiratls davon versprachen, blieb weiterhin unklar. Die Priesterschaft der H‘Stsiva, der Staats-, Wissens- und Weisheits­göt­tin der Nagah, nahm es auf sich, die wahren Absichten der Orakel des Dschar’fai aufzudecken und die Stimmung im Volk zu besänftigen; in Ribukan mehr oder weniger offen und unter den Ipexco im Verborgenen. Aber auch sie wussten zunächst nicht, dass sich hinter Dschar’fai und Bel-Quiratl dieselbe Entität verbarg.

Eine ganze Generation lang ließ sich auf diese Weise ein (instabiles) Gleichgewicht aufrechterhalten, in dem sich vordergründig die beiden Mächte des Südens säbelrasselnd gegenüber­standen, während im Hintergrund die Diener zweier entgegengesetzter Gottheiten ein Katz-Maus-Spiel über Reichsgrenzen hinweg aufführten. Als jedoch der Sultan von Ribukan starb, geriet dieses Gleichgewicht endgültig ins Wanken: Der neue Sultan, Abu-Malak, war gezeugt worden, nachdem seine eigentlich unfruchtbare Mutter eine große Spende an die Orakel des Dschar’fai gegeben hatte. Seine Geburt war von unheimlichen Omen begleitet: Unzählige rote Wolken zogen über den Himmel und formten die Gestalt zahlloser Menschen, die auf Altären geopfert wurden oder in der Schlacht verstarben.

Zum Dank für die übernatürliche Zeugung erzog die Sultana ihren Sohn zu einem mitleidslosen Krieger im Sinne der dunklen Gottheit und damit zum Werkzeug ihrer eigenen Macht. Inzwischen hatten Agenten des H’Stsiva-Kults endlich entdeckt, dass sich hinter Dschar’fai und Bel-Quiratl ein und dasselbe Wesen verbarg. Doch aus diesem Wissen konnten sie keinen Nutzen mehr ziehen. Also versuchten sie ein gefährliches Spiel, das ironischerweise Bel-Quiratls Diener bereits eine Generation vorher in ganz ähnlicher Weise gespielt hatten: Sie verübten einen Anschlag auf den jungen Sultan Abu-Malak, indem sie versuchten, ihn beim Festbankett zur Feier seiner Einsetzung zu vergiften. Doch Abu-Malak überlebte durch einen zufällig vertauschten Weinkrug, während seine geliebte Mutter durch das Gift den Tod fand. Die Orakel waren schnell zur Stelle, um den tragischen Verlust des jungen Sultans als Machenschaft der hinterhältigen Ipexco darzustellen.

Auf beiden Seiten wurde 239 BF ein gewaltiges Heer ausgehoben: Die Ipexco schickten ihre Truppen in den Kampf, die inzwischen wieder zur vollen Mannstärke aufgestockt worden waren, und die Ribukaner entsandten alle verfügbaren Truppen der Nagah und ihrer eigenen Verbände. Abu-Malaks Armee marschierte von der Nagah-Festung Assanra aus los, und die Ipexco machten sich von Kamilinaxo aus auf den Weg. Ihre Wege kreuzten sich auf einer großen Lichtung inmitten des Dschungels. Dort wurde die womöglich blutigste Schlacht der rakshazarischen Geschichte geschlagen, denn die Offiziere beider Seiten drängten immer mehr Truppen auf die viel zu beengte Lokalität. Abu-Malak wunderte sich sehr, denn er bemerkte, dass die Kommandanten beider Seiten, Bel-Quiratl-Priester und Orakel von Dschar’fai, sich abseits des Geschehens freundschaftlich begegneten. Gemeinsam enthüllten die vermeintlichen Feinde dem Fürsten ihren Plan: An zahlreichen verborgenen Orten auf der ribukanischen Halbinsel begannen in diesem Moment Rituale, um das vergossene Blut zu einem kolossalen und schrecklichen Wunder zu nutzen. Hier auf dieser Lichtung sollte ein Übergang in das Reich des Gottes entstehen, den die Ipexco Bel-Quiratl nannten und die Ribukaner Dschar’fai. Dieser Übergang, in Form einer übernatürlichen Festung, sollte die Herrschaft der Priester über den Süden Rakshazars bringen und die beiden Reiche durch die dämonischen Diener des Gottes vernichten. Er selbst, gezeugt durch den Willen von Dschar’fai, würde der Herr dieser Festung sein, da er die Gabe besaß, den Dämonen zu befehlen.

Als Abu-Malak sich dem Schlachtfeld näherte, sah er den Beginn dieses großen Werks. Aus den Waffen der Verstorbenen formten sich auf wundersame Weise die Umrisse eines bizarren Bauwerks, einer Festung voller Zacken und Vorsprünge. Das Fleisch der Gefallenen bildete die Wände dieses makabren Gebäudes und ihr Blut wurde zum ekelerregenden Mörtel. Die Soldaten beider Seiten ergriffen die Flucht angesichts dieses unbegreiflichen Anblicks. Doch auch für sie gab es nun kein Entkommen mehr: Der Boden war sumpfig geworden und ließ niemanden entrinnen. Nun griff zu allem Überfluss auch noch eine dritte Partei ein: Bizarre Dämonen mit tierhaftem Äußeren überwältigten die Soldaten und verbauten ihre gebrochenen Körper in die anwachsende Festung. Endlich war sie fertig und beinahe alle Soldaten der beiden Seiten waren zu widerlichen Bausteinen erniedrigt.

Der Sieg der Priester schien nahe, doch ein nicht weniger wundersames Geschehen überraschte die vermeintlichen Sieger: Die Dämonen, die die schaurige Festung aufzubauen geholfen hatten, wendeten sich nun gegen die Priester selbst. Sultan Abu-Malak blickte von den Zinnen der Dämonenburg hinab und wies die Dämonen an, die Priester auszuschalten. Sie hatten ihn hinters Licht geführt und waren für ihn lästige Konkurrenten. Wozu brauchte er sie noch? Doch die Priester starben nicht so einfach. Als sich die Nacht herabsenkte, standen sowohl von den Dämonen als auch von den Priestern nur noch wenige. Abu-Malak wurde klar, dass er seine eigene Macht ebenso aufgerieben hatte wie die seiner Gegner. Es gab nur einen Sieger, jenen dunklen Gott, der beide Völker verführt hatte und dem es nur um die Gewalt als Selbstzweck ging. Unter einem schallenden Hohnlachen fiel die Festung aus Menschenfleisch in sich zusammen und begrub den Sultan unter Leichenteilen, die langsam im Sumpf versanken.

Nur wenige Soldaten hatten diesen Tag überlebt und kehrten in ihre jeweilige Heimat zurück. Das schreckliche Geschehen hatte die Glaubhaftigkeit aller Parteien dauerhaft zerstört, und eine Zeit des lethargischen Friedens folgte. Ihres letzten gewaltsamen Zusammenhalts beraubt, machten sich bald die einzelnen Tempelstädte unabhängig und reformierten, jede auf ihre eigene Weise, die althergebrachte Kastenordnung. Die Tempelpriester in der Hauptstadt Uxmatl konnten nur tatenlos zusehen. Der Schauplatz des unheiligen Geschehens ist bis heute ein verbotener Ort für alle Völker des rakshazarischen Südens, und nach wie vor sind die Mauern zwischen den Sphären dort besonders brüchig.

Die Nagah indes das temporäre Kriegsbündnis mit Ribukan gegen die Ipexco genutzt, um Abu-Malak zu überreden, der Gründung einer Kriegsschule der Nagah auf ribukanischem Territorium zuzustimmen. Zwei Tagesreisen den Fluss Ribun aufwärts erwuchs die kleine Siedlung Sccri Buccan („Neues Ribukan“). Hier entstanden bald ein Tempel des Nagah-Kriegsgottes Shinxio und eine Strategonenschule.

Eine Sonderstellung nahm Kamilinaxo ein. Die Siedlung war bestürmt, aber nicht genommen worden, doch hatten die Belagerer fast alle Priester und Krieger der Stadt erschlagen. Der Kult des Totexc-Xor war praktisch nicht mehr existent. Die Priester von Bel-Quiratl jedoch hatten ihre Kräfte geschont und ihre Truppen stets zurückgehalten. So waren sie am Ende der einzige Kult der Stadt, der über eine intakte Tempelgarde verfügte. Nach der Schlacht hatten die Streiter Bel-Quiratls leichtes Spiel mit den wenigen verbliebenen Kriegern der anderen Kulte und machten diese kurzerhand nieder. Der Kult schwang sich zum Alleinherrscher über die Stadt auf, und alle anderen Kulte wurden verboten. Die anderen Städte schworen nach diesem feigen Verrat blutige Rache, ein Schwur, der seit rund 800 Jahren auf seine Erfüllung wartet:

 

Welle um Welle brandeten die vereinten Heere Ribukans und der Nagah gegen die Mauern der Stadt. Welle um Welle wurde von den Tempelgarden Totec-Xors zurückgeschlagen. Und gerade als sich das Kriegsglück zu unseren Gunsten entwickelte, wurden wir von Bel-Quiratls Tempeltruppen verraten und die Garden aller anderen Tempel abgeschlachtet. Seit diesem Tag sind wir alle Feinde der Stadt Kamilinaxo und des Kultes von Bel-Quiratls. Unser Reich Ipextamaco aber, welches bis hinunter nach Ribukan reichte, ging an jenem Tag endgültig unter.“

— Aus Izapatan, neuzeitlich.

 

Zwar hat sich die Stadt von dem Schlag nie wirklich erholt, doch die Wehranlagen wurden in Stand gesetzt, und Kamilinaxo hat bisher jedem Versuch, sie zu Fall zu bringen, getrotzt. Der Kult des Bel-Quiratl herrscht durch Terror und Furcht. Ernährt werden die Bewohner der Stadt zurzeit noch durch Viehzucht, doch bereits vor Jahren haben einige Gebirgsstämme der Ipexco damit begonnen, sich gegen die Stadt aufzulehnen und ihre Herden zu dezimieren.

 

Kamilinaxo

Kamilinaxo ist die einzige Gebirgsstadt der Ipexco. Hier leben rund 100.000 Einwohner, Ipexco und ihre Sklaven. Die Siedlung wurde auf einer Hochebene zwischen den Totec-Kämmen und der Ipexim errichtet, welche den einzigen Zugang von Süden ins Tal der Tempel darstellt. Ursprünglich sollte die Stadt die Handelswege zwischen dem Tal und der südlichen Halbinsel von Ribukan bewachen. Doch nachdem die Ipexco durch die Sanskitaren und Nagah immer weiter nach Norden gedrängt wurden, erhielt die Ansiedlung mehr und mehr die Aufgabe, zu verhindern, dass Feinde der Ipexco ins Tal der Tempel eindrangen. Dazu wurde sie zu einem gigantischen Bollwerk ausgebaut. Mitten im Gebirge waren geeignete Steine im Überfluss vorhanden, deshalb wurden die Wehranlagen weit über die eigentlichen Stadtgrenzen hinaus ausgebaut, so dass sie sich nun fast über die gesamte Breite der Hochebene erstrecken. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Mauern der Stadt zwar unzählige Male bestürmt, doch nie genommen.

Seit vor rund 800 Jahren die Priester des Bel-Quiratl die Macht übernommen haben, gilt sie als eine Stadt des feigen Verrats. Die hochtrabenden Rachepläne der übrigen Ipexco sind aber bislang an der Uneinigkeit der übrigen Städte gescheitert. Die alte Schuld schwebt also immer noch ungesühnt im Raum, zumal die Priesterschaft des sinisteren Gottes noch immer über die Siedlung herrscht.

Die Stadt hat sich von dem Schlag nie wirklich erholt. Zwar wurden die Wehranlagen wieder notdürftig in Stand gesetzt, doch herrscht der Kult des Bel-Quiratl allein durch Terror und Furcht. Ernährt werden die Bewohner der Stadt zurzeit noch durch Viehzucht, doch bereits vor Jahren haben einige Gebirgsstämme der Ipexco damit begonnen, sich gegen die Stadt aufzulehnen und ihre Herden zu dezimieren.

 

Machtwechsel in Unlon

Als Konsequenz aus diesen Entwicklungen siedelten sich tulamidischstämmige Menschen in Unlon an und über­nahmen sukzessive die Macht, wodurch sie den Fernhandel wieder selbst in der Hand hielten. Für die Zeit um 450 v. BF ist verbrieft, dass die Insel unter der Herrschaft weitgehend eigenständiger aventurischer Mogule stand und die Menschen drei Viertel der Bevölkerung stellten. Die Nagah, die eine Seuche zahlenmäßig stark dezimiert hatte, bildeten inzwischen nur noch eine kleine Schicht von Beamten und Schreibern, wodurch sie allerdings weiterhin einen gewissen Wohlstand und Einfluss genossen.

Die Metropole Unlons bestand nunmehr aus zwei Stadtteilen, die jeweils von einer Mauer umgeben waren. Die Alte Stadt, also diejenigen Teile, die bereits vor der Ankunft der Kunkomer existiert hatte, bildete das Zentrum, in dem noch vieles an die Städte der Nagah-Archaen erinnerte und nur gelegentlich durch Kunkomer-Architektur ergänzt wurde. Die Neue Stadt indes waren jene Viertel der Hauptstadt, welche die aventu­rischen Siedler allein errichtet hatten.

Neben ihrer Rolle im Fernhandel war die Ansiedlung wegen eines dunklen Brauches berühmt oder besser gesagt berüchtigt: Die Mogule und ihre Familien waren Meister der Totenbeschwörung, was im Riesland zu Recht Furcht erregte. Den Kunkomer aus Aventurien war dies nur recht war: Die Angst der Riesländer hielt diese davon ab, eine Eroberung der günstig gelegenen Insel zu versuchen. Ihre Macht erhielten die Unloner von einer unpersönlichen göttlichen Macht, die sie Thar’nuth nannten, also offenbar von Thargunitoth.

Während des Interregnums am Ende der III. Dynastie der Herrscher des Diamantenen Sultanats (zwischen 415 v. BF und 304 v. BF) war Unlon angeblich der Heimathafen für den Piraten und Sultans-Sprössling Muamar i’ben Sheranbil, Sohn Sheranbils V. Einige Quellen, die schon seit Jahrhunderten in der um 90 v. BF gegründeten Silem-Horas-Bibliothek in Selem verrotten, lassen den Schluss zu, dass der Pirat nur die Insel Buli kontrollierte.

 

Dämonische Gefahr für den Rieslandhandel

Die Übersetzung einer Papyrusrolle aus dieser Bibliothek durch Heshdan al-Azzar, 1001 BF, enthalten bedeutsame Ausführungen über Turgoth, die Jahrhundertwelle, den „Unaussprechlichen, dessen Name erst genannt werden darf, wenn der Tod nahe ist“, Siebengehörnter Diener Charyptoroths. Der Wahre Name dieses Dämons ist selbst unter Pak­tierern nahezu unbekannt, doch kann sich der auch Wellenwerfer genannte Dämon spontan manifestieren. Im Perlenmeer bzw. Unbezwingbaren Ozean, abseits der aventurischen Gewässer, gehört er zu den eher häufigen Gefahren, der für Schiffe auf dem Weg zum Riesland oder vom Riesland weg immer wieder zur tödlichen Bedrohung wird. Mit viel Glück können Schiffe auf seiner Welle reiten, meist jedoch reißen Turgoths Wellenberge alles in die Tiefe.

 

»Als in jenen Jahren, da Muamar i’ben Sheranbil […] die Seewege nach dem fernen Ribukan unsicher machte, der Ifriqis Harun ay Lem entsandt wurde, jene Bedrohung zu beenden, riefen die Zulneddin Marustans den Blauen Shaitan der See und beseitigten selbst die Eindringlinge in ihrem Reich.

Dies erwähnt das Märchen von Azizel el-Dash, und es ist die älteste Nennung Turgoths, des vielfach gehörnten Wellenwerfers, der ganze Küstenstriche und Inseln in das Unwasser der Dschejjhennach reißt. Seine wahre Gestalt kennt niemand, stets erscheint er nur als gewaltiger fratzenhafter Umriss, schimmernd in blau und rot, glühend aus einem schwarzen Wellenberg, der sich bis zu den Wolken auftürmt und mit wildem Tosen in die Tiefe reißt, was ihm im Wege ist.« (Zitat stammt aus Efferds Wogen, S. 189.)

 

Ob es dem Piraten gelang, dieser Gefahr zu entkommen, ist nicht überliefert.

 

Târnur’shin (urtulamidisch: „Kralle des Raben“), der Heilige Rabenschnabel

Mit Târnur’shin (urtulamidisch: „Kralle des Raben“), dem Heiligen Rabenschnabel, findet ein weiteres borongefälliges Artefakt seinen Ursprung in Rakshazar. Rund zwei Jahrzehnte schmie­de­te der tulamidische Meister­schmied Sahil al’Râad sein Meisterwerk. Vermutlich weihte er es Marbo, die unter dem Namen Umm Ghulshach („Geiermutter“) als Göttin des Todes ver­ehrt wurde. 550 v. BF führte er die Waffe zum ersten Mal im Kampf gegen Untote. Sie besteht aus purem Endurium. Die Haimamudum, die tulamidischen Geschichtenerzähler, welche auch die Historie bewahren, sind sich einig darin, dass der Schmied das Rohmaterial aus dem fernen Ribukan bezog, von wo aus es in das verfluchte Marustan transportiert wurde – eine recht exakte Beschreibung der Handelsroute Ribukan – Unlon – Buli – Diamantenes Sultanat. Wie üblich er­zählt jeder Haimamud davon mit etwas anderer Notation, meist in eine glanzvolle Geschichte voller heroischer tulamidischer Abenteurer gekleidet, welche für die Beschaffung des Enduriums ihr Leben riskierten, wenn nicht gar verloren. Die profane Wahrheit dürfte sein, dass das Rohme­tall wie andere Waren auf einem Schiff der Nagah nach Aventurien transportiert worden ist.

Das Kopfende der Waffe ist einem grimmig dreinblickenden Raben nachempfunden. In den Augenhöhlen desselben ruhen geschliffene Karneole. Hauchdünne silberne Zeichen, der Sprache des Ur-Tulamidya entlehnt, überziehen den Griff. Der Rabenschnabel stellt die seiner­zeit wirksamste Waffe gegen den Untod dar, welcher den Süden Aventuriens in jenen Tagen heimsuchte. Nach Sahils Tod wechselte sie häufig ihren Träger, was kaum verwundern kann, wenn man bedenkt, dass der Kampf gegen die Untoten einen hohen Blutzoll einforderte. So erlangte die Waffe während der Dunklen Zeiten einen legendären Ruf, der sein ins Zentrum eines lange­ wäh­ren­den Machtkampfes zwischen den Glaubensgemeinschaften verschiedener Todesgötter rückte. Die Träger versuchten, den Bund der Streiter der Heulenden Finsternis zu zerschlagen. Zugleich mussten sie verhindern, dass Nâsuûls Zirkel, eine elitäre bosparanische Nekromantengemeinschaft, sich des Artefakts bemächtigte und es zerstörte. Die Boronkirche hatte ebenso wie die Nemeka­thäer ein starkes Interesse daran, die Waffe in ihrem Sinne einzusetzen. Der Prophet Nemekath entsandte einige Seelen­fresser, die sogenannten Tapasuul, Richtung Norden, um den Rabenschnabel in seine Gewalt zu bringen und sich die Seele des aktuellen Trägers einzuverleiben. Von welchem der Träger das Artefakt dem Gott Boron geweiht worden ist, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Offenbar wurden zudem die permanent gebundenen göttlichen Kräfte, später dann Liturgien, im Laufe der Jahrhunderte erweitert und verändert. Um 800 BF verschwand die Waffe in den Tiefen der Katakomben des Puniner Boron-Tempels, bis sie 1026 BF zum obersten Insignum des Golgariten-Ordens wurde, geführt von der Großmeisterin.

 

Bastan Munter

Bastan Munter aus dem aventurischen Kuslik war ein berühmter Volkskundler und Historiker, der als erster Mensch die Gestade Aventuriens erfasste, ihre Form zu Papier brachte und dann über die Grenzen des Kontinents hinausreiste. Er gilt somit als erster aventurischer Derograph.

Ab 633 BF bereiste er die Welt und verfasste einen vierbändigen Zyklus mit seinen Reisebe­richten:

  • Sand, Saltz und Sonne – Die toedliche Khom (633 BF),
  • Zwischen Bodir und Walsach – Mittnaechtliche Laender (um 643 BF),
  • Die dampfenden Waelder – Von den mittaeglichen Eilanden (um 650 BF),
  • Heymatland, fremdes Land – Die uebrigen Lande in Aventuria (663 BF).

Für Avesjünger gelten die Bücher als Standardlektüre, welche dem Menschen viel über die Gestalt der Welt, die Beschwernisse des Reisens und Aves´ Güte, wenn man in Bedrängnis gerät, vermitteln. Auch in Derographenkreisen sind sie von Bedeutung. In Vinsalt wurde zu seinen Ehren die Bastan-Munter-Bibliothek errichtet.

Bastan war ein waschechter Avesjünger. Als er Aventurien bereist hatte, machte er sich auf ins Güldenland, um es genauso zu erforschen wie die aventurischen Breiten. Er ist niemals nach Aventurien zurückgekehrt und gilt dort deshalb als im Güldenland verschollen.

Einige glauben, dass er im Güldenland seinen Meister gefunden hätte und dort verstorben sei. Manche denken, er hätte den Tripelkontinent im Westen zur Gänze erforscht und sei weitergezogen. Die Rückkehrer der Lamea-Expedition berichteten Jahrhunderte später, dass es Statuen des großen Forschers im Güldenland geben soll, dass er Freunde unter vielen fremden Völkern ge­funden habe und schließlich ins Innere der Welt aufgebrochen sein soll, um die Grolme zu erforschen und ihre legendäre Hauptstadt zu finden. Zuweilen wird gar behauptet, er wäre in den höchsten Norden aufgebrochen, um die „weißen Geister des Nordlichts“ zu studieren, die Shakagra. Wenn Bastan Munter jedoch Interesse an den Grolmen und an den Shakagra hatte, wird er auch herausgefunden haben, dass beide Völker bis ins Riesland vorgedrungen sind.

Tatsächlich finden sich auch in Kithorra Hinweise auf einen Reisenden aus aventurischen Gestaden, der das Ostriesland bereiste, Handelsrouten protokollierte und etablierte und Karten anfertigte. Die Einwohner Kithorras nannten ihn Marcháo Páolo. Ein weiteres Jahrzehnt später tauchte ein fremdländischer Mensch in der Mammutsteppe auf und machte sich einen Namen als El Mammuro, der Mammutreiter. Es heißt, er habe die Wildnis erforscht, sei bei einem Klingenmagier in die Lehre gegangen und habe mit seinem Schwert zahlreiche Bestien bezwungen, bis er in weiter südlich gelegene Gestade weitergezogen sein soll. Von Ronthar über Teruldan bis Yal-Mordai finden sich ähnlich gelagerte Erzählungen über einen fremdlän­dischen Forscher mit einem zaubermächtigen Schwert und einer ausgesprochenen Begabung im Umgang mit den Bestien Rakshazars.

Immer wieder ist das Gerücht zu vernehmen, der Fremde habe eines Tages in seine Heimat zurückkehren wollen, welche auf dem kleinen Kontinent westlich des Rieslands verortet wird. Doch sei er schwer erkrankt und habe einsehen müssen, dass es zu spät sei für eine Rückkehr in sein Heimatland. Deshalb habe er sich mit letzter Kraft nach Ribukan durchge­schlagen und seine Aufzeichnungen mit den Forschungsergebnissen fünf Kontinente betreffend (Myranor, Vesayama, Ras Tabor, Kithorra und Rakshazar) der Akademie der Schatten vermacht. Nach seinem Tod sei er in Ribukan beigesetzt worden.

Die Akademie blieb im Besitz der Aufzeichnungen, bis der Aufstand gegen die Magokratie losbrach. Als die Zauberschule geschleift und geschlossen wurde, gingen die Dokumente verloren. Es halten sich jedoch hartnäcki­ge Gerüchte, dass ein Magokrat, welcher als Mitläufer der Tyrannenherrschaft der Magokra­ten verurteilt worden war, sich jedoch mitsamt dem Sträflingsschiff nach Aventurien absetzen konnte, die gesamten Aufzeichnungen Bastan Munters mit sich geführt habe. Sollte es stimmen, dass Salpikon Savertin die gesammelten Forschungsergebnisse Munters zurück in die Heimat des Entdeckers gebracht hat, wäre er noch immer im Besitz eines in seiner Bedeutung kaum zu überschätzenden Wissensschatzes, der sicher an einem geheimen Platz innerhalb der Akademie der veritablen Form zu Mirham verborgen liegt.

 

Salpikon Savertin. Bild verwendet mit freundlicher Genehmigung durch Ramona von Brasch

 

Der Sanskitarische Städtebund, die Burumer und der Krieg zur See

Mit der Gründung des Sanskitarischen Städtebundes, auch Neues Reich, Rakshazastan oder Diamantenes Sultanat genannt, trat der bislang im Verborgenen agierende Rat der Schemen­haf­ten in das Licht der Öffentlichkeit und beanspruchte weitreichende Befugnisse in den Städten. Nur in Yal-Mordai, das ohnehin ganz im Sinne des Rates regiert wurde, blieben die Organisationsstrukturen unverändert. In den übrigen Stadtstaaten rückten Angehörige des Rates in Schlüsselpositionen auf. Die schemenhaften Beamtenpriester waren den Sterblichen unheimlich und wurden von ihnen ehrfurchtsvoll die „Schatten“ genannt.

 

Die Schatten

Um den neuen Machthabern ihren Schrecken zu nehmen, erklärte der Kult des Phex die Schatten zu Gesandten des Fuchsgottes. Von nun an bemühten sich die Sanskitaren um die Gunst des Unsterblichen, der auch als Gott der Juwelen verehrt wurde, weil sie glaubten, dass dies die Schatten gnädig stimmen werde. Der bis dahin eher unbedeutende Kult stieg somit zur machtvollsten Glaubensgemeinschaft neben der des Amazth auf. Der Rat der Schemenhaften hätte die Anmaßung der Hohenpriester des Phexkultes gewiss bestraft, hätten die Gläubigen des Kultes ihnen nicht große Mengen an Geschenken und Opfergaben dargebracht und sie zu Wesen von beinahe gottgleichem Rang stilisiert. Ein Verhalten, mit dem sie schlussendlich die Macht des Amazth mehrten, dem die Schatten tatsächlich dienten. Das Arrangement wurde auf diese Weise zur Win-Win-Situation für die Anhänger des Amazth und des Phex. Vom Wirken dieser ungewöhnlichen Allianz profitierte auch Al’Hrastor selbst, der für eine Weile ebenfalls kultische Verehrung genoss, immerhin galt er ja als der Sohn eines der Schatten.

In der Anfangsphase gehörten dem Reich sämtliche Sanskitarischen Stadtstaaten an, Yal-Mordai, Yal-Amir – das heutige Arkimstolz –, Yal-Kharibet – das heute Yal-Kalabeth –, Ribukan und Shahana.

 

Die Opposition der Burumer

Sobald sich Al’Hrastor zum Diamantenen Sultan ausgerufen hatte, erwuchs ihm aus den Reihen der Städter ein neuer Feind, mit dem der neue Herrscher Rakshazastans nicht gerechnet hatte. Längst schon war Shahana die Heimat der Burumer und ihrer Nachfahren geworden, die einst aus Aranien bzw. El’Burum geflohen waren, nachdem sie gegen das Dia­mantene Sultanat und seinen Herrscher revoltiert hatten. Die Feindschaft mit dem Sultan blieb auch nach ihrer Ankunft im Riesland eine wesentliche Triebfeder. Als Freibeuter hatten sie die Tributeintreiber des Diamantenen Sultanats überfallen. Dies hatte gemeinsam mit der zu­neh­menden Bedrohung der Kunkomer-Schiffe durch die Rirgit zu der Entscheidung des Diaman­tenen Sultans geführt, die Rieslandfahrten einzustellen, da sie von nun an als zu riskant und nicht mehr lukrativ genug erschienen. Als das Diamantene Sultanat mit Sheranbil V. und Azuri ibn’Zalahan erneut seinen Einfluss auf die riesländischen Kolonien ausdehnte, zeigte sich Shahana dank seiner burumischen Prägung abermals aufsässig. Der alte Konflikt schien überwunden, seit das Diamantene Sultanat 17 v. BF gefallen und Teil des Bosparanischen Reiches geworden war und seit Bosparans Fall zum Raulschen Reich gehörte. Doch mit dem Auftreten eines Herrschers, der sich auf die Tradition des Diamantenen Sultans berief, flammten die alten Animositäten wieder auf. Da sich die Stadtführung Shahanas weigerte, sich Al’Hrastor in offener Rebellion entgegen­zu­stemmen, erinnerten sich viele Burumer an ihre Vergangenheit und fuhren wieder als Freibeuter zur See, um die Schiffe des Sultanats zu überfallen. Sehr zu Al’Hrastors Ärger schwang Shahanas Stadtfürst zwar martialische Reden in Richtung der Piraterie, hielt jedoch heimlich seine schützende Hand über die brumischstämmigen Freibeuter, die in Shahana einen sicheren Hafen fanden. Der Sultan war sich sicher, dass die Stadtführung die Feinde deckte, konnte dies jedoch einstweilen nicht beweisen.

Für Al’Hrastor war dies ein doppeltes Ärgernis, weil er nach der unerwarteten Verbrüderung des Amazth- mit dem Phexkult die Gelegenheit ergriffen hatte und die Kontakte des Phex-Kultes nutzte, um seine Macht in Zukunft verstärkt auf den Handel zu stützen, vor allem auf den Handel zur See. Als lukrativste Einnahmequelle erwies sich der Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen den sanskitarischen Städten, welcher auch deshalb zu Al’Hrastors wichtigs­tem machtpolitischen Instrument wurde, weil er die Abhängigkeit der übrigen Stadtstaaten von Yal-Mordai zementierte. Aber auch die Ipexcostadt Lubaantuna, das amhasische Amhalashal und der Nagah-Hafen Sseleuhaan wurden von Yal-Mordais Schiffen angefahren. Lediglich Unlon mit der Stadt Namakari, einst wichtigster Handelspartner der Sanskitaren­städte, entzog sich zu Al’Hrastors großer Enttäuschung jedem Versuch einer Entdeckung.

Auf dem Landweg trieb Yal-Kharibet weiterhin Handel mit Teruldan, seltener mit Amhas oder Kurotan. Shahana und Yal-Amir standen in losem Handelskontakt mit Jalkam, Ribukan mit den Siedlungen der Nagah. Al’Hrastor spannte den Phexkult ein, um auf sämtlichen Handelsrouten einen Fuß in die Tür zu bekommen und zumindest daran mitzuverdienen.

Piraterie wurde wieder zu einem einträglichen Geschäft, seit sich zahlreiche Handelsschiffe auf den Meeren ein Stelldichein gaben, und Erzählungen von erfolgreichen Kaperfahrten der burumischen Freibeuter stachelten auch die Freibeuter anderer Städte und unabhängige Piraten, die ihre Basis meist auf den Jominischen Inseln hatten, dazu an, ihr Glück im Überfal­len der mit reich beladenen Handelssegler zu suchen. Auch die Schwarzen Galeeren der Amhasim aus Amhalashal erwiesen sich als zäher und zunehmend gefährlicher Gegner. Für Al’Hrastor bedeutete dies, dass er für Geleitschutz sorgen musste, und er beschränkte sich nicht allein darauf, kleinere Kriegs­schif­fe zu bauen, sondern nahm die Schwimmende Festung Yal-Mordais in Dienst.

 

Die Schwimmende Festung von Yal-Mordai

Bisher hatte keine Notwendigkeit bestanden, das schwerfällige Kriegsgerät in Betrieb zu setzen, und selbst jetzt gab es kleinere, wendigere Schiffe, deren Einsatz mehr Wirkung erzielte. Den­noch wollte Al’Hrastor auf dieses machtpolitische Instrument nicht verzichten. Die Schwimmen­de Festung war eine nicht immer effiziente, aber doch beeindruckende und martialisch wirkende Machtdemonstration, welche die Feinde Yal-Mordais einschüchtern und zum Einlenken bewegen sollte.

Eine Schwimmende Festung ist ein wahrer Palast mit mehr als zweihundert Schritt Kantenlänge, fünf Stockwerke hoch über das Wasser hinausragend, jedes einzelne so groß und geräumig, dass selbst ein Troll leicht darin hätten hausen können, ohne sich auch nur bücken zu müssen. Und angesichts der mutmaßlichen Geschichte des Imperiums schien es nicht unwahrscheinlich, dass die Festungen in der Vergangenheit auch Trolle oder gar Riesen beher­bergt hatten. Mit Hilfe einer magischen Krone, von denen es für jedes Schiff eine einzelne gab, ließ sich das schwerfällige Bollwerk nach Belieben steuern. Seit Al’Hrastor ist der Besitz der Krone Yal-Mordais eng mit der Sultanswürde verbunden.

Während die Schwimmende Festung Yal-Mordais in der Gegenwart keine große Primärwaffe mehr hat und mit Steinschleudern auf den vier Ecktürmen oder Bogenschützen auf der Festungsmauer bestückt wird, war diese in der fraglichen Zeit noch existent. Damals wie heute konnten auf den Türmen schwere Geschütze stationiert werden. Zu jener Zeit waren die Anlagen allerdings noch intakt. Heute werden die Türme notdürftig mit Lehmziegeln und Kupferplatten geflickt. Ein Erker ist nur noch durch bronzene Ketten daran gehindert, ins Meer zu rutschen. Dennoch zählt die Festung bis in die Gegenwart hinein zu dem Mächtigsten, was je auf den Ozeanen Deres gefahren ist.

 

Weitere Festungen

In Ribukan und Shahana begaben sich Al’Hrastors Leute gezielt auf die Suche nach der jeweiligen Schwimmenden Festung. Nach allem, was Al’Hrastor in seiner Zeit bei den Nagah in den alten Schriften gelesen hatte, hatten alle großen Küstenstädte des untergegangenen Imperiums eine solche Waffe besessen. Wie viele solcher Festungen es geben mag, ist bei den Gelehrten sehr umstritten. Einige reden von sieben, andere gar von neun. Es gibt sogar Gerüchte, die von einer Flotte des Güldenen Gottes sprechen, die aus nicht weniger als 99 dieser Ungetüme bestehen soll. Bekannt sind allerdings gerade einmal vier der Festungen, von denen gegenwärtig nur noch eine einzige voll einsatzfähig ist.

Ribukans Festung wurde 721 BF in einer unterhalb des Palastes gelegenen, künstlich angelegten Kaverne mit Zugang zum Meer gefunden, einschließ­lich der zu ihrer Steuerung erforderlichen Krone, die erst verlorenging, als Salpikon Savertin die Flucht aus der Stadt antrat und das Artefakt mit nach Aventurien nahm. Seither liegt die Festung regungslos etwa eine halbe Meile vor Ribukan, und auf der Festung gilt ebenso wie für die Stadt ein Verbot, das Soldaten den Aufenthalt untersagt.

Die Schwimmende Festung Shahanas fand sich drei Jahre später in der pflanzenüberwucherten Mündung des Kree. Während der gegenwärtige Sultan, Arkamin IV. von Shahana, sie in einen Schwimmenden Garten verwandelt hat, war sie damals vollständig einsatzbereit.

 

Die verschollene Festung von Namakari

Zu Al’Hrastors persönlichem Verdruss blieb die Festung von Namakari verschollen. Um die Festung rankten sich, ebenso wie um die ganze Stadt, zahlreiche Mythen und Legenden. In den Kavernen von Namakari soll ein Brunnen zu finden sein, dem man das Wasser des ewigen Lebens entnehmen kann, bewacht von untoten Menschenfressern und halb verwesten Trollen. Auch die Krone der Festung wird in einer unterirdischen Höhle vermutet, und ihr Besitz soll einen Sterblichen unbesiegbar machen, ihn allerdings auch zu einem Dasein als Untoter verdammen. In den Türmen der Schwimmenden Festung sollen Gold und Perlen in unglaublichem Ausmaß lagern. Jedem, der diese Schätze berührt, fault angeblich die Hand ab. Das Haus bzw. der Palast Shesals, des Totengottes der Parnhai, soll sich ebenfalls in den Mauern der Festung befinden.

 

Der Krieg zur See

Der Einsatz der schwimmenden Bollwerke wirkte auf die Freibeuter und Piraten ebenso abschreckend wie provokativ. Viele von ihnen empfanden den Einsatz der gewaltigen Kriegsschiffe als völlig unver­hältnismäßig. Eine martialische und schier größenwahnsinnige Machtdemonstration gegenüber einem Gegner, dem schlussendlich nur daran gelegen war, seine Freiheit zu verteidigen. Die Festungen wurden zu unübersehbaren Symbolen von Al’Hrastors frevelhafter Tyrannei, eine Ansicht, die von den Freibeutern und Piraten bis weit in die Bevölkerung der Stadtstaaten hineingetragen und auch dort mehr und mehr salonfähig wurde.

Hin und wieder schlossen sich kühne und wagemutige Kapitäne zusammen und versuchten eine der Festungen durch konzertierte Aktionen zu zerstören, was meistens mit der Vernichtung der Angreifer endete. Erfolgreich war keines dieser Unterfangen. Allerdings gelang es im Laufe der Jahrhunderte, den Festungen empfindliche, teils irreparable Schäden zuzufügen, besonders zu Kriegszeiten, von denen es während Al’Hrastors Herrschaft noch eine ganze Menge geben sollte. Am ramponierten Zustand von Yal-Mordais Festung ist zu sehen, dass die Festungen nicht unzerstörbar sind. Einen echten Erfolg gegen sie zu erringen ist allerdings mühselig und kostet gewaltige Opfer.

In der Regel verlegten sich Freibeuter und Piraten darauf, den Ungetümen aus dem Weg zu gehen und Handelsschiffe ohne oder mit nur geringem Geleitschutz aufzubringen. Gelang ein solches Unterfangen, konnten die gekaperten Reichtümer eingesetzt werden, um bessere Schiffe anzuschaffen oder weitere Mannschaften zu unterhalten. Piraterie war somit ein lukratives Geschäft, und jeder erfolgreiche Coup führte dazu, dass sich die Zahl aktiver Seeräuber erhöhte.

 

Berühmte Piraten und Freibeuter

Legendäre Namen wie Bethor der Blutsäufer, Einauge, Schwarzkralle, Igzorn von Shahana, Halef ibn Omar, Monolus und nicht zuletzt El Qursan, der König der Piraten, wecken bis heute die Sehnsucht nach dem Meer, dem Abenteuer und dem schnellen Reichtum. Die Realität freilich sieht anders aus. Das Leben auf den Piratenschiffen ist hart und entbehrungsreich, die Kapitäne herrschen mit eiserner Hand und ahnden Verfehlungen gegen den Kodex mit krakonischen Strafen. Nicht selten sind die Mannschaften von Krankheit und Mangelernährung gezeichnet.

 

Die Comtesse

Die Auseinandersetzung zwischen dem Sanski­ta­ri­schen Städtebund und den Ipexco wurde durch den Listenreichtum einer einzelnen Frau entschieden. Wiederum handelte es sich um eine Magierin von der Akademie der Schatten zu Ribukan, deren überdurchschnittlich magieaffine Familie während der Ägide des Fran-Horas ins Riesland übergesiedelt war und sich der Zauberschule seither stets verbunden gezeigt hatte. Auch wenn sich die Dynastie längst mit den einheimischen Sanskitaren vermischt und mit Bos­paranern nur noch wenig Ähnlichkeit hatte, wähnten sich ihre Angehörigen als die legitimen Erben ihrer horasischen Vorfahren und hielten die bosparanischen Traditionen hoch. Die Akademie der Schatten galt ihnen als machtvolles Bollwerk horasischer Baukunst, das bis­her jedem Versuch, es in einer fremden und feindseligen Umgebung zu Fall zu bringen, getrotzt hatte. Nicht von ungefähr hatte Hernanda Pizarra, gelehrte Magistra der Schattenakademie und Kommandantin der Schattenlegion, dem bewaffneten Arm der Zauberschule, nach dem horasischen Adelstitel Comtessa für sich die Bezeichnung „Die Comtesse“ gewählt.

 

 

Dass Al’Hrastor sich nach dem Kampf um Teruldan neue Gegner suchen würde, war auch in Ribukan ein offenes Geheimnis. Dass es sich um die Ipexco handeln könnte, drängte sich auf. Die Uthurim waren ein ständiger unkalkulierbarer Unruhefaktor auf der Ribukanischen Halbin­sel. Verfeindet mit den Nagah, machten sie den Einwohnern Ribukans ihre echsenfreundliche Politik zum Vorwurf, ja, stilisierten sie sogar zu Verrätern an der Schöpfung hoch. Entsprechend skrupellos drangen die Ipexco in ribukanische Besitzungen ein und verschleppten Ribukaner, um sie ihren Göttern zu opfern. Es gab zudem Hinweise, dass das Tal der Tempel und die Gebir­ge, die es umgaben, reich an Gold, Edelsteinen und anderen Rohstoffen waren, welche von den Ipexco aber nicht gefördert und genutzt wurden, weil sie einem Tabu unterlagen. Gewiss wäre es in Al’Hrastors Sinne gewesen, diesen Unruheherd am Rande des Reiches zu eliminieren und sich die ungenutzten Rohstoffe anzueignen.

Ribukan indes hatte ein gehöriges Interesse daran, das Problem selbst einer gangbaren Lösung zuzuführen. Auf Al’Hrastor zu warten hätte bedeutet, ihm das Feld zu überlassen, und das war ein Gedanke, der den Ribukanern nicht behagte. Sie respektierten den unheimlichen Hexen­meister ob seiner Macht und seiner magischen Fähigkeiten, aber sie trauten ihm nicht wirklich über den Weg. Es war deshalb allemal besser, die Ipexco ribukanischer Kontrolle zu unterwer­fen, als jener von Al’Hrastor.

Die Comtesse insistierte beim Stadtfürsten, bei der Schwarzen Garde und bei der Akademie­leitung gleichermaßen darauf, den Entscheidungskampf mit den Ipexco zu suchen, doch wurde ihr Ansinnen überall gleichermaßen als zu riskant abgetan. Daraufhin entschloss sich Hernanda zu einem wagemutigen Akt des Ungehorsams und zog mit ihrem gesamten Trupp, der rund hundertköpfigen Schattengarde, in einer Nacht- und Nebelaktion in den Dschungel hinein.

Um zu verhindern, dass die Nagah das Vorrücken einer kleinen ribukanischen Armee auf ihr Territorium fälschlicherweise als feindseligen Akt fehlinterpretierten, hatte die Comtesse die Schlangengestaltigen auf ihr Erscheinen vorbereitet und dabei zugleich erwirkt, dass sie sich ihr als Verbündete zur Seite stellten. Nicht nur der Kult der H’Stsiva war der Unternehmung wohlgesonnen, sondern auch der des H’Shinxio, den Hernanda Pizarra längst als Manifesta­tion Shinxirs, des Gottes der bosparanischen Legionen, erkannt hatte, was seinen Kult zu ihren natürlichen Verbündeten machte. So kam es, dass sich bei Assanra, dem Steinernen Schild der Nagah, ein rund zweitausend Köpfe umfassender Teil der Legion von Xssa’Triash unter Führung des Herrn der Kriege Azlactan versammelte. Hinzu kamen rund einhundertfünfzig Strategonen, die von Scrri Buccan herbeordert worden waren.

Die Comtesse und der Herr der Kriege schlossen ein formelles Bündnis und kamen zugleich überein, den Ipexco eine Scharade vorzuspielen. Die Ribukaner hatten sich gekleidet wie die Kristallgarde des Sach Ard’m aus Yal-Mordai. Oder zumindest so ungefähr. Nicht alles war vollkommen authentisch, aber für Pizarras Zwecke genügte die Verkleidung vollkommen. Die wenigsten Ipexco hatten je einen von Yal-Mordais Gardisten zu Gesicht bekommen, die Unterschiede würden nicht auffallen. Hauptsache man hielt die Comtesse und ihre Getreuen nicht für Ribukaner. Anders als ihr eigenes Volk galten die Sanskitaren der anderen Städte nicht als Verräter an der Schöpfung, das mit den Schlangen paktierte, sondern als verweichlichte Schwächlinge, welche den Komfort ihrer antiken Städte einem ehrlichen Kampf vorzogen. Die Ipexco würden also einerseits nicht so feindselig reagieren, auf der anderen Seite ihren Gegner unterschätzen.

Die „Kristallgardisten“ setzten sich in Richtung Nordwesten in Marsch, in das Gebiet der Stammesipexco. Die Nagah folgten ihnen nach und taten so, als ob sie eine Treibjagd auf die Sanskitaren veranstalten würden. Als die ersten Ipexco vom Stamm der Quitzlipochtli in Sicht kamen, begannen Nagah und Ribukaner ein Scharmützel auszufechten. Die Ipexco, wenig erfreut über das Vordringen der Schlangenleibigen auf ihr Gebiet, schlugen sich auf Seiten der Sanskitaren und gingen gegen die Nagah vor, die sich nach kurzer Schlacht eiligst zurückzogen. Daraufhin traten die Ipexco in Verhandlungen mit der Comtesse ein.

Nach ihren Absichten befragt, verkündete Hernanda, sie sei die Anführerin eines Trupps von Kristallgardisten aus Yal-Mordai, die ein gemeinsames Manöver mit den Strategonen der Schule zu Sccri Buccan hätten durchführen wollen. Die verräterischen Ribukaner und die Nagah jedoch hätten sich gegen sie verbündet und versucht, ihren zahlenmäßig unterlegenen Trupp auszulöschen, wohl in der Absicht, Yal-Mordai zu schwächen und es in naher Zukunft anzugrei­fen. Zugleich hätten die Feinde davon gesprochen, den Ipexco eine Lektion zu erteilen und ihre Lager und Dörfer niederzubrennen.

Wie die Comtesse es vorhergesehen hatte, gewährten die Quitzlipochtli ihnen daraufhin Zuflucht und versprachen, Seite an Seite mit den Sanskitaren gegen die echsische Bedrohung zu kämpfen. Hernanda gab zu bedenken, dass selbst ihre vereinigten Kräfte gegen die 2.150 Köpfe zählenden Feinde nicht reichen würden. Die Quitzlipochtli sandten daraufhin Parlamen­täre zu weiteren Ipexco-Stämmen, den Tinochtatlan, den Atzligotal und den Rebochtal, jenen ihrer Nachbarn also, die ihrem Stamm freundlich gesonnen waren. Somit verfügte die Comtesse nunmehr über rund 1.500 Bewaffnete.

In den kommenden Tagen horchte die Magierin die Ipexco über ihre Schwestern und Brüder aus, die im Tal der Tempel lebten, und fand Geschichten bestätigt, die man sich in Ribukan schon seit langem erzählte. Die Bewohner der Tempelstädte und die Stammesipexco hegten wenig Verständnis füreinander. Die Stämme trauten den Städtern nicht und glaubten, dass ein dunkles Herz in ihrer Brust schlage, die Städter fühlten sich missverstanden und waren überzeugt, dass die in ihrem beschränkten Denken gefangenen Stämme nur noch nicht bereit seien für ihre Weisheiten und ihre ausgeklügelten Pläne.

Einer der Streitpunkte, der die Quitzlipochtli besonders umtrieb, war die Legende von Tsa­tua­quatl. Die Bewohner der Tempelstädte glaubten, dass ihre oberste Göttin, Sumacoatl, eine Tochter dieses Namens habe und dass diese eines Tages in Begleitung eines schwarzen Panthers und auf dem Stamm einer Palme reitend erscheinen würde, um den Priestern Suma­coatls den Willen ihrer Mutter mitzuteilen. Den Stammesipexco erschien eine solche Erzählung als schiere Blasphemie. Die Comtesse indes erkannte die Parallelen zur Göttin Satuaria und den Hexen, die in der aventurischen Stammheimat ihrer Familie folgten, und beschloss, sich die Legende zunutze zu machen. Einen schwarzen Panther und eine fliegende Palme würde ihre Magie gewiss bewerkstelligen können.

 

 Die Verwendung des Bildes geschieht mit freundlicher Genehmigung durch Ramona von Brasch

 

Wie vereinbart erschienen die Nagah bald wieder, und diesmal setzten ihnen die vereinigten Ipxecostämme und die Sanskitaren nach. Schritt für Schritt lockten die Nagah ihre Gegner in Richtung des verhassten Kaminilaxo. Die Stadt des Kultes der Bel-Quiratl, der vor langer Zeit die übrigen Ipexco verraten hatte, galt den Stämmen wie den anderen Tempelstädten bis heute als grimmer Feind, den es eines Tages für seine Untaten zu strafen galt. Wie die Comtesse es vormutet hatte, verschanzten sich die Bewohner der Stadt wie gewohnt hinter hohen Mauern und unternahmen nichts, als zunächst eine Armee der Nagah und dann ein ungewohnt großes Heer von Stammesipexco an ihrer Siedlung vorbeizog und ins Tal der Tempel vordrang.

Die Nagah schlugen Kurs in Richtung der Stadt Uxmatl ein. Der Einsatz einiger mächtiger Artefak­te sorgte dafür, dass sie selbst dann noch unentdeckt blieben, als sie am Rande der Ipexcosiedlung ihr Lager aufschlugen. Einige Nagah schlichen in die Stadt und postierten sich auf den Mauern, sodass die heraneilenden Stammesipexco sie sehen konnten. Diese glaubten, die Nagah hätten die Tempelstadt erobert, und beknieten die Comtesse, ihnen mit ihren Leuten bei der Rückerobe­rung behilflich zu sein. Hernanda sagte ihre Hilfe zu.

In Uxmatl, wo man noch immer nichts von der Anwesenheit des Nagahheeres wusste, reagierte die Führung schockiert auf den Angriff ihrer Stammesbrüder, die zwar nie zu den Freunden der Stadt gehört, aber auch nie zuvor einen Angriff gewagt hatten. Schon gar nicht hätten sie die Mauern der Stadt zum Einsturz bringen können, was ihnen aber dank ihrer Verbündeten von der Akademie der Schatten, welche in unmittelbarer Nähe der Mauern einige mächtige magische Artefakte auslösten und damit verschiedene Kritische Essenz-Effekte heraufbeschworen, scheinbar mühelos gelang.

Als die Stammesipexco in die Stadt stürmten und dort keine Nagah entdecken konnten, sondern sich in erbarmungsloser Schlacht mit anderen Ipexco wiederfanden, glaubten sie zu Recht an eine List der Nagah, welche sie in den Kampf mit ihren Schwestern und Brüdern hatte treiben sollen, doch das gesamte Ausmaß dieser Täuschung durchschauten sie nicht. Für Diplomatie war es zu spät, und den Rückzug schnitten die Krieger Uxmatls ihnen ab. Den Stammesipexco und den Sanskitaren blieb also nur, sich in Richtung des Zentrums vorzuarbeiten.

Die Comtesse lenkte die Kämpfe in Richtung der Zentralpyramide und wartete ab, bis die Stammesipexco und die Städter einander empfindliche Verluste beigebracht hatten. Ihre eigenen Leute hielten sich zurück, um die Verluste unter den Sanskitaren möglichst gering zu halten. Dann spielte sie ihre Trumpfkarte aus.

Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, und ein gleißendes Licht erschien. In seinem Zentrum befand sich eine weibliche Gestalt, ganz offensichtlich eine Göttin, die auf dem Stamm einer Palme ritt und von einem schwarzen Panther begleitet wurde. Augenblicklich hörten die Kämpfe auf, und Städter wie Stammesipexco fielen auf die Knie und huldigten der Tochter Sumacoatls.

Die Comtesse hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst in die Rolle Satuarias zu schlüpfen. Genüsslich befahl sie den Ipexco, die Feindseligkeiten einzustellen. Sie seien einer Täuschung der Nagah aufgesessen. Diese habe zum Ziel gehabt, die Ipexco dazu zu bringen, einander zu bekämpfen und zu töten, eine List, die offenbar aufgegangen sei. Nun sei es an der Zeit, die Kämpfe zu beenden.

Die Ipexco taten, wie ihnen geheißen ward. Die Priester eilten herbei, opferten der neuen Göttin eiligst ein paar Dutzend Gefangene und fragten nach ihrem Begehr. „Tsa­tua­quatl“ verkündete, dass es an der Zeit sei, das gespaltene Volk der Ipexco erneut zu einen und zu alter Stärke zurückzuführen. Deshalb habe ihre Mutter Sumacoatl die Comtesse ausgesandt, denn sie sei eine brillante Strategin und als einzige in der Lage, alle Feinde zu vernichten und den Willen der Göttin zu verwirklichen.

Wenig später verschwand die Göttin, und die Ipexco begannen lauthals nach der Comtesse zu rufen, die wenig später auf der Bühne erschien. Wie die Göttin es verlangt hatte, ernannte man sie zur Herrscherin über alle Ipexco und fragte nach ihrem Begehr. Hernanda befahl den Priestern, Parlamentäre zu den übrigen Ipexcostädten zu schicken und sie aufzufordern, alle verfügbaren Krieger nach Uxmatl zu schicken. Es sei an der Zeit, die feindlichen Nagah zu finden, sie ein für allemal aus dem Tal der Tempel zu vertreiben und dann in ihr Reich vorzudringen, um sie für ihre Unverfrorenheit zu bestrafen.

Mitlaxal beugte sich und schickte seine Krieger, Izapatan indes glaubte nicht, dass die Göttin Tsatuaquatl erschienen sei, und verweigerte der Comtesse den Gehorsam. Diese befahl daraufhin, die Stadt mit vereinten Kräften anzugreifen und sie zu erobern. So rückte ein Großteil der Truppen Uxmatls und der Stammesipexco aus, um Izapatan zu unterwerfen, und außerdem alle Sanskitaren einschließlich der Comtesse. Nur eine Kernmannschaft blieb zur Verteidigung von Uxmatl zurück und wähnte sich hinter den inzwischen reparierten Mauern sicher.

Während die Truppen der Comtesse vor Izapatan aufmarschierten, kam auf einmal das Nagah- und Strategonenheer aus seiner Deckung, zerstörte auf ganz ähnliche Weise wie zuvor die Sanskitaren Teile der Stadtmauer und besetzte die weitestgehend schutzlose Stadt Uxmatl. Eine Hundertschaft Nagah blieb zurück und organisierte die Besatzung, die übrigen rückten gegen Mitlaxal vor, das sich kampflos ergab. Kamilinaxo indes erschien einmal mehr als zu mächtig, da es allerdings neutral blieb, stellte es auch keine Gefahr dar. Erneut blieb die Stadt des Bel-Quiratl-Kults unbehelligt.

Die Comtesse belagerte Izapatan für einige Tage, dann traf sie sich mit Parlamentären der Stadt, welche eine Kapitulation aushandeln sollten. Die Magierin wählte ihre Worte bewusst undiplo­matisch, und so stellten sich die Einwohner der Stadt zum Kampf, statt sich zu ergeben. Zum wiederholten Male fochten Ipexco gegen Ipexco, und diesmal wurden die Krieger beider Seiten beinahe voll­stän­dig aufgerieben.

Es dauerte nicht lang, und die Nagah besetzten auch Izapatan. Nun endlich gab sich die Comtesse den entsetzten Ipexco als Verbündete der Schlangenleibigen zu erkennen. Pizarra nahm auf magischem Wege Kontakt mit der Akademie der Schatten auf und teilte mit, dass die Städte der Ipexco gefallen seien, mit Ausnahme des kleinen Lubantuuna, das bei Eintref­fen ribukanischer Truppen gewiss keine Schwierigkeiten machen werde, und der Feste Kamilinaxo, deren Bewohner sich im Inneren verschanzt hielten und sich neutral verhalten würden.

Die Ribukaner, welche die umtriebige Comtesse kannten, begegneten der Nachricht mit Misstrauen und glaubten an einen weiteren Versuch der Magierin, ihre Heimatstadt in den Kampf mit den Ipexco zu zwingen, also entsandten sie ein Heer, nicht, um die Ipexco anzugreifen, sondern um die Comtesse und ihre Leute dingfest zu machen. Zum Erstaunen der Ribukaner fanden sie allerdings alles so vor, wie Hernanda es geschildert hatte. Lubaantuna, das befürchten musste, von der Landseite aus überrannt zu werden wie die anderen Städte, nahm diesmal davon Abstand, die Schiffe der Ribukaner unter Beschuss zu setzen, und ließ die ungebetenen Gäste ungehindert in Richtung Inland weiterreisen.

In den übrigen Tempelstädten trafen die Ribukaner auf zahlreiche Nagah-Krieger, welche ihnen die Besatzung über die Stadt übergaben und sich danach aus dem Ipexco-Territorium zurückzogen. Die Comtesse, eben noch als Abtrünnige verfolgt, kehrte einige Wochen später als die heldenhafte Eroberin des Tals der Tempel nach Ribukan zurück und wurde bald darauf mit der Leitung der Akademie der Schatten betraut. Von nun an lebten die Ipexco unter ribu­kanischer Fremdherrschaft, was für sie zweifellos das kleinere Übel war verglichen mit der Tyrannei Al’Hrastors, die ihnen anderenfalls gedroht hätte, jedoch den Hass zwischen Ipexco einerseits, Ribukanern und Nagah andererseits für eine Vielzahl weiterer Generationen zemen­tierte und festigte.

 

Die Magokratie von Ribukan

Nachdem der Vormarsch Al’Hrastors im Norden gestoppt worden war und die Orks mit ihrem Kampf um erneute Unabhängigkeit begonnen hatten, erhielt die Kampfmoral der Sanskitaren einen deutlichen Dämpfer. Hrastor und Al’Hrastor kamen darin überein, dass der Sanskitari­sche Städtebund einen neuen Gegner benötigte. War erst der Beweis erbracht, dass das Reich noch immer siegreich aus der Schlacht hervorgehen konnte, würde sich gewiss auch die Moral der Truppen im Norden stabilisieren, und dann würden sie die Lage dort sicher unter Kontrolle bekommen.

Kurotan und Amhas verboten sich nach wie vor als Kriegsgegner, und da die Stadtstaaten in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche bis dahin freie Parnhai-Stämme unterworfen hatten, blieben im Umland des Städtebundes nur noch die Echsendschungel als Kriegsziel übrig. Für Al’Hrastor drängte sich dieser Gegner auch deshalb auf, weil er noch immer auf der Suche nach wahrer Unsterblichkeit war. Inzwischen beinahe 150 Jahre alt, begann er immer deutlicher zu spüren, dass der Sarkophagus, der ihm am Leben hielt, ihm keine Ewige Jugend verlieh. Sein Körper starb und verfiel, seine immer ledriger werdende Haut legte sich straff über die gläsern werdenden Knochen, spannte und war überaus verwundbar. Sein Rücken war gebeugt und schmerzte unentwegt. Um diesen Zustand zu verbergen, kleidete der Tyrann sich beinahe immer in dichte, schwarze, bodenlange Roben. Unter der stets tief ins Gesicht gezo­genen Kapuze waren nur die Konturen seines blutleeren, eingefallenen Gesichts zu sehen. Nur seine ausdrucksstarken, in allen Grüntönen gesprenkelten Augen erinnerten an die Ehrfurcht gebietende Gestalt, die er in seiner Jugend verkörpert hatte.

Es war an der Zeit, die Nagah zu unterwerfen, den dauerhaften Zugang zu ihrer Schwarzen Pagode zu erstreiten und das Wissen der Schlangenleibigen als Basis zu nutzen, um das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erforschen, wenn sie selbst es schon nicht vermocht hatten. Oder alternativ die Echsen dazu zu zwingen, die Position von Nama­kari zu verraten, wo es der Sage nach Hinweise gab, die den Gegensatz von Leben und Tod auflösen sollten. Gewiss wussten die Nagah, wo die verschollene Stadt zu finden war – immerhin war das alte Unlon eine Siedlung der Schlangengestaltigen gewesen –, und mussten nur auf angemessene Weise dazu überredet werden, ihr Wissen mit ihren wohlwollenden Nachbarn zu teilen.

Für einen Krieg gegen die Nagah drängte sich allein Ribukan als Basis auf, doch als die Ribukaner von Al’Hrastors Plänen erfuhren, sorgte dies für Aufruhr innerhalb der Stadt. Ribukan und die Nagah waren keine engen Freunde, aber sie hatten sich im Laufe der Jahrhunderte miteinan­der arrangiert, konkurriereten freundschaftlich um Macht und Einfluss über die Ribukanische Halbinsel und knüpften an die alte Tradition des Unlon-Handels an, indem sie Geschäfte miteinander machten. Stadtfürst Toruba Ibn Salman hörte die Stimmen seiner Untertanen und wollte Al’Hrastor in dieser Angelegenheit die Gefolgschaft verweigern, doch sein Umfeld war von Zelothim infiltriert, die seinen Geist ihrem Willen unterwarfen und ihn zu Al’Hrastors Mirhamionette machten. Die Ankunft der ersten Truppen Yal-Mordais führte um ein Haar zu offener Rebellion, die von Torubas Garde und den Truppen Yal-Mordais blutig nieder­ge­schla­gen wurde.

Weder Al’Hrastor noch Toruba ahnten, dass die Rektorin der Akademie der Schatten, die Comtesse, bereits Schritte in die Wege geleitet hatte, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Hernanda Pizarra stand in der Schuld der Nagah, welche ihr geholfen hatten, die Ipexco zu unterwerfen. Hinzu kam ihre tiefe Abneigung gegen die Zauberkundigen Yal-Mor­dais, welche ihre Macht ihrem grausamen Herrn verdankten, dem verfluchten Gott Amazth. Ihre lebensverachtende Philosophie war eine Schande für das Erbe der Kophta, auf das sie sich beriefen. Die Comtesse war zutiefst überzeugt davon, dass die Akademie der Schatten die einzige Zauberschule Rakshazars war, der eine Existenzberechtigung zukam.

Heimlich hatte Hernanda Boten zu den Nagah entsandt und sie vor Al’Hrastors Plänen ge­warnt. Die Schlangenleibigen machten mobil und bezogen in Ribukans Umland Stellung. Die Comtesse bat ihre Verbündeten, einstweilen von einem Angriff abzusehen, um unnötige Verluste an Leben auf beiden Seiten zu vermeiden. Auch hatte sie wenig Interesse an einer Zerstörung Ribukans durch die Echsen.

Die Rektorin der Akademie bat allerdings um die Unterstützung von Su’Ruhya, Zauber­kun­di­gen der Nagah, die sich auf Einfluss und Illusion verstanden, und von Hy’Chaia, den Experten für Verwandlungen. Mit ihrer Hilfe gelang es den besten Magiern der Akademie der Schatten, in einer lauen Sommernacht des Jahres 756 BF unbemerkt in den Palast des Stadtfürsten einzudringen. Als die Garde die Eindringlinge bemerkte, waren diese bereits mitsamt dem Potentaten entkom­men und verschanzten sich hinter den Mauern der Akademie.

Damit war Toruba dem Einfluss der Zelothim entzogen. Das Gespräch mit ihm erwies sich für Hernanda dennoch als ernüchternd, weil der Fürst, der nach den jüngsten Erfahrungen die Macht Al’Hrastors fürchtete, dem Hexensultan allzu große Konzessionen machen wollte und sich weigerte, offen gegen Yal-Mordai zu opponieren. Die Comtesse verzichtete daraufhin auf weitere Diskussionen und setzte nun ihrerseits Magie ein, damit Toruba ihr zu Diensten war.

Am Folgetag trat der Stadtfürst vor sein Volk und erntete dessen tosenden Applaus, als er Ribukans Austritt aus dem Sanskitarischen Städtebund verkündete und erklärte, dass Yal-Mordais Truppen hier nicht länger willkommen seien. Al’Hrastors Soldaten versuchten daraufhin, Toruba zu entmachten und selbst die Befehlsgewalt in der Stadt an sich zu reißen, doch dieser Versuch bekam ihnen nicht gut. Der geballte Volkszorn der Ribukaner wandte sich gegen die Aggressoren, die bis auf den letzten Mann niedergemacht wurden. Am Ende setzten die Ribukaner die Schiffe aus Yal-Mordai in Brand und versenkten ihre Wracks im Gelben Meer. Unterdessen kümmerten sich die Akademiemagier und ihre Nagah-Verbündeten darum, die heimlich in der Stadt agierenden Zelothim zu enttarnen und zu töten. Nur eine Handvoll Überlebender wurde zu Al’Hrastor zurückgeschickt, um ihm zu berichten, was hier geschehen war.

Zusammen mit Ribukan waren auch die Ipexco für Al’Hrastor verloren. Einmal mehr erwies es sich, wie weise die Comtesse gehandelt hatte, die Uthurim selbst zu unterwerfen, statt dies Al’Hrastor zu überlassen. Hätte der Hexensultan das Tal der Tempel kontrolliert, hätte er von dort aus Krieg gegen die Nagah und anschließend gegen Ribukan führen können. So jedoch blieb ihm für einen Krieg im Südosten keinerlei Basis mehr. Den Zugang von Süden blockierte nun Ribukan, das zudem als sichere Basis für Al’Hrastors Truppen ausfiel, und im Norden musste der Hexensultan erst an den Ipexco vorbei, wenn er in die Echsendschungel vordrin­gen wollte.

Zähneknirschend – viele Zähne waren ihm nicht geblieben – musste Al’Hrastor einsehen, dass er ohne Ribukans Unterstützung keine Chance hatte, die Nagah mit Krieg zu überziehen. Er hätte zunächst den abtrünnigen Kriegshafen zurückerobern müssen, doch das erschien in der momentanen Situation kaum realistisch. Genau wie Yal-Mordai kontrollierte Ribukan eine Schwimmende Festung, hatte eine große Kriegsflotte und zudem die Unterstützung der Nagah. Al’Hrastor hätte den aufständischen Ribukanern seine gesamte Armee entgegenwer­fen müssen, aber die war mehrheitlich in den Steppen der Orks gebunden.

Vier Jahre gingen ins Land, in denen die Comtesse unermüdlich den Ausbau Ribukans zur Festung vorantrieb, um die Stadt als Kriegsziel für Al’Hrastor endgültig unattraktiv zu machen. Längst schon galt ihr Wort mehr als das des Stadtfürsten, und als dieser 760 BF einem heftigen Fieber erlag, drängte Ribukans Bevölkerung Hernanda, selbst die Herrschaft über die Metro­po­le anzutreten.

Die Comtesse erklärte sich grundlegend bereit dazu, die Regierungsgewalt zu übernehmen, stellte jedoch Bedingungen. Sie machte den Ribukanern begreiflich, wie sehr die Stadt auf das Wohlwollen der Nagah angewiesen war. Bislang war Ribukan abgesi­chert gewesen. Eine Invasion durch die Nagah wäre durch die Sanskitarischen Verbündeten abgewendet worden, eine Garantie, die nun entfiel. Sollte sich der Sanskitarische Städte­bund zu einem Angriff auf Ribukan entschließen, bedurfte es der Unterstützung durch die Nagah, um die Attacke abzuwehren, und ebenso im Falle eines Aufstandes der Ipexco. Die Comtesse erhob daher die Forderung, dass die Nagah an der Regierung über die Stadt beteiligt werden mussten, um sich ihr Vertrauen und ihre Unterstützung zu sichern.

Hernandas Forderung wurde für Wochen ein heftig diskutiertes Politikum, das die Comtesse durch Diplomatie, großzügige Bestechungsgelder und dosierten Einsatz von Magie zu entschärfen wusste. Unabsichtlich kamen ihr Al’Hrastors Spione zu Hilfe. Als es den Magiern der Akademie gelang, zwei Zelothim bei dem Versuch dingfest zu machen, in der Zauberschule Feuer zu legen, kippte die Stimmung zugunsten Pizarras. Mit der Zusage des Volkes, die Regierung so gestalten zu dürfen, wie es ihr vorschwebte, rief die Comtesse die Magokratie zu Ribukan aus.

Diese wurde künftig von zwei Groß-Muftis gelenkt, einem Menschen und einem Nagah. Die Sorge der Ribukaner, dass die Herrschaft der Schlangenwesen die Menschen Ribukans ihre Identität und ihre Freiheit kosten würde, erwies sich als unbegründet. Die unterschiedlichen Spielarten der Magie von Menschen und Nagah ergänzten sich hervorragend und stellten für Spione der Amazäer und der Zelothim eine veritable Bedrohung dar. Es gelang den Ribukanern auf diese Weise, den größeren Teil der Agenten Al’Hrastors ausfindig zu machen, und die Verbleibenden konnten keinen großen Schaden anrichten.

Die Magokratie wurde so zum Garant für dauerhaften Frieden. Die Sanskitarenstädte nahmen mit der Zeit wieder Handelsbeziehungen zu dem abtrünnigen Stadtstaat auf. Selbst Yal-Mordai schloss sich zähneknirschend an, weil dem Sanskitarischen Städtebund ohne den Ribukan-Handel wichtige Ressourcen fehlten. Die Mitregentschaft der Nagah sicherte den Frieden mit den Schlangenleibigen. In der Stadt entstanden Tempel der Nagah-Götter, welche dem Volk die Heilkünste der Priester und andere Dienstleistungen zur Verfügung stellten. An der Akademie der Schatten kam die Heil- und Verwandlungsmagie dank der Zusammenarbeit mit den Nagah-Zauberkundigen zu ungeahnter Blüte. Das Wissen der Verbündeten über Medizin und Anatomie sowohl hominider als auch echsischer Wesenheiten machte einen gewaltigen Schritt nach vorn und sicherte der Akademie der Schatten hohes Ansehen bei der Bevölke­rung Ribukans ebenso wie bei jener der Echsendschungel.

Als Herrschaftsinsignie der Groß-Muftis diente fortan der Karfunkel des Purpurwurms Ishtazar, welcher vor rund einem Jahrtausend die Ribukaner im Kampf gegen den Amazth-Diener Azuri ibn’Zahalan unterstützt hatte. Eine treffliche Symbolik für Ribukans Widerstand gegen die Umtriebe des Amazth-Dieners Al’Hrastor.

 

Die Legende des Adhrak al-Wîrahil

Die Legende des berüchtigten Piraten Adhrak al-Wîrahil, der das Perlenmeer unsicher machte, bevor er 913 BF von einer Rondrageweihten besiegt wurde, ist auch im Riesland bekannt. Seine Kaperfahrten beschränkten sich nicht auf aventurische Ostküste, sondern führten ihn bis nach Amhalashal, Shahana und Ribukan. Die Überlieferungen sind sich einig, dass er reiche Beute machte und Teile davon in abgelegenen Regionen des Rieslands versteckt haben soll, je nach Erzählung in den Nebelauen, in der Geistersteppe oder auf den Jominischen Inseln. Auch Kap Parhami und die Echendschungel stehen in Verdacht, einige von Adhraks Schätzen zu beherbergen.

In Aventurien erzählt man die Legende meist wie folgt: “Einst, im Jahre 913 BF, segelte ein Pirat über das Perlenmeer und brachte mit seiner blutrünstigen Mannschaft viele Schiffe auf. Dieser Mann, Ahdrak al-Wîrahil, wurde der ‘Verfluchte des Meeres’ genannt. Er wütete so grausam, dass man ihm jegliche Menschlichkeit absprach, und wenn er ein Schiff enterte, überlebte meist niemand das fürchterliche Gemetzel. Nur wenige konnten von einer Begegnung mit ihm berichten, meist Seeleute, die sich während eines Überfalls versteckt gehalten hatten. Doch diese Männer verloren nicht selten den Verstand, denn sie berichteten, der Pirat sei von fürchterlicher Gestalt und seine Augenhöhlen seien dunkle, leere Schächte der Verdammnis. Manche sagten, sein Gesicht sie zerfurcht gewesen wie eine alte Schiffsplanke, andere beschrieben, sein Haar flattere im Wind wie ein zerfetztes Segel. Adhraks Mannschaft stand in ihrer Grausamkeit dem Kapitän in nichts nach. Diese Piraten waren anscheinend besessen von ihm, und wie willenlose Sklaven führten sie jeden seiner Befehle aus. Auch Adhraks Waffe erlangte einen schrecklichen Ruf. Dieser schwarze Khunchomer, angefertigt auf der ‘Verfluchten Inseln’, zerschmetterte seine Gegner mit erbarmungslosen Schlägen, und ein Heulen lag in der Luft, wenn er geschwungen wurde.

Ahdrak wurde gejagt, eine hohe Summe auf seinen Kopf ausgesetzt, doch er entkam seinen Häschern immer wieder, bis die damalige Kommandantin der gräflichen Flotte, Jette Sulderkam, dem Piraten eine Falle stellte: Eine Handels-Zedrakke wurde mit einer Vielzahl der besten tulamidischen Seesödner bemannt, die sich unter Deck versteckten. als Ahdrak die vermeintliche ‘leichte Beute’ enterte, kam es zu einem blutigen Gefecht. Viele Opfer waren auf beiden Seiten zu beklagen. Doch wie unverwundbar trotzte Ahdrak jeder Attacke und mähte die Angreifer nieder. Schließlich gelang es Jette, Adhrak zu verwunden und ihm die Hand abzuschlagen, die die Waffe führt, so dass der schwarze Khunchomer zu Boden fiel. Ahdrak jedoch ergriff Jette mit nur einer Hand und würgte sie zu Tode. Den zögerlich angreifenden Söldnern warf er seinen gefürchteten Schrei entgegen, so dass ihnen die Knochen schlotterten. So entkam er mit dem Rest seiner Mannschaft. Seither hat man von dem Verfluchten des Meeres nie wieder etwas gehört.

Sein Khunchomer allerdings wurde dem damaligen Großfürsten zum Geschenk gemacht, und so liegt er noch heute im Kulibin-Haus zu Khunchom.“ (Zitiert nach ”Basargeschichten“, S. 40.)

1027 BF konnte eine aventurische Heldengruppe das Geheimnis des Piraten lüften und seiner Schreckensherrschaft, die seinen Tod überdauerte, endlich ein Ende bereiten. Man erzählt sich die Legende vom Piratenblut heute als gern gehörte Basargeschichte. Seine sagenumwobenen riesländischen Schätze, so es sie wirklich gibt, harren allerdings immer noch ihrer Entdeckung.

 

Das Ende des Sanskitarischen Städtebundes

Ebenfalls 990 BF eskalierte der Konflikt, der seit langem zwischen Yal-Mordai und den anderen Sanskitarischen Stadtstaaten schwelte. Die Herrschaft des Hexersultans zwang den sanskitarischen Städtebund in einen ewigen Krieg, der aber keine Erfolge einbrachte. Im Gegenteil. Die einzige Grenze, die sich verschob, war die im Norden, aber wenn sie sich bewegte, dann auf Teruldan zu, weil der Städtebund erneute Territorialverluste gegen die Feinde erlitten hatte.

Die Zelothim hatten die Stadtstaaten befallen wie eine tödliche Pestilenz, die das Leben aus ihnen heraussaugte. Überall hielten sie wichtige Positionen, Titel und Ränge und versuchten zu verhindern, dass die Städte wachsen, gedeihen oder auch nur instandgehalten werden konnten.

Der Druck, der in dem gewaltigen Hexenkessel der Sanskitarenmetropolen schwelte, hatte längst kritisches Niveau erreicht. Er wartete nur darauf, sich zu entladen, indem sich ein charismatischer Anführer fand, der den Aufstand gegen den verhassten Hexensultan und seine Schergen lostrat. Als dieser entpuppte sich Arkamin, der einer bedeutenden shahanischen Dynastie von Händlern und Seefahrern angehörte. Er hatte viele Jahre als Soldat gedient, doch nachdem die Soldzahlungen zum wiederholten Male ausgeblieben waren, hatte er sich unerlaubt von der Truppe entfernt. In den Sanskitarischen Stadtstaaten wurde er als Deserteur gesucht, so wie viele andere, denen nur die Wahl geblieben war, aus der Armee zu fliehen und anderswo für ihren Lebensunterhalt zu sorgen oder auf dem Weg zum Schlachtfeld zu verhungern, statt vom Feind erschlagen zu werden.

Arkamin blieb nie lang an einem Ort. Er reiste durch die Stadtstaaten, schwang in aller Öffentlichkeit demagogische Reden und verschwand wieder, bevor die Obrigkeit Zugriff nehmen konnte. Seine Worte fanden Gehör. Von überall her traten Unzufriedene an ihn heran und boten ihre Unterstützung an, allen voran die Soldaten, die des ewigen Krieges und der schlechten Behandlung überdrüssig waren.

Daran, dass er tatsächlich einen Aufstand anführen könnte, glaubte aber niemand, nicht einmal seine eigenen Verbündeten. Arkamin war impulsiv und voller Hass, seine Reden säten Zorn in die Seelen der Menschen, aber sie hatten nichts von einem organisierten Aufruhr oder gar einer Rebellion. Auch Arkamin selbst glaubte nicht daran, genug Sanskitaren erreichen zu können, die sich seiner Sache anschlossen.

Aber es wurden mehr und immer mehr, der Strom der Unzufriedenen wollte einfach nicht abreißen. Und dann, eines Tages, verkündete Arkamin zum Entsetzen seiner Berater, dass der Aufstand in sieben Tagen beginnen werde. Seine Anhänger sollten dies überall verbreiten und sich bereitmachen.

Wie üblich hatte Arkamin rein impulsiv gehandelt. Es gab keine Vorbereitung, keinen Plan, keine Bewaffnung, keine Organisation. Und es schien auch nicht so, als würde Arkamin Anstalten machen, die Sache wieder einzufangen. Seine Anhänger steuerten auf eine Katastrophe zu, und ihr Blut würde in Strömen fließen.

Da stürmte eine Frau namens Lily auf Arkamin zu. Sie schlug jeden zu Boden, der sie aufhalten wollte, dann schrie sie den verantwortungslosen Rädelsführer zusammen, dass man es beinahe noch in Rimtheym hören konnte. Arkamin begriff erst gar nicht, was die böse Frau von ihm wollte, bis sie ihm klarmachte, dass er tausende, vielleicht zehntausende in den Tod schicken würde, wenn er das, was er angestoßen hatte, einfach laufen ließ.

Als die Botschaft in seinen Geist gesickert war, schien es beinahe, als würde Arkamin aus einer Trance erwachen, die schon Jahre währte. Auf einmal begann er Pläne zu schmieden, und es zeigte sich, dass seine Zeit beim Militär ihn genug gelehrt hatte, um zu wissen, wie er das anstellen musste. Nach drei Tagen existierte ein kompletter Aufmarschplan, die Hälfte seiner Anhänger war bewaffnet, die Ausrüstung für die andere Hälfte unterwegs.

Der Plan sah vor, dass der Aufstand in allen Sanskitarenstädten zugleich losbrechen sollte, mit Ausnahme Yal-Mordais, das zu fest in der Hand der Amazäer war, um für eine Rebellion gewonnen werden zu können, und natürlich mit Ausnahme Ribukans, das seine Freiheit schon vor langer Zeit erstritten hatte.

Was niemand für möglich gehalten hatte, geschah. Arkamins Plan hatte Erfolg. Punkt für Punkt. Der Aufstand brach genau zur vereinbarten Stunde los, alle Städte beteiligten sich. Die Aufständischen rückten vor, wie Arkamins Plan es vorsah, und der Zorn der Menschen entlud sich mit einer Macht, dass er jeden Widerstand hinwegfegte. Wenn es denn Widerstand gab, denn oft genug traten jene, welche Al’Hrastors Leute hätten verteidigen sollen, an die Seite der Aufständischen und stürmten gemeinsam mit ihnen voran.

Al’Hrastor, der sich wie so oft zur Regeneration in seinem Sarkophag befand, wurde von den Zelothim, welche die Lage trotz massiven Einsatzes ihrer zerstörerischen Magie nicht unter Kontrolle bekamen, unsanft aus dem Schlaf gerissen. Es dauerte eine Weile, bis sein Geist in die Welt zurückfand und er begriff, was geschehen war. Dann jedoch entbrannte sein lodernder Zorn. Er hatte seit langem geglaubt, viel zu nachsichtig mit den Menschen zu sein, jetzt zeigten sie ihr wahres Gesicht und wie richtig er mit seiner Einschätzung lag.

Al’Hrastor entfesselte die Macht des Amazth und sorgte damit für entsetzlich viele Tote. Aber das hielt die Aufständischen nicht auf. Lieber sterben, als weiter von den Tyrannen im schwarzen Kapuzenmantel unterjocht zu werden. Als selbst in Yal-Mordai Tumulte losbrachen, sah sich Al’Hrastor gezwungen, den Stein der tiefsten Nacht zum Einsatz zu bringen. Doch der letzte Paktschluss, der den Stein aufgeladen hatte, lag viel zu lange zurück. Der letzte Paktierer war Zambronius gewesen, Zulipans Schüler, zur Zeit der Magierkriege, die mehr als vierhundert Jahre zurücklag.

Da erschien Hrastor und erklärte ruhig, dass es an der Zeit sei, die Entscheidung zu treffen, der sich Suliman seit beinahe vierhundert Jahren verweigerte. Sich der Macht des Herrn des verbotenen Wissens zu ergeben und ihm mit ganzer Kraft zu dienen.

Diesmal blieb Al’Hrastor keine Wahl, er musste den Pakt mit Amazeroth schließen, dem er sich so lange verschlossen hatte. Selbst Merclador konnte nichts dagegen ausrichten. Hrastor rief den Dämon herbei, unterwarf ihn seinem Willen und zwang ihn, in Amazeroths Namen jenen Kontrakt mit Al’Hrastor zu besiegeln, der die Macht des Steins der tiefsten Nacht erneuern würde.

Die beste Gelegenheit, das Paktgeschenk der Alterslosigkeit zu wählen, doch Al’Hrastor ließ sie ungenutzt verstreichen. Seine Abhängigkeit vom Sarkophagus der Ewigkeit ging inzwischen so weit, dass er nichts tun wollte, was diese gefährdete. Das Erneuerungsritual wirkte bei ihm wie eine Droge, deren Konsum er keinesfalls entsagen wollte. Zudem war er überzeugt davon, dass er Namakari, das Unlon der Legenden, alsbald finden und ihr das Geheimnis der Unsterblichkeit entreißen werde.

Stattdessen wählte Al’Hrastor andere Paktgeschenke, die seine Macht vergrößern sollten. Das Spiegelszepter des Amazth, das es Al’Hrastor ermöglichen würde, die Kritische Essenz zu manipulieren und somit auch mächtigste Zauber zu wirken, ohne selbst in Gefahr zu geraten, wechselte von Hrastor zu ihm. Das Allsehende Auge von Mhek’Thagor, ein sogenanntes ‘Rotes Auge’, das nicht die Beobachtung fremder Orte zum Ziel hatte, sondern den Kontinent nach starken Magiequellen absuchte. (Mhek’Thagor ist ein Dämon, bekannt als Auge und dritte Zunge Amazeroths. Eine spricht wahr, eine spricht falsch und Mhek’Thagor Tod. Der Dämon steht in dem Ruf, Schwarze Augen zu täuschen und in Amazeroths Sinne korrumpieren zu können.) Das Schwarze Buch Qok-Maloth, das viele Geheimnisse des Amazth enthielt und die Möglichkeiten der Zelothim-Magie signifikant erweitern würde. (Qok-Maloth, auch: Qok’Maloth, ist ein einzigartiger Dämon aus der Domäne des Amazeroth und gilt als Überbringer magischen Wissens und Wächter von Gnaph’Caor, der letzten Pforte des Wissens, der Bibliothek des verbotenen Wissens im Herzen des Spiegelpalastes des Erzdämons Amazeroth. Gnaph’Caor wird auch als eine der Hände des Vielgestaltigen Blenders bezeichnet.) Den Drachenbeinthron, ein aus dem Skelett der Drachin Samatuhl gefertigter Thron, mit dem Al’Hrastor zusätzliche Astralkraft auf sich umlenken konnte. Der Schädel mit dem Karfunkel konnte ihm zudem als eine Art Helm dienen, mit dessen Hilfe er diverse Hellsicht-Zauber wirken konnte.

Auch der Stein der tiefsten Nacht war wieder aktiv und strotzte nur so von Kraft. Al’Hrastor war bereit, sich den Aufständischen entgegenzustellen. Doch der Paktschluss hatte Zeit in Anspruch genommen. Zeit, die die Aufständischen genutzt hatten, um die Zelothim zu töten oder zu vertreiben. Die Kämpfe waren abgeflaut, vor Stunden. Yal-Mordai, Yal-Amir, Yal-Kharibet und Teruldan hatten ihren Austritt aus dem Sankitarischen Städtebund erklärt, der damit nicht mehr existierte. Und es gab niemand mehr in den vier Städten, der an Al’Hrastors Seite gegen die Rebellen hätte kämpfen können oder wollen.

Nur wenige Tage später wurde Arkamin zum Herrscher Shahanas gekrönt. Er sollte als Sultan Arkamin I. in die Geschichte des Rieslands eingehen.

 

Salpikon Savertin

 

Salpikon Savertin. Bild verwendet mit freundlicher Genehmigung durch Ramona von Brasch.

 

Das Ende der ribukanischen Magokratie

Das Ende der ribukanischen Magokratie von 992 BF wurde durch einen aventurischen Geheimbund besiegelt, dem es im Jahre 988 BF gelungen war, einige seiner Anhänger im Riesland einzuschleusen. Er hatte in einem amhasischen Senator, der auf eine entscheidende Schwächung eines der sanskitarischen Konkurrenten spekulierte, einen willfährigen Verbündeten gefunden.

Das Siegel der Erkenntnis ist eine uralte Geheimgesellschaft aus dem Lieblichen Feld, die angeblich einst von Fran-Horas persönlich gegründet worden war. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt Zauberkundigen, die mit Marhynas Gabe gesegnet sind, dem Ea’Myr. Wie die meisten Aventurier weiß das Siegel wenig über den Ursprung des dritten Auges in Marhynas Frevel und seiner Herkunft von Maryhnas erstem Volk, den Archäern. In der Regel glaubt man auf dem kleinen Westkontinent, das merkwürdige Stirnauge sei der Ucurifunke, ein Göttergeschenk, das der Sohn des Praios dem Heiligen Horas und seinen Nachfahren gemacht habe. Mit der Sage vom Ucurifunken wurden die legendäre magische Kraft und die Langlebigkeit des mythischen Horas begründet.

Fran-Horas soll das Siegel als Jäger der Erben des Ucuri-Funkens ins Leben gerufen haben, um andere Träger des Ea’Myr ausfindig zu machen, welche ihm als Konkurrenten um die Kaiserkrone hätten gefährlich werden können. Vermeintlich vererbt sich der Ucuri-Funken über Blutlinien und deutet auf eine Abstammung seines Trägers vom Heiligen Horas und damit von Ucuri bzw. Praios selbst hin, was ihn für die weltliche und geistliche Herrschaft qualifiziere. Das Siegel der Erkenntnis sollte die anderen Funkenträger ausfindig machen und vernichten, damit Fran der einzige Mensch mit einem Anspruch auf den Kaiserthron blieb.

Frans Tod bzw. Verschwinden hätte eigentlich dazu führen müssen, dass sich der Orden selbst auflöst, da sein Zweck nun obsolet geworden war. Doch wie so oft verselbstständigte sich die Angelegenheit. Der Geheimbund ersann eine eigene Deutung der Geschichte um den Ucuri-Funken. Danach sollen alle Träger des Ea’Myr eine dämonische Saat in sich tragen. Diese habe den gütigen Kaiser Fran in den Wahnsinn getrieben und warte nur darauf, auszubrechen und den Staat ins Verderben zu stürzen. Dies gelte es unter allen Umständen zu verhindern, egal wie und unter welchen Opfern.

Das ‘Siegel’ hütet arkanes Wissen aus Fran-Horas’ Zeiten. Zu diesem gehören auch Rituale zum Erkennen von Funkenträgern. Das Wirken derselben ist nicht ungefährlich, daher schlägt der Bund zuweilen auch auf Verdacht zu und nimmt zugunsten des höheren Ziels unschuldige Opfer billigend in Kauf. Dies galt selbstverständlich auch für den Rieslandeinsatz, schließlich wollten die Ordensmitglieder keine Kritische-Essenz-Effekte auslösen. Sie gingen also großzügig davon aus, dass alle hominiden Magokraten Ribukans betroffen waren.

Nur der innerste Zirkel des Geheimbundes vermag zu sagen, wie er an Berichte über Rubans streng geheim gehaltene zweite und dritte Reise und die Bergung des Schildes der Macht gelangte, wie er von der zweiten Rieslandreise der daran beteiligten Abenteurer erfuhr und wie er herausfand, dass die riesländische Stadt Ribukan von einer Magokratie beherrscht wurde. Womöglich gab es eine undichte Stelle unter den Mitarbeitern des Hauses Pattulien. Verschiedentlich geriet Arat Fabig unter Verdacht, aber diese Theorie ist kaum plausibel. Das Siegel auf die Gegebenheiten im Riesland aufmerksam zu machen hätte ihm keinen Vorteil verschafft. Vielleicht hatte einer der Feinde der neuen Globulenbewohner Gerüchte gestreut. Gorgafan, der es leidenschaftlich verabscheut, andere vor seinen Karren zu spannen, statt selbst aktiv zu handeln, ist es gewiss nicht gewesen, aber wer vermag schon zu sagen, zu welchen namenlosen Umtrieben sich ein Schattenlord namens Darknaros hinreißen ließe. Oder ein gestaltwandelnder Drachendämon namens Merclador.

Plausibler ist da die Vermutung, wie es dem Siegel gelang, an die benötigten Informationen für eine erfolgreiche Rieslandfahrt zu gelangen. Immerhin gibt es im tulamidischen Raum, wo es noch uraltes Geheimwissen über die Rieslandfahrten des Diamantenen Sultanats geben mag, mit den Nachtwinden eine Organisation, deren Ziele jenen der Liebfelder gleichen. Die Quebalaya (eine Vereinigung magisch begabter Personen) “Nachtwinde” verfolgt andere Zauberkundige, da sie Magie als Fluch ansieht. Der Plan, eine Magokratie in einem unerreichbar fernen Land zu Fall zu bringen, dürfte Musik in den Ohren der Nachtwinde gewesen sein, sodass sie nach einigen konspirativen Treffen zwischen den beiden Führungsriegen der sinisteren Geheimgesellschaften alles darangesetzt haben mögen, das nötige Wissen zu beschaffen, um den Plan des Siegels zum Erfolg zu verhelfen. Womöglich haben sie sogar eigene Stellvertreter mit auf die Reise geschickt.

Fest steht, dass das Siegel Mitte 987 BF über genug Informationen verfügte, um die gefährliche Reise ins Riesland anzutreten und Maßnahmen gegen die Magokratie Ribukans zu ergreifen. Der Verdacht stand im Raum, dass jeder der herrschenden menschlichen Magokraten ein Träger des Ucuri-Funkens sei. Unter ihren schlangenleibigen Verbündeten, den Nagah, indes schien das dritte Auge unbekannt zu sein. Als besonders frevelhaft galt dem Siegel, dass sich die Magokratie auf Fran-Horas berief und behauptete, er habe einst ihre Zauberschule gestiftet, die Akademie der Schatten. Die Magokraten würden sich alsbald für die dreiste Lüge verantworten müssen.

Zum Verbündeten des Geheimbundes wurde bald Culius, ein amhasischer Senator. Er gehörte zu den angesehensten Männern der republikanischen Gesellschaft und wohnte in einem wunderschönen Anwesen mitten in Amhas, gelegen am Totenwasser. Dass er junge Parnhai ‘liebte’, sie grundlos folterte, zu Tode hetzte oder zwang, sich gegenseitig umzubringen, war nichts, was das Interesse der Amhasim geweckt hätte. Sklaven waren Eigentum wie andere Gebrauchsgegenstände auch. Natürlich bot es sich an, pfleglich mit ihnen umzugehen, schließlich kosteten sie Geld, und die Jagd nach Nachschub war nicht eben billig. Aber wenn ein reicher Bürger sich ein exklusives Hobby gönnte und einen Teil seines Einkommens darin investierte, wer hätte es ihm verwehren können?

Culius zeigte sich äußerst interessiert an dem Vorhaben des Siegels, gegen Ribukan vorzugehen. Seit Jahrhunderten überzogen die sanskitarischen Stadtstaaten ihre Nachbarn mit Krieg, und sollte es ihnen je gelingen, Ronthar und Kurotan zu Fall zu bringen, wäre Amhas ihr nächstes Opfer. Ein Opfer, welches sie das Fürchten lernen würde. Es hieß zwar, Ribukan habe sich von den anderen Stadtstaaten losgesagt, aber der Senator bevorzugte es, auf Nummer sicher zu gehen. Wenige Monate nach diesen Erwägungen zerbrach der Sanskitarische Städtebund, doch Culius befand, dass der Plan schon viel zu weit gediehen sei, um ihn jetzt noch zu stoppen.

Senator Culius hatte durchaus nicht vor, sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Also suchte er sich einen Handlanger, der für die Umsetzung seiner Pläne sorgen sollte. Seine Wahl fiel schließlich auf Abu-Samin, den berüchtigten Anführer einer im sanskitarischen Raum agierenden Räuberbande. Diesem war es mehrfach gelungen, sich einer Gefangennahme zu entziehen, indem er die Bevölkerung gegen die Obrigkeit aufwiegelte, sodass sie sich als Schutzschild zwischen ihn und seine Häscher stellte.

Auf ganz ähnliche Weise ging Abu-Samin auch in diesem Fall vor. Ende 991 BF erhob er schwere Vorwürfe gegen die Magokraten Ribukans. Er wusste, dass diese regelmäßig Ipexco, Parnhai und Vertreter anderer Völker, seien es Piraten, Straftäter oder politische Gegner, verschleppten und anatomische Experimente an ihnen durchführten. Die Akademie der Schatten verfügte über exquisites Wissen in diesem Bereich, das mit Strömen an Blut erkauft worden war. Abu-Samin trug sein Wissen über diese Vorgänge an die Öffentlichkeit, schmückte sie mit blumigen Worten aus und ließ ihr Ausmaß ins Monströse anwachsen.

Der Aufstand, der daraufhin entbrannte, nahm im Tal der Tempel seinen Anfang, wo sich die unterworfenen Ipexco erhoben. Sie fanden sich zu großen Heerhaufen zusammen und zogen gen Ribukan. Die Nagah waren unsicher, wie sie mit dem Aufstand umgehen sollten. Zwar waren sie Verbündete der Ribukaner, aber wenn die Vorwürfe, die gegen die Magokraten erhoben wurden, den Tatsachen entsprachen, entlud sich der Zorn ihrer Untergebenen zu Recht gegen sie. Schlussendlich verhielten sie sich abwartend und ließen die Ipexco ihre Dschungel unbehelligt passieren. Vor Ribukan gesellten sich Parnhai und eine Menge anderer Sympathisanten und Unzufriedener hinzu.

Die Magokraten mobilisierten Ribukans Truppen, um sich der Bedrohung entgegenzuwerfen, aber Abu-Samins Worte hatten auch innerhalb der Stadt Früchte getragen. Bedeutende Teile der Kämpfer desertierten, andere Truppenkontingente besetzten strategisch wichtige Punkte der Stadt. Dadurch ermutigt, erhob sich das Volk, protestierte lautstark gegen seine Führung und forderte, die Stadttore für die Ipexco und ihre Verbündeten zu öffnen.

Die Truppen, die den Magokraten noch blieben, genügten nicht, um der geballten Macht zu trotzen, und so schufen die Bürger vollendete Tatsachen und öffneten Ribukans Tore. Als die Aufständischen in die Stadt einzogen, wurden sie von einer Masse jubelnder Bürger empfangen. Dies verhinderte, dass sie ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung anrichteten. Stattdessen zogen sie sogleich in Richtung des Palastes und der Akademie der Schatten.

Dort jedoch metzelten die Angreifer alles nieder, was sich bewegte. Dass sie in den Laboratorien tatsächlich die Überreste der Opfer anatomischer Experimente fanden, heizte ihren Zorn noch an. Dass die Zustände bei weitem nicht so waren, wie Abu-Samin sie geschildert hatte, fiel niemandem auf.

Nur wenige Angehörige der Magokratie überlebten das Massaker. Diese wurden von Abu-Samin in einem öffentlichen Schauprozess publikumswirksam abgeurteilt. Unter den Überlebenden war auch Salpikon Savertin, ein profunder Kenner der menschlichen Anatomie, der Artefaktmagie der Hy-Chaia der Nagah, die bis dahin an der Akademie der Schatten gelehrt worden war, und einem halben Dutzend weiterer bedeutender Disziplinen. Dieser blieb, wie es seine Art war, vollkommen ruhig und beteuerte wortreich, nur Mitläufer gewesen zu sein. Abu-Samin glaubte ihm kein Wort, spürte aber, dass der Magokrat die Sympathien des Volkes gewonnen hatte. Also verzichtete er darauf, das Todesurteil über ihn zu verhängen, und verurteilte ihn stattdessen zu lebenslanger Haft, die er in einer auf den Jominischen Inseln gelegenen Strafkolonie Ribukans verbringen sollte.

Abu-Samin wurde noch im selben Jahr zum Sultan von Ribukan erhoben. Die Ipexco hatten die Fremdherrschaft der Ribukaner abgeworfen, doch eine Neugründung Ipextamacos schien nach wie vor unmöglich, zu groß waren die Differenzen zwischen den Stadtstaaten.

Savertin indes hatte eigene Pläne. Er würde sich natürlich nicht in eine Strafkolonie verfrachten lassen. Im Riesland, wo die neuen Machthaber Ribukans ihn gnadenlos verfolgt hätten, konnte er aber auch nicht bleiben. Er erinnerte sich der Aventurier, die ihm freundlicherweise die Position eines Charyptoroth-Unheiligtums mitgeteilt hatten, aus dem er einige äußerst nützliche Artefakte geborgen hatte. Diese hatte Savertin sorgsam verpacken lassen, ebenso wie andere wichtige Besitzungen, darunter die Krone, mit welcher die Schwimmende Festung von Ribukan gesteuert wurde, und die Aufzeichnungen Bastan Munters. Als Savertin auf das Gefängnisschiff Bote von Ribukan gebracht wurde, schmuggelten Seeleute, die von gut bezahlten Gefolgsleuten Salpikons hohe Bestechungsgelder erhielten, Savertins Besitztümer an Bord.

Salpikon wartete auf eine passende Gelegenheit, dann befreite er sich von seinen Fesseln und brachte die Artefakte aus Charyptas Tempel an sich. Er entfesselte magische Gewalten, welche die Hälfte der Mannschaft töteten und die andere seinem Willen unterwarfen. Hier, fernab des Zentrums von Rakshazar, hielten sich die Effekte der Kritischen Essenz in Grenzen, sodass Savertins Vorgehen ganz nach Plan verlief. Dann ließ er die Seeleute Kurs in Richtung Aventurien setzen. Den Widrigkeiten, die eine solche Reise mit sich brachte, trotze er durch den erneuten Einsatz der Artefakte, die er mit sich führte.

Dass die “Bote von Ribukan” letztlich in Mirham anlandete, war reiner Zufall. So gut, dass er gezielt einen Hafen hätte aufsuchen können, kannte Savertin sich mit den aventurischen Verhältnissen nicht aus. In den Erzählungen der Städter präsentiert sich das, was geschah, meist wie folgt:

Man schrieb das Jahr 994 BF, als im Stadthafen ein Schiff unbekannter Herkunft anlegte, welches in Ur-Tulamidischer Schrift, in die zweifellos fremde Einflüsse eingesickert waren, der Name Bote von Ribukan zierte. Der Einzige, welcher das Schiff verließ, war ein Mann, der sich als Salpikon Savertin vorstellte und angab, auf einer Forschungsreise zu sein. Noch in derselben Nacht ging das Schiff in Flammen auf. Der Fremde, der laut eigenen Angaben von irgendwo aus dem Osten kam, blieb in der Stadt und gelangte dort rasch zu Einfluss und Macht.

Salpikon Savertin wirkt wie ein Mann in den besten Jahren, obwohl er Gerüchten zufolge über achtzig Götterläufe zählt – tatsächlich wurde er 944 BF geboren. Seine dunklen Augen im hartgeschnittenen, mit einer Adlernase bewehrten Gesicht blicken hellwach. Das auffälligste Merkmal des mit seinen 1,89 Schritt ohnehin wenig unauffälligen Convocatus Primus ist sein in allen Regenbogenfarben schillerndes, eigentlich schwarzes Haar, das er angeblich gemäß der Tradition seiner Heimat gefärbt hat. Er bevorzugt edle Roben, die in blauen, braunen oder schwarzen Farbtönen gehalten sind. Ohne seinen Magierstab, der von einem rubinäugigen Drachenkopf gekrönt wird und mit allerlei Gebein verziert ist, sieht man ihn selten. Ihn umweht meist der intensive Geruch fremdartiger Duftöle, welche den Geruch seiner anatomischen Studien überdecken.

Savertin stellte fest, dass es in Mirham eine Zauberschule gab, die für seine Vorhaben perfekt geeignet war, und schrieb es später gern dem Schicksal zu, dass es ihn ausgerechnet hier an Land gespült hatte. Die Akademie der Vier Türme war beinahe so alt wie die Magokratie Ribukans. Letztere hatte die Comtesse 760 BF ins Leben gerufen, erstere war drei Jahre später entstanden. Der Mirhamer König hatte sie seinem Leibmagier Al’Gorton 763 BF zum Geschenk gemacht, nachdem dieser ihm das Leben gerettet hatte. Savertin wusste da noch nicht, dass Al’Gorton in seinen vielen Inkarnationen, so auch in der von 701 bis 774 BF, als menschlicher Tiervertrauter der Skrechu diente, der ständigen Verbündeten des Alveraniars des Verbotenen Wissens, in dessen Opposition er alsbald treten würde.

Die Zauberschule hat sich die Magica Transformatorica (Objekt- und Umweltzauberei) als Spezialgebiet erwählt und gilt zu den führenden Schulen in den Bereichen Alchimie, Lotoskunde, Thaumaturgie, Erforschung der Echsenzauberei, Golemerschaffung und borbaradianische Transformationsmagie. Zu ihren Pfaden bzw. Ausbildungszweigen zählt auch der Pfad des Schattens, der den Objectofixo durch den Silentium und den Desintegratus durch den Custodosigil ersetzt.

Savertin erschien wenig später an der Akademie der Vier Türme und forderte unverhohlen einen Lehrstuhl. Als linguistisches Genie und Meister der Artefaktherstellung bestand er alle Prüfungen der Magister mit Leichtigkeit. So wurde er Lehrer für Echsisch und Arkanogenese sowie Kustos der Bibliothek. Im Laufe der Jahre begründete er seinen wohlverdienten Ruf als brillanter Sprachenkundler, Redner und Saurologe, vollendeter Anatom, arkaner Forscher und kompetenter Diplomat. Er gilt als einer der ganz wenigen Menschen, welcher die kristallomantische Repräsentation beherrscht. Als seine Ziele nennt man die Bündelung der Kräfte in der Schwarzen Gilde, den freien Austausch von (magischem) Wissen, tiefere Einsichten in die echsische Kultur und Magiepraktiken, Eingeweihte außerdem die Vorbereitung eines Rachefeldzugs gegen seine riesländischen Feinde.

995 verwies Spektabilität Thomeg Atherion, welcher von sich selbst behauptet, nicht von Dere zu stammen, Liscom von Fasar aufgrund seiner Anhängerschaft des Borbaradianismus der Akademie der Geistigen Kraft von Fasar, gegen den ausdrücklichen Rat Salpikons, der ahnte, was daraus erwachsen würde.

Bereits wenige Jahre später, 997 BF, verdrängte Savertin den politisch ambitionierten Rhayodan de Porcupino von seinem Posten als Spektabilität der Mirhamer Schule der veritablen Form, doch sein Ehrgeiz drängte ihn danach, immer weiter voranzuschreiten. Savertins Neuanfang hatte zum Ziel, genug Macht anzusammeln, um eines Tages in seine Heimat zurückzukehren und selbst Gefängnisschiffe zu füllen. Ab und zu wirft er durch das Schwarze Auge der Mirhamer Akademie einen Bick auf seine alte Heimat. Ansonsten hat er alle Hinweise auf seine Herkunft vernichtet, mit Ausnahme des Wracks der “Bote von Ribukan”, das tief im schlammigen Hafenbecken Mirhams liegt.

 

Die Erzgeborenen

Eine der wichtigsten Quellen der Historie der Echsendschungel außerhalb der Schwarzen Pagode sind wohl die Höhlenmalereien von Ssa’krey. Fürwahr eine gewagte Behauptung, da sie die Dschungel selbst und ihre Bewohner gar nicht betreffen, geschweige denn sich überhaupt mit der Derenoberfläche befassen würden. Und dennoch bilden sie ein bedeutendes Stück Geschichtsschreibung, das in einem Werk wie diesem unmöglich außer Acht gelassen werden darf.

Ssa’krey ist ein Name, der dem Sycc bzw. seiner Schriftsprache Xah’Stsiva der Nagah entstammt. Die Bedeutung des Namens ist unklar, da er sich sowohl von „Zah Kray“ ableiten könnte, was soviel heißt wie „Höhle des Lebens“, als auch von „Satuar Kery“, was am ehesten mit „Hort der Erzkinder“ zu übersetzen wäre.

Bei Ssa’krey handelt es sich um ein ausgedehntes System von Höhlen, einige hundert Meilen südöstlich von Angankor gelegen, die eindeutig nicht natürlichen Ursprungs sind. Dieses Höhlensystem wurde 1040 BF von ribukanischen Bergleuten entdeckt, welche tief im Dschungel nach Bodenschätzen suchten. Beim Ausbau einer Kupfermine stießen die Arbeiter plötzlich auf eine Stelle, hinter der sich ein Hohlraum befand. Als sie den Weg dorthin freisprengten, gab der Berg nach, und Tonnen von Gestein verschütteten die etwa 200 Schritt messende Höhle, die sich dort befunden haben musste. Die Aufräumarbeiten nahmen zwei Jahre in Anspruch, danach fanden die überraschten Ribukaner einen Schacht, der tiefer in den Berg hineinführte. Nach etwa fünfzig Schritt stießen die Menschen auf eine quadratische und damit ebenfalls keinesfalls natürlich entstandene Höhle, die durch die Wucht des Steinschlages ebenfalls zu einem Großteil verschüttet lag. Immerhin entdeckte man in ihr einen weiteren Schacht, der wieder fünfzig Schritt tief in die Erde ragte. Als die Ribukaner auch dieses Hindernis überwunden hatten, fanden sie zu ihrer großen Überraschung eine weitere Höhle, die ein künstlich angelegtes Pentagon darstellte und über und über mit Höhlenmalereien bedeckt war. Sie staunten, dass es sich um kunstvolle Malereien und Mosaike von hohem künstlerischen Wert handelte, wie nur eine hochstehende Kultur sie herstellen konnte.

Weitere Untersuchungen förderten einen Ausgang aus der Höhle zutage, der in ein System von Gängen mündete, das sich fast zum Meer zu erstrecken schien und schließlich weiter in die Tiefe führte. Wohin die Ribukaner sich auch wandten, überall fanden sie die kunstvollen Zeichnungen, die offensichtlich die gesamte Historie eines fremdartigen Volkes darstellten, das eindeutig nichtmenschlicher Herkunft war. Was die Ribukaner erschauern ließ, war die Tatsache, dass die Zeichnungen umso ältere Begebenheiten aufzeichneten, je tiefer sie in den Berg vordrangen. Es gab nur eine logische Erklärung für diese Tatsache. Die Fremden hatten das Höhlensystem nicht von oben nach unten in den Berg getrieben. Nein, sie mussten von weit unter der Derenoberfläche gekommen sein, und sie waren im Laufe einer mindestens fünftausendjährigen Geschichte ihrem Ziel immer näher gekommen, aus Sumus Leib hervorzubrechen.

Ob die Unheimlichen ihr Ziel erreicht hatten, konnten die Ribukaner nicht feststellen. Aufschluss darüber hätte wohl nur die große Höhle geben können, auf die sie als erstes gestoßen waren, doch diese lag nun unter Tonnen von Gestein vergraben und hatte ihr Geheimnis für immer bewahrt. Allerdings entdeckten die Ribukaner auch nach intensiver Suche keinen Ort, der darauf hindeutete, dass das seltsame Volk den Berg verlassen hatte. Allerdings fand man unter den Malereien, welche offensichtlich die einzige Form der Schriftsprache waren, der die Fremden sich bedienten, immer wieder Worte in der Sprache der Schlangenleibigen. Offenbar waren gelehrte Nagah lange Jahre nach dem seltsamen Verschwinden des Volkes aus der Tiefe in das Höhlensystem eingedrungen, um die Malereien zu deuten und zu studieren. Immer, wenn sie irgendwelche Erkenntnisse getroffen hatten, schrieben sie sie unterhalb der Malereien nieder und kommentierten diese damit. Der Name Ssa’krey tauchte immer wieder auf, so dass auch die Ribukaner das unheimliche Geflecht aus Tunneln und Katakomben so zu nennen begannen.

Das Gang- und Höhlensystem schien gar endlos zu sein. Mehr als drei Meilen waren die Ribukaner bereits in die Tiefe gestiegen, als sie plötzlich auf einen gigantischen Abgrund stießen, der mindestens zwanzig Meilen in die Tiefe abfiel. Unten brodelte glühende Lava. Der Abgrund hatte einen Durchmesser von fast hundert Schritt. Auf der anderen Seite jedoch erblickten die Ribukaner den Eingang in eine weitere Katakombe. Offensichtlich war an dieser Stelle ein großer Teil des Höhlensystems durch eine Lavaeruption zerstört worden. Bislang ist es noch keinem der Ribukaner gelungen, den Abgrund zu überwinden, um auf der anderen Seite nach weiteren Spuren des furchtbaren Volkes der Vergangenheit zu suchen, welches das Interesse der Nagah auf sich gezogen hatte, nachdem es schon lange verschwunden war. Aber alle Zeichnungen deuten darauf hin, dass sie erst einen kleinen Teil von Ssa’krey erforscht haben, und dass die Nagah viel weiter nach unten vorgedrungen sein mussten, bevor es zu dem verhängnisvollen Lavaauswurf kam. Am Rande des Kraters aber konnten die Ribukaner unheimliche Geräusche hören, die aus unvorstellbaren Tiefen nach oben zu dringen schienen. Was immer dort unten haust; die Ribukaner waren überzeugt, sollte es jemals an die Oberfläche gelangen, würde das das Ende der Ribukanischen Halbinsel und ihrer Bewohner bedeuten.

Die vorhandenen Malereien und die Anmerkungen durch die Nagah, sofern die Ribukaner sie zu verstehen in der Lage waren, ergaben folgendes Bild von der Geschichte der Satur’tadiz (echsisch für „Erzgeborene“):

Die Satur’tadiz waren eine hominide, nicht jedoch menschliche Spezies von beachtlicher Körpergröße. Ein ausgewachsener männlicher Vertreter dieses Volkes konnte gut und gerne zwei Schritt siebzig groß werden. Obwohl sowohl der aufrechte Gang als auch viele andere Körpermerkmale (zwei Arme, zwei Beine, fünf Finger an den Händen etc.) eine Verwandtschaft mit anderen hominiden Völkern nahelegen, gibt es ebenso eindeutige Zeichen für den Einfluss echsischer Wesenheiten. Dazu zählt die gräuliche, geschuppte Haut, die den ganzen Körper der Satur´tadiz bedeckt, mit Ausnahme der Hände und Füße und eines breiten Streifens auf dem Rücken, die mit bräunlichem Fell bedeckt waren. Auch der Kopf der Erzgeborenen erinnert weit mehr an einen aventurischen Achaz als an einen Hominiden anderer Herkunft.

Vor etwa 3.700 Jahren erreichten die Erzgeborenen die Stelle, an der sich heute der Krater befindet, welcher in die Tiefen der Dere hinabführt. Hier errichteten sie die Sca’cum, ein Heiligtum für ihren Gott Lox’agan, von dem sich die Satur’tadiz Schutz vor ihren mächtigen Feinden erhofften, die sie aus den Tiefen der Dere unbarmherzig verfolgten. Offensichtlich waren die Erzgeborenen zu diesem Zeitpunkt schon so lange vor ihren Gegnern geflohen, dass sie sich nicht einmal mehr erinnern konnten, wer diese Feinde waren und welche Ziele sie verfolgten. Nur der Name ihres Götzen, Th’Thorr, wurde überliefert. Das letzte Zusammentreffen zwischen den Erzgeborenen und ihren Feinden musste bereits über 2.500 Jahre zurückliegen und hatte in Regionen stattgefunden, die sich mindestens vier Meilen unterhalb der Sca’cum befanden. Aber auch nach der Errichtung der Sca’cum war die langwierige, aber dennoch stetig betriebene Flucht der Satur’tadiz nicht beendet. Immer wieder berichten Zeichnungen vom letzten Zusammentreffen der Satur’tadiz mit ihren Gegnern, das gut 200.000 der Erzgeborenen das Leben gekostet und das Volk an den Rand der Ausrottung getrieben hatte.

Gut 100 Jahre blieben die Satur’tadiz in der Nähe von Sca’cum, dann waren die neuen Stollen fertig, und das Volk zog weiter in Richtung der Derenoberfläche. Wie immer wurden sämtliche Gegenstände, die es besaß, entweder mitgenommen oder vernichtet, und nur die sorgfältig angebrachten Malereien und die ebene Form der Gänge und Höhlen zeugte davon, dass es hier einst intelligentes Leben gegeben hatte. Malereien dieser Zeit zeigen gigantische Maschinen, die aus benachbarten natürlichen Höhlen, welche möglicherweise durch natürliche Luftschächte mit der Oberfläche verbunden waren, Frischluft in die Lebensbereiche der Satur’tadiz pumpten.

Das Leben der Satur’tadiz war bunt und abwechslungsreich. Es gab verschiedene Kasten, die wohl identisch mit den unterschiedlichen Berufsklassen waren. Die Bergarbeiterkaste trieb die Stollen voran, die Historikerkaste fertigte die Höhlenmalereien und Mosaike an, die religiöse Kaste kümmerte sich um die Verehrung Lox’agans, die Versorgerkaste baute an den Höhlenwänden Pilzkulturen und andere Pflanzen an und war für die Zucht der Di’jar, hundeähnlicher Tiere, die den Erzgeborenen als Nahrung dienten, zuständig. Die Sse’kenar waren Kundschafter und Krieger, die immer wieder in die verlassenen tieferen Regionen vordrangen, um nach Spuren ihrer Feinde zu suchen. Sie waren die angesehenste, aber auch die kurzlebigste Kaste, denn nur wenige von ihnen kehrten aus den tieferen Höhlen zurück, was die Erzgeborenen in ihrer Auffassung bestärkte, dass sie weiter in Richtung der Oberfläche ziehen mussten. Eine weitere Kaste kümmerte sich um die Wartung gigantischer Maschinen, deren Zweck sowohl den Ribukanern wie auch den Nagah schleierhaft gewesen sein muss, und dann gab es noch die Medizinerkaste, die auch den jeweiligen Herrscher stellte.

Vor etwa 3.550 Jahren siedelten die Satur’tadiz in Regionen, die etwa 170 Schritt oberhalb des Sca’cum lagen. Ihre Bevölkerungszahl muss in dieser Zeit sehr stark angestiegen sein, denn ihre Wohnbereiche erstreckte sich auf dieser Ebene fast vier Meilen weit in den Berg hinein. Die Erzgeborenen versuchten, hier ein neues Heiligtum für Lox’agan zu errichten. Doch als es kurz vor der Vollendung stand, brach ein riesiger Drache durch die Höhlenwand und vernichtete die Kultstätte. Eiligst wurden die Sse’kenar zusammengerufen, um den Eindringling zu bekämpfen. Doch es kam niemals zur Schlacht. Der Drache sprach die Sse’kenar in ihrer Heimatsprache an und verlangte, den Führer ihres Volkes zu sprechen. Der Kas’nok, der Anführer der Medizinerkaste, der damit auch der Herrscher über die Satur’tadiz war, trat dem Drachen erhobenen Hauptes entgegen. Die nun folgenden Verhandlungen zwischen dem Geschuppten und dem Kas’nok sind auf über 400 Mosaiken und Zeichnungen festgehalten. Diese erste Begegnung der Satur’tadiz mit einer anderen intelligenten Spezies prägte das Weltbild der Erzgeborenen so entscheidend, dass sich ihr ganzer Lebenswandel verändern sollte. Das Gespräch zwischen dem Drachen und den Satur’tadiz muss in etwa folgendermaßen verlaufen sein:

Ich grüße dich, rotgeschupptes Wesen des Feuers. Warum hast du den Tempel unseres Herrn Lox’agan vernichtet, und was willst du von uns?
Ich grüße dich, graugeschupptes Wesen des Erzes. Ich spreche zu dir im Namen meines Herrn Pyr Condar, welcher der goldgeschuppte Wächter der Elemente ist. Meine Mission ist eine Mission des Friedens, doch es wurde mir auch befohlen, euch zu warnen. Nicht länger sollt ihr beten zu Lox’agan, denn er ist eine Kreatur des siebtsphärigen Agri’amath, Herr des verderbten Erzes.
Ich verstehe dich nicht, rotgeschupptes Wesen des Feuers. Denn höre, unser Herr Lox’agan beschützt uns vor der Macht des gigantischen Th’Thorr, der unsere Feinde in der Tiefe führt, uns zu vernichten.
Höre, graugeschupptes Wesen der Erde. Lox’agan ist nicht das, was ihr in ihm seht. Ein mächtiger Fürst der Jenseitigen ist er, der seinen Schöpfer, einen machtvollen Archonten, der über vier der sechs verderbten Elemente gebietet, zu vernichten gedenkt, um selbst die Macht an sich zu reißen in der Domäne Widharcal jener Gefilde, welche wir die Niederhöllen heißen.
Auch schützt er nicht euch vor der Macht eurer Feinde, die wie ihr aus der hohlen Welt Tharun im Inneren der Sumu kommen, welche vor Äonen zur Globule geworden ist. Jene Fürchterlichen, die ob ihrer großen astralen Kraft von uns die Mächtigen geheißen werden, sind die Abkömmlinge der Überlebenden eines vor Äonen vernichteten Wandelsterns, Darknar mit Namen. Ihre Ahnen waren dem Widersacher zu Diensten, und sie selbst sind es ebenfalls. Lox’agan sucht ihre Unterstützung, denn schon einmal stand er mit jenem, der keinen Namen hat, im Bunde, und weil er an seiner Seite gegen die Himmlischen rebellierte, wurde er zur Strafe in die jenseitige Sphäre verbannt.
Fürchtet den Götzen, den ihr Th’Thorr heißet, denn dies ist der Name dessen, der viele Namen trägt, weil er keinen Namen hat.
Du sprichst in Rätseln, grausames rotgeschupptes Wesen des Feuers. So Lox’agan nicht seine schützende Hand über uns halten sollte, was zu denken alleine blasphemisch ist, warum offenbart er sich in den Träumen der Ze’krina, welche die Priester unseres Volkes sind?
Höre, verblendetes graugeschupptes Wesen der Erde, jede Kreatur von unsterblicher Art erhält umso mehr Macht, je mehr Sterbliche ihm folgen. So offenbart sich Lox’agan den Deinen, um durch ihren Glauben seine Macht zu manifestieren auf dieser Welt, die ihm bislang verschlossen ist. Das Element des Erzes will er beherrschen, welches auch euer Element ist. Einen Feind wird er finden in jenem, den ein Volk der Oberfläche Angrosch heißt. Hütet euch vor seinem Zorn, denn auch Ingror der Zerstörer ist sein Name, weil er aus Rache einen Stein aus Feuer und Erz auf jene warf, die dem ohne Namen dienten. Auch Pyr Danroc, mein goldgeschuppter Herr, wird nicht ruhen, seine Macht über euer Element zu bewahren. Höre, über Legionen von vielen Tausendschaften von Echsen gebietet mein Herr. Auch Wesen deiner Art sind unter ihnen, und wir heißen sie die ‘Altfürderen’. Ich bin befugt, euch aufzufordern, abzuschwören dem Götzen, der euch betrügt, und euch anzuschließen dem goldengeschuppten Wesen der Elemente, Pyrdokran, meinem Herrn. Führen wird er euch zur Oberfläche, eurem Ziel. Dort wird er auch die Halbinsel, die wir Charyptornat heißen, und unter der ihr euch befindet, übergeben als Lehen. Und er wird euch lehren, euren Feinden zu trotzen.
Und wenn ich gezwungen bin, deinen Vorschlag abzulehnen, rotgeschupptes Wesen des Feuers, sprechend mit listiger Zunge?
Dann werden andere kommen, die größer und mächtiger sind als ich. Mein Herr wird nicht zögern, die Macht deines Volkes zu brechen, graugeschupptes Wesen des Erzes. Denn durch euer Graben ermöglicht ihr den Mächtigen, viel schneller an die Oberfläche zu gelangen, als sie es ohne eure Gänge könnten. Ihr mehrt damit die Macht des Widersachers, den ihr doch eigentlich fürchtet. Mein Herr ist nicht bereit, dies zu tolerieren, es sei denn, ihr würdet ihm dienen und mit ihm gemeinsam ankämpfen gegen den Feind, der nach all den Jahrhunderten eure Existenz noch erahnt, aber sie nicht sicher kennt, weshalb er euch nur langsam folgt, wie seine Population das möglich macht.

Die Verhandlungen dauerten mehrere Stunden, und noch immer versuchte der Drache den Kas’nok zu überzeugen, Lox’agan abzuschwören und Pyrdacor als Gottheit anzuerkennen. Er berichtete den Satur’tadiz von ihren Vorfahren, die vor tausenden von Jahren von der Oberfläche in einen feuerspeienden Berg hinabgestiegen waren, um dort ein großes Geheimnis zu entdecken. Denselben Vorfahren, welche in der Welt jenseits des Vulkans jene Kräfte geweckt haben mussten, die tausendfachen Tod über die Erzgeborenen brachten und sie zwangen, dorthin zurückzukehren, woher sie gekommen waren. Die Erzählungen des Drachen ließen erkennen, dass die Feinde aus der Tiefe denen zum Verwechseln ähnlich sahen, welche sich in Adawadts Gebirge unter dem Schutz des alten Riesen versteckt hielten, auf dass sie nicht von den Echsen aus Pyrdacors Gefolge versklavt würden. Die Ribukaner erkannten darin ihre urtulamidischen Vorfahren, die sich Adawadts Kinder genannt und sich im aventurischen Raschtulswall verborgen gehalten hatten, bevor ihr eigenes Zeitalter heranbrach. Dennoch sahen die Feinde aus der Tiefe offenbar nur aus wie Menschen, waren aber keine, denn der Drache verwies immer wieder auf ein älteres Volk von ähnlicher Gestalt, das ein drittes Auge auf der Stirn getragen hatte.

Die Verhandlungen endeten damit, dass der erboste Kas’nok den Drachen fortschickte und ihm nahelegte, seinem Herrn mitzuteilen, dass sich seine Schergen nie wieder im Höhlensystem der Erzgeborenen sehen lassen sollten, sonst würde es ihnen schlecht ergehen.

Tatsächlich hörten die Satur’tadiz in nächster Zeit nichts mehr von den Drachen. Dennoch hatte die Begegnung die Kultur der Erzgeborenen entscheidend verändert. Die Legenden einer Welt an der Oberfläche, auf der es intelligente Lebewesen gab, waren schon immer Teil der Mythologie gewesen, die den Satur’tadiz seit unzähligen Generationen überliefert war. Auch, dass unter ihnen zaubermächtige Wesen lebten, welche die Elemente durchdringen konnten, so wie der rote Drache den massiven Felsen durchwandert hatte, war Bestandteil der Erzählungen der Ahnen. Nun hatte man den Beweis, dass die alten Legenden der Wahrheit entsprachen. Mehr noch, wenn der Drache die Wahrheit gesprochen hatte, dann stammten die Satur’tadiz von Lebewesen ab, die von der Oberfläche gekommen waren, und sie selbst hatten in einer Welt tief unter der Derenoberfläche, die heute eine Globule war und Tharun hieß, ihre mächtigen Feinde geweckt.

Auch die Enthüllungen des Drachen über Lox’agan lösten erbitterte Diskussionen aus. Nach einem Jahr hatten sich die Fronten so sehr verhärtet, dass sich die Spezies der Satur’tadiz spaltete. Während ca. 30 % des Volkes bereit war, Pyrdacor zu folgen, wollten die anderen 70 % an dem Glauben an Lox’agan festhalten. Aber auch diese Gruppe war nicht einheitlich. Eine kleinere Gruppe forderte, hinabzusteigen zum Sca’cum, um dort ihrem Herrn zu dienen, der größere Teil wollte weiterhin in Richtung der Oberfläche steigen, da das der Wille des Gottes sei. Schweren Herzens stimmte der Kas’nok der Teilung des Volkes zu, da er sah, dass sie nicht mehr zu verhindern war. Während einige zum Sca’cum hinabstiegen, teilten sich die Anhänger des Drachen und die Lox’agans die bisher besiedelte Ebene, und sie gruben sich an verschiedenen Stellen weiter in Richtung Oberfläche.

Während die Satur’Lox und die Satur’Pyr, wie sich die beiden Gruppen zur Unterscheidung nannten, von den Erzgeborenen, die zum Sca’cum hinabgestiegen waren, nichts mehr zu hören bekamen, begegneten sie einander doch wieder. Vor rund 3.420 Jahren brachen die Satur’Lox, die langsamer gegraben hatten, auf eine Höhle, in der die Satur’Pyr ein Heiligtum für den Drachengott errichtet hatten. Die erzürnten Satur’Lox, die darin eine Verletzung ihres Hoheitsgebiets sahen, zerstörten den Drachentempel. Daraufhin kam es zum Bürgerkrieg zwischen den beiden Volksgruppen. Dieser kostete auf beiden Seiten so viele Leben, dass sich am Ende keine der beiden Gruppen mehr leisten konnte, ihn weiterzuführen. Den Friedensschluss von Sce’nor führte schließlich der Kas’nok der Satur’Lox herbei, der vor den versammelten Satur’tadiz eine flammende Rede hielt, in der er die Satur’Pyr überzeugte, es sei der Drache gewesen, der die Einheit des Volkes zerstört und die Erzgeborenen damit in die Spaltung getrieben hatte. Er habe dem Volk damit sehr geschadet. Die Satur’Pyr, die darüber zwar geteilter Meinung waren, aber die Notwendigkeit sahen, das vom Bürgerkrieg dezimierte Volk wieder zusammenzuführen, schworen dem Drachengott ab und begannen zusammen mit den Satur’Lox, die neu besiedelte Ebene aufzubauen.

Kaum ein Jahr hatte die Arbeit gewährt, als die Drachen zurückkehrten. Nachdem Pyrdacor festgestellt hatte, dass es keine Satur’tadiz mehr gab, die ihn verehrten, hatte er erbost seinen Legionen befohlen, das Volk der Erzgeborenen zu vernichten. Das hätte er wohl auch geschafft, wenn er direkt auf die Wiedervereinigung der Echsenmenschen hätte reagieren können. Aber die Legionen des Drachenherrschers waren im Krieg gegen seine Feinde gebunden. So hatten die Erzgeborenen die Zeit, ihre Ebene zu befestigen und sich auf eine Rückkehr der Drachen vorzubereiten. Als der erste Geschuppte den Berg durchschreiten wollte, wurde er plötzlich von einer Salve von gespitzten Steinen getroffen, die seinen Unterleib buchstäblich auseinanderrissen. Nicht anders erging es den nächsten Eindringlingen. Riesige Maschinen schleuderten Steine auf die völlig überraschten Drachen, deren magische Macht durch die anstrengende Reise durch das Erz und Humus hindurch aufgebraucht war und die sich daher gegen das Bombardement nicht zur Wehr setzen konnten.

Fünfzehn Drachen, die Hälfte der Eindringlinge, fanden den Tod, bevor ihr General den Rückzug befehlen konnte. Mit Hilfe des Zaubers, der sie durch Sumus Leib wandern ließ, stiegen die Drachen hinauf in Richtung Oberfläche. Doch sie wussten nicht, dass die Satur’tadiz Zugang zu einer weiteren Höhle hatten, etwa fünfzig Schritt oberhalb ihrer Ebene, die sie durchqueren mussten. Als die Drachen sich in dieser Höhle versammelt hatten, befahl der Kas’nok, die Höhlenwand einzureißen, denn hinter der Höhle befand sich ein gewaltiger Wasserspeicher. Für die Sse’kenar, die diesen Befehl ausführten, bedeutete es den Tod, denn als die Wassermassen in die Höhle einbrachen, gab es für sie keinen Ausweg mehr. Die Satur’tadiz hatten den Zugang zu der Höhle versiegelt, um nicht selbst ein Opfer des fremden Elements zu werden. Keiner der Drachen überlebte die Wucht des Wassereinbruchs. Sie alle ertranken in den Fluten. Als Pyrdacor von seiner Niederlage erfuhr, beschloss er, das Volk der Satur’tadiz selbst zu vernichten, doch vergaß er diesen Gedanken sogleich wieder, lag doch auf ihm ein Fluch, der ihn daran hinderte, seine Klauen ins Riesland auszustrecken. Die Auseinandersetzung der Erzgeborenen mit den Drachen blieb deshalb ihr letztes Treffen mit einem Wesen von der Oberfläche für mehrere Jahrhunderte.

Bis zum Jahre 1.800 v. BF waren die Satur’tadiz bis in die Regionen, die zwei Meilen unter der Oberfläche liegen, vorgedrungen. Die Höhlenmalereien berichten davon, dass sich das bisherige Kastensystem aufgelöst hatte und einer gleichberechtigten Lebensweise gewichen war. Um das Jahr 1.700 v. BF herum müssen die Erzgeborenen auf eine Kolonie von Wühlschraten gestoßen sein. Obwohl die nicht gerade mit Klugheit gesegneten Schrate immer wieder die Höhlensysteme der Satur’tadiz veränderten und manches Mal für Stolleneinstürze sorgten, arrangierten die Erzgeborenen sich mit ihnen. Beide Spezies begannen sogar, Handel zu treiben. Da das Wasser knapp wurde, beschlossen die Erzgeborenen, auf dieser Ebene sesshaft zu werden, denn die Schrate konnten ihnen Wasser aus weiter entfernten Gebieten beschaffen und erhielten dafür Nahrungsmittel.

Als um das Jahr 1.650 v. BF die Wühlschrate durch eine seltsame Krankheit ums Leben kamen, waren die Satur’tadiz gezwungen, weiterzuziehen. In den Ebenen über ihrer der jetzigen Wohnebene hatte man bisher kein Wasser gefunden. In die tieferen Regionen wollte man aber auch nicht zurückkehren. Die letzten Kundschafter, die bis an den Ort des verschollenen Sca’cum zurückgekehrt waren, berichteten von furchtbaren Geräuschen, die aus dem Berginneren nach oben drangen. Sie klangen so, als würden dort unten, in Regionen, die noch unterhalb des Heiligtums des Lox’agan lagen, das die Vorfahren der Satur’tadiz errichtet hatten, furchtbare Schlachten ausgeführt werden.

In ihrer Verzweiflung beteten die Satur’tadiz zu Lox’agan, doch ihr Herr schwieg. Schon seit Jahrhunderten hatten die Erzgeborenen kein Zeichen ihres Herrn mehr erhalten. Das wenige Wasser, das noch von den Höhlenwänden gesammelt werden konnte, reichte nicht, sie zu versorgen. Satur’tadiz, die hinabstiegen, um aus tieferen Ebenen Wasser zu holen, kehrten nicht zurück. Viele der Erzgeborenen verendeten an der Wasserknappheit. Die übrigen begannen in ihrer Verzweiflung sogar, zu Pyrdacor zu beten, der ihnen aber auch nicht antwortete. Die wenigen Überlebenden der Satur’tadiz gruben sich verzweifelt immer weiter in Richtung der Oberfläche, bis sie plötzlich auf das Reich der Kernak stießen.

Diese waren eine bunte Mischung kleiner Völker, Kobolde, Grolme, Zwerge. Wie dieses merkwürdig anmutende Konglomerat unter die Oberfläche des Rieslands geraten war, schien rätselhaft. Die Kleinwüchsigen reagierten zunächst wütend auf das Eindringen der Satur’tadiz. Hinzu kam, dass keiner die Sprache des anderen verstand. Es kam zur Schlacht. Mit Hilfe ihrer Maschinen gelang es den Erzgeborenen schnell, den Widerstand der Kernak zu brechen, die auf eine Begegnung mit anderen Spezies so tief unter der Erde überhaupt nicht vorbereitet waren. Die Kernak besaßen Wasser, und nachdem die Satur’tadiz den kleinen Völkern endlich begreiflich gemacht hatten, dass es nur das war, was sie interessierte, kam es zur friedlichen Kooperation der beiden Völker.

Von den Kernak erfuhren die Erzgeborenen, dass diese um das Jahr 2.100 v. BF zwischen die Fronten eines epochalen Kriege geraten waren, den Pyrdacor verloren hatte. Sie mussten, obwohl dies insbesondere der Natur der Zwerge nicht entsprach, auf dem Seeweg vor den Kriegswirren in Richtung Riesland fliehen, und hatten mit Hilfe der Wühlschrate ein Königreich tief unter der Erde errichtet. Die Stollen, welche einst an die Oberfläche führten, wurden im Laufe der Zeit ein Opfer der Wühlschrate, sodass es keinen Weg mehr nach oben gab. Die Satur’tadiz warnten die Kernak, nicht an dieser Stelle zu bleiben, da in der Tiefe mächtige Wesen seien, die ihnen ein Schicksal bereiten konnten, das schlimmer sei als der Tod.

Die Kleinwüchsigen nahmen diese Warnungen ernst, denn schon das Auftauchen der Erzgeborenen selbst hatte bei ihnen für einen gehörigen Schrecken gesorgt. Aber sie wussten zugleich, dass sie ohne ihre Wühlschrate, die an einer merkwürdigen Seuche gestorben waren, keine Chance hatten, jemals wieder an die Oberfläche zu gelangen. So blieb den Erzgeborenen nur, den Kernak einige ihrer Maschinen zu überlassen und ihnen zu erklären, wie sie diese selbst herstellen konnten, um sich damit zu verteidigen, sollten die Feinde das Königreich im Berg jemals erreichen. Die Erzgeborenen erhielten von den Kernak dafür ein vielleicht wertvolleres Geschenk: Die kleinen Völker weihten die Satur’tadiz in viele arkane Geheimnisse ein, denn unter ihnen befanden sich einige, die das Wesen der Erzmagie bis zur Perfektion beherrschten. Unter den Erzgeborenen fanden sich erstaunlich viele, die sich dieser Macht ebenfalls bedienen konnten und dankbar waren für das neue Wissen. Mit diesem Geschenk begannen die Satur’tadiz erneut, in höhere Regionen des Gebirges vorzudringen.

Um 1.100 v. BF erhielten die Erzgeborenen Besuch. Es waren Menschen, 62 Zauberkundige, um genau zu sein. Sie waren tulamidischer Abstammung, denn es handelte sich bei ihnen um Nachfahren der Magiermogule von Gadang, die nach dem Ende der Skorpionkriege zur Flucht in Richtung Riesland gezwungen waren. Sie hatten sich gleichermaßen von den Kolonien ihrer Feinde aus Khunchom wie von den Echsen fernhalten wollen. Auch war es für sie gefährlich, an der Oberläche zu leben, da ihre Magie dort die Effekte der Kritischen Essenz auslöste. Deshalb hatten sie die Welt tief unter Sumus Haut zu ihrem neuen Lebensraum erkoren. Von dieser wussten sie aus alten, drachischen Aufzeichnungen, die aus den Zeiten Pyrdacors stammten. Darin war auch von einem Volk des Erzes die Rede, das die Kophtanim gesucht und nunmehr gefunden hatten.

Die Magier forderten von den Satur’tadiz, sich ihnen zu unterwerfen und mit ihnen an die Oberfläche zu kommen, um ihnen dort als Sklaven zu dienen. Gemeinsam würde es ihnen gelingen, die Städte der verhassten Kunkomer zu zerschmettern. Die Erzgeborenen dachten nicht daran, diesen unverschämten Forderungen nachzukommen. Daher töteten die Magier zehn der Echsenwesen. Der Hohe Rat beschloss, die Kophtanim zu bekämpfen. Die Verluste, welche die Erzgeborenen daraufhin erlitten, waren enorm. Zwar kannten sie einige Antimagie- und Kampfzauber aus der Zeit, in der sie von den Kernak die Magie erlernt hatten, aber ihre Fähigkeiten waren im Vergleich zu denen ihrer Feinde eher schwach. Die menschlichen Zauberkundigen zerschmetterten die Höhlen der Satur’tadiz mit Leichtigkeit, und viele der Erzgeborenen starben. Wie es ihnen gelang, mit der Bedrohung fertigzuwerden, ist ungewiss, die Region, in der sich die entsprechenden Aufzeichnungen befinden müssten, ist völlig verheert. Womöglich sind die Erzgeborenen so rasch aus ihr geflohen, dass sie keine Zeit mehr hatten, die üblichen Malereien zum Verlauf ihrer Geschichte anzufertigen.

Um 400 v. BF befanden sich die Satur’tadiz in einem regelrechten Kupferrausch. Man war auf große Vorkommen von Kupfer gestoßen. Das Metall war den Erzgeborenen bisher unbekannt gewesen. Aufgrund seiner Seltenheit wurde Kupfer bald zum wertvollsten Rohstoff. Machtkämpfe um die Kupferminen entbrannten, und blutige Familienfehden durchzogen die Höhlen der Erzgeborenen. Nach 300 Jahren beherrschten einzelne Großfamilien die Satur’tadiz, und zwar eben die Familien, die zuvor den Kampf um die Kupferminen für sich entscheiden konnten.

Im Jahre von Bosparans Fall wurden die Höhlen der Satur’tadiz von einem gigantischen Erdbeben heimgesucht. Unheimliche Wesenheiten drangen in die Höhlen ein, so als wären die Mächte der Finsternis auf der Flucht vor himmlischen Kräften. Der Glaube an Lox’agan, der in den vergangenen Jahrhunderten zunehmend an Bedeutung verloren hatte, lebte wieder auf. In diesem Jahr berichteten Kundschafter, dass das Volk der Kernak unter Steintrümmern begraben worden war, die vermutlich durch das Erdbeben gelockert wurden und auf das Reich der Kleinen Völker hinabstürzten. Die genaue Ursache wurde niemals geklärt. Als zwei Jahre später eine weitere Expedition in Richtung des Kernakreiches aufbrach, musste sie feststellen, dass ein Großteil der Trümmer entfernt worden war und der Weg in die tieferen Regionen wieder offenstand. Wer die Trümmer beiseite geschafft hatte, fand man nie heraus, obwohl Späher mehrere Meilen weit in die Erde hinunterstiegen. An dem Ort, an dem einst das Sca’cum gewesen war, fanden die Erzgeborenen einen riesigen Krater, der bis tief in die Dere hineinragte, und auf dessen Grund ein unheimliches Stöhnen zu hören war.

Über die Zeit nach dem Jahr 200 BF lässt sich nicht viel mehr sagen, denn in dieser Epoche wohnten die Satur’tadiz in den zwei zerstörten Ebenen kurz vor der Oberfläche. Es können nur noch wenige Erzgeborene in den Höhlen gelebt haben. Die Ebenen waren sehr klein, viel kleiner als die Wohnstätten früherer Jahre. Was mit dem unterderischen Volk geschah, ist ungewiss. Allerdings deuten Spuren in den tieferen Ebene darauf hin, dass es zu einem großen Kampf gekommen sein muss, dem viele Erzgeborene zum Opfer fielen. Ob die Satur’tadiz sich letztlich selbst töteten, ob die Abkömmlinge der Magiermogule zurückkehrten und ihr Werk vollendeten, oder ob die Erzgeborenen doch noch mit dem unwirklichen Feind zusammengetroffen sind, der in der Tiefe gelauert haben soll, ist ungewiss, ebenso, was mit den Echsenmenschen letztlich geschah. Aber eines ist sicher: Irgendetwas lauert noch dort unten, tief am Grunde des seltsamen Kraters, wo einst das Sca’cum gewesen ist. Und die Ribukaner haben durch ihre Grabungen und Untersuchungen genug Lärm erzeugt, um seine Aufmerksamkeit zu wecken.

 

Die Katzen von Fasar im Riesland

Die Zeit ist nah. Ich rieche es im Wind, ich höre es im Rauschen des Wassers, ich sehe es im Flug der Vögel, ich schmecke es im Fleisch, ich spüre es in meinen Knochen. Das Katerkorthäon wird kommen. Amadenas Kreaturen dringen immer weiter vor. Die Verschlinger arbeiten sich den Mondfall hinauf, die Suulaks dringen immer tiefer in die Wälder ein und Amadenas Schlünde berauben die Welt ihres Lebens. Die Menschlinge und Krächzer sind zu verblendet, die Zeichen zu sehen, die Gefahr zu verstehen. Mathra hat uns auserwählt und seinen Boten geschickt, damit wir eine Einheit werden. Nur die Erwählten können die Erwachten zur Harmonie führen, und nur die Harmonie kann uns zum Sieg verhelfen. Alles ist im Wandel, die alten Wahrheiten sind verfallen, und wer sich gegen uns stellt, stellt sich gegen Mathra, wird gar zum Werkzeug Amadenas. Willst du zum Werkzeug Amadenas werden? Bist du gegen Mathra?

— Rondo Wortknauserer (zitiert nach Die schwarze Katze, “Schleichender Verfall”, S. 5.)

 

Im Jahre 1043 BF entschlossen sich zwei konkurrierende Expeditionen der erwachten Katzen von Fasar, in Richtung des Rieslands aufzubrechen. Sie folgten Legenden aus hochelfischen Zeiten, die von ihren fliegenden Vettern berichten, und den düsteren Weissagungen ihrer Verwandten aus Donnerbach, die, beunruhigt durch das vermehrte Auftreten von “Verschlingern” (Neunaugen) im Neunaugensee und “Suulaks” (Goblins) in den Salamandersteinen, von einem bevorstehenden Kampf zwischen Mathra und Amadena sprechen. Mathra meint dabei Madaya, stellvertretend für Mada, also die Schutzgöttin des Rieslands Marhyna. Amadena steht für Pardona, stellvertretend für ihren namenlosen Gebieter. Die Erwachten aus Fasar haben aus den Weissagungen ihre eigenen Schlussfolgerungen gezogen und glauben, dass im “Katerkorthäon” ein Machtkampf zwischen Marhyna und dem Widersacher um das Riesland entbrennen wird, der jenem, welcher zum Kataklysmus führte, in nichts nachstehen wird.

Die eine Unternehmung ging vor Ribukan, die andere vor Shahana an Land. Ihre geflügelten Verwandten fanden beide zunächst nicht, ebenso wenig wie direkte Hinweise auf einen Machtkampf Marhynas und des Namenlosen. Vielmehr stellte sie das Riesland vor ganz eigene Herausforderungen.

 

 

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