Rakshazar, das Riesland, für DSA. Yal-Kalabeth, das einstige Yal-Kharibet

Die Stadt Yal-Kalabeth

Die meisten Städte tragen Namen wie Yal-Mordai oder Yal-Kharibet nach den Sultanen, die sie gründen ließen. Ihre Oberschicht lebt außerhalb der echten Stadt in einer Flotte mächtiger Palastschiffe und Hausboote, die bei Revolten den Ort beschießen oder in Sicherheit fahren können.

— eine Basargeschichte aus Khunchom, zitiert nach den bislang unveröffentlichten Tage- und Logbüchern Ruban des Rieslandfahrers (Kap. 2: Historische Einleitung) (Zitiert nach der Geographia Aventurica, S. 99f.)

 

 

Zu Beginn des Karmakorthäons rückte die bis dahin eher unscheinbare Sanskitarenstadt Yal-Kharibet, welche in dieser Zeit in Yal-Kalabeth umbenannt wurde, in den Fokus der riesländischen Geschichte. Die Stadt wurde an Klippen gebaut, weshalb man, wenn man sich ihr heutzutage von der Seeseite aus nähert, zuerst die großen Türme sieht, die auf der Spitze der Klippen stehen. Es handelt sich um die Türme des Palastes, jene des Tempels der Ishma-Peraine, zwei Wassertürme, einige Nahrungssilos, den Leuchtturm und mehrere Wachttürme.

Das Stadtgebiet ist von sehr vielen Rissen und Abgründen durchzogen, welche mehrere dutzend Schritt tief sind. In und auf diesen Schluchten, Spalten und Abgründen haben die Bewohner ihre Heime gebaut, oft in Höhlen und Verwerfungen des Gesteins, abseits von jedem Tageslicht. Brücken und sonstige Verbindungen schaffen Übergänge zwischen den Wandseiten und Etagen des Felses. Trotz dieser ungewöhnlichen Bauweise beherbergt sie 220.000 Einwohner, darunter 100.000 Sanskitaren.

Unweit der Ansiedlung mündet der Fluss Terul in die Blutige See bzw. das Meer der Schatten. Wie auch in Teruldan sorgt er für einen signifikanten Teil der Wasserversorgung. Schiffbar ist er nur eingeschränkt, und nicht selten laufen Kapitäne, die das Wagnis der Flussschiffahrt dennoch eingehen und nicht ganz genau wissen, wo die sicheren Routen verlaufen, urplötzlich auf eine Sandbank auf. Die ansonsten eher unwirtliche Gegend wurde seinerzeit gewählt, um ein wichtiges Handelsgut abzubauen, ein hochwertiges Erdöl namens Nazhach. Wie durch eine offene Wunde tropft Nazhach aus dem aufgebrochenen Gestein an die Oberfläche. Der hauptsächliche Nutzen dieses Rohstoffes besteht darin, dass es als Heizöl eingesetzt werden kann. Entzündetes Nazhach verströmt zwar einen penetranten Geruch, brennt aber weit länger, als dies beispielsweise Pech tun würde. Darüber hinaus kann man Nazhach als Dichtungsmaterial und alchimistische Zutat verwenden. In Aventurien ist Erdöl kaum bekannt und wurde somit zum riesländischen Exportschlager, solange der Aventurienhandel währte.

Entlang der Ufer des Terul verlaufen die großen Karawanenrouten zwischen Yal-Kalabeth und Teruldan, über die Nazhach, Perlen, Fisch oder Vizrangyi-Holz gegen kithorianische Seide oder Gewürze getauscht werden. Die Karawanenführer schlagen hier große Lager auf, immerhin ist es aufgrund der Besonderheiten der Architektur der in die Klippen gebauten Stadt nicht möglich, die Tiere durch die Straßen der Metropole zu treiben.

Der Palast der Prinzessin ist zwar groß und relativ prunkvoll, aber erst rund fünfhundert Jahre alt und primitiver als vergleichbare Bauwerke in anderen sanskitarischen Ansiedlungen. was wiederum mit der fehlenden marhynianischen Vergangenheit Yal-Kalabeths zusammenhängt. Verglichen mit den eher bescheidenen Gebäuden der einfachen Bevölkerung jedoch wirkt der Palast geradezu bombastisch und dominiert das gesamte Stadtbild.

Seit in Yal-Kalabeth der Priester Iapetus den Kult der Ishma-Peraine zur vorherrschenden Religionsgemeinschaft erhoben hat, blüht die Stadt auf. Der Ertrag der Reisfelder, der die Heere der stolzen und freien Kalabethim versorgt, wächst Jahr für Jahr. Der Hafen entwickelt sich immer mehr zur Drehscheibe für Waren aus der Wüste Lath, von den Jominischen Inseln und aus Ribukan. Ja, selbst Seide aus dem fernsten Osten, angeliefert durch die Karawanen aus Teruldan, kann man auf dem Basar finden.

 

Die blutige See / Das Meer der Schatten

Nördlich des Gelben Meeres, jenseits der Opfersteine, befindet sich die Blutige See, das Meer zwischen den Opfersteinen und Yal-Kalabeth. Die dortige Schifffahrt ist nicht weniger herausfordernd als jene auf dem Terul und selbst für die Schwimmende Festung keine Trivialität. Der Name des Binnenmeeres rührt von zahlreichen Legenden über das Blut von Erschlagenen her, das sich in das Gewässer ergossen haben soll, darunter Marus, Soldaten aus Yal-Kalabeth und Yal-Mordai sowie Opfer der Ipexco. Zudem färbt die Algenblüte im Frühjahr zwischen Ende Firun bis Ende Ingerimm das sonst grünblaue Wasser tiefrot. Ein herrliches, wahrhaft atemberaubendes Schauspiel, das wunderschön anzusehen ist und schon so manchen fahrenden Händler in seinen Bann gezogen hat. Es setzt jedoch auch ein beträchtliches Risiko, ja eine schier tödliche Gefahr für Schiffe.

Unter der Oberfläche des sanften, kaum dreihundert Schritt tiefen Wassers, in dem es kaum Tidenhub gibt, leben und jagen zahlreiche Schrecken, von der Riesenkrake über die Seeschlange bis zum Daimonid. Diese können sonst anhand ihres Schattens rechtzeitig identifiziert werden, sodass es möglich ist, ihnen auszuweichen oder Rituale zu ihrer Besänftigung zu unternehmen. Unter dem Rot der Algen indes werden die Schatten, denen das Binnenmeer seinen Beinamen Meer der Schatten verdankt, beinahe unsichtbar, und so kommt es vermehrt zur Auseinandersetzung zwischen den Schiffen der Menschen und den Kreaturen der See.

Der Beiname “Meer der Schatten” könnte eine zweite Erklärung in Erzählungen über den Rat der Schemenhaften finden. Die Insel der Schatten Ongrapur und die Inseln der Schattenlords sind im Riesland zu wenig bekannt und liegen zu weit entfernt von der Blutigen See, als dass sie als Namensgeber in Frage kämen. Denkbar wäre allerdings eine Verbindung zu Ribukan und seiner Akademie der Schatten. Zwischen Yal-Mordai und Ribukan gab es über viele Jahrhunderte hinweg eine bedeutende Handelsroute, die auch in der Zeit der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Stadtstaaten nie ganz erloschen ist.

Da Yal-Mordai die enge Einfahrt zur Blutigen See mit einem künstlichen Wehr, das noch aus marhynianischer Zeit stammt, verschließen kann, halten die Aventurier das Meer der Schatten für ein Binnenmeer und haben es auf den gängigen Karten vom Riesland auch so verzeichnet. Die Bezeichnung „Blutige See“ indes hat es nie bis nach Aventurien geschafft. Die Aventurier haben vielmehr einen anderen Teil des Perlenmeeres mit diesem Begriff versehen. Blutige See meint den Bereich, der Maraskan umgibt, sich bis Vallusa und Norden und bis Jilaskan im Süden zieht. Die Blutige See Aventuriens entstand im Laufe der Borbarad­-Krise, weil Charyptoroth-Paktierer und die Ma’hay’tamim (Dämonenarchen) das Meer zwischen Maraskan und dem Festland pervertierten.

Die Kraftlinie “Schattenstrang”, die zur “Zwölfsaitigen Götterharfe” gehört, verbindet die Dämonenzitadelle mit dem Meer der Schatten.

 

Allgemeines Bild: Grünblaues Wasser, von Ende Firun bis Ende Ingerimm färbt die Algenblüte das Wasser rot, kaum Tidenhub. Sanftes, kaum 300 Schritt tiefes Wasser.
Inseln: Keine, allerdings ein großes Korallenriff rund um Lubaantuna.
Fanggründe: Häufig
Bedeutende Häfen: Yal-Mordai, Yal-Kalabeth, Lubaantuna, diverse Küstendörfer der Ipexco, Unterläufe der Blutzunge und des Sanskis
Seemächte: Yal-Mordai, Yal-Kalabeth, Ipexco
Mysterien: Tempel des Amazth, Schwimmende Festung und Sultan Al’Hrastor in Yal-Mordai, Tempelstädte im Tal der Tempel, Ruinen aus längst vergangener Zeit, versunkene Schiffe.
Gefahren: Kriegsflotten aus Yal-Mordai und Yal-Kalabeth, Piraten, Seemonster, Riffe, Ipexco.

 

Die Region Yal-Kalabeths, die Grüne Sichel, in gesamtderischen Zusammenhängen

 

Die Vielleibige Bestie, die Sicheln, der Riese Gorbanor, Sumus Kate, Sumus Kelch und das Haus Zeforika

 

Das Omegatherion

Im Fünften Zeitalter, als der Namenlose und der Dämonensultan gegen die Götter stritten, ließ der Dämonensultan seine fürchterlichste Waffe frei, das Omegatherion. Ge­schaffen aus mehreren Unsterblichen, die in früheren Zeiten in die Siebte Sphäre verbannt worden waren und die im Laufe des Erschaffungsprozesses den Verstand verloren hatten, urgewaltig und unkontrollierbar, nahm es gefallene Gegner in sich auf und wurde dadurch immer stärker und mächtiger. Schließlich spaltete es sich in unterschiedliche Teilleiber und fiel an verschiedenen Stellen über die Welt her. Die Unsterblichen konnten das Omegatherion nicht besiegen und verloren eine Unzahl an sterblichen Verbündeten und ihrer selbst an die Bestie. Da schlossen sich die mächtigsten der Götter und Unsterblichen zusammen. Praios, Ingerimm, Mithrida, Rondra, Firun und Graufang attackierten gemeinsam die Teilleiber des Omegatherions, während ihre Alliierten die dämonischen Begleiter der Vielleibigen Bestie in Schach hielten. Nach und nach gelang es ihnen, die Einzelstücke zu schwä­chen und einzukerkern, wenn sie sie schon nicht vernichten konnten. Als die Schlacht geschlagen war, waren die Unsterblichen Hazaphar der Gelbe, Mithrida die Rote und Sokramor der Schwarze so stark geschwächt, dass sie in einen Schlaf fielen. Dieser währte der Legende nach ewig, tatsächlich wohl zumindest eine lange Zeit. Graufang indes, kann man erfahren, zog sich freiwillig in seinen Kerker zurück.

 

Die Sicheln

In der Mythologie werden die Sichelschwestern Hazaphar (goblinisch: Gasaväa), Mithrida (goblinisch: Imithri-Dai) und Sokramor (goblinisch: Sorukragim) in aller Regel mit den auf aventurischem Boden gelegenen Gebirgen Gelbe Sichel, Rote Sichel und Schwarze Sichel gleichgesetzt, wo sie bis heute von den dort lebenden Goblins als Gottheiten verehrt werden. Sie gelten ihnen als Töchter Mailam Rekdais. Das Borobarabba, älteste Überlieferung der Zwerge, kennt die Geschwister als Hazaima, Mithrida und Sokrama, Tochter der Urriesin Sagula, womit Sumu gemeint sein dürfte. Es heißt, Ingerimm habe die Gelbe Klinge, Rondra die Rote Klinge und Kor die Schwarze Klinge als Waffe geführt. Womöglich haben die drei Unsterblichen während der Auseinandersetzung mit dem Omegatherion die Sichelgebirge beseelt, um auf diese Weise das Omegatherion direkt in der Dritten Sphäre attackieren zu können.

Eine Legende der Waldelfen führt die Entstehung der Schwarzen Sichel auf eine Mondgöttin namens Laia zurück, die wohl mit Marhyna zu identifizieren ist:

Die Sage von der Fee Solaline von den Mandelhöhen: In alten Zeiten hatte die Welt noch nicht das Aussehen, das wir heute von ihr kennen. Da lagen in der Mitte Aventuriens vier große Seen, die wie ein Kleeblatt durch Kanäle miteinander verbunden waren. Die Wasser waren schwarz von der aschenen Erde, die die Fische im tiefen Grund aufwirbelten, und nachts spiegelte sich hell der Mond auf den dunklen Flächen. Einmal vor langer Zeit blieben zwei Lenze aus, so dass die Frostdämonen drei Jahre Zeit hatten, das Wasser der Seen bis auf den Grund zu Eis zu gefrieren. Und als endlich der Frühling wiederkam, tauten die Seen nicht mehr auf. Welch ein gewaltiges Werk der Dämonen! Das ärgerte Laia, die bleiche Gattin des Mondgottes Phex, denn sie konnte ihr Antlitz nicht mehr auf seinen rau gewordenen Flächen spiegeln. Da nahm sie zornig das gefrorene Seenkreuz und zerschmetterte es. Dann verhüllt sie ihr Haupt, und die Erdenwesen sahen ihren Schein nicht mehr. Da hatte die Fee Solaline von den Mandelhöhen eine Idee. Sie besah sich genau aus der Luft die schwarzen Splitter des geborstenen Seenkreuzes und beauftragte den Riesen Gurd, die Stücke nach ihren Anweisungen wieder zusammenzusetzen. Und daraus ward eine Sichel, das doppelgehörnte Antlitz der Göttin Laia. Zu ihrer Versöhnung wurde ein Fest gefeiert, und siehe, da kam sie, sah ihr Ebenbild erneuert und sandte von da an wieder allnächtlich ihren silbernen Strahl über die Schlafenden. Das Gebirge, welches nun anstelle der Seen dastand, nannte man die ‚Schwarze Sichel‘.“ (Zitiert nach dem Soloabenteuer ”Die Schwarze Sichel“, zusammengesetzt aus verschiedenen Absätzen.)

Die elfische Überlieferung spiegelt wahrscheinlich den Kampf der Götter gegen das Omegatherion, an dem Marhyna als unermüdliche Streiterin wider die Finstermächte nicht unerheblichen Anteil gehabt haben dürfte. Die Sage deutet ein Bündnis zwischen Marhyna und Sokramor, der Schwarzen Sichel, an, was plausibel scheint. Mithrida in ihrem ewigen Bund mit Rondra/Kor war zwar die mächtigste der Unsterblichen, galt der Mondgöttin aber als verfeindete Entität, und Hazaphar, welche die Goblins als Tochter Mailam Rekdais verehren und als „Gasa­väa“ bezeichnen, dürfte die am wenigsten kampfstarke der Streiterinnen gewesen sein. Obwohl Marhyna Sokramor nach Kräften unterstützte, konnte sie nicht verhindern, dass diese entscheidend geschwächt wurde und wie die anderen Unsterblichen in einen langen, todesähnlichen Schlaf verfiel. Da ihr Astralleib beschädigt worden war und Sokramor Gefahr lief, zu einer sterbenden Gottheit zu werden, wandte sich Marhyna an die Feen, die ein Bündnis mit dem Humusriesen Gorbanor schlossen, den die Hochelfen in künftigen Zeitaltern Gurd nennen sollten. Gemeinsam bewirkten sie die Heilung des beschädigten Astralleibs und ermöglichten es Sokramor, sich im Laufe der Äonen von den Folgen der Schlacht zu erholen.

 

Molcho

Durch das Opfer der Unsterblichen blieb das Omegatherion geteilt und konnte sich nicht wiedervereinigen. Ein Teilleib soll sich noch immer in der Schwarzen Sichel befinden, unter dem firunheiligen Hängenden Gletscher.

Zahlreiche Volkssagen und Legenden Aventuriens, aber auch des Rieslands berichten von Molcho, dem angeblich schrecklichsten Ungeheuer der Welt. Man wähnt es als Kreatur des Widersachers oder der Erzdämonen. Es wird sehr unterschiedlich, aber stets mit einer schleimigen Schuppenhaut und großen Zauberkräften beschrieben. Teilweise wurde gemutmaßt, es handele sich bei der Kreatur, deren Existenz fragwürdig schien, um eine verschwommene Erinnerung an das Echsenzeitalter, vor allem an die Zeit des Drachenkriegs. Zwerge inklusive der Agrim und Tulamiden einschließlich der Sanskitaren erwähnen es häufig, um unartige Kinder dazu zu bringen, still und gehorsam zu sein, ihre Suppe zu essen und schlafen zu gehen. Nach jüngeren Erkenntnissen handelt es sich bei Molcho um einen Teilleib des Omegatherions, genauer gesagt um das Ungeheuer im Molchenberg bei Warunk, das Leomar von Baburin gefunden haben soll.

Als weitere Teilleiber gelten die Bestie Harodia aus der Sage um den Siebenstreichträger Geron den Einhändigen, die Bestie von Gandrabosch, das Ungeheuer vom Neunaugensee G’dzill, das Große Tier von Zze Tha, das Seeungeheuer Bahamuth im Neer von Neersand, der Baum Uszandtron in der Wildermark sowie nicht namentlich genannte Teile unter dem Seufzermoor nahe Waskir und im Limbus.

 

Sicheln im Riesland

Es fällt auf, dass es auch im Riesland drei sichelförmige Regionen gibt: 1. Das Yal-Hamat-Gebirge, das seinerzeit zusammen mit dem Orthwall eine Mondsichel bildete, welche die ersten tulamidischen Siedler “Djer Mussa” tauften, die Mussa-Gipfel. Heute befinden sich dort die Heimat des Drachenkaisers Thufir sowie der Abgrund mit der benachbarten Stadt Jalkam. 2. Das Sumataco-Gebirge, Teil des Regengebirges, welches das Tal der Tempel eingrenzt und wo in einem weit verzweigten Höhlensystem eines aktiven Vulkans der Ipexcostamm der Inapichtli lebt, der die Lavaströme für eine stetig blutende und nicht verheilende Wunde der Erdgöttin Sumacoatl hält. 3. Die Grüne Sichel, wo sich zumindest in der Gegenwart kein Gebirge befindet, sondern fruchtbares Weideland in überwiegend sanskitarischem Besitz. Soweit auch im Riesland die Sichelgebirge beseelt wurden, stellt sich die Frage, welche Unsterblichen daran beteiligt waren, was aus ihnen geworden ist und welche Umstände zum Verschwinden des mutmaßlichen Gebirges im Gebiet der Grünen Sichel geführt haben.

Angesichts der gigantischen Ausmaße des unzerstörten Omegatherions ist es jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass seine Macht bis weit ins Riesland reichte und auch dort bekämpft werden musste. Es scheint also plausibel, dass es auch auf rakshazarischem Boden Teilleiber des Omegatherions gibt, welche das Vernichtungswerk der Unsterb­lichen überstanden haben, eine mehr oder minder große Gefahr darstellen und auf ihr Wiedererstarken warten. Sie werden dort allerdings nicht als das erkannt, was sie sind. Die Mythologie der Letzten Kreatur ist im heutigen Rakshazar vollkommen unbekannt.

 

Die letzte Kreatur

Auf diese Weise konnten die Pläne des Dämonensultans vereitelt werden, der gehofft hatte, das Omegatherion würde so riesig und machtvoll werden, dass es die Schöpfung verschlingen und somit auslöschen könnte. Die Elfen, die in der Vielleibigen Bestie die Prinzipien ihrer Götter Nurti und Zerzal gleichermaßen verwirklicht sahen, tauften das Omegatherion Nur’Za. Sie erzählen außerdem Legenden über den Mondfresser, die „letzte Kreatur“, ein uraltes Wesen, das den Mond (Mada) am Ende der Zeit fressen wird („Mahammadat“).

Die Namensähnlichkeit zwischen dem Omegatherion und Thomeg Atherion, dem angeblich von außerhalb Deres stammenden Schwarzmagier, sind augenfällig, was die Frage aufwirft, welcher Art ihre Verbindung ist. Womöglich hat Atherion seinen Namen selbst gewählt und ihn bewusst an die Letzte Kreatur angelehnt, wobei die Gründe für ein solches Verhalten nur ihm Selbst bekannt sein dürften.

Durch den Angriff des Omegatherions wurden die meisten Elementaren Riesen getötet, die damals an der Seite der Götter für die Schöpfung kämpften. Da dem Riesland nunmehr bedeutende Quellen des Lebens fehlten, verödete der Kontinent in den folgenden Zeitaltern zunehmend; seine Bewohner verloren an Langlebigkeit und Fruchtbarkeit.

Einige Urriesen indes überlebten das Wüten des Omegatherions, unter ihnen Lath die Hitzige, Namakur der Eisige, Fenthún der Nebelleibige, Salamba die Grüne, Gyoi der Steinerne, Attanu die Singende und Kalimir der Gemmenreiche.

 

Gorbanor/Gurd

Auch Gorbanor zählte zu den Überlebenden. In einer alten Überlieferung tobrischer Druiden werden folgende Worte von ihm genannt:
Seht ihr im Süden Sumus Schale strahlen,
fünf helle Sterne im Halbrund am Firmament?
Mutter Sumu will uns damit sagen,
dass sie von Leben noch erfüllt.
Denn so spreche ich, der Erdriese Gorbanor: Zu Beginn der Zeiten, als die Urmutter im Sterben lag, erbat ihre Tochter Peraine einen Kelch, Sumu zu retten. Vom Allerschaffenen Los erbat sie ihn. Doch kein Leben vermochte Peraine der Mutter zu schenken. So verbarg sie den Kelch auf Dere, von der Sumu Kinder wohl bewacht. Ich bin ein Kind der Sumu, ein Riese, und Sumus Kate wird meine Heimat geheißen, der Ort, an dem Sumu noch immer lebt. Dieser Ort ist das Herz des Yslisees, und der See ist das Herz dieser Lande. Peraine verbarg den Kelch auf meiner Insel, er ist unter meinem Schutz.
Trägt aber einer den Kelch des Lebens hinfort von diesem Ort, so soll er werden dem Baume gleich und Wurzeln schlagen tief in Sumus Leib. Dieses Land aber wird darben, härter und kälter werden, gleich dem nackten Fels.
So seid wachsam, sollte ich eines Tages nicht mehr sein. Hütet Sumus Kelch, wacht für Zeit und Ewigkeit.“ (Zitiert nach ”Im Schatten des Adlers“, S. 53.)

Mit “Sumus Kate” ist eine sagenumwobene Insel im Yslisee mit einer Ausdehnung von etwa drei mal fünf Meilen gemeint. Sie liegt nahe dem südwestlichen Seeufer. Legenden aus der Hochelfenzeit sehen sie als Burgberg der untergegangenen Hochelfenmetropole Isiriel an. 1031 BF meldete die Späherin Akrabaal an Fürstkomtur Helme Haffax in Mendena, der Verhüllte Meister, Dämonologe und Agrimoth-Paktierer Balphemor von Punin bewohne auf der Insel, wo die Elemente in ständigem Kampf gegen dämonische Verderbnis liegen sollen, einen gewaltigen Dämonenbaum als Magierturm. Drei Sturmdämonen sollen ihm dort zum Transport und als Wachen dienen. Auch soll er dort magische Hinterlassenschaften Borbarads und Galottas horten.

Der Riese Gorbanor soll um 2.222 v. BF eine Mitschuld am Untergang der Stadt Isiriel auf sich geladen haben. Er ließ sich offenbar von den Einflüsterungen des Namenlosen korrumpieren und gehörte zu den Truppen, welche die Elementarstadt belagerten und schließlich zu Fall brachten. Zur Strafe soll er den göttlichen Auftrag erhalten haben, einige mächtige Artefakte zu bewachen. Darunter soll sich der Kelch Sumus befunden haben, eine Schale, die angeblich von Los an Peraine gegeben worden war, welche damit versucht hatte, die sterbende Urmutter Sumu zu heilen. Plausibler erscheint die Annahme, dass Marhyna im Fünften Zeitalter das Artefakt an den Riesen und seine feeischen Verbündeten übergeben hatte, damit sie versuchen sollten, mit seiner Hilfe den verwundeten Sokramor zu regenerieren. Gorbanor lebte ab dem Untergang der Elementarstadt für lange Zeit auf der Insel. Diese wird, seit das Zeitalter der Menschen hereinbrach, von den tobrischen Druiden als Zentrum ihres Kultes genutzt, wovon unter anderem ein Steinkreis zeugt. Der Riese trat offenbar als Lehrer der Druiden in Erscheinung. Gorbanors angeblicher Sitz, ein riesenhafter Holzthron, ist noch heute Insignium des Herzogtums Tobrien.

 

Sumus Kate

1020 BF kam es zur Schlacht um Sumus Kate, bei der diese in zwei Teile zerbarst. Hintergrund war der Versuch Borbarads, auf den Yslihöhen am Septaphengon bzw. Khorim al’Hani, einer alten druidischen Kultstätte aus Obsidianquadern, einen Teilleib des Omegatherions zu beschwören. Siebzig tobrische Druiden versuchten dies durch einen gemeinschaftlich gewirkten Gegenzauber vom Steinkreis auf Sumus Kate aus zu verhindern. Borbarad entsandte daraufhin dämonische Truppen und Söldner unter Führung der Shochzula Chulye zu der Insel, um diese Störung zu unterbinden. Die Gezeichneten töteten die Anführerin und setzten sich vom Schlachtfeld ab, dennoch wurden fast alle Druiden Tobriens ausgelöscht. Das Gegenzauberritual scheiterte, und der Alveraniar des Verbotenen Wissens konnte seine Beschwörung fortsetzen.

So kam es, dass Borbarad Teile des Omegatherions vom Septahengon und Warunk aus beschwören konnte. Der Zwölfeinige Bann­fluch von Perainefurten verhinderte ihr endgültiges Zusammenwachsen. Die Präsenz des Omegatherions verpes­te­te dennoch weite Teile der Warunkei und schuf die Toten Lande. 1031 BF zerstörte der karmal aufgeladene Donnersturm das Herz des Ungeheuers, das seither als weitestgehend vernichtet gilt, wobei dies nicht zwingend auch für seine riesländischen Manifestationen gelten muss.

 

Sumus Kelch

981 BF fühlte der tobrische Herzog Odo Frankwart von Ehrenstein, der in Fehde mit Kaiser Reto von Gareth lag, angesichts einer schweren Erkrankung seinen Tod nahen. Er befürchtete, Reto werde die Gelegenheit nutzen, seinen Sohn und Nachfolger Kunibald Frankward von Ehrenstein zu entmachten und Tobrien zu zerschlagen. Wenigstens wollte er Sumus Kelch retten, der als das Herz Tobriens galt. Unter ungeklärten Umständen brachte er das edelsteinbesetzte Artefakt an sich und stiftete es am 13. Phex 981 BF, kurz vor seinem Tod, dem Efferd-Tempel in Grangor. Gobranor verschwand daraufhin spurlos. Seiner Wacht entkleidet, fiel er in einen langen Schlaf. Die Druiden glauben, er werde dereinst wiederkehren, wenn Tobriens Schicksal am schlimmsten wäre. 1023 BF überbrachte Xindra von Sumus Kate Herzog Bernfried von Ehrenstein eine Warnung des schlafenden Riesen. Galotta plante, ihn zu wecken, um ihn gegen Weißtobrien in den Kampf zu schicken. Dazu kam es jedoch nicht.

Xindra war in Zusammenhang mit dem Schicksal Tobriens schon zuvor in Erscheinung getreten. 1020 BF versuchten die beiden Tobrier Xindra von Sumus Kate und Pelmen Grimmwulf von Ehrenstein, mit Hilfe einer Abenteurergruppe in den Besitz von Sumus Kelch zu gelangen. Ob dem Artefakt tatsächlich mystische Kräfte innewohnen, war durchaus unklar, doch erhofften sie sich eine signifikante Steigerung der Kampfesmoral der freien Tobrier gegen die Schwarzen Lande bzw. Schattenlande, sollte das Artefakt wieder in tobrischen Besitz gelangen. Pelmen glaubte außerdem, sein Großonkel habe einen Fehler begangen, als er den Kelch nach Grangor brachte. Er habe damit einen Fluch auf Tobrien herabbeschworen, welcher sich nun in der Besetzung des Landes durch Dämonendiener zeige.

In Grangor kamen die Verbündeten Sumus Kelch schließlich auf die Spur. Dabei wurden sie von einer örtlich agierenden Borbaradianergruppe ins Visier genommen. Deren Anführerin Domna Saya di Zeforika stürzte im Zuge der Konfrontation mitsamt dem Kelch von den Klippen, fiel in den Fluss Phecadi und wurde ins Meer getrieben. Der Kelch gilt seither als unwiederbringlich verloren.

 

Zeforika

Saya di Zeforika überlebte den Sturz. Die hübsche und grazile Borbaradianerin entstammte dem Haus Zeforika und damit einer der zehn reichsten Familien Aventuriens. Die Dynastie stammt ursprünglich aus Brabak und sitzt dort in der Audienza. Mittlerweile ist allerdings der Chorhoper Zweig unter Patriarch Adnan Zeforika dominierend. Der Reichtum des Hauses gründet sich auf den Handel mit Schiffsbedarf und den Besitz großer Werften in Brabak und Chorhop. Saya war Schwarzmagierin und Convocta der Dunklen Halle der Geister zu Brabak und versuchte, den Verlust ihrer linken Hand durch eine Prothese zu verbergen. 1018 BF wirkte sie in der Mark Drôl ein Magnum Opus der Pestilenz, welches das Horasreich bis über Methumis hinaus mit der Krankheit “Rote Keuche” überzog. Nach ihrem Ausschluss aus der Fraternitas Uthari zog sie nach Mengbilla. Seitdem hat man nichts mehr von ihr gehört. Sie ist weitläufige Verwandtschaft der Rieslandfahrerin Filora Zeforika-Süderstrand.

 

Asna’kun, “Die grüne Sichel”

Die Grüne Sichel (sanskitarisch Asna‘kun) umfasst das Land nördlich des Meerbusens der Blutigen See (auch: Schattenmeer). Westlich wird sie vom breiten und gemächlich fließenden Sanskir begrenzt, im Osten endet sie hinter dem unwirtlichen Schlangenwald. Gen Norden erstreckt sich die Grüne Sichel bis zu den Quellen des majestätischen Stroms Terul, jenseits dessen die endlose Wüste Lath liegt. Der nördliche Wald namens Hamrakh am Fuße des Yal-Hamat-Gebirges wird traditionell nicht mehr zur Grünen Sichel gezählt, da er nicht den Sanskitaren, sondern den freiheitsliebenden Angurianern gehört, die ein Eindringen ihrer südlichen Nachbarn stets verhindert haben. Politisch steht die Grüne Sichel unter der Herrschaft von Yal-Kalabeth, wobei die unterschiedlichen Siedlungen und Völker weitgehende Autonomie genießen.

Die Grüne Sichel gilt – neben dem Dreistromland – als blühende Kornkammer des südlichen Rieslands. Das fechtwarme Klima der Savanne ist dank einer steten Brise vom nahen Meer, vieler kleiner Wasserläufe und schattenspendender Haine meist gut zu ertragen. Im milden Winter fällt kein Schnee, jedoch ergießen sich regelmäßig heftige Regenfälle, die von den Einheimischen „Craesoon“ genannt werden und ganze Dörfer dem Erdboden gleich machen können. Allerdings versorgt der Craesoon das Land auch mit fruchtbarem Schlamm, weshalb die Bauern ein gespaltenes Verhältnis zu der Regenzeit haben.

Die Böden der Grünen Sichel sind lehmig, weich und dadurch sehr fruchtbar, einzig die Steilklippen der östlichen Küstenregionen sind steinig und mager. Aufgrund der herrschenden Feuchtigkeit wachsen überall saftige, grüne Wälder, denen die Region ihren Namen verdankt. Doch nicht nur die Pflanzen, sondern auch das Tierreich profitiert vom milden Klima der Region. Unzählige Arten kleiner Flugechsen leben in den Bäumen, während auf dem Boden darunter allerlei Kleintiere weiden. Rudel von Schreckensklauen und Bluthetzern, die durch die dichten Wälder streifen, sind eine weit verbreitete Plage und können auch für Menschen gefährlich werden. Einige von ihnen konnten allerdings domestiziert werden und dienen nun als Wachtiere.

 

Bluthetzer

 

Beeindruckend ist der östliche Schlangenwald, welcher von keiner Kultur, dafür aber von einer Vielzahl von angriffslustiger Schlangen, Echsen und Amphibien als Territorium beansprucht wird. Wo das Land nicht in gewaltige Steilklippen endet, gibt es in Küstengebieten dicht wuchernde Mangrovensümpfe, die zahlreichen Wasserechsen, Amphibien und anderen Tieren eine Heimstatt bieten. In den immerfeuchten Sümpfen wird es für unvorsichtige Wanderer gefährlicher, denn es wimmelt dort geradezu von Alligatoren, Wasserschlangen und anderem aggressivem Getier. Wegen seinen unzähligen Gefahren nennt man sie auch die “Todes-Sümpfe”. Verbrecher aus Yal-Kalabeth werden zuweilen hierher verbannt, sodass sich dort in den letzten Jahrzehnten eine kleine Siedlung von Gesetzlosen etabliert hat.

Mehrere Völker nennen die Grüne Sichel ihre Heimat: Neben den Stadt-Sanskitaren, welche im Umkreis der Stadt Yal-Kalabeth als Bauern, Jäger oder Handwerker ihr Dasein fristen, besuchen auch die Reiternomaden auf ihren Wanderungen durch das Riesland diese Region, um ihre Vorräte aufzufüllen, teils friedlich, teils mit Gewalt. Eine bedeutende Minderheit bilden die schlangenleibigen Nagah, die aber fast nur in Yal-Kalabeth selbst beheimatet sind, wo sie ihre Kunstfertigkeit und ihr Wissen feilbieten. Einige Parnhai-Familien leben als Arbeiter auf den Plantagen um Yal-Kalabeth, aber ihre Zahl ist längst nicht so groß wie im Dreistromland. Ihr Rechtsstand ist relativ gut geschützter. Sie können gegen Misshandlungen seitens ihrer Herren klagen und dürfen persönliche Angelegenheiten wie Eheschließungen selber regeln. In der Stadt Yal-Kalabeth selbst sind Parnhai ein seltener Anblick. Die wenigen dort ansässigen Grünhaarigen leben als freie, aber meist mittellose Bürger.

 

Historie

 

Sultan Kharibet im Riesland und die Gründung von Yal-Kharibet

 

Ein zögerlicher Monarch

Nur wenige Wochen nach einem erfolgreichen Staatsstreich der Remshen Sha-An-Arrs, jener Stadt, die heutzutage Shahana genannt wird, starb der Khunchomer Sultan Toba al’Akran, unter dem die tulamidischen Rieslandfahrten überhaupt erst richtig begonnen hatten, überraschend und unter ungeklärten Umständen. Im Folgejahr, 1.131 v. BF, bestieg Sultan Kharibet I. den Thron. Er galt als zögerlicher, unentschlossener Herrscher, der lange brauchte, seine Herrschaft zu konsolidieren. Entsprechend löste sich 1.110 v. BF die mächtig gewordene Satrapie Nebachot vom Diamantenen Sultanat, nachdem Kharibet ein Eheversprechen seines Sohnes mit einer nebachotischen Prinzessin widerrufen hatte. Von seinen Beratern zur Rückeroberung gedrängt, scheiterte der Sultan wiederholt an diesem Vorhaben. Das nunmehrige Sultanat Nebachot hatte sich Rondra verschrieben, seine Krieger kämpften mit großem Ehrgeiz und ebensolcher Kraft. Auch ersannen Nebachots Feldherren die besseren Strategien. Als das Volk begann, über den Herrscher zu spotten, verschlechterte sich auch die Stimmung unter Kharibets Beratern, und selbst sein Sohn begann die Geduld mit dem Vater zu verlieren. Niemand erwartete ernsthaft, dass der Sultan auch nur versuchen würde, das Problem im Riesland zu lösen, doch sollte es ihm schlussendlich sogar gelingen.

 

Kharibets Aufbruch ins Riesland

Im neununddreißigsten Jahr seiner Herrschaft, 1.092 v. BF, übergab Kharibet seine Herrschaft im Mutterland an seinen Sohn Qasran Yanuf, verlegte seinen Thron ins Riesland und zog mit seinem gesamten Hofstaat über das Meer. Die Beweggründe für Kharibets radikalen Schritt bleiben nebulös. Vielleicht fürchtete er die nächsten Aktionen seiner Berater oder seines Sohnes, die versucht gewesen sein könnten, sich mit der Palastwache zu verbünden, um sein natürliches Ableben wesentlich zu beschleunigen. Womöglich hing sein Vorgehen mit dem Orakelspruch zusammen, welcher den Ausbruch einer Seuche vorhergesagt hatte, die Khunchom im Folgejahr dann tatsächlich heimsuchte. Oder es beruhte auf dem Inhalt der Unterredung mit dem Abgesandten des Statthalters von Yal-Amir, der wenige Wochen zuvor an seinem Hof eingetroffen war. Dies allein mutete schon seltsam an, konnten doch der Sultan und der Statthalter dank der Fähigkeiten der tulamidischen Artefaktbauer über große Entfernungen miteinander kommunizieren, ohne auch nur vor die Tür zu treten. Kristalle übertrugen Ansprachen und Reden Kharibets mit Bild und Ton in die Paläste seiner Provinzbeamten. Etwas schien seine persönliche Anwesenheit zu erfordern, und bezeichnenderweise wurde er bei seiner Abreise von zahlreichen Kriegsschiffen und Seesoldaten begleitet.

 

Rückeroberungspläne

Nachdem die Schiffe in der Mündung des Flusses Terul in der fruchtbaren Ebene der Grünen Sichel angelegt hatten, füllten sie ihren Proviant auf und sprachen sich im Geheimen mit der Lokalregierung in Yal-Amir ab. Diese hatte offenbar vor rund zwei Jahren damit begonnen, die nötigen Schritte zur Rückeroberung von Sha-An-Arr in die Wege zu leiten. Das große Heerlager in der Bucht setzte sich in Bewegung, um die Gebirgskette des Orthwalls zu überschreiten, die Sha-An-Arr nach Osten begrenzte, begleitet vom Sultan persönlich und einem seiner Söhne. Währenddessen zogen die Kriegsschiffe der Tulamiden am Ufer der Blutigen See entlang. Durch die magischen Sprachkristalle des Sultans konnten beide Truppengattungen in Kontakt bleiben.

 

Ankunft am Djer Mussa

Nach langer Reise erreichten die Krieger schließlich das Djer Mussa-Gebirge, eine Mondsichel, die aus den heu­tigen Gebirgen Orthwall und Yal-Hamat bestand, welche damals noch einen durchgehenden Gebir­gszug bildeten. Dort kam es zu einer Begegnung, die in die Legenden eingegangen ist: Die Truppen des Sultans schienen sich inmitten des Gebirges verirrt zu haben. Schnee und Nebel in den Gebirgshöhen verwirrten die Truppenführer. Einzig eine merkwürdige Er­schei­nung am Horizont bot einen Orientierungspunkt: Ein Fels auf einem hohen Gipfel in der Ferne, dessen Form auf unheimliche Weise einem kauernden Menschen ähnelte. In der dritten Nacht im Gebirge hatte der Sultan einen Traum. Er träumte, der Fels erhebe sich und zeige einen drachenartigen Kopf. Dieser nannte sich Thufir. Er legte Kharibet nahe, der Armee den Befehl zu erteilen, sich einstweilen aus dem Gebirge zurückzuziehen. Zugleich stellte er ihm in Aussicht, den Truppen eine bequeme Passage durch sein Territorium zu öffnen und ihnen freies Geleit zu gewähren. Ein Gefallen, der den Tulamiden den sicheren Sieg einbringen werde, für die Thufir von Kharibet allerdings einen Preis verlangen werde.

 

Thufirs Tor

Am Morgen tat Kharibet, wie ihm geheißen ward, und erteilte seinen irritierten Feldherren den Befehl, das Gebirge auf demselben Weg zu verlassen, auf dem sie hergekommen war, und in einigem Abstand zu warten. Dann machte er sich auf den Weg zu jenem Felsen, nur begleitet von seinem treuesten Leibwächter. Die Armee bezog am südlichen Fuß des Djer Mussa Quartier.

Nach zwei Tagen des Wartens geschah ein Wunder. Ein Teil des Gebirges fiel durch einen titanischen Erdrutsch in sich zusammen, und zwischen den beiden Teilen entstand eine Passage, die selbst schwerbewaffnete Truppen bequem queren konnten. Von nun an waren Yal-Hamat und Orthwall voneinander getrennt. Die Gesteinsmassen waren zu bizarren Formen zerbrochen und von der Gewalt des geheimnisvollen Ereignisses im Umkreis von vielen Kilometern verteilt worden. Noch heute bewachen diese Tausendschaften von Gesteinsbrocken, im Volksmund Drachenköpfe genannt, den Weg von der Grünen Sichel ins Dreistromland. Die Alchemie legt dem Gestein allerlei machtvolle Wirkungen bei.

Der neu entstandene Pfad ist leicht zu bewältigen und groß genug, dass ihn eine Armee in vollem Aufmarsch bequem durchqueren kann. Er wird bis in die Gegenwart „Thufirs Tor“ genannt. In späteren Jahrhunderten zeigte er sich maßgeblich dafür verantwortlich, die Einheit der tulamidischen Welt zu wahren, schuf er doch eine bequeme Reise- und Handelsroute zwischen ihren Besitzungen.

An der sicheren Position am Fuße der Berge nahmen Kharibets Truppen keinen Schaden durch die herabstürzenden Felsen. Der Sultan allerdings erschien nicht wieder. Das Heer zögerte in Sorge um seinen Anführer, weiterzuziehen, doch Kharibets zweiter Sohn Kaspan ent­schied sich dafür, nicht zu warten und die Chance zu ergreifen, den Heerzug fortzusetzen und wesentlich früher am Ziel einzutreffen, als der Weg durch das noch intakte Gebirge dies erlaubt hätte. Tatsächlich gelang es den Kriegern, zeitgleich mit der Seestreitmacht in Sha-An-Arr anzukommen.

 

Die Kapitulation Sha-An-Arrs

Die Stadt war unvorbereitet und musste angesichts des konzertierten Angriffs aus dem Gebirge und vom Meer aus ihre Kapitulation erklären. Viele Remshen gaben den Kampf auf und verrieten ihren Häuptling Urhan. Sie setzten ihn gefangen und lieferten ihn an Kharibets Sohn Kaspan aus. Dieser entschied, ein Exempel zu statuieren, und ließ den Anführer der Aufständischen auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wo er unter großen Qualen starb. Auch weitere Remshen wurden zur Strafe für ihren Aufstand hingerichtet, selbst einige von denen, die ihren Häuptling schlussendlich verraten hatten. Andra, die Tochter von Urhan, wurde dem jüngsten Sohn Kharibets, Azziz, zur Frau gegeben.

 

Die Entmachtung der Göttertrinität

Die Remshen besaßen zahlreiche Kultstätten unter freiem Himmel, an denen sie den heiligen Kreislauf des Kosmos verehrten. Kaspan befahl, diese zu schonen, obwohl die Priester des Heeres ihn vor jener Milde gegenüber den Feinden warnten. In den Tagen nach diesem Akt der Gnade verschlimmerte sich das Wetter im Dreistromland. Ein kalter Sturm, für diese Jahreszeit ganz untypisch, zog vom Orthwall heran. Die Bürger des Landes hatten keinen Schutz gegen solche Klimabedingungen, und Kaspan kam zu dem Urteil, dass dieses Wetter den Unwillen der Götter zum Ausdruck brachte, so wie es die Priester vermutet hatten.

Also befahl er seinen Soldaten, die Kultstätten der Remshen zu zerstören und die Götterverehrung zu zentralisieren. Orte religiöser Verehrung sollte es künftig nur noch in den Städten Yal-Amir und Sha-An-Arr geben. Die Heiligen Männer und Frauen der Remshen wurden hingerichtet und der Glaube an die traditionellen Götter Ongferan, Ipkara und Braiorag verboten. Die Lieder des Propheten Mahim sollten der Vergessenheit anheimfallen. Sogar das Aussprechen des Namens “Remshen” wurde untersagt. Viele Remshen flohen vor dieser Verfolgung und lebten fortan ein zurückgezogenes Leben, fern der tulamidischen Siedlungen. Die Meisten kehrten zu ihren nomadisch lebenden Schwestern und Brüdern zurück.

Der Keil, den der Aufstand und seine Ursachen ohnehin zwischen Remshen und Tulamiden getrieben hatten, schien die beiden Völker nunmehr endgültig gespalten zu haben. Doch alles sollte anders kommen.

 

Thufirs goldene Tafeln

Als das Zerstörungswerk vollendet war, erschien der längst totgeglaubte Sultan Kharibet im Morgengrauen vor den Mauern von Sha-An-Arr. Es war der Herr des Djer Mussa, Thufir der Drachenkaiser, der die Unwetter gesandt hatte, um die Gnade der Tulamiden gegenüber ihren Feinden zu strafen. In seinen Händen hielt Kharibet goldene Tafeln, die ihm Thufir gegeben hatte. Darauf war die angebliche Geschichte der Tulamiden niedergeschrieben, die das Volk längst vergessen habe, doch Thufir sei sie noch immer bekannt. Nach diesem Epos stammen sowohl Remshen als auch Tulamiden von einem Volk ab, das einst unter dem unsterblichen Sultan der Ewigkeit, Mar’Hyn, die Welt beherrscht haben soll. Erst nachdem der Sultan vom Drachen Pyrdacor ermordet worden war, sei Zwietracht im Urvolk aufgekommen, infolgedessen sich die Mar’Hyner in die rechtschaffenen Sumurrer, welche nach Aventurien zogen, und die feigen Remshen, welche im Riesland verblieben und zu Sklaven der Echsenmenschen wurden, aufgeteilt hätten. Aus den Sumurrern gingen schließlich die Tulamiden hervor. Die ungeheuren Ruinen im Riesland seien also Relikte, die rechtmäßig den Tulamiden gehörten. Remshen und Tulamiden sollten sich wieder zu einem Volk vereinigen und gegen den gemeinsamen Feind kämpfen, die Echsen. Diese Geschichte widersprach vielen anderen Über­­lie­fe­run­gen, das war bereits den Gelehrten zu Kharibets Zeiten klar, doch niemand wagte es, diese Widersprüche aufzuzeigen. Das Wissen darum, was der Sultan bei seiner Begegnung mit Thufir wirklich erlebt hatte, behielt er für sich. Der Drachenkaiser selbst wurde nach der Trennung der beiden Gebirgsteile für lange Zeit nicht mehr gesehen.

Dass Thufir beabsichtigte, mit der neuen Mythologie die Vereinigung der beiden Menschenvölker voranzutreiben, darf als gesichert gelten. Dass er ihr die Form eines religiösen Dogmas verlieh, weil ein solches besonders zwingende Wirkungen auf die menschliche Psyche ausübt, versteht sich von selbst. Warum er allerdings eine zwar im Kern korrekte Erzählung wählte, deren Details aber wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben, weiß wohl nur der Drache selbst zu sagen. Die gemeinsamen Wurzeln der Sumurrerstämmigen hätte er auch mit der Wahrheit herausstreichen können.

Womöglich ging es ihm darum, in dem später zu den Sanskitaren (wieder-)vereinigten Volk aus Sumurrerabkömmlingen den Glauben zu wecken, es sei der wahre Erbe des Marhynianischen Imperiums. Dieses Bewusstsein würde in ihnen den Willen wecken, das, was ihnen vermeintlich zustand, tatsächlich zu beanspruchen. Das uralte Credo der Remshen, vor Feinden zu fliehen, statt sich ihnen zu stellen, sollte als feige gebrandmarkt werden, auf dass sie es künftig ablegen und gegen Bedrohungen zu Felde ziehen würden. Die Tulamiden hingegen sollten den Eindruck gewinnen, dass das südliche Riesland ihre angestammte Heimat sei, in der es sich dauerhaft anzusiedeln und die es energisch zu verteidigen galt. Sonst hätten sie die Kolonien womöglich als nur vorübergehenden Aufenthalt verstanden, mit dessen Hilfe es die Ressourcen eines fremden Kontinents zu plündern galt, solange dieses Unterfangen lukrativ erschien, und dann wieder zu gehen.

Dass die Reiternomaden zu der Schlussfolgerung gelangten, sie müssten das verfluchte Erbe des Imperiums meiden, während die Städter sich in dessen uralten Mauern niederließen, tat Thufirs Plänen keinen Abbruch. Das Gegenteil war der Fall. Thufir hatte die Macht der Göttertrinität, welche den Sumurrerstämmigen riet, sich von den Marhynianischen Ruinen fernzuhalten, unter den Städtern gebrochen, während er den Reiternomanden ihren Glauben an die Dreigötter ließ. Entsprechend gingen die beiden Gruppen unterschiedlich mit ihrem vermeintlichen imperialen Erbe um, das schlussendlich aber beide Gruppen akzeptierten und in ihre Kultur einfügten, obwohl es sich nur um eine durch den Drachenkaiser hervorgerufene Illusion handelte.

Es lässt sich mutmaßen, dass es Thufir nur vordergründig darum ging, mit Hilfe der Sanskitaren die Echsenmacht einzudämmen. Der tulamidisch-echsische Konflikt im Riesland war vielmehr die denknotwendige Fortsetzung des Machtkampfs der Geschuppten und der Menschen auf aventurischem Boden. Vielmehr scheint der Drachenkaiser das Ziel verfolgt zu haben, die Hegemonie von Amhas zu brechen, das sich seit jeher als legitimer Erbe des Imperiums versteht. Durch sein geschicktes Vorgehen hatte der Drachenkaiser dem Sklavenhalterstaat ein Volk entgegengesetzt, das denselben Anspruch erhebt und mächtig genug ist, sich gegen die amhasischen Ambitionen zu behaupten. Es sollte nicht das letzte Mal in der Geschichte sein, dass der Drache sich gegen Amhas wenden würde.

 

Yal-Kharibet

»Die Quellen aus dem Diamantenen Sultanat der Tulamiden sind dahingehend bedeutend ergiebiger, wenn auch sehr spärlich gesät. Wir können dennoch Handelsbeziehungen zu dieser Zeit annehmen, denn es ist sogar der Name einer Stadt in Rakshazastan belegt, die nach Sultan Kharibet benannt war, Yal-Kharibet. Leider nur gab es mindestens zwei Sultane dieses Namens … «

 

— aus einer Vorlesung in Historie an der Universität zu Methumis, 1037 BF (Zitiert nach dem Aventurischen Almanach von 2016, S. 92.)

 

In den letzten Jahren seines Lebens konnte Sultan Kharibet mit ansehen, wie eine neue Stadt besiedelt wurde, die seinen Namen trug. Yal-Kharibet sollte einen Neuanfang darstellen, durch den Remshen und Tulamiden im Glauben an die Wiedergeburt des Urvolks zu einem Volk verschmolzen. 1.084 v. BF wurde der leblose Körper des Herrschers in seinem Studierzimmer gefunden. Man brachte ihn in das Mausoleum, das er im Zentrum Yal-Kharibets hatte errichten lassen, bestattete ihn mit allen Ehren, die ihm in seiner Position zustanden, und versiegelte die Grabkammer. Dass Kharibet keineswegs tot war, hatten die Menschen nicht erkannt.

 

Der Preis für Thufirs Hilfe

 Wenige Stunden später erwachte Kharibet/Thufir und begab sich auf Reisen. Denn der Kontrakt zwischen Drachenkaiser und Menschensultan hatte ein Tauschgeschäft besiegelt. Der Drache hatte sich verpflichtet, dem Sohn des Sultans die Eroberung Sha-An-Arrs zu ermöglichen und dem Volk etwas zur Beruhigung zu geben, auf dass es sich nicht noch einmal erheben würde. Im Gegenzug hatte der Mensch zugestimmt, dem unsterblichen Leib des Drachenkaisers dessen Karfunkelstein herauszuschneiden und ihn herunterzuschlucken. Der Drachenkaiser wurde dadurch in die Lage versetzt, sich des Körpers seines menschlichen Vertragspartners zu bemächtigen und auf diese Weise die Beschränkungen zu überwinden, die der Paktstein seiner Bewegungsfähigkeit auferlegt hatte.

Thufir hatte inzwischen die Kunst der Limbusmagie erlernt und begab sich in Kharibets Leib auf Reisen durch die Sphären, um unbekannte Ziele zu verfolgen. Sein Leib lag inzwischen regungslos, doch vom Paktstein am Leben gehalten, in seinem Hort am einstigen Djer Mussa, dem jetzigen Yal-Hamat. Auf diese Weise konnte der Drachenkaiser mal hier, mal dort in derische Geschicke eingreifen und entscheidende Weichenstellungen vornehmen.

Aber auch Kharibet hinterließ Spuren, die heu­te noch sichtbar sind. Als im sechzehnten Regierungsjahr Rohals des Weisen der Versuch einer Weltkarte unternommen wurde, zogen die Kartographen Kharibet/Thufir, der zuvor ein wenig zu freimütig über das Riesland geplaudert hatte, als Experten heran. Thufir hatte wenig Interesse, den Aventuriern allzu detaillierte Auskünfte über Rakshazar zu erteilen. Man konnte sich schließlich nie sicher sein, dass die Bewohner des Westkontinents dieses Wissen nicht eines Tages gegen seine rakshazarische Heimat verwenden würden. Also erging sich der Drachenkaiser in Falschaussagen und Auslassungen, zu denen auch gehörte, dass er den Derographen das längst untergegangene Marhynia als Hauptstadt des Rieslands nannte. Es dürfte jedoch Kharibet zu verdanken sein, dass Marhynia auf der Karte an genau jener Position verzeichnet wurde, an der Yal-Kharibet liegt. Die Aventurier haben seither immer wieder ver­geblich versucht, Marhynia zu finden, und ordnen es allerlei Völkern zu, allen voran den Marhys (Marus), den Blauen Mahren und den Riesen des Maruk-Methai-Feldzugs. Sie alle weisen Namensähnlichkeiten mit der verlorenen Metropole auf und kommen daher als heiße Kandidaten dafür, die wahren Marhynianer gewesen zu sein, in Betracht. Dass solche Annahmen teilweise den Tatsachen entsprechen, ist eher einem Zufallstreffen beim weitläufigen Stochern im Nebel zu verdanken als echten Erkenntnissen.

Seit rund siebzig Jahren häufen sich die Berichte, Thufir sei erneut am Djer Mussa gesehen worden, und auch die Drachen sprechen von seiner Rückkehr. Die Riesen hatten ohnehin niemals an sein Verschwinden geglaubt. Wie es scheint, schickt sich der Meister der Magie und erleuchtete Geist an, neue Ansprüche zu erheben, und sieht sich dabei in der Pflicht des unergründlichen Weltengesetzes, etwas Großes auf Dere zu verkörpern.

Offenbar konnte Thufir seinen Karfunkelstein wieder aus Kharibets Körper in seinen eigenen transferieren. Was dabei mit Kharibet geschah, ist ungewiss, doch bei der zu erwartenden Macht, die Thufir inzwischen angehäuft haben dürfte, ist es nicht auszuschließen, dass Leib und Seele des Sultans die ungewöhnliche Symbiose unbeschadet überstanden haben. Denkbar also, dass Kharibet, nunmehr unsterblich wie auch sein Herr, noch heute unerkannt als Gesandter des Drachenkaisers durch das Riesland reist, um seinem Volk beizustehen, so gut ein so zögerlicher Herrscher wie er es eben vermag.

 

Die Diamantene Dynastie der Sanskitaren

In den nächsten hundert Jahren nach Gründung Yal-Kharibets verlief die Geschichte in den tulamidischen Kolonien vergleichsweise friedlich und war von immer größerem Landgewinn und stetem Bevöl­ke­rungs­wachstum geprägt. Die drei Städte Yal-Amir, Sha-An-Arr und Yal-Kharibet wuchsen zu einem wichtigen Teil des Diamantenen Sultanats heran. Die Vereinigung der Tulamiden und Remshen zu einem Volk fand – wie von Sultan Kharibet erhofft – tatsächlich statt, wenn auch anders als erwartet. Die Remshen stellten auch Jahrzehnte nach Kharibets Herrschaft noch die deutliche Mehrheit der Bevölkerung, und obwohl sie sich an die Kultur und Sprache der Tulamiden anglichen, blieben doch viele Merkmale ihrer ursprünglichen Kultur erhalten. Reisende aus Aventurien beschrieben die dem Mischvolk entstammenden Siedler als wortkarger und verschlos­se­ner als die Mutterländler, aber auch als mutig und freiheitsliebend. Die tulamidische Sprache klang aus den Mündern der Siedler härter und kehliger. Da sich weder Tulamiden noch Remshen damit wirklich wohlfühlten, vereinigten sich das Ur-Tulamidya der Kunkomer und das Alt-Ramsharij der Remshen im Laufe der Generation zum Sanskitarischen, das den sprachlichen Besonderheiten beider Völker entgegenkommt.

Der größte Teil der Kultur der Nagah und Marus hingegen verschwand in den folgenden Jahrzehnten. Die Mehrheit der Echsenvöl­ker zog in dieser Zeit auf die Ribukanische Halbinsel, wohin der Einfluss der Tulamiden nicht reichte. Die übrigen Echsenwesen waren in den Städten der Siedler integriert und überraschenderweise allgemein akzeptiert. Einige Nagah bestritten ihre Existenz durch bäuerliche Selbstversorgung in entlegenen Gebieten oder wurden Räuber und Wegelagerer. Mit den Amhasiern ging man auf „höfliche“ Distanz. Beide Seiten sorgten sich primär um die von ihnen beanspruchten Gebiete, aber der Handel mit Waren und Sklaven florierte. Insbesondere die Entwicklung der Magie der Siedler wurde durch den Kontakt mit der Kör­permagie der Magierherrscher aus dem Norden befruchtet: Bisher kannten die Kophtanim und Mudramalim der Tulamiden vor allem Magie, die offensichtlich und ritualisiert war. Die nach innen gekehrte, körpernahe Zauberei der Amhasier war ihnen neu und fand schnell Anhänger. Die Verweser des Diamantenen Sultanats werden von sanskitarischen Gelehrten heute als die Diamantene Dynastie der Sanskitaren bezeichnet, obwohl das neu entstandene Volk den Namen Sanskitar noch gar nicht kannte. Ihr folgten noch eine Goldene, eine Silberne und eine Bronzene Dynastie.

 

Die Unabhängigkeit der Kunkomer

 

Mahwads Krieg

Während der Krieg der Orks im Norden tobte, konnte die Kultur der tulamidischen Siedler gedeihen. Gute Ernten und die Abwesenheit von Seuchen hatten die Bevölkerung innerhalb weniger Generationen stark anwachsen lassen. Der Kontakt zwischen den Kolonien und dem Mutterland jedoch ebbte stark ab. Ursache waren Kriegshandlungen der Zweiten Dynastie, die diese zwangen, Ressourcen vom Rieslandhandel abzuziehen, allen voran Mahwads Krieg von 1.010 bis 1.002 v. BF. Ab 1.016 v. BF war Alhanien Teil des Diamantenen Sultanats geworden und hatte Nebachoter Sitten ins Diamantene Sultanat eingebracht.

Es gab inzwischen keine ernstzunehmende echsische Bedrohung mehr, lediglich versprengte Reste, deren Beseitigung sich die Göttin Rondra auf die Fahne schrieb. 1.011 v. BF erhob sie Geron den Einhändigen zu ihrem Auserwählten und entsandte ihn mit dem Schwert Siebenstreich, um einzelne mächtige Überlebende aus Pyrdacors Reich zu erschlagen und so die Drachen- und Echsenmacht weiter einzudämmen.

Nun, da die Geschuppten keine tödliche Bedrohung mehr darstellten, kamen am Hofe des Sultans auf einmal Errungenschaften aus echsischer Zeit in Mode. Höfisches Zeremoniell, ästhetische Wahrnehmung und Titulatur orientierten sich mehr und mehr an der echsischen Hochkultur vergangener Tage. Auch viele Götter aus dem echsischen Pantheon wurden übernommen. Schließlich kam es Khunchom zu Unruhen. Der berühmte Krieger Mahwad al-Rasul forderte 1.010 vom Sultan die Abkehr vom sogenannten Edelsteinkult und die Rückkehr zur Feqz-Verehrung. Der Sultan wies seine Forderungen zurück, und so sammelte Mahwad viele Unzufriedene um sich, darunter zahlreiche Bewohner der Khôm-Wüste, die im Sultanat als Barbaren verschreien waren. Doch gerade sie erinnerten sich an die Kämpfe gegen Leviatanim und Marus und verabscheuten daher die echsischen Einflüsse.

Mahwads Aufstand erschütterte das Sultanat für mehrere Jahre. Es kam zu zahlreichen Scharmützeln und Schlachten, Städte wie Fasar wechselten mehrfach die Seiten, mal freiwillig, mal, weil man sie okkupiert hatte. Erst 1.002 v. BF wurden die Aufständischen in der Schlacht von Rashdul entscheidend geschwächt. Mahwad selbst wurde schwer verwundet und starb wenig später an den Verletzungen. Die überlebenden Aufständischen wurden aus dem Sultanat verbannt. Manche kamen bei den Wüstenstämmen der Khôm unter, andere brachen in Richtung der rakshazarischen Kolonien auf.

 

Der Rat der drei Städte

Die riesländischen Städte wussten ihre neu erworbene Eigenständigkeit zu nutzen. Erstmals wurde Anno 989 v. BF ein unabhängiger Rat der Stadtverwalter der drei tulamidischen Städte Yal-Amir, Sha-An-Arr und Yal-Kharibet gegründet, der es der Bevölkerung ermöglichen sollte, die Angelegenheiten ihres Landes in die eigenen Hände zu nehmen. Kassim, Sohn von Amul, der Statthalter von Yal-Kharibet, war federführend bei fünf Entwicklungen, die die Beziehungen zum Mutterland weiter belasteten:

 

Landgewinne

Erstens waren die Städte des Rieslandes inzwischen wirtschaftlich autonom und ähnlich wohlhabend wie die Tulamidenstädte des aventurischen Mutterlandes. Im Osten des Kon­tinents gründeten sie auf den Ruinen einer alten marhynianischen Siedlung die unabhängige Stadt Ribukan, welche vom Abbau von Edelmetallen und -steinen lebte. Sie unterstand nicht dem aventurischen Sultan, sondern direkt dem Rat der riesländischen Städte, von denen sie als eine Art Privatunternehmen betrieben wurde. Die wertvollen Rohstoffe musste der Sultan von den Riesländern kaufen. Ebenso verhielt es sich mit Kap Parhami südlich des Orthwall-Gebirges. Dort existierte keine staatliche Ordnung, dafür aber fruchtbarer Boden. Die zahlreichen Stämme vom Volk der Parnhai wurden von den Siedlern zum Ackerbau, zur Metallverarbeitung und zur Webkunst angeleitet. Sie stell­ten als Gegenleistung für den Schutz vor den marodierenden Marus den Großteil ihrer Pro­duktion den hungrigen Städten und dem Handel mit Aventurien zur Verfügung. Auch hier hatte das Diamantene Sultanat keinen Einfluss mehr.

 

Die Opposition zu den Echsen

Zweitens trafen die verbannten Anhänger Mahwads nach und nach im Riesland ein, verbündeten sich mit den heimlich agierenden Logen der Schattenkrieger und trieben einen Keil zwischen aventurischen Sultane und die Riesländer. Sie berichteten von dekadenten und unmoralischen Ritualen am Sultanshof und beklagten die ungerechte Behandlung, die ihnen zuteil geworden war. Dies alles brachte die Riesländer gegen die Khunchomer Stultane auf und führte zum Verbot zahlreicher Kulte des Mutterlandes in Rakshazar, darunter vor allem solche, die ihren Ursprung in der Götterverehrung der Echsenvölker hatten. Der Sultan sah sich außer Stande, gegen diese Verbote vorzugehen, was seine Autorität in den riesländischen Kolonien weiter untergrub.

 

Die Zerstörung des Adamantenlandes

Drittens kam es 998 v. BF zu einem Vulkanausbruch weit draußen im Charyptischen Meer. Die durch die Katastrophe ausgelöste Flutwelle soll noch in Mirham und Thalusa zu spüren gewesen sein. Sie veränderte die Meeresströmungen nachhaltig und erschwerte die ohnehin schon nicht einfache Schifffahrt gen Osten noch weiter. Möglicherweise ist das Ereignis künst­lich ausgelöst worden, etwa durch einen Anhänger des Großen Drachen Aldinor, der auf diese Weise eine Beschränkung der ausufernden Rieslandfahrten erreichen wollte. Offenbar wurde in diesem Zuge des Adamantenland der Legenden zerstört, das danach nicht mehr aufgefun­den werden konnte, obwohl es zuweilen im tiefen Perlenmeer jenseits von Setokan vermutet wird. Manche Überlieferungen halten die Waldinsel Ibonka für einen Überrest des Adaman­ten­landes, meist wird aber davon ausgegangen, dass die Inseln Sorak, Kossike, Pekladi und Bilku das sind, was von der einstmals viel größeren Waldinsel übergeblieben ist. Die Edelsteinminen des Adamantenlandes versanken im Meer. Der Handel mit der einst großen, reichen Insel erlosch, bevor er überhaupt richtig in Gang gekommen war. Bizarre Legenden berichten davon, ein Kophta, welcher sich zur Zeit kurz vor der Explosion auf der Adamanteninsel aufgehalten habe, habe die herannahende Katastrophe erkannt und die zentrale Insel, ausgenommen die Reste, die man heute noch in der Dritten Sphäre vorfindet, in eine Globule entrückt. Dort soll im Laufe der Jahrhunderte eine mächtige, durch die Nachfahren des Kophta beherrschte Magokratie entstanden sein, die sich, sollte das Adamantenland jemals wieder in derische Gefilde zurückkehren, als gewaltiger Machtfaktor im Perlenmeer entpuppen würde.

 

Die schwimmende Festung von Yal-Mordai

Viertens wuchs durch eine atemberaubende Entdeckung auch die militärische Stärke der Kolonien: Als die Vorfahren der Sanskitaren die verlassenen Ruinen der heutigen Stadt Yal-Mordai betraten, staunten sie nicht schlecht, als sie im Hafen der Stadt ein uraltes, mächtiges Artefakt fanden. Vor ihren Augen erhob sich mitten im tiefen Wasser des Hafens eine Schwimmende Festung, ein wahrer Palast mit mehr als 200 Schritt Kantenlänge, fünf Stock­werke hoch über die Wasseroberfläche aufragend, jedes einzelne so hoch und geräumig, dass selbst ein Troll leicht darin hätte hausen können. Mit Hilfe einer magischen Krone, die vom Vorbesitzer in den Gängen des Schiffes scheinbar achtlos fallengelassen worden war, ließ sich dieser monströse, Schwimmende Palast ganz nach Belieben steuern. Schon bald war der Be­sitz dieser Krone mit der Herrschaftswürde des neu entstandenen Volkes der Sanskitaren ver­bunden. Bis heute ist die Krone der Sanskitaren von Hand zu Hand gegangen und befindet sich momentan im Besitz von Al‘Hrastor, dem Tyrannen von Yal-Mordai.

Die ältesten Sagen und Märchen der Remshen, die bis in die Zeit des Zweiten Marhynianischen Imperiums zurückreichen, lassen erkennen, dass die Vorgängersiedlung Yal-Mordais einst von „schlangenleibigen Priester­kö­nigen“ beherrscht worden ist. Möglicherweise war sie eine der wenigen festen Ansiedlungen der als aufrührerisch geltenden Nagah. Denkbar wäre auch, dass es unter den Nagah verschiedene Fraktionen gab. Die Bewohner von Yal-Mordais Vorgängersiedlung könnten dem Imperium angehört haben oder zumindest von ihm bezahlt worden sein und gegen ihre rebellierenden Schwestern und Brüder gestritten haben. Womöglich war die Stadt selbst umkämpft, und die eine Fraktion musste irgendwann schleunigst vor der anderen fliehen. Dies wäre eine mögliche Erklärung für das achtlose Zurücklassen der steuernden Krone für die Schwimmende Festung, auch wenn es wahrscheinlicher ist, dass diese in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verheerungen durch den Kataklysmus aufgegeben worden ist. Die Zerstörungen, welche der Kometeneinschlag angerichtet hat, und das darauffolgende Zeitalter der Asche dürften den Einsatz eines riesigen Festungsschiffs jeglichen Sinns beraubt haben.

Wie viele solcher Festungen es geben mag, ist bei den Gelehrten umstritten. Einige reden von sieben, andere von neun, ja es gibt sogar Gelehrte, die von einer Flotte des Güldenen Gottes sprechen, die aus nicht weniger als 99 dieser Ungetüme bestehen soll. Bekannt sind dagegen gerade einmal vier Festungen, von denen heutzutage nur noch eine einzige voll ein­satzbereit ist und von ihrem derzeitigen Besitzer als ultimative Waffe genutzt wird. Es spricht einiges dafür, dass die Imperialen sich bei der Erstellung der Festungen an den Zauberschiffen der Hochelfen orientiert haben.

 

Die Burumer

Der fünfte und schwerwiegendste Punkt war jedoch, dass der Rat der Städte einigen hundert Araniern Unterschlupf gewährte, die gegen die Herrschaft des Sultans rebelliert hatten. Die Burumer, wie diese Freibeuter nach ihrer Heimat El‘Burum genannt wurden, konnten ungestraft von Sha-An-Arr aus die Schiffe der aventurischen Tributeintreiber überfallen. Die Hälfte ihrer Beute mussten sie an Kassims Rat abgeben, die andere Hälfte durften sie für sich behalten. El’Burum wurde somit zur zweiten großen tulamidischen Region, die Kontakte ins Riesland unterhielt, neben dem Diamantenen Sultanat und hier vor allem der Stadt Khunchom.

 

Elem

Elem nahm in diesem Reigen eine Sonderrolle ein. Nominell gehörte es zum Diamantenen Sultanat, seit Salman al’Nassori, eine Inkarnation des Alveraniars des Verborgenen Wissens, es mit Ende der Skorpionkriege in dessen Gründungsjahr 1.324 v. BF erobert hatte. Elems Koo­pe­­ration mit den maritimen Völkern, insbesondere mit den unmittelbar vor der Hauptstadt in ihrem Unterwasserreich Wahjad lebenden Krakoniern, ermöglichten ihm allerdings nach wie vor weitestgehende Autonomie. Als Großmacht dominierte es den Süden Aventuriens und war eine der bedeutendsten Seefahrernationen dieser Zeit. Allerdings schickte Elem nur wenige Schiffe in Richtung des Rieslands. Es war deutlich stärker in Richtung Süden gewandt, gen Uthuria.

Zwar lag eine Dunkle Pforte in Richtung Riesland, die Treppe nach Amhas, auf Elems Territorium, doch wurde diese kaum genutzt, da sie unter der Kontrolle der Kophtanim stand. Dieser Weg stand dem Elemer Durchschnittsbürger also weder für ausgedehnte Abenteuerfahr­ten noch für große Handelszüge offen. Erst Jahrhunderte später nutzten die Kopthanim die Treppe selbst, um mit Amhas Handel zu treiben. Das erwies sich als fatal, nicht nur für die riesländische Metropole, sondern auch für Elem, führte der Rieslandhandel doch zu einem Erstarken der Krakonier und damit langfristig zur Zerstörung der Hauptstadt der Menschen durch den Stern von Elem.

 

Das Ende der Tributzahlungen

Nicht lange nach der Ankunft der Burumer erließ der Sultan den riesländischen Städten die Tributzahlungen, aus „Großher­zigkeit“, wie es hieß. Inoffiziell war klar, dass das Risiko für die aventurischen Schif­fe, die Kolonien anzufahren, um Tribute einzutreiben, schlichtweg zu groß geworden war. Dies lag nicht nur an den aranischen Freibeutern. Ab 970 v. BF war es mehrfach zu Zwischenfällen mit Rirgit gekommen, gewaltigen räuberischen Amphi­bienwesen, die gleichermaßen in den Gewässern um das Riesland und in den Meeren der Hohlwelt Tharun beheimat sind. Sie erinnern vage an eine Mischung aus Molch und Fisch und haben zwei vierundzwanzig Schritt lange Tentakel, welche sich an den rund dreißig Schritt messenden Rumpf anschließen. In Tharun gelten sie als Sendboten des Numinoru und werden von seinen Azarai als heilig angesehen. Für die Schiffe Sultan Sheranbils II. waren sie vor allem eine tödliche Gefahr, und als die Verluste an Schiffen und Menschenleben zu groß wurden, entschied der Herrscher, die Rieslandfahrten einstweilen einzustellen.

Obwohl die Unabhängigkeit der riesländischen Städte von keiner Seite aus jemals offiziell erklärt wor­den war, begaben sich Riesländer und Aventurier auf die Suche nach neuen Allianzen. Der aventurische Sultan nahm ab ca. 900 BF einen fruchtbaren Handelskontakt mit dem reichen Nagah-Königreich Unlon auf den Jominischen Inseln und mit anderen Nagah-Reichen auf, der den gegen die Echsen aufgestachelten Kolonien als religiöser Frevel galt, diente sich aber auch den Amhasiern als Verbündeter gegen die Ronthar an, frei­lich ohne ihnen jemals substanzielle Hilfe leisten zu können. Währenddessen schlossen die Riesländer enge Bündnisse mit dem Volk der Xhalori. Überraschenderweise kam es nicht zum offenen Krieg zwischen den Kolonien und dem Mutterland. Der Handel mit dem Ostkontinent war trotz der Nachgiebigkeit der aventurischen Sultane gegenüber den Forderungen der Kolonien für sie immer noch zu ertragreich, als dass es eine sinnvolle Option schien, die Handelsbeziehungen gänzlich aufzugeben. Auch wollten sich die aventurischen Herrscher nicht die Blöße geben, die von ihren Vorgängern errichteten Städte zu verlieren.

 

Die Goldene Dynastie der Sanskitaren

 

 

Das erste Reich der Sanskitaren ist bis heute das Thema von Legenden und Gesängen. In die­ser Zeit fanden die Kunkomer, Remshen und in gewissen Grenzen auch die Parnhai zu einer gemeinsamen Identität, losgelöst von ihrer Vergangenheit als unterschiedliche Völker. Diese Entwicklung nahm ihren Anfang mit Amul Bel’Andra ay Sanskitar.

Amul war der zweitjüngste Enkelsohn von Azziz, Sohn von Sultan Kharibet I., und seiner Frau Andra, Tochter des Ursupators Urhan. Die Herrschaft über Yal-Kharibet und die anderen mächtigen Tulamidenstädte war an seine älteren Brüder gegangen. Er selbst wurde mit mit der Herrschaft über Sanskitar abgefunden, einer Stadt in der Grünen Sichel, wohl am Fluss Sanskis gelegen, die vor rund fünfzig Jahren entstanden war. Ihr Name, übersetzt in etwa “die strahlende Metropole”, stellte dabei eine maßlose Übertreibung dar, war sie doch eher ein kleines, unscheinbares Städtchen, das sich in der Landschaft verlor.

Amuls Beiname “ay Sanskitar” bezieht sich überraschenderweise nicht auf seinen Besitz, sondern stellt einen Ehrentitel dar, der mit “der Erhabene” oder “der Strahlende” zu übersetzen ist und ihm verliehen wurde, als er sein Amt antrat. Die hochtrabende Namensgebung sollte ihn davon ablenken, dass er im Grunde mit einem geringwertigen Erbe abgespeist und in die Wildnis abgeschoben worden war. Für eine Herrscherdynastie mit vielen Kindern gab es im kaum erschlossenen Riesland wenig zu erben. Dass es schließlich an ihm und seinen Nachkommen sein würde, einige der bedeutendsten Entwicklungen seiner Zeit zu initiieren, entspricht der typischen Ironie der Geschichte. Amul wird in den Überlieferungen oft einfach Sultan Sanskitar genannt, was soviel wie “der erhabene Sultan” bedeutet, ungeachtet der Tatsache, dass er selbst, anders als sein Sohn, niemals den Sultantitel getragen hat.

Legendären Ruhm erwarb sich Amul bereits durch die 66 Heldentaten, die er ab 940 v. BF vollbrachte. Er besiegte 66 Dämonen, die 66 Ifriitim der späteren Legenden, und bannte sie in 66 Artefakte. Es hat den Anschein, als sei die Zahl 66, die in Sagen und Märchen genannt wird, der tulamidischen Zahlenmystik geschuldet. In gewisser Weise stimmt das sogar, denn die Maru-Beschwörer, welche die Dämonen herbeiriefen, um die Menschen zu demoralisieren und den Versuch zu unternehmen, sie zu vertreiben, orientierten sich am Aberglauben der Tulamiden, da sie annahmen, dem Wüten der Jenseitigen so zusätzlichen Schrecken verleihen zu können. Die Mythologie irrt also nicht und hat auch keine ihrer üblichen Übertreibungen oder Anpassungen vorgenommen. Es waren tatsächlich genau 66 Gegner, die Amul überwand.

Als ruchbar wurde, dass es Maru-Priester waren, welche die Dämonen beschworen hatten, damit sie Gewalt und Zerstörung im Gebiet des Kap Par­ha­mi säten, erhielten die Kaimanköpfigen eine passende Antwort. Eine Allianz aller menschlichen Völker der Region schlug gegen die Marus zurück und beendete ein für alle Mal die bereits viele Jahrhunderte andauernde Bedrohung durch die Echsenwesen. Ihr Reich, das vor der Ankunft der Kunkomer den Süden des Rieslandes beherrscht hatte, wurde endgültig vernichtet.

Wesentlichen Anteil am Sieg der Menschen hatten die nun als Zammoris bekannten Kunkomer Magier, welche Amul nach dem Sieg über die Marus rituell in sein Volk aufnahm und mit allerlei Privilegien ausstattete. Die Reiternomaden, die stärker als die Städter in der Tradition der Remshen stehen, betrachten dies als den wesentlichen Vorgang, der ihre Kultur in den Stadtstaaten in den Hintergrund treten ließ und sie dem tulamidischen Einfluss unterwarf. Heutige Amazäer, vor allem aber die Zelothim würden diese Magier dennoch nicht als Ihresgleichen betrachten. Sie berufen sich auf eine in ihren Legenden behauptete Inkarnation des Gottes Amazth, welche in der Spätphase des ersten Reiches stattgefunden haben soll, als die Zentralgewalt bereits wieder zu bröckeln begonnen hatte und große spirituelle Verunsicherung herrschte.

Viele Marus konnten vor dem Völkermord durch die Menschen fliehen und fanden auf der Ribukanischen Halbinsel Asyl, wo sie über Jahr­hun­der­te eine kleine, aber lautstarke Minderheit bildeten. Am nach ihnen benannten Maru-Himal-Gebirge kann man sie noch heute finden, wenn auch weitestgehend zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Einzelnen Maru-Sippen gelang zudem die Flucht in entlegenere Regionen. Wie viele andere Herrscher bediente sich Amul Bel’Andra der Rakshazas, um sie als gewaltige Kampfmaschinen gegen seine Feinde zu senden. So gelang ihm die Eroberung der „Großen Steppe“ im Norden, wohl der südlichen Targachi, aus der er die Orghas ver­trieb, wie die Urtulamiden die Orks nannten – vermutlich abgeleitet von „Urgash(kão)“.

Doch Amul war nicht nur ein beeindruckender Krieger, sondern auch ein charismatischer Anführer und willensstarker Politiker. Er schuf aus der militärischen Allianz eine politische Einheit, deren Zusammenhalt durch ein starkes Militär gewährleistet wurde. So begründete er die Dynastie der Sanskitarenherrscher, die schließlich dem ganzen Volk seinen heutigen Na­men verlieh. Der Kontakt nach Aventurien war zu dieser Zeit zwischenzeitlich fast komplett abgerissen. Efferd hatte zwischen Myranor und Aventurien den Efferdwall errichtet, was für Jahrzehnte auf fast ganze Dere zu ungünstigen Winden und Strömungen führte, die auch die Reise ins Riesland beeinträchtigten. Der Handel mit den benachbarten Völkern der Amhasier und Brokthar hingegen wurde zu jener Zeit intensiver und das Verhältnis sogar fast freundschaft­lich.

Amul selbst starb recht jung und unheldenhaft an einer Lebensmittelvergiftung und konnte so die eigentliche Blütezeit seines Reiches unter seinem Sohn – Amul dem Jüngeren – nicht mehr miterleben. Obwohl immer wieder Gerüchte umgingen, dass der seinen Vater vergiftet haben könnte, gab es dafür doch niemals handfeste Beweise.

Zu Beginn der Herrschaft Amuls des Jüngeren war Sanskitar den anderen Sanskitarenstädten in nahezu allen Belangen unterlegen, Wirtschaftskraft, militärische Stärke, technologischer Entwicklungsstand, kulturelle Errungenschaften. Doch sorgte der junge Herrscher beharrlich dafür, dass es zu einer prunkvollen Residenzstadt ausgebaut wurde.

Anschließend nannte er sein Herrschaftsgebiet hochtrabend „Sultanat von Sanskitar“. Er erhob durch diese Namensgebung ganz bewusst den Anspruch, dass er dem Sultan des aventurischen Mutterlandes gleichgestellt sei. Da der Herrscher des Diamantenen Sultanats auf der anderen Seite des Ozeans residierte und offenbar nicht in der Lage war, Herrschaft über die riesländischen Kolonien auszuüben, postulierte Amul mit der Übernahme des Sultanstitels zugleich einen Führungsanspruch über die anderen Städte, den er im Laufe der Zeit tatsächlich durchsetzen konnte.

Der Aufstieg der Stadt zum Mittelpunkt eines geeinten Sanskitarenreiches erscheint rätsel­haft und wirft einige Fragen auf. Es gibt Hinweise darauf, dass Amul dynastische Verpflichtungen auszunutzen verstand, welche die mit ihm eng verwandten Herrscher der anderen Stadtstaaten zum Gehorsam zwangen. Der Sultan der Sanskitaren scheint außerdem Expeditionen ausgesandt zu haben, welche die verborgenen Reichtümer der Marhynianer und anderer untergegangener Völker bargen. Diese investierte er, um Sanskitar noch größer und prachtvoller zu gestalten. Das wiederum lockte Krieger, Zauberkundige und andere Gelehrte aus aller Herren Länder in die Stadt. Parallel entwickelte sie sich zu einem religiösen Zentrum, in dem allerlei konkurrierende Kulte Baukunst, Forschung und Lehre bereicherten.

Mehrere Jahrzehnte dauer­te dieses Goldene Zeitalter, bis der Krieg gegen den Scherben­magier Rorkha es gewaltsam beendete. Dennoch wurde die Geburtsstunde des neuen Volkes nie vergessen, und die Sanskitaren pflegen bis heute die Erinnerung an Amul: Seine ohnehin bemerkenswerten Taten werden in den Erzählungen jeder neuen Generation immer weiter ausgeschmückt.

Tulamidische Geschichtenerzähler taten sich vor allem mit dem Faktum schwer, dass es in den sanskitarischen Stadtstaaten in relativ kurzen Abständen zu einem Wechsel der Herrschaft kam, wobei der Name des Herrschers jedoch gleichblieb. Wenn von einem Sultan namens Amul die Rede ist, vermag ein Khunchomer nur schwer zu beurteilen, um welchen von ihnen es sich handelt. Entsprechend wurden die Taten Amul Bel’Andras allzu oft mit denen seiner Nachfolger in einen Topf geworfen. So heißt es im Märchen „Der diamantene Skorpion“, das zu Beginn der Dunklen Zeiten verfasst wurde: „Als die stolzen Kinder A’Dawatus die dunklen Fluten bezwangen, die große Steppe eroberten und die niederträchtigen Marhyas vertrieben, beschritt Amul Bel’Andra Rakshazastan und überwand während seiner 66 Heldentaten 66 Schrecken der Ifriitim. Fortan herrschten er, seine Emire, Mogule und Satrapen über die grünhaarigen Parhnias, die in den Wäldern lebenden Rakshazas und die befellten Oghas, befand sich im Krieg mit den giftigen Nagahs und zaubermächtigen Rorkhas, und war doch dem Diaman­tenen Sultan im glanzvollen Khunchom Untertan. Eines Tages (…)“ (Zitiert nach „Im Bann des Diamanten„, S. 69.) Während die 66 Heldentaten sowie die Herrschaft über Parnhai, Rakshazas und Orks Amul Bel’Andra zugeordnet werden können, war er zur Zeit Rorkhas und seiner Anhänger längst verstorben. Diese wirkten während der Regierungsjahre Amuls IV., zu dessen Zeit der Einfluss des Sanskitarischen Sultanats mindestens Ribukan, Yal-Amir und Sh-An-Arr umfasste. Auch die Auseinandersetzungen mit den Nagah gehören in die Herrschaftsjahre anderer sanskitarischer Sultane.

Indem sich Amul der Jüngere zum Sultan erklärte, brach er ein Tabu, und von nun an forderten zahllose weitere Herrscher Macht und Geduld des Diamantenen Sultanats dadurch heraus, dass sie selbst den Titel eines Sultans annahmen. Es erwies sich, dass das aventurische Mutterland nicht die Ressourcen aufbrachte, sie daran zu hindern. Diese standen entweder nicht zur Verfügung, oder der Nutzen einer solchen Unternehmung wog ihre Kosten nicht auf. Diese Praxis überdauerte den Fall des Diamantenen Sultanats in der aventurischen Urheimat, sodass mit Al’Hrastor und Arkamin IV. von Shahana bis in die Gegenwart hinein Sanskitarenherrscher um den begehrten Titel buhlen.

 

 

Rorkha und das Ende der Goldenen Dynastie

 

 

Rorkha ist ein Name, der bis heute bei den Sanskitaren sinnbildlich für blindwütige Zerstö­rung steht. Doch dieser Ruf wird der historischen Person nicht gerecht. Rorkha war kein zerstörungswütiger Barbar und auch kein Brokthar, wie ihn spätere Bilder oft darstellen, weil sein Name allzu sehr an die einstigen Kriegsgegner der Kunkomer, die Kharor, erinnert und an die verheerenden Auswirkungen ihrer magischen Kräfte. Stattdessen entstammte er der wohlhabenden Familie der Ashnamur, die damals einen großen Einfluss auf die Geschicke der Stadt Yal-Kharibet hatte. Da er seit seiner Geburt an an einer Krankheit litt, die seine Haut unnatürlich grau färbte und ihn kraftlos und kurzatmig werden ließ, dachten seine Eltern, er sei von einem Fluch befallen. Auf Anraten eines Priesters erzogen sie ihren Sohn zu einem Fernhändler und Diplomaten im Dienste ihres Hauses, damit er den Großteil seines Lebens auf Reisen fern der Familie verbringe und das Unglück, welches von dem Jungen mutmaßlich ausgehe, nicht auch auf den Rest der Familie überwechsle.

Rorkha fügte sich in sein Schicksal und war tatsächlich erfolgreich in seiner Tätigkeit. Er fand bald Gefallen daran, als Gast an den luxuriösen Höfen der sanskitarischen Städte Sanskitar, Ribukan, Yal-Amir und Sha-An-Arr ein und aus zu gehen. Er war bekannt als unterhalt­sa­mer Gast mit spitzer Zunge, einem beißenden Humor und großer Menschenkenntnis. Auch der Sultan des Reiches, Amul IV., wurde schließlich auf ihn aufmerksam und ernannte ihn zum Botschafter für die Stadt Amhas.

Diese Entscheidung führte schlussendlich zum Untergang der Dynastie der Amuliden, auch bekannt als Erste oder Goldene Dynastie: In der Stadt Amhas wurde Rorkha 882 v. BF freundlich aufgenommen und erhielt als Gesandter des Sultans Zugang zu exklusiven Kreisen. Bald entspann sich eine Liebesgeschichte mit bitterem Ausgang: Die Frau des Fürsten von Amhas, Isyahadin, begann ihn in ihren Bann zu ziehen. Sie war wie er scheinbar durch eine Laune der Natur gezeichnet: Ihre Augen und ihre Haare glänzten auf befremdliche Weise silbern. Ohne das Wissen ihres Gatten hatte Isyahadin einen Kult gegründet, die „Kinder der Wahren Königin“. Die 66 Mitglieder dieses Kultes verehrten die Elfe Pardona, welche vor Jahrhunderten über die Stadt geherrscht habe, deren Astralleib nun aber von grausamen Göttern gefangen gehalten werde. Nach Isyhadins Schilderungen bestand das Ziel des Kultes darin, die Seele der Pardona im Austausch gegen 66 gebundene Dämonen freizukaufen, eben jene 66 Wesen, die Amul I. einst eingesperrt hatte. Tatsächlich hatte sie jedoch ganz an­de­re Pläne, zumal sie genau wusste, dass sich Amadena gar nicht in Gefangenschaft befand.

Immer weiter wurde Rorkha in das Netz des Kultes hineingezogen. Seine Verehrung der vermeintlichen Göttin Pardona festigte sich, weil er dank Isyhadin ihre Macht am eigenen Leib zu spüren glaubte. Seine Leiden schwanden, sobald er ein Amulett trug, von dem Isyhadin behauptete, dass es Pardonas Macht kanalisiere. In Wahrheit war es nur eines von zahlreichen magischen Artefakten, die Isyahadin in einer geheimen Schatzkammer vor den Augen ihres Gatten versteckte. Isyahadin schürte Rorkhas Verachtung für seine Familie, die ihn mied und für verflucht hielt. Nach einigen Monaten zeigte er sich bereit für den Kampf gegen das Reich, welchem er eigentlich dienen sollte.

Inzwischen war er dank seines Charismas und seines diplomatischen Geschicks zum Sprecher des Kultes aufgestiegen. Wo vorher noch Ränkespiele und Missgunst unter den Mitgliedern geherrscht hatten, zog jetzt Rorkhas Entschlossenheit und Ausstrahlung alle in seinen Bann. Obwohl der Orden nur 66 Mitglieder hatte, war er doch in der Lage, einem ganzen Heer Paroli zu bieten. Jedes Mitglied des Kultes besaß nämlich eine besondere Waffe aus magischem Metall. Diese Waffen waren beseelt und stärker, als je eine andere weltliche Waffe es sein könnte. Der Orden war, ohne es zu wissen, Erbe jener Waffen geworden, die den gefürchteten Kriegern des Marhynianischen Reiches und den Gründungsvätern Amhas‘ gehört hatten, den inzwischen vergessenen Scherbenmagiern.

Als der Moment zum Zuschlagen gekommen war, betraten die Kinder der Wahren Königin die Sultansstadt Sanskitar. Sie reisten unerkannt unter den vielen Gästen und Händlern, die diese Stadt täglich besuchen. Rorkha alleine wandte sich direkt an seinen Sultan: Er forderte ihn auf, die 66 Gefäße der Dämonen gegen eine Auswahl von 66 Gegenständen aus Pardonas Kammer zu tauschen. Amul IV. lehnte empört ab, denn er wusste, dass die Gefäße in den falschen Händen sein Reich verheeren konnten. Daraufhin nahm Rorkha sich mit Gewalt, was er wollte, streckte den Sultan nieder und befahl den Angriff. Die 66 Scherbenmagier – heute bisweilen Rorkhas genannt – legten die gesamte Stadt in Schutt und Asche. Jedes der Mitglieder des Kultes nahm sich eines der Gefäße. Isyahadin drängte die Krieger, sofort am nächsten Morgen zurück nach Amhas aufzubrechen, um endlich das Tauschritual durchführen zu können. Doch Rorkha hatte andere Pläne: Er wollte Rache an seiner Familie und als neuer Herrscher von Sanskitar in seine alte Heimatstadt einziehen. Isyahadin gab nach, so schien es zumindest.

Nach wenigen Tagen hatte sich ein Heer der übrigen Sanskitarenstädte formiert, um den Verheerern von Sanskitar das Handwerk zu legen. Man wusste, dass Rorkha an ihrer Spitze stand, deshalb wollte insbesondere das Haus Ashnumar aus Yal-Kharibet seinen Verrat gesühnt sehen. Isyahadin sah, dass sie keine Zeit zu verlieren hatte: Sie offenbarte Rorkha, wer sie wirklich war, nämlich eine Dämonin, die ihre gefangenen Geschwister, insbesondere ihren geliebten Bruder Rahastes, befreien wollte. Isyahadin ist ein sechsgehörnter Dämon und Tagesherrscher des Ersten Namenlosen Tages. In Myranor wird er aus der Quelle Iryabaar, der Domäne Amazeroths, beschworen, in Aventurien gilt er als freier Dämon. Im Riesland hält man ihn meist für einen Vasallen des Namen­losen. Rahastes ist ebenfalls ein sechsgehörnter Dämon und Tagesherrscher des Dritten Namenlosen Tages. In Myranor wird er aus der Quelle Mishkarya beschworen und ist als Archon dem Erzdämon Bylhara bzw. Belzhorash gleichgestellt. In Aventurien gilt er als freier Dämon, im Riesland meist als Vasall des Namenlosen. Er erscheint in aller Regel als tiefschwarze, brodelnde Wolke. Seine verheerendsten Plagen kommen gegen die Erzeugnisse des Bodens und die Gesundheit zum Tragen – wie Belzhorash ist er ein Gegenspieler Peraines. Beide Dämonen haben Kräfte, die den Geist kulturschaffender Lebewesen attackieren können.

In Amhas hätte es Instrumente gegeben, um die Dämonen freizusetzen, doch da nun keine Zeit mehr blieb, musste der Kult selbst herhalten. Ihre Macht über den menschlichen Geist nutzend, zog die Dämonin etliche Anhänger Rorkhas in ihren Bann. Sie sollten versuchen, die Siegel mit ihren Waffen zu zerbrechen. Doch etwas anderes geschah. Anscheinend bekämpften sich die Mitglieder des Kultes untereinander.

Als sich das Heer der Sanskitarenstädte den Ruinen ihrer Hauptstadt näherte, sahen die Krieger schon von Ferne eine schwarze Wolke über der Stadt dräuen, in der sich grinsende Fratzen bildeten. Eine Vorhut berichtete, in der Stadt sei keine Menschenseele zu finden gewesen, aber dämonische Schatten, die durch die Gassen schlurfen. So kehrte das Heer um, ohne zu verstehen, was sich an diesem Tage zugetragen hatte. Schon bald starben die Soldaten, welche die Stadt betreten hatten, an seltenen Krankheiten, und die Überlebenden wurden bis an ihr Ende von Alpträumen geplagt.

Bis heute ist die Stadt Sanskitar nicht wiederaufgebaut worden, und ihre Lage wurde sogar aus den Chroniken und Landkarten getilgt. Von Rorkha selber hat man nie wieder etwas gehört. Bei seinen Kriegern und ihren Waffen sieht das anders aus. In den Folgejahren erschienen immer wieder Streiter oder Zauberkundige, die vorgaben, Rorkhas zu sein, doch ob sich je ein echter darunter befand, konnte nie geklärt werden. Und es tauchen wiederholt Händler und Gelehrte auf, die behaupten, eines der berüchtigten 66 Gefäße oder eine der Waffen des Kultes im Besitz zu haben. Ob dies der Wahrheit entspricht, vermag niemand zu sagen. Fest scheint nur zu stehen, dass Rahastes seine Freiheit zurückgewann und Isyahadin entkam, da beide noch immer als Tagesherrscher auftreten und von Sterblichen beschworen werden können. Ebenso gibt es immer wieder Abenteurer und Lebensmüde, die versuchen, die alte Stadt zu finden, um Schätze und magische Gegenstände zu bergen.

 

Das Ende des Ersten Sanskitarischen Sultanats

Eine Folge von Krisen führte dazu, dass das Sanskitarische Reich, das eine Generation zuvor noch einen Sieg auf der Ribukanischen Halbinsel errungen hatte, um 290 v. BF zerfiel. Mit ihm endete die Bronzene Dynastie. Danach begann bis in die Jahre um 300 BF der Aufstieg der Ipexco.

Bis heute ist die Stadt Sanskitar nicht wiederaufgebaut worden, und ihre Lage wurde sogar aus den Chroniken und Landkarten getilgt. Von Rorkha selber hat man nie wieder etwas gehört. Bei seinen Kriegern und ihren Waffen sieht das anders aus. In den Folgejahren erschienen immer wieder Streiter oder Zauberkundige, die vorgaben, Rorkhas zu sein, doch ob sich je ein echter darunter befand, konnte nie geklärt werden. Und es tauchen wiederholt Händler und Gelehrte auf, die behaupten, eines der berüchtigten 66 Gefäße oder eine der Waffen des Kultes im Besitz zu haben. Ob dies der Wahrheit entspricht, vermag niemand zu sagen. Fest scheint nur zu stehen, dass Rahastes seine Freiheit zurückgewann und Isyahadin entkam, da beide noch immer als Tagesherrscher auftreten und von Sterblichen beschworen werden können. Ebenso gibt es immer wieder Abenteurer und Lebensmüde, die versuchen, die alte Stadt zu finden, um Schätze und magische Gegenstände zu bergen.

 

Das Mittlere Reich der Sanskitaren und die Kultreform

Mit dem Einschlag des Sterns von Elem und der damit einhergehenden Tatsache, dass die Treppe von Amhas nicht mehr als Portal zwischen den Kontinenten genutzt werden konnte, strandeten eine Reihe von Elemiten in riesländischen Gefilden. Einige hatten sich ohnehin dort aufgehalten, um das Riesland zu erforschen oder Handel zu treiben, andere hatten die Gefahr des Einschlags rechtzeitig erkannt und waren noch vor den Krakoniern über die Treppe geflohen. Auch in Amhas hatten noch Elemiten gelebt und durch die Zerstörung der Stadt ihre Heimat verloren. Nach und nach fanden sich die Menschen aus Elem in den Sanskitarischen Stadtstaaten ein, die ihrer eigenen Kultur am nächsten kamen. Sie wurden mit offenen Armen empfangen und integrierten sich scheinbar rasch. Tatsächlich bildeten sie über kurz oder lang eine wohlhabende Oberschicht, die eine streng abgeschottete Parallelgesellschaft ausbildete und versuchte, ihren Einfluss zu vermehren, wenn möglich gar die Macht zu übernehmen.

Ihr Wirken ging in aller Heimlichkeit vonstatten, sodass größere Konflikte vermieden werden konnten. Auf diese Weise begann für die Städte der Sanskitaren eine neue Zeit der Stabilität. Sie fanden sich um 100 v. BF zu einem Städtebund zusammen, der zunächst als „Neues Reich“ bezeichnet wurde, heute jedoch von Gelehrten „Mittleres Reich“ genannt wird, weil ihm Jahrhunderte später noch ein drittes gesamtsanskitarisches Staatsgebilde unter Al‘Hrastor folgen sollte. Die lokalen Herrscher, die sich immer häufiger aus den Reihen der Elemiten rekrutierten, trafen sich von nun an einmal im Jahr, um eine gemeinsame Außenpolitik etwa dem Reich der Ipexco oder der noch immer unabhängigen Stadt Ribukan gegenüber festzulegen. Jede Stadt behielt dabei die Oberhoheit über ihre inneren Angele­gen­hei­ten. So blieben Yal-Kharibeth und Yal-Amir Republiken, auch wenn in beiden Städten der Einfluss einzelner mächtiger Familien – auch sie oft elemitischer Herkunft – erdrückend geworden war.

Der Bund erwies sich als Erfolgsmodell – schon nach rund zwanzig Jahren begannen die Erbauer des neuen Amhas den Lebensstil ihrer einstigen Gegner nachzuahmen. Die Realisation des Ziels jedoch, das lockere Bündnis der Sanskitarenstädte auf rein politischem Weg und ohne Blutvergießen zu einer starken Allianz zu vereinen, schien nahezu unmöglich.

Umso entscheidender wurde eine gemeinsame Religion der Städte für die Sicherung der inneren Stabilität des Bundes. Die Sanskitaren verehrten schon seit langer Zeit eine unüberschaubare Vielzahl von Göttern. Die elemitischen Herren des Neuen Reiches empfanden dies als Belastung, welche die Städte schwerer regierbar machte, und beschlossen, die Macht der rivalisierenden Kulte einzudämmen. Sie vereinbarten, eine einheitliche Kultstätte zu errichten und verbindende Rituale zu etablieren. Dabei kam ihnen die traditionelle Philosophie der Silbernen Dynastie zur Hilfe, die Zweifel an allzu menschenähnlichen Göttervorstellungen genährt hatte.

Die Herrschenden verkündeten, dass alle alten Gottheiten in nur noch einem einzigen Tempel verehrt werden sollten, da sie alle nur Aspekte eines einzelnen Gottes seien. Eine Kultreform bisher ungekannten Ausmaßes begann. Alle Tempel wurden verpflichtet, ihre jeweiligen Götterbilder in ein neu errichtetes, zitadellenartiges Gebäude zu verbringen, das sogenannte „Haus des Himmels“ oder „Sach Ard’m“ in der Stadt Yal-Mordai.

Im Laufe der Generationen des Neuen Reiches wuchs die Bedeutung dieses Bauwerks stetig. Es wurde nicht länger als einfacher Tempelbau betrachtet, sondern bekam eigene Heiligkeit und Göttlichkeit zugesprochen. In der Anfangsphase war es öffentlich zugänglich, sodass hier politische Beratungen unter dem Schutz der Götter stattfanden, doch schließlich wurde der Zutritt nur noch wenigen auserwählten Hohepriestern gewährt. Die Priester führten ein Leben im Wohlstand, denn sie vermieteten zu bestimmten Festtagen die alten Götterbilder an die traditionellen Tempel und verlangten dafür hohen Mietzins. Auf diese Weise geriet die Politik in Abhängigkeit von der Priesterschaft, denn es war der Beschluss ergangen, dass kein Gesetz und kein Staatsakt mehr ohne die Anwesenheit einer solchen Kultfigur erlassen oder abgehalten werden durfte.

Die Priester hatten außerdem großes magisches Wissen – viele von ihnen waren Zauberer der Tradition der Kophtanim elemitischer Prägung. Die anhaltenden militärischen Erfolge gegen das neue Volk der Amhasim gaben der Kultreform scheinbar Recht, sodass sich der einst lockere Städtebund immer mehr in eine festgefügte Theokratie verwandelte, deren Vertreter sich überwiegend aus den Reihen der elemitischen Oberschicht rekrutierten.

Nur eine Gottheit blieb beinahe unsichtbar, und ihre Existenz galt mehr als Gerücht denn als Realität: Amazth, der verschlagene Gott der Klugheit, welcher im Alten Reich großes Ansehen genossen hatte, war so gut wie in Vergessenheit geraten. Die Amazäer waren in den Untergrund abgetaucht, stellten sich tot und entgingen so den allgegenwärtigen Umwälzungen. Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, kamen sie wieder hervor und bildeten einen kleinen, unauffälligen Kult, einen unter vielen. Götter sind geduldig, und Amazth‘ Rückkehr zu der Zeit, als das Mittlere Reich fiel, sollte die Geschichte der Sanskitaren für immer ebenso wuchtig wie nachhaltig verändern.

 

Der Sanskitarische Städtebund, die Burumer und der Krieg zur See

Mit der Gründung des Sanskitarischen Städtebundes, auch Neues Reich, Rakshazastan oder Diamantenes Sultanat genannt, trat der bislang im Verborgenen agierende Rat der Schemen­haf­ten in das Licht der Öffentlichkeit und beanspruchte weitreichende Befugnisse in den Städten. Nur in Yal-Mordai, das ohnehin ganz im Sinne des Rates regiert wurde, blieben die Organisationsstrukturen unverändert. In den übrigen Stadtstaaten rückten Angehörige des Rates in Schlüsselpositionen auf. Die schemenhaften Beamtenpriester waren den Sterblichen unheimlich und wurden von ihnen ehrfurchtsvoll die „Schatten“ genannt.

 

Die Schatten

Um den neuen Machthabern ihren Schrecken zu nehmen, erklärte der Kult des Phex die Schatten zu Gesandten des Fuchsgottes. Von nun an bemühten sich die Sanskitaren um die Gunst des Unsterblichen, der auch als Gott der Juwelen verehrt wurde, weil sie glaubten, dass dies die Schatten gnädig stimmen werde. Der bis dahin eher unbedeutende Kult stieg somit zur machtvollsten Glaubensgemeinschaft neben der des Amazth auf. Der Rat der Schemenhaften hätte die Anmaßung der Hohenpriester des Phexkultes gewiss bestraft, hätten die Gläubigen des Kultes ihnen nicht große Mengen an Geschenken und Opfergaben dargebracht und sie zu Wesen von beinahe gottgleichem Rang stilisiert. Ein Verhalten, mit dem sie schlussendlich die Macht des Amazth mehrten, dem die Schatten tatsächlich dienten. Das Arrangement wurde auf diese Weise zur Win-Win-Situation für die Anhänger des Amazth und des Phex. Vom Wirken dieser ungewöhnlichen Allianz profitierte auch Al’Hrastor selbst, der für eine Weile ebenfalls kultische Verehrung genoss, immerhin galt er ja als der Sohn eines der Schatten.

In der Anfangsphase gehörten dem Reich sämtliche Sanskitarischen Stadtstaaten an, Yal-Mordai, Yal-Amir – das heutige Arkimstolz –, Yal-Kharibet – das heute Yal-Kalabeth –, Ribukan und Shahana.

Auf dem Landweg trieb Yal-Kharibet weiterhin Handel mit Teruldan, seltener mit Amhas oder Kurotan. Shahana und Yal-Amir standen in losem Handelskontakt mit Jalkam, Ribukan mit den Siedlungen der Nagah. Al’Hrastor spannte den Phexkult ein, um auf sämtlichen Handelsrouten einen Fuß in die Tür zu bekommen und zumindest daran mitzuverdienen.

 

Das Ende des Sanskitarischen Städtebundes

Ebenfalls 990 BF eskalierte der Konflikt, der seit langem zwischen Yal-Mordai und den anderen Sanskitarischen Stadtstaaten schwelte. Die Herrschaft des Hexersultans zwang den sanskitarischen Städtebund in einen ewigen Krieg, der aber keine Erfolge einbrachte. Im Gegenteil. Die einzige Grenze, die sich verschob, war die im Norden, aber wenn sie sich bewegte, dann auf Teruldan zu, weil der Städtebund erneute Territorialverluste gegen die Feinde erlitten hatte.

Die Zelothim hatten die Stadtstaaten befallen wie eine tödliche Pestilenz, die das Leben aus ihnen heraussaugte. Überall hielten sie wichtige Positionen, Titel und Ränge und versuchten zu verhindern, dass die Städte wachsen, gedeihen oder auch nur instandgehalten werden konnten.

Der Druck, der in dem gewaltigen Hexenkessel der Sanskitarenmetropolen schwelte, hatte längst kritisches Niveau erreicht. Er wartete nur darauf, sich zu entladen, indem sich ein charismatischer Anführer fand, der den Aufstand gegen den verhassten Hexensultan und seine Schergen lostrat. Als dieser entpuppte sich Arkamin, der einer bedeutenden shahanischen Dynastie von Händlern und Seefahrern angehörte. Er hatte viele Jahre als Soldat gedient, doch nachdem die Soldzahlungen zum wiederholten Male ausgeblieben waren, hatte er sich unerlaubt von der Truppe entfernt. In den Sanskitarischen Stadtstaaten wurde er als Deserteur gesucht, so wie viele andere, denen nur die Wahl geblieben war, aus der Armee zu fliehen und anderswo für ihren Lebensunterhalt zu sorgen oder auf dem Weg zum Schlachtfeld zu verhungern, statt vom Feind erschlagen zu werden.

Arkamin blieb nie lang an einem Ort. Er reiste durch die Stadtstaaten, schwang in aller Öffentlichkeit demagogische Reden und verschwand wieder, bevor die Obrigkeit Zugriff nehmen konnte. Seine Worte fanden Gehör. Von überall her traten Unzufriedene an ihn heran und boten ihre Unterstützung an, allen voran die Soldaten, die des ewigen Krieges und der schlechten Behandlung überdrüssig waren.

Daran, dass er tatsächlich einen Aufstand anführen könnte, glaubte aber niemand, nicht einmal seine eigenen Verbündeten. Arkamin war impulsiv und voller Hass, seine Reden säten Zorn in die Seelen der Menschen, aber sie hatten nichts von einem organisierten Aufruhr oder gar einer Rebellion. Auch Arkamin selbst glaubte nicht daran, genug Sanskitaren erreichen zu können, die sich seiner Sache anschlossen.

Aber es wurden mehr und immer mehr, der Strom der Unzufriedenen wollte einfach nicht abreißen. Und dann, eines Tages, verkündete Arkamin zum Entsetzen seiner Berater, dass der Aufstand in sieben Tagen beginnen werde. Seine Anhänger sollten dies überall verbreiten und sich bereitmachen.

Wie üblich hatte Arkamin rein impulsiv gehandelt. Es gab keine Vorbereitung, keinen Plan, keine Bewaffnung, keine Organisation. Und es schien auch nicht so, als würde Arkamin Anstalten machen, die Sache wieder einzufangen. Seine Anhänger steuerten auf eine Katastrophe zu, und ihr Blut würde in Strömen fließen.

Da stürmte eine Frau namens Lily auf Arkamin zu. Sie schlug jeden zu Boden, der sie aufhalten wollte, dann schrie sie den verantwortungslosen Rädelsführer zusammen, dass man es beinahe noch in Rimtheym hören konnte. Arkamin begriff erst gar nicht, was die böse Frau von ihm wollte, bis sie ihm klarmachte, dass er tausende, vielleicht zehntausende in den Tod schicken würde, wenn er das, was er angestoßen hatte, einfach laufen ließ.

Als die Botschaft in seinen Geist gesickert war, schien es beinahe, als würde Arkamin aus einer Trance erwachen, die schon Jahre währte. Auf einmal begann er Pläne zu schmieden, und es zeigte sich, dass seine Zeit beim Militär ihn genug gelehrt hatte, um zu wissen, wie er das anstellen musste. Nach drei Tagen existierte ein kompletter Aufmarschplan, die Hälfte seiner Anhänger war bewaffnet, die Ausrüstung für die andere Hälfte unterwegs.

Der Plan sah vor, dass der Aufstand in allen Sanskitarenstädten zugleich losbrechen sollte, mit Ausnahme Yal-Mordais, das zu fest in der Hand der Amazäer war, um für eine Rebellion gewonnen werden zu können, und natürlich mit Ausnahme Ribukans, das seine Freiheit schon vor langer Zeit erstritten hatte.

Was niemand für möglich gehalten hatte, geschah. Arkamins Plan hatte Erfolg. Punkt für Punkt. Der Aufstand brach genau zur vereinbarten Stunde los, alle Städte beteiligten sich. Die Aufständischen rückten vor, wie Arkamins Plan es vorsah, und der Zorn der Menschen entlud sich mit einer Macht, dass er jeden Widerstand hinwegfegte. Wenn es denn Widerstand gab, denn oft genug traten jene, welche Al’Hrastors Leute hätten verteidigen sollen, an die Seite der Aufständischen und stürmten gemeinsam mit ihnen voran.

Al’Hrastor, der sich wie so oft zur Regeneration in seinem Sarkophag befand, wurde von den Zelothim, welche die Lage trotz massiven Einsatzes ihrer zerstörerischen Magie nicht unter Kontrolle bekamen, unsanft aus dem Schlaf gerissen. Es dauerte eine Weile, bis sein Geist in die Welt zurückfand und er begriff, was geschehen war. Dann jedoch entbrannte sein lodernder Zorn. Er hatte seit langem geglaubt, viel zu nachsichtig mit den Menschen zu sein, jetzt zeigten sie ihr wahres Gesicht und wie richtig er mit seiner Einschätzung lag.

Al’Hrastor entfesselte die Macht des Amazth und sorgte damit für entsetzlich viele Tote. Aber das hielt die Aufständischen nicht auf. Lieber sterben, als weiter von den Tyrannen im schwarzen Kapuzenmantel unterjocht zu werden. Als selbst in Yal-Mordai Tumulte losbrachen, sah sich Al’Hrastor gezwungen, den Stein der tiefsten Nacht zum Einsatz zu bringen. Doch der letzte Paktschluss, der den Stein aufgeladen hatte, lag viel zu lange zurück. Der letzte Paktierer war Zambronius gewesen, Zulipans Schüler, zur Zeit der Magierkriege, die mehr als vierhundert Jahre zurücklag.

Da erschien Hrastor und erklärte ruhig, dass es an der Zeit sei, die Entscheidung zu treffen, der sich Suliman seit beinahe vierhundert Jahren verweigerte. Sich der Macht des Herrn des verbotenen Wissens zu ergeben und ihm mit ganzer Kraft zu dienen.

Diesmal blieb Al’Hrastor keine Wahl, er musste den Pakt mit Amazeroth schließen, dem er sich so lange verschlossen hatte. Selbst Merclador konnte nichts dagegen ausrichten. Hrastor rief den Dämon herbei, unterwarf ihn seinem Willen und zwang ihn, in Amazeroths Namen jenen Kontrakt mit Al’Hrastor zu besiegeln, der die Macht des Steins der tiefsten Nacht erneuern würde.

Die beste Gelegenheit, das Paktgeschenk der Alterslosigkeit zu wählen, doch Al’Hrastor ließ sie ungenutzt verstreichen. Seine Abhängigkeit vom Sarkophagus der Ewigkeit ging inzwischen so weit, dass er nichts tun wollte, was diese gefährdete. Das Erneuerungsritual wirkte bei ihm wie eine Droge, deren Konsum er keinesfalls entsagen wollte. Zudem war er überzeugt davon, dass er Namakari, das Unlon der Legenden, alsbald finden und ihr das Geheimnis der Unsterblichkeit entreißen werde.

Stattdessen wählte Al’Hrastor andere Paktgeschenke, die seine Macht vergrößern sollten. Das Spiegelszepter des Amazth, das es Al’Hrastor ermöglichen würde, die Kritische Essenz zu manipulieren und somit auch mächtigste Zauber zu wirken, ohne selbst in Gefahr zu geraten, wechselte von Hrastor zu ihm. Das Allsehende Auge von Mhek’Thagor, ein sogenanntes ‘Rotes Auge’, das nicht die Beobachtung fremder Orte zum Ziel hatte, sondern den Kontinent nach starken Magiequellen absuchte. (Mhek’Thagor ist ein Dämon, bekannt als Auge und dritte Zunge Amazeroths. Eine spricht wahr, eine spricht falsch und Mhek’Thagor Tod. Der Dämon steht in dem Ruf, Schwarze Augen zu täuschen und in Amazeroths Sinne korrumpieren zu können.) Das Schwarze Buch Qok-Maloth, das viele Geheimnisse des Amazth enthielt und die Möglichkeiten der Zelothim-Magie signifikant erweitern würde. (Qok-Maloth, auch: Qok’Maloth, ist ein einzigartiger Dämon aus der Domäne des Amazeroth und gilt als Überbringer magischen Wissens und Wächter von Gnaph’Caor, der letzten Pforte des Wissens, der Bibliothek des verbotenen Wissens im Herzen des Spiegelpalastes des Erzdämons Amazeroth. Gnaph’Caor wird auch als eine der Hände des Vielgestaltigen Blenders bezeichnet.) Den Drachenbeinthron, ein aus dem Skelett der Drachin Samatuhl gefertigter Thron, mit dem Al’Hrastor zusätzliche Astralkraft auf sich umlenken konnte. Der Schädel mit dem Karfunkel konnte ihm zudem als eine Art Helm dienen, mit dessen Hilfe er diverse Hellsicht-Zauber wirken konnte.

Auch der Stein der tiefsten Nacht war wieder aktiv und strotzte nur so von Kraft. Al’Hrastor war bereit, sich den Aufständischen entgegenzustellen. Doch der Paktschluss hatte Zeit in Anspruch genommen. Zeit, die die Aufständischen genutzt hatten, um die Zelothim zu töten oder zu vertreiben. Die Kämpfe waren abgeflaut, vor Stunden. Yal-Mordai, Yal-Amir, Yal-Kharibet und Teruldan hatten ihren Austritt aus dem Sankitarischen Städtebund erklärt, der damit nicht mehr existierte. Und es gab niemand mehr in den vier Städten, der an Al’Hrastors Seite gegen die Rebellen hätte kämpfen können oder wollen.

Nur wenige Tage später wurde Arkamin zum Herrscher Shahanas gekrönt. Er sollte als Sultan Arkamin I. in die Geschichte des Rieslands eingehen.

 

Die Eroberung von Yal-Kharibet

Nach der Befreiung Yal-Kharibets aus der Vorherrschaft Yal-Mordais von 990 BF hatte der neu eingesetzte Herrscher wieder den Titel eines Stadtfürsten angenommen, so wie sein Vorgänger in der Zeit zwischen dem Mittleren Sanskitarenreich und dem Sanskitarischen Städtebund. Kalabeth Ibn Melih galt als weltoffener und gerechter Herrscher, der versuchte, den immer noch starken Einfluss der Zelothim auf seine Heimat zu beenden.

Al’Hrastor konnte und wollte jedoch auf die lukrativen Einnahmen aus dem Handel mit Teruldan, welcher über Yal-Kharibet lief, nicht verzichten. Deshalb zog Yal-Mordai im Jahre 1010 BF seine Truppen zusammen und marschierte überraschend gegen die Sanskitarenstadt, die von dem plötzlichen Vorstoß völlig überrascht wurde.

Binnen kürzester Zeit hatte Yal-Mordai die Stadt erobert. Kalabeth Ibn Melih musste die Kapitulation erklären und wurde von Al’Hrastors Schergen entmachtet. Ein Vizesultan von Al’Hrastors Gnaden nahm seine Stelle ein. Kalabeth wurde in seinem eigenen Haus unter Arrest gestellt.

 

Ishma-Peraine, Unsere Gute Herrin, Liebreizende Beschützerin

 

Bild verwendet mit freundlicher Genehmigung von Ramona von Brasch

 

Die ursprüngliche Ishma war keine Göttin, sondern eine einfache sanskitarische Bauersfrau, welche in einem der Yal-Kharibet vorgelagerten Dörfer lebte, sich 1021 BF gegen die Tyrannei Al’Hrastors auflehnte und damit den ersten, noch nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönten Aufstand Yal-Kharibets gegen die Vorherrschaft Yal-Mordais vom Zaum brach. Auch wenn ihr eigener Beitrag zur Befreiung der Stadt eher gering ist, hat ihr Beispiel doch zahlreiche andere Kharibeter motiviert, und so gilt sie heute als Befreierin der Metropole und als eine Art Soldatenheilige.

Nach Jahrhunderten der Unterdrückung durch Yal-Mordai und seine Zelothim konnte Ishma die beinahe alltäglich gewordenen Gräuel nicht mehr ertragen. Das Fass zum Überlaufen brachte eine Entscheidung des Magistrats des Diamantenen Sultans Al’Hrastor, welcher ihren Mann und ihren Sohn enthaupten ließ, weil diese nach einer dürrebedingten Missernte die geforderte Steuersumme nicht aufbringen konnten. Mit Tränen der Trauer und des Hasses in den Augen ergriff Ishma einen Dreschflegel und machte in ihrem Zorn ganz allein den Magistrat und seine vier Soldaten nieder. Angestachelt durch diese Tat griffen auch die übrigen Dörfler zu den Waffen, ein Feuer, das rasch auch auf die umliegenden Dörfer übergriff und schließlich ganz Yal-Kharibet erfasste. Auch wenn der Aufstand schließlich blutig niedergeschlagen wurde, stand Yal-Kharibet erstmals geschlossen gegen den Hexersultan. Dass die Yal-Mordaier nach ihrem Sieg Ishma ergriffen und öffentlich hinrichteten, machte sie zunächst zur Märtyrerin, dann zur Heiligen und letztlich zur Göttin.

In den beiden Jahren, die bis zum zweiten, diesmal erfolgreichen Aufstand vergehen sollten, wurden der Ishma Altäre und Schreine errichtet und Opfergaben dargebracht. Die Verehrung der Bäuerin unterschied sich bald in nichts mehr von der Ehrerbietung, die man einem Alveraniar oder einem Halbgott entgegenbrachte. Da ihre Aspekte aus den Bereichen Fruchtbarkeit und Landwirtschaft kamen, vermeinte der aventurische Missionar Bruder Iapetus, welcher sich in dieser Zeit in Yal-Kharibet aufhielt, in Ishma eine Inkarnation der Göttin Peraine zu erkennen. Schließlich begann Iapetus, in ihrem Namen zu predigen. Nach seiner Lehre hat die Göttin Peraine die Gestalt einer einfachen Bäuerin angenommen, um den Menschen Yal-Kharibets beizustehen. Iapetus konnte nicht daran vorbeisehen, dass Ishma einen wehrhaften, ja kriegerischen Aspekt Peraines verkörperte, der ihm aus Aventurien unbekannt war. Für ihn stellte das allerdings keinen Widerspruch dar. In seiner Heimat gab es andere Götter, die sich um den Schutz durch Kampf kümmerten, die donnernde Löwin Rondra oder der hornissengestaltige Shinxir, welcher die bosparanischen Legionen geführt hatte. Hier im Riesland, wo diese Götter weniger präsent waren, musste die wohlwollende Peraine eben selbst Hand anlegen, um jene, die sie behütete, vor Unbill zu schützen. Ishma, das war offenbar ein dem Militärischen zugeneigter Aspekt Peraines, der als ebensolcher Verehrung verdiente. Als sich der Kult der Ishma-Peraine zunächst als Sekte, dann als zunehmend erfolgreiche Religionsgemeinschaft nach aventurischem Vorbild etablierte, gründete Iapetus eine dem Kult angehörende Kampfschule, die streitbare Mönche ausbildete. Ihr Schwerpunkt liegt bis heute auf dem Kampf mit stumpfen Schlagwaffen wie eben jenen Dreschflegeln, derer sich Ishma bedient hatte.

Obwohl es genügend Zeitgenossen gab, welche die historische Ishma persönlich kannten, lässt sich heute nicht mehr nachhalten, ob die natürliche Schönheit und der Liebreiz, welche Ishma-Peraine zugeschrieben werden, tatsächlich Eigenschaften der Ishma waren, oder ob sie aus einer Projektion seitens Bruder Iapetus und anderer Gläubiger stammen. Vermutlich waren die Menschen jener Epoche eher heruntergekommen und vor allem unterernährt, weil Yal-Mordai ihnen nicht genug zum Leben ließ.

Seit der Befreiung Yal-Kharibets im zweiten Aufstand von 1023 BF ist der Kult in der nunmehrigen Freistadt zur Hauptreligion aufgestiegen und erfreut sich auch in den anderen Sultanaten wachsender Beliebtheit. Die Aspekte der Göttin sind Nutzpflanzen, Ackerbau, Wachstum, Heilung, Gnade, Ernte, Viehzucht, Überleben, Aufrichtigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung, Schutz der Gemeinde vor Feinden und Wehrhaftigkeit, alles also, womit sich bei der einfachen Bevölkerung punkten lässt. Vor allem ist die Göttin zum Symbol des erfolgreichen Widerstandes gegen übermächtig erscheinende Feinde geworden.

Dies ruft sehr unterschiedliche Reaktionen hervor. Im Dreistromland begrüßt man die Religion. Sultan Arkamin fördert sie offen, was zu einem wachsenden Zuspruch in Arkimstolz und Shahana führt. In Ribukan ist der Kult schon deshalb hochwillkommen, weil er gegen das konkurrierende Yal-Mordai revoltiert. Von diesem hatte Ribukan sich als erste Sanskitarenmetropole losgesagt, nachdem Al’Hrastor sich gegen die mit Ribukan im Bunde stehenden Nagah wenden und Ribukan als Sprungbrett in die Echsendschungel benutzen wollte. Ein Plan, den die Stadt mit ihrer Unabhängigkeitserklärung vereitelte und der schlussendlich das Entstehen der ribukanischen Magokratie nach sich zog.

In Amhas und Yal-Mordai indes, die in den aufrührerischen Lehren des Kultes eine Bedrohung ihrer jeweiligen Tyrannei erkennen, sind der Kult, die Verbreitung der Lehren Ishma-Peraines und jegliche Unterstützung derselben bei Androhung der Todesstrafe verboten. Dies ungeachtet der Tatsache, dass Amhas und Yal-Mordai seit den Auseinandersetzungen am Ende des Elften Zeitalters auch untereinander verfeindet sind.

Als Opfergaben akzeptiert die Göttin bzw. ihr Kult Feldfrüchte und Opfertiere. Verhasst sind dem Ishma-Peraine-Glauben Mitleidslosigkeit, Feigheit, Faulheit, Dekadenz, Hunger, Krankheit, Dämonen und Amazäer, auch die eher gemäßigten – und damit erst recht die Zelothim.

  

Bild verwendet mit freundlicher Genehmigung von Ramona von Brasch

 

Prinzessin Nagisha

 

 

Während des Aufstandes von 1021 BF wurde fast die gesamte Herrschaftsfamilie getötet. Nach der Befreiung Yal-Kharibets aus der Vorherrschaft Yal-Mordais von 990 BF hatte der neu eingesetzte Herrscher wieder den Titel eines Stadtfürsten angenommen, so wie sein Vorgänger in der Zeit zwischen dem Mittleren Sanskitarenreich und dem Sanskitarischen Städtebund. Kalabeth Ibn Melih galt als weltoffener und gerechter Herrscher und versuchte den Einfluss der Zelothim auf seine Heimat zu beenden. Als Al’Hrastor und der Amazth-Kult 1010 BF Yal-Kharibet zurückeroberten, um die Kontrolle über die lukrativen Handelsrouten nach Teruldan zurückzugewinnen, wurde Kalabeth Ibn Melih entmachtet und ein Vizesultan von Al’Hrastors Gnaden an seine Stelle gesetzt. Als mit Ishma die Rebellion von 1021 BF losbrach, setzte sich Kalabeth Ibn Melih an die Spitze des Aufstands und wurde, nachdem Al’Hrastors Truppen die Oberhand gewonnen hatten, samt seiner Familie als Aufrührer hingerichtet.

In diesen Tagen hielt sich eine Gruppe wagemutiger Abenteurer in der Stadt auf. Eigentlich waren sie nur auf der Durchreise, suchten eine Bleibe für die Nacht, etwas zu essen und Vorräte für die kommenden Wochen. Es handelte sich um Garotahi, einen edelmütigen Ork aus Jiktistan, den weisen Wanderprediger Iapetus, welcher ein Anhänger Peraines aus dem Lieblichen Feld war, den es auf bizarren Wegen ins Riesland verschlagen hatte, die lebenslustige Brokthar-Kämpferin Mandora von den Nordebenen, und Lox’Shan, eine zaubermächtige Nagah-Strategone. Als der Aufstand losbrach, ahnten sie, dass es zu spät war, Yal-Kharibet zu verlassen. Selbst wenn sie noch zeitig genug wegkamen, um den herbeieilenden Truppen Yal-Mordais zu entgehen, stellten auch die aufständischen Kharibeter eine Gefahr für ihre Leben dar, fragen sie sich doch gewiss, auf welcher Seite die Fremdländer wohl stehen würden.

Diese Frage drängte sich ihnen allerdings auch an Ort und Stelle in Form der aufsässigen Kharibeter auf, die sich nach nur wenigen Tagen geschlossen hinter die in den Bauerndörfern losgetretene Revolte stellten und ihre Gäste energisch aufforderten, es ihnen gleichzutun. Die Helden, die ahnten, dass eine Weigerung ihnen wenig Sympathien unter den Einheimischen einbringen würde, und die sich zudem mit den Zielen der Revolte durchaus anfreunden konnten, schlossen sich schließlich den Aufständischen an. Zusammen mit kampferfahrenen Kharibetern erstürmten sie den Palast, setzten Al’Hrastors Statthalter gefangen und funktionierten den Herrschaftssitz in das Hauptquartier des Widerstandes um. Kalabeth Ibn Melih und seine Familie hielten Einzug und setzten sich an die Spitze der Widerstandsbewegung. Die vier Helden, die tapfer gekämpft hatten, wurden zur persönlichen Leibwache des Herrschers und seiner Familie bestellt.

Es dauerte rund drei Wochen, bis der Hexersultan seine Truppen zusammengezogen hatte, um sie gen Yal-Kharibet zu senden. Sein Kriegshaufen zog plündernd und mordbrennend durch die Bauerndörfer und forderte dabei mit Nachdruck die Auslieferung der Bauersfrau Ishma, welche die Rebellion losgetreten hatte. Diese jedoch hielt sich inzwischen in der Hauptstadt auf und wurde dort vor den feindlichen Soldaten versteckt. Die Yal-Mordaier richteten wiederholt Unschuldige hin, um die Auslieferung der “Verräterin” zu erzwingen.

Als die Feinde Yal-Kharibet erreichten, ließ sich die Stadt aufgrund ihrer Bauweise zunächst hervorragend verteidigen. Die Yal-Mordaier mussten sich an erhöhten Positionen herankämpfen. Standen die Feinde vor der Tür, rissen die Kharibeter die Brücken und sonstigen Verbindungswege ab, verrammelten die Wohnhöhlen und sonstigen Alkoven und zwangen die Feinde, jeden einzelnen Übergang zu ersetzen und jede einzelne Wohnstatt mühselig zu erkämpfen. Doch aufgrund der amazäisch-zelothischen Zaubermacht behielten die Yal-Mordaier die Oberhand.

Schließlich hatten sich die Feinde bis zum Palast durchgekämpft. Die vier Helden wollten die Anlage verteidigen, aber angesichts der Aussichtslosigkeit der Lage entschied Kalabeth Ibn Melih anders. Er übergab ihnen seine zweijährige Tochter Naghisha und zeigte ihnen einen geheimen Tunnel, der zum Meer hinunter führte. Die Helden taten wie ihnen geheißen und flohen mitsamt der Prinzessin durch den Geheimgang. Der Palast fiel, Kalabeth Ibn Melih und seine Familie wurden ergriffen und hingerichtet, und ebenso fiel Ishma in die Hände von Al’Hrastors Truppen. An ihr wurde, ebenso wie an dem einstigen Stadtfürsten, ein öffentliches Exempel statuiert. Damit war der Aufstand niedergeschlagen.

Die vier Helden und die Prinzessin wurden einige Tage später von Vertrauten des nun toten Stadtfürsten aufgesucht und in einer gut versteckt liegenden Wohnhöhle in Sicherheit gebracht. Dort kümmerten sie sich um das Kind und begaben sich sogleich daran, eine diesmal im Geheimen agierende Widerstandszelle ins Leben zu rufen. Diese hatte zunächst nur zögerlichen Zulauf. Die Kharibeter hatten gesehen, zu was Al’Hrastors Truppen fähig waren, und fürchteten ein erneutes Aufbegehren gegen die Tyrannei.

Den Helden kam jedoch zugute, dass Al’Hrastor nicht damit rechnete, dass die Kharibeter erneut den Aufstand wagen könnten, und begann, seine gierigen Finger in Richtung des Dreistromlandes auszustrecken. Sultan Arkamin, der die Städte Shahana und Arkimstolz – das einstige Yal-Amir – hinter sich wusste, bemerkte die Truppenbewegungen Yal-Mordais an der Grenze zum Dreistromland sehr wohl und ließ sich auf ein Wettrüsten mit Al’Hrastor ein, das dessen gesamte Ressourcen band. Die vier Helden erkundeten persönlich die Lage und stellten fest, dass Yal-Mordai es sich nicht leisten konnte, an der Grenze zum Dreistromland Schwäche zu zeigen, weil die Armee von Shahana sonst zuschlagen würde.

Daraufhin kehrten sie eiligst nach Yal-Kharibet zurück und trieben energisch einen zweiten Aufstand voran, der schließlich nach einer flammenden Rede des Bruder Iapetus auch losbrach. Innerhalb weniger Stunden war der Palast gestürmt und die Statthalter des Hexersultans entmachtet. Um zu verhindern, dass die Stadt in blutigen Streit über die Person des Herrschers geriet, offenbarten die vier Helden nun, dass die inzwischen vierjährige Prinzessin Nagisha noch lebte, und setzten sie als legitime Herrscherin der Stadt ein, wobei sie für die nächsten Jahre für sie die Regentschaft übernahmen. Al’Hrastor steckt seither in der Zwickmühle. Zu gern würde er Yal-Kharibet, das sich nun demonstrativ nach Nagishas Vater in Yal-Kalabeth umbenannte, zurückerobern, doch kann er es sich nicht erlauben, die Truppen von der Grenze zum Dreistromland abzuziehen.

Bruder Iapetus, der längst die Theorie hatte, dass Ishma eine Erscheinungsform der Peraine sei, etablierte in den folgenden Jahren den Kult der Ishma-Peraine und ließ ihr schließlich in der Nähe des Palastes einen prächtigen Tempel errichten, zusätzlich zu den vielen Altären und Schreinen, welche ihr die Landbevölkerung baute.

1029 BF übernahm die inzwischen zwölf Jahre alte Prinzessin Nagisha persönlich die Regierungsgeschäfte und erwies sich als ähnlich fähig wie ihr Vater. Bis in die Gegenwart hinein wird sie von den Helden beraten, denen sie ihre Herrschaft verdankt und die für sie die Regentschaft übernahmen. Garothai kommandiert die Armee von Yal-Kalabeth, Bruder Iapetus ist die treibende Kraft hinter dem Kult der Ishma-Peraine, Mandora kümmert sich um die Gerichtsbarkeit und die Stadtgarde, und Lox’Shan ist inzwischen Botschafterin in Ribukan geworden, das in puncto Al’Hrastor eine ähnliche Linie verfolgt wie Yal-Kalabeth und heimlich ein Verteidigungsbündnis mit Yal-Kalabeth geschlossen hat. Lox’Shan verfügt dabei über genug Wissen, um den Zelothim im geistigen Duell gegenüberzutreten.

Momentan scheint es so, als würden die Dinge in Yal-Kalabeth tatsächlich bergauf gehen. Der Ishma-Peraine-Kult hat beinahe den Status einer Staatsreligion erreicht, und der Kult sorgt dafür, dass sich die Ernten von Jahr zu Jahr verbessern., was auch damit zu tun haben mag, dass Bruder Iapetus den Landbewohnern zahlreiche in Aventurien selbstverständliche, im Riesland kaum bekannte Methoden der Landwirtschaft beibrachte. Unter Mandoras Aufsicht wird in den Gerichten der Stadt nunmehr tatsächlich Recht gesprochen, und die Stadtgarde erweist sich als hilfreich, nicht als Instrument der Unterdrückung. Harte Strafen werden allerdings nach wie vor verhängt, Verstümmelung bei Diebstählen und Raub, die Todesstrafe bei Mord oder Piraterie. Garothais strategisches Geschick, Mandoras inspirierende Kampfkünste und die magische Macht der ribukanischen Verbündeten halten die Schergen des Hexersultans und die wilden Ipexco von der Stadt fern.

Nagisha ist längst eine junge Frau, die sich zu einer geschickten und weisen Monarchin entwickelt hat. Das Versprechen von Freiheit und Gerechtigkeit lockt viele Zuwanderer nach Yal-Kalabeth: entlaufene Sklaven, hungernde Bauern, Kriegsflüchtlinge und zerlumpte Wüstenbewohner, sie alle suchen ihr Glück in dieser Bastion der Hoffnung. Fast schon zu viele sind es, die Jahr für Jahr nach Yal-Kalabeth drängen. Vor den Toren der Stadt gibt es inzwischen ein riesiges, aus Zelten und Hütten bestehendes Flüchtlingslager. Neben den armen Geflüchteten versammelt sich hier auch eine beträchtliche Menge menschlichen Abschaums. Die stetig steigende Kriminalitätsrate lässt sich inzwischen kaum mehr unter Kontrolle halten, und stets drohen Seuchen auszubrechen. Die Stimmung in der angestammten Bevölkerung, die sich bislang hilfsbereit zeigte, wie es der kalabethischen Philosophie entspricht, droht mehr und mehr zu kippen. Aber wenigstens ist momentan noch genug Nahrung für alle vorhanden, und dem Freigelassenen-Heer von Yal-Kalabeth gehen so zumindest niemals die Freiwilligen aus.

Sollte der Fluch der Götter hier in Yal-Kalabeth tatsächlich gebrochen werden können, und ist dieser kleine Staat der Beginn einer neuen Hoffnung? Oder wird dieses kleine, flackernde Licht im finsteren Riesland so schnell wieder erlöschen, wie es entflammt ist?

 

Die Freiheit für Yal-Kalabeth

Geradezu legendär ist die Fahrt der „Freiheit“ nach Ribukan während des Unabhängigkeitskrieges. Damals konnte das Schiff mit seiner Ladung Reis und Waffen den Widerstand entscheidend stärken. Auch heute noch ist es im Dienst der freien Stadt unterwegs. Wo immer es möglich ist, Yal-Mordai Schaden zuzufügen, findet man die Freiheit und ihren Kapitän Hussan in der ersten Reihe.

 

Historische Hilflosigkeit

»Dem Faedhari nach waren es wohl die Hochelfen, welche den Horden des Namenlosen aus dem Riesland Einhalt geboten. In diesem … Werk … ist aber auch in einer zeitgenössischen Teilübertragung von unheimlichen Staubkreaturen, Schwertzauberern und schwarzen Bäumen die Rede. Man sollte halt nicht alles glauben, was in einem magischen Geschichtsbuch steht, das nicht einmal Jahreszahlen kennt.

Die Quellen aus dem Diamantenen Sultanat der Tulamiden sind dahingehend bedeutend ergiebiger, wenn auch sehr spärlich gesät. Wir können dennoch Handelsbeziehungen zu dieser Zeit annehmen, denn es ist sogar der Name einer Stadt in Rakshazastan belegt, die nach Sultan Kharibet benannt war, Yal-Kharibet. Leider nur gab es mindestens zwei Sultane dieses Namens … «

— aus einer Vorlesung in Historie an der Universität zu Methumis, 1037 BF (Zitiert nach dem Aventurischen Almanach von 2016, S. 92.)

  

Kalabethi

Die Kalabethi haben den gleichen Ursprung wie die Sanskitaren der anderen Metropolen. Jahrzehntelanges Ringen um Autonomie und der intensive Kontakt zu Nagah, Brokthar, Xhul und anderen Völkern haben aus den Kalabethi eine eigenständige Kultur gemacht. Ein Aspekt des kalabethischen Charakters ist der sofort ins Auge springende immense Stolz auf ihre Heimat Yal-Kalabeth.

Die Vorfahren der heutigen Kalabethi haben die Stadt mit eigenen Händen erbaut und sie nicht einfach nur in Besitz genommen. Ihre eigene Generation war es, die dem mächtigen Hexersultan die Stirn bot und ihn zurückschlagen konnte. Nichtsdestotrotz zeichnen sich Kalabethi durch ihre enorme Toleranz gegenüber anderen Völkern aus. Der Bund mit Massen entflohener Sklaven aus dem Norden hat sie stark gemacht. Die Vorstellung, dass jedermann von Natur aus frei ist und dass es keine Sklaverei geben darf, hat sich in den Herzen der Kalabethi fest verwurzelt. Umso mehr verachten sie jene, die durch Ausbeutung von Sklaven Profite machen, und zeigen ihnen gegenüber fanatische Intoleranz. Besonders Yal-Mordai ist das Objekt ihres Hasses, dicht gefolgt von den Amhasim.

In der Stadt herrscht ein für eine sanskitarische Siedlung ungewöhnlicher Optimismus. Die Heldentaten des Kronrates und die Erfolge des Freiwilligen-Heeres haben die Kalabethi davon überzeugt, dass ihnen und ihrer Stadt die Zukunft gehört, dass sie allerdings auch selbst dafür verantwortlich sind, ihre Freiheit zu verteidigen und sich verteidigen zu können. Daher haben sie sich, begleitet von der militärischen Komponente des Ishma-Peraine-Kults, ein gutes Stück hin zu einer Kriegergesellschaft entwickelt. Jeder Kalabethi dient für mehrere Jahre in der Armee oder als Agent, oder er engagiert sich auf sonstige Weise für das Volk, als Sanitäter oder Hilfskraft des Ishma-Peraine-Kults. Wer sich nicht auf eine solche Weise einbringen will oder kann, gilt als unterprivilegiert. Trotz aller Sympathie für Sklaven und ihre Belange führt diese Haltung dazu, dass die meisten Kalabethi viele der Parnhai und der Legiten für Versager halten, weil sie ihnen vorwerfen, nicht für sich und ihre Belange einzustehen und ihre Freiheit zu erstreiten. Schließlich sei es den Kalabethi ja auch gelungen, ihre Fesseln abzustreifen. Die Angurianer indes gelten als leuchtendes Vorbild.

Natürlich gibt es in Yal-Kalabeth Korruption und Dekadenz, wie dies bei allen Sanskitaren der Fall ist. Aber die Kalabethi haben gelernt, für das Wohl ihres Stadtstaats zusammenzuarbeiten. Das Verbrechen und die Hinterlist, die in ihrer Stadt so omnipräsent scheinen, wissen sie zu kanalisieren und zum Vorteil der Metropole einzusetzen. Oftmals verlassen kalabethische Agenten die Stadt in Richtung ferner Orte, um sich als Spione und Agitatoren zu betätigen oder Attentate auf Sklavenhalter, Zauberkundige und andere Despoten zu unternehmen.

Die meisten Kalabethi verbindet ihre Abneigung gegen Zauberei. Der Feind in Form des Hexersultans und seiner Lakaien, der Amazäer und Zelothim, hat bei ihnen ein stark gestörtes Verhältnis zur Magie hervorgerufen, das auch die Nagah-Verbündeten aus dem Umfeld Ribukans, welche sie dabei unterstützen, Agenten Al’Hrastors zu enttarnen, nicht wesentlich haben bessern können. Zumeist reagieren die Einwohner Yal-Kalabeths mit Furcht und Aggression auf den Einsatz von Zauberkunst, auch wenn ein Magiewirker nichts Böses im Schilde führt. Für manche einen Kalabethi ist ein getöteter Zauberer ein persönlicher Triumph. Zuweilen bilden sich Lynchmobs, und es ist auch schon vorgekommen, dass vermeintliche oder tatsächliche Hexer auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind. Ihr eigenes Leben oder das anderer Kalabethi würden die Meisten jedoch nicht riskieren, nur um Vergeltung an einem Zauberkundigen zu üben. Auch wissen fast alle Einwohner der Stadt, dass sie außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaften nachsichtig sein müssen und nicht blind gegen jeden Zauberkundigen vorgehen dürfen. Was nicht bedeutet, dass der eine oder andere von ihnen nicht ein Fall für die Dienste der Agenten werden sollte.

  

Was denken Kalabethi über … 

Amhasim: „Mit ihrer verlogenen Philosophie und ihrer sogenannten Wissenschaft blenden sie ihre Lakaien und erschwindeln sich Macht. Doch der Fortschritt sind wir – das werden sie noch zu spüren bekommen!

Angurianer: „Ein stolzes Bergvolk, das ebenso fühlt wie wir. Nach bewährtem Rezept sollten wir unsere Kräfte vereinen, um gemeinsam für die gute Sache zu kämpfen.

Yal-Mordai: Ein Kalabethi: „Tod dem Hexer!“ Ein Chor von Kalabethi hinter ihm: „TOD DEM HEXER !!! YEEEEEEEEAAAAAAAA!!!

Parnhai: „Sie müssen lernen, dass man für seine Freiheit kämpfen muss – oder sie werden untergehen.

Irrogoliten: „Tapfer und ungebrochen. Haltet die Stellung, Freunde!

Teruldani: „Verachtenswerte Krämerseelen. Sie würden ihre eigenen Mütter an die Amhasim verkaufen, wenn es ihnen Gold bringen würde.

Shahanäer: „Arkamins Ziele sind edel. Doch der Weg, den er wählt, führt doch nur wieder in Unfreiheit.

Nagah: „Nicht unser Feind, aber dennoch unheimlich. Ihre Weisheit mag groß sein, aber niemand kann durchschauen, was sie wirklich denken.

Ribukaner: „Verdammter Krieg. Hoffentlich sind unsere Brüder dort unten bald von diesem Übel befreit!

Brokthar: „Ha! Habt ihr damals in der Schlacht bei den Kleiiden-Hügeln gesehen, wie die durch die Reihen der Yal-Mordäer gepflügt sind ? Einfach phantastisch!

Ipexco: „Verdammte Irre. Oh, ihr Götter – wenn die nur nicht so vernagelt wären. Wir könnten uns doch gegenseitig helfen! Aber nein …“ *endet in Fluchen und Zetern*

  

  

Abenteuervorschlag

Die Sklavenhaltung in Teruldan ist den Kalabethi seit langem ein Dorn im Auge. Deshalb planen einige von ihnen, die Geknechteten dazu anzuleiten, ihre Freiheit zu erstreiten, so wie die Kalabethi einst die ihre erstritten haben. So ziehen mehrere Agenten aus, um die Artefakt-Wasserversorgung Teruldans ein für allemal außer Betrieb zu setzen, wohlwissend, dass die Kenntnisse der Teruldani nicht ausreichen, die uralten Anlagen zu reparieren. Sobald das Wasser nicht mehr fließt, so ihr Kalkül, werden die Sklaven und die Unterschicht gemeinsam aufbegehren und die Oase des Sultans stürmen, um nicht verdursten zu müssen. Mit dieser Initialzündung sollte die völlige Umwälzung der Machtverhältnisse der Stadt nur noch der notwendige nächste Schritt sein.

Die Helden erfahren entweder während ihres Aufenthalts in Yal-Kalabeth von der Operation, oder sie werden in Teruldan darin verwickelt. Nun müssen sie entscheiden, wie sie agieren wollen. Helfen sie den Agenten, auch um den Preis vieler tausender von Leben, in der Hoffnung, dass eine freie Gesellschaft entsteht? Oder vereiteln sie den Plan und unterstützen so indirekt ein finsteres, menschenverachtendes System der Sklavenhaltung?

  

  

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