Rakshazar, das Riesland, für DSA. Die Heimat der Angurianer

 

Unser Leser Jochen alias Arkam hat uns ein PDF zur Spielhilfe kredenzt, siehe hier.

 

 

Die Heimat der Angurianer, das Yal-Hamat-Gebirge, bildete einst gemeinsam mit dem Orthwall den Djer-Mussa-Gebirgszug. Dass zwischen beiden eine begehbare Lücke entstand, ist dem Drachenkaiser Thufir vom Djer Mussa zu verdanken, der in der Anfangszeit der Kolonien des Diamantenen Sultanats einen Teil des Gebirges einstürzen ließ, um den Truppen Sultan Kharibets I. den Durchmarsch zu ermöglichen. Dies war Teil einer geheimen Vereinbarung zwischen dem riesländischen Drachen und dem aventurischen Herrscher.

Thufir, einst vom Alten Drachen Aldinor der Retter persönlich eingesetzt, um über die Einhaltung eines zwischen Drachen und Riesen geschlossenen Friedensvertrags zu wachen, nahm im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Einfluss auf die Geschicke der riesländischen Völker. Dies gilt besonders für die Bewohner des Yal-Hamat-Gebirges, die zwergischen Irrogoliten und das Völkergemisch der Angurianer. Das kriegerische Bergvolk, das sich vor allem aus Menschen, Orks und Brokthar rekrutiert, geht auf amhasische Sklaven zurück, die in einem seltenen Akt der Rebellion ihre Freiheit von der hegemonialen und rassistischen Sklavenhalterrepublik im Herzen des nördlichen Rakshazar erstritten.

Dass die vielfach gehirngewaschenen Sklaven ihre nahezu gottgleiche Verehrung für ihre amhasischen Herren überwinden konnten, um sich einer allzu ungerechten Behandlung zu widersetzen, geht überraschenderweise auf den Alveraniar des Verbotenen Wissens zurück. Dieser erschien, bereits in seiner letzten Inkarnation als Borbarad wiedergeboren, im Riesland und erforschte das Wesen der Freiheit. Wissen, das er schließlich nutzte, um seinen Masterplan zu entwickeln, der die Befreiung der Sterblichen von den Unsterblichen vorsah, seien sie nun Dämonen, Götter oder Alveraniare. In den Straßen von Amhas predigte er zu den Sklaven von der Freiheit und ihrem Wert, und diese Worte bereiteten den Nährboden für den Aufstand, der Jahrhunderte später losbrach. Borbarads Lehren wohnte bereits die Ablehnung der Bevormundung durch unsterbliche Entitäten inne, und so kommt es, dass die Angurianer weder eine Borbaradkirche gegründet haben noch einen Heiligen Tharsonius verehren.

 

 

Historie der Angurianer

 

Borbarads Rieslandreise und die Philosophie der Angurianer

Um 580 BF reiste Borbarad gemeinsam mit seinem Schüler Zulipan, dessen Schüler Zambornius und einem Kontingent Gargylen ins Riesland, um Garageyma zu erobern, die Festung der Gargym in den Schwefelklippen. In seinem Kopf wirbelten Ideen herum, die sich schließlich zu seinem Masterplan vereinigten, den er ab 1019 BF nach seiner Rückkehr aus dem Limbus zu verwirklichen versucht. Nachdem es ihm gelungen war, die Gargym zu unterwerfen, studierte er sorgsam alle Quellen, die mit dem Aufstieg und Fall des Marhynianischen Imperiums zu tun hatten. Parallel rekonstruierte er mit Hilfe der alten Schriften den ursprüng­lichen Verlauf der riesländischen Kraftlinien und brachte dieses Wissens mit den Erkenntnissen aus seiner Zeit als Menuril in Einklang, das beschrieb, wie die Kraftlinien sich seit dem Kata­klysmus verhielten. Langsam, doch unaufhaltsam nahm sein Masterplan in seinem Geist Gestalt an. Die Sterblichen waren an die Schöpfung gebunden und würden sich stets an deren Natur anpassen. Solange die Schöpfung begrenzt und endlich war, würden es auch die Sterb­li­chen sein. Es gab nur einen Weg, ihnen grenzenlose Möglichkeiten zu eröffnen: Die Schöpfung selbst musste grenzenlos werden und in die Unendlichkeit hinauswachsen, welche bislang den Niederhöllen vorbehalten war. Die einzige Frage lautete somit, was er tun musste, um dieses Ziel zu erreichen. Die Antwort auf diese Frage würde ihm das alte Wissen der Gargym nicht liefern können. Diese hüteten das Wissen des Imperiums, doch das Imperium war in dem Versuch, seine Freiheit zu erstreiten, vernichtet worden. Es war also offensichtlich, dass es nicht die richtigen Antworten besessen hatte. Hier gab es nichts mehr zu finden.

Die Erkenntnisse, die Borbarad in Garageyma zuteil geworden waren, hatten ihn begreifen lassen, dass er den nächsten Abschnitt seiner Reise und Suche allein bewältigen musste. Nach einer Vielzahl von Inkarnationen, die er selbst kaum noch zu zählen vermochte, hatte er end­lich in Erfahrung gebracht, welchem Zweck sein Dasein diente und auf welches Ziel es zu­streb­te. Das Schicksal hatte ihn dazu auserkoren, den Sterblichen die Freiheit zu schenken. Ein zugleich erheben­der wie ernüchternder Gedanke. Erhebend, weil er nun endlich den Sinn seines rastlosen Strebens kannte, nach dem er in so vielen Leben vergeblich gesucht hatte. Ernüchternd, weil er, wenn er ganz ehrlich sich selbst gegenüber war, nur wenig über die Sterblichen und ihr Ringen mit den Zwängen ihres beschränkten Daseins wusste. Es hatte ihn auch nie sonderlich gekümmert, außer er konnte es für seine Zwecke nutzen. Für ihn als halbgöttliche Entität spielten derartige Begrenzungen keine Rolle, und insgeheim verach­te­te er die Sterblichen dafür, dass es ihnen nie gelungen war, diese Beschränktheit abzuschütteln. Erst durch die Begegnung mit den Gargym hatte Borbarad verstanden, dass dieser Impuls unangemessen war. Ihm selbst ging es schließlich auch nicht besser. Nur wurde er nicht durch Hunger, Krankheit, Tod, harte Winter, Dienstherren, Armut oder zwischenmenschliche Verpflichtungen an der Durchführung seiner Pläne gehindert, sondern durch Götter und Geweihte, Könige und ihre Armeen und natürlich durch seinen verfluchten Bruder und seine Lakaien.

Borbarad tauschte seine Magierrobe gegen die einfache Kleidung eines menschlichen Wan­derers, der aus den südlichen Stadtstaaten stammte, Yal-Kharibet womöglich oder Yal-Mordai. Den Dschinn im Sphärenschlüssel wies der Alveraniar des Verbotenen Wissens an, von heute an für genau ein Jahr lang jegliche Astralkraft, die Borbarad normalerweise zugeflossen wäre, abzufangen und zu absorbieren. Wenn er lernen wollte, die Sterblichen und ihre Beweggründe zu verstehen, musste er einer von ihnen werden. Halbgöttliche Kräfte, verbunden mit dem ständigen Drang, sie einzusetzen und das Leben somit um die kleinen und größeren Heraus­forderungen des Alltags zu betrügen, denen die Sterblichen sich Tag für Tag stellen mussten, würde den erhofften Erkenntnisgewinn gewiss entscheidend mindern.

So zog er durch das Riesland, wohin ihn seine Füße gerade trugen. Der Weg durch das Tal der Klagen erschien ihm ohne seine Kräfte und ohne Begleiter zu gefährlich zu sein, also zog er durch die kaum minder gefahrvolle Geistersteppe, erkundete ihre Spukerscheinungen und ihre Temporalphänomene, versuchte dem geheimnisvollen Ithena seine Geheimnisse zu entreißen und vermochte doch keinen rechten Wissensgewinn zu verbuchen, weil ihm keine Analysear­te­fakte oder -zauber zur Verfügung standen. Immerhin konnte er eine erste Erkenntnis über die Freiheit treffen. Er war allein an diesem Ort des Todes, das gab ihm die Freiheit, jederzeit die Richtung zu wählen, in die er sich bewegen wollte, zu entscheiden, für längere Zeit an einem Ort zu verweilen, sein Ziel zu bestimmen, zu ändern oder gar ziellos durch das Land zu wandern, ganz wie es ihm gefiel und wann es ihm behagte. Er brauchte sich nicht nach anderen zu richten, keine Rücksicht auf ihre Belange zu nehmen. Niemand bevormundete ihn oder redete ihm herein. Keiner kümmerte sich um seine Belange statt um die eigenen. Niemand kritisierte seine Entscheidungen, versuchte ihn davon abzubringen oder ihn dafür zu bestrafen. Und dennoch blieb dies alles unbefriedigend. Ein Gefühl von Freiheit wollte sich nicht einstellen. Freiheit, das schien auch etwas mit Interaktion zu tun zu haben, damit, etwas gemeinsam mit anderen zu erledigen oder für seine Taten eine Rückmeldung zu erhalten, sei diese nun positiv oder negativ.

Schließlich verließ Borbarad die Geistersteppe gen Norden, wo ihn die Agrim der Finsterbinge gefangen nahmen und tief im Inneren dieses verfluchten Ortes Ankrojus erzdämonischem Gegenspieler Agrimoth zu opfern versuchten. Zu ihrer Überraschung wies der Archon das angebotene Opfer zurück, schließlich war der Dämonenmeister einen machtvollen Pakt mit ihm eingegangen. Die Faulzwerge ließen ihn ziehen, und er ging unbehelligt seiner Wege. Freiheit, das hatte offenbar mit Macht zu tun. Es genügte nicht, mit anderen zu kommu­nizieren. War man schwach und hilflos, waren die anderen es, die einem die Richtung wiesen. Wer frei sein wollte, musste stark und mächtig sein, gebildet, klug und weise. Dann konnte er über die anderen bestimmen.

Im Ödland(t) gingen Borbarad die Wasservorräte und die Nahrung aus, und er bat einen trollischen Viehhirten um Fleisch und etwas zu trinken. Der gewährte ihm die Bitte sehr wohl, aber da Borbarad nichts im Tausch anzubieten hatte, musste er Woche lang die Umgebung für den Hirten auskundschaften und beim Hüten der Herde helfen. Diesmal traf Borbarad gleich zwei Erkenntnisse. Freiheit, das hatte etwas mit Arbeit, Fleiß und Verantwortung zu tun. Denn er fand durchaus Gefallen an seiner Aufgabe. Er hatte in vielen seiner Inkarnationen mit Tieren gearbeitet. Er hatte sie gehütet, sie abgerichtet, sie geschlachtet und verarbeitet, ihre Sprache gelernt, sie seziert, chimärologische Experimente mit ihnen durchgeführt, Tinkturen an ihnen getestet, magische Ingredienzien aus ihnen hergestellt, sie zu Armeen geformt oder Truppen mit ihnen ausgerüstet, geliebte Haustiere gehalten oder Methoden ersonnen, sie in Massen zu vernichten. Es gab nahezu keinen Aspekt an ihnen, mit dem er noch nicht zu tun gehabt hatte, und er begriff, dass es ihm Freude bereitete, sie zu hegen ebenso wie sie zu töten. Beides diente einem höheren Zweck, daher gab ihm beides ein Gefühl von Sinnhaftigkeit und damit auch von Freiheit. Freiheit, das hatte zudem mit Reichtum und Besitz zu tun. Hätte er genug Geld bei sich gehabt, um für Nahrung und Wasser zu zahlen, hätte er sie im Tausch gegen die Währung bekommen und sie nicht durch körperliche Arbeit verdienen müssen. Freiheit, das war in der Regel nicht die Freiheit, alles tun zu können, was man wollte, sondern die, nicht tun zu müssen, was man nicht wollte.

In der Aschewüste erkrankte der Alveraniar des Verbotenen Wissens durch den Kontakt mit der Kometenasche und wurde durch einen Gigantoguan verletzt. Nur mit knapper Not überlebte er, weil er dem Dschinn der Magie befahl, ihn mit astraler Kraft zu versorgen, damit er sich selbst heilen konnte. Dabei hätte ihn um ein Haar ein Effekt der Kritischen Essenz ein zweites Mal verwundet. Wiederum lernte Borbarad etwas über die Freiheit. Sie benötigte einen gesunden Körper und einen gesunden Geist. Und nur derjenige konnte frei sein, der über die Fähigkeiten verfügte, die ihn am Leben und bei Gesundheit hielten. Und er musste in der Lage sein, sie auch auszuüben.

Das Lavameer erwies sich ohne seine magischen Kräfte, ohne Artefakte, Elementare, Chimären, flugfähige Tiere oder Verbündete als unüberwindliches Hindernis, sodass Borbarad schließlich umkehren musste. Freiheit hatte also etwas mit der Verfügbarkeit der richtigen Ressourcen zum richtigen Zeitpunkt zu tun, die einem halfen, die Beschränktheit des eigenen Wesens zu überwinden. Und soweit es sich um lebende Ressourcen handelte, mit der Loyalität, die sie einem entgegenbrachten.

Im Marhamal-Gebirge begegnete Borbarad einem reisenden Irrogoliten, der ihm von seinem unerschütterlichen Vertrauen auf Ankroju erzählte und davon, wieviel Kraft der Gott ihm verlieh. Seine Gottheit hatte ihn auf Pilgerfahrt entsandt. Er hatte viele Länder bereist, fremde Lebewesen und Kulturen kennen, verstehen und schätzen gelernt. Er beherrschte nun Sprachen, von denen er vor Reiseantritt nicht einmal gehört hatte, war tiefem Hass begegnet und ebensolcher Liebe. Er hatte Besitz angehäuft und wieder verloren und dadurch die Fähigkeit erworben, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Er war fest davon überzeugt, dass der Gott die Seinen einst vor der Fäule gerettet hatte – jener Fäule, mit der er sein Volk überhaupt erst verflucht hatte, wie der Alveraniar des Verbotenen Wissens in Gedanken hinzufügte. Aber das schien für den Zwerg keine Rolle zu spielen. Seine Kraftquelle war der Glauben, welche Rolle konnte da schon die Wahrheit spielen. Ankroju hatte ihn auf eine Queste geschickt, und diese hatte sein Leben verändert. Dafür war er dankbar. Freiheit, das hatte somit etwas mit innerer Haltung zu tun, mit einer Überzeugung, Begeiste­rungs­fä­hig­keit und Inspiration. Mit Motivation, Ausdauer und Geduld. Sogar mit Demut, wie Borbarad widerwillig zugeben musste.

Am Totenwasser wurde Borbarad von amhasischen Sklavenjägern aufgespürt und gefangen­genommen. Sie brachten ihn in die Stadt und verkauften ihn als Sklaven an einen reichen Patrizier. Der bemerkte rasch, dass er es mit einem Mann von Bildung und Kultur zu tun hatte, verschonte ihn mit niederen Arbeiten und machte ihn stattdessen zu seinem Berater, den er bezüglich der Bewirtschaftung seiner Güter konsultierte und mehr und mehr auch in philosophischen Fragen. So lernte Borbarad die Lehre des Chutram kennen, die den Amhasim zur individuellen Perfektion führen sollte. Ein System von Glaubenssätzen und Regeln, wie der Alverniar des Verbotenen Wissens schon tausende zuvor kennengelernt hatte, mit einigen Stärken und zahlreichen Schwächen. Er vermochte sie alle aufzuzeigen, bis auf eine. Die Amhasim lehnten die Anbetung von Göttern ab, und Borbarad, der ja selbst beinahe ein Halbgott war und mit vielen Göttern verkehrt hatte, war sich nicht sicher, ob dies zu mehr Freiheit führte. Sein irrogolitischer Bekannter war jedenfalls überzeugt gewesen, in der Anlehnung an seinen Gott sein Seelenheil zu finden. War es also ein gefährlicher Irrweg, sich von den Göttern abzuwenden, oder brachte es den Sterblichen die Gabe, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen? Ein ungeklärter Punkt, der nach Antworten verlangte. Borbarad setzte seine diplomatischen Fähigkeiten ein und überredete seinen „Herrn“, ihm die Freiheit zu schenken. Was immer das bedeuten mochte.

Die offene Frage … Wie mochte die Antwort lauten. Die Amhasim waren überzeugt, dass die Stärke und Dominanz, die ihnen die Herrschaft über das Zentrum des Kontinents sicherte, auf ihrer Abkehr von den Göttern beruhte. Stimmte das, oder konnten jene sie besiegen, die festen Glaubens waren? Eine Frage, die in einem Kampf entschieden werden musste. Und Borbarad wusste auch schon, wen er dazu anstiften würde, diesen Kampf zu beginnen, gab es doch eine unbestimmbare Vielzahl von Unfreien in der Stadt, Sklaven, Leibeigene, niedere Bürger.

Da seine Suche beendet war und auch das Jahr, das er dafür veranschlagt hatte, fast vergangen, ließ sich Borbarad vom Dschinn der Magie seine astralen Kräfte zurückgeben. Dann zog er Erkundigungen über das System ein, nach dem die Sklaverei in der Stadt abgewickelt wurde, und stellte fest, dass es eine lose Organisationsstruktur gab. Sklaven, die innerhalb eines Stadtviertels Herren von etwa gleichem Stand dienten, standen meist in Kontakt miteinander und versuchten einander zu helfen, so gut sie es vermochten. Viele dieser Bünde hatten einen Sprecher oder Anführer bestimmt, und die meisten arbeiteten nach bestimmten Regeln, deren wichtigste darin bestand, die Existenz des Bundes geheim zu halten, vor allem vor den Sklavenhaltern. Einige der Bünde standen auch untereinander in Kontakt. Obwohl die bloße Existenz dieser Bünde eindeutig gegen die von den Herren gesetzten Regeln verstieß, gab es keinerlei Bestrebungen, das System zu ändern. Die Bünde verfolgten lediglich das Ziel, den Sklaven das Leben innerhalb des Systems zu erleichtern. Es gab keinen Gedanken an Aufruhr, an eine Befreiung der Sklaven oder an Rache an den Sklaventreibern. Noch nicht.

Borbarad legte sich verschiedene Tarnidentitäten zu. Er versah jede von ihnen mit einem individuellen Äußeren, unterschiedlichem Auftreten und einer eigenständigem Philosophie, abhängig davon, um was für einen Bund es sich handelte, wen er vertrat und welche Ziele der Anführer und seine Untergebenen verfolgten. Schritt für Schritt nahm der Alveraniar des Verbotenen Wissens in der jeweils passenden Geheimidentität Kontakt mit dem jeweiligen Bund auf, bemühte sich um sein Vertrauen und säte dann den Geist der Rebellion unter den Sklaven der Stadt.

Die Amhasim hielten nichts von den Göttern, Borbarad indes stiftete eine Religion. Er predigte die persönliche Freiheit des Individuums, welche unabdingbar sei, um das volle Potenzial des sterblichen Geistes entwickeln zu können. Jedwege Beschränkung dieser Freiheit behindere die natürliche Entwicklung eines Sterblichen, was einen unverzeihlichen Frevel wider die Natur darstelle.

Da die Sklavenhalter keine Götter verehrten, verlangten sie von ihren Sklaven keine Religions­ausübung. Sie gestatteten sie ihnen auch nicht. Wohl aber forderten die amhasischen Herren, dass sie selbst von ihrem Besitz als quasigöttlich akzeptiert und verehrt wurden. Dies sei ein Verbrechen wider die Schöpfung und wider die Sklaven, denn es hemme den Weg zur Macht und zum Heil, der allein das Ziel jeglichen sterblichen Daseins sei.

Borbarad verkündete, dass die Welt durch zwei Prinzipien gebildet werde, die einander ergän­zen und gemeinsam die Welt formen. Gegenüber seinen engsten Vertrauten benannte er diese Prinzipien als das Nayrakis, nach dem alles, was denkbar ist, auch möglich ist, und das Sikaryan, nach dem alles, was möglich ist, auch denkbar ist. Nayrakis bezeichnete die Idee, wie das Sikaryan zu formen sei, Sikaryan den Stoff, der durch ein Idee in eine Form gegossen werden musste.

Borbarad schrieb dem Sikaryan und dem Nayrakis eine Persönlichkeit zu, wie es auch andere Kulte taten. Er nahm jedoch davon Abstand, sie Sumu und Los zu taufen, dies kam ihm falsch vor und ebenso vermessen. In der Überlieferung der Zwölfgöttlichen Kirchen galt er selbst als Urenkel des Los, Enkel von Phex und Hesinde, Sohn des Nandus. Eine Annahme, die nicht vollkommen richtig war, aber auch nicht vollkommen falsch. Der Alveraniar des Verbotenen Wissens hatte sie niemals dementiert. Aber ebenso wenig hatte er jemals absichtlich falsche Tatsa­chen verbreitet, schon gar nicht über jenen, den man für seinen Urgroßvater hielt.

So beschrieb er zunächst das Sikaryan in anderer Gestalt, als sie von den aventurischen Zwölfgötterkulten gedacht wurde. Er nannte sie „Die Dunkle Göttin“ und bezeichnete sie als wahre Verkörperung der Prinzipien Sumus und der weiblichen Urkräfte des Universums. Die fruchtbare Erde, ihre Wasserströme und finsteren Tiefen sollen den Leib der Unsterblichen bilden. Dieser Gottheit schrieb Borbarad Aspekte zu, wie sie den Göttinnen Satuaria, Marhyna, Rahja, Rondra, Peraine, Tsa, Marbo, Bylmaresh und Belkelel sowie den Göttern Efferd, Firun und Levthan zu eigen sind: Mutter Dere, das Grauen aus der Tiefe, Beschützerin, Bringerin von Lust und rauschhafter Ekstase, Kriegerin, Vernichterin, Mutter der Kreaturen, wilde Jägerin, Schönheit, Gefühle, Intuition, Sexualität, Leben spenden/nehmen, Heilung, Gift, Blutrausch, Lust, Schmerz, Nacht, Tod/Geburt, Vampi­ris­mus, Erde, Wasser, Wachstum/Zerfall, Rauschmittel, Wein, Potenz, Körperkult. Man sagt der Dunklen Göttin nach, dass sie, die Macht des Wassers und der Erde, zuweilen als Avatar in Gestalt einer jungen Frau oder einer fürchterlichen Riesenspinne erscheint und Ranyakaglara genannt wird.

 

 

 

 

Das Nayrakis beschrieb der Alveraniar des Verbotenen Wissens als großen Himmelsdrachen, Verkörperung des Himmels, der Winde und der glühenden Sterne. Auch diese Himmelskräfte könnten durch einen Avatar verkörpert werden, wahlweise durch ein strahlendes Lichtwesen oder durch einen feurigen Drachen mit Namen Ahuravovina. Seine Aspekte sind Weisheit, Wissen, Geist, Wille, Macht, Freiheit, Grenzenlosigkeit, Klugheit, Inspiration, Licht, Kunst, Kreativität, Kommunikation, Schrift, Rhetorik, Manipulation, List und Täuschung, Zeugung, Wiedergeburt, das Neue, Wandel, Sonne und Sterne, der Himmel, Jenseits, Blitz und Donner, Eis und Hagel. Auch hierfür haben bestimmte Gottheiten Pate gestanden, darunter Nandus bzw. Anandusha, Praios (hier der Aspekt der Macht und Überzeugungskraft), Ingerimm (Erschaffen von Neuem, Feuer), Phex (Aspekte List, Rhetorik, Sterne), Chrysir, Kauca und der Windaspekt Efferds.

Die konkrete Ausgestaltungen der angurianischen Vorstellungen vom Himmelsdrachen sind mit einiger Wahrscheinlichkeit durch den Drachenkaiser Thufir vom Djer Mussa beeinflusst, der im Yal-Hamat-Gebirge in direkter Nachbarschaft zu den Angurianern lebt und wiederholt ihre Geschicke beeinflusst hat. Er dürfte mehr als jeder andere ihr Bild von Drachen geprägt haben.

 

 

Borbarad ließ die alveranischen Götter und jene Gottheiten, die keinen Sitz in der Götterburg hatten, zwar nicht unerwähnt, doch beschrieb er sie auf eine sehr individuelle Weise und zog in Zweifel, dass ihnen mit Blick auf das große Ziel, das Potenzial des sterblichen Geistes zu entwickeln, eine nützliche Funktion zukommen könne. Von einer sklavischen Verehrung solcher Gottheiten riet er dringend ab.

Um wahre Freiheit zu erlangen, müssten die Sterblichen vielmehr die beiden genannten Gottheiten ehren und versuchen, ihr Wesen zu verstehen. Dann nämlich werde sich offenbaren, dass alles, was denkbar ist, auch möglich ist, und alles was möglich ist, auch denkbar. Und zwar selbst die Befreiung der Sklaven aus dem Joch ihrer nur scheinbar göttergleichen amhasischen Herren.

Rebellion und Gewalt seien notwendige Mittel, um das große Ziel zu erreichen, denn der Feind, verkörpert in den Amhasim, werde nicht zögern, das Bestreben seiner Sklaven im Keim zu ersticken, um sie in widernatürlicher Unselbstständigkeit zu halten und sich weiterhin ihrer Arbeitskraft zu versichern. Schmerz und Tod seinen für einen Teil der Aufrührer die unver­meid­­bare Folge, doch seien sie als etwas Positives zu betrachten, als das reinigende Feuer zur Stählung der Seele auf dem Weg zur mystischen Erlösung von den Banden und dem Joch der Welt.

Borbarad lehrte seine Schüler Techniken der Entrückung. Jene, die von Borbarad lernten, verinnerlichten die Lehren ihres Meisters und gaben sie an ihre eigenen Schüler weiter. Sklaven, die von ihren amhasischen Herrn der Folter unterzogen wurden, aber auch ihre späteren Nachfolger, die Angurianer, erlebten – angefacht durch Pein und Agonie – rauschhafte Ekstasezustände, wie man sie von Märtyrern im Dienste der Götter kennt. Sterbend und unter furchtbaren Qualen schauten sie die mystischen Geheimnisse des Kosmos, prophezeiten und sprachen von der nahen Zukunft der Freiheit für ihr Volk.

Die Seele des wahrhaft Befreiten sei im Tode keineswegs verloren oder dazu verdammt, wie die eines gewöhnlichen Sterblichen in eines der Totenreiche einzugehen. Vielmehr könne sie durch ein Ritual an die Dritte Sphäre gebunden werden, ja sogar an eine ganz bestimmte Gemeinschaft. Sie werde dann umgehend innerhalb der durch das Ritual bestimmten Kultur wiedergeboren werden.

Ausgewählte Schüler sollen in der Anfangsphase der Bewegung eine spezielle Form des Ritus gekannt haben, welche ihnen mit der Zeit sämtliche Erinnerungen an ihr Vorleben zurückbrachte. Obwohl die Rebellion, die schließlich tatsächlich ausbrach, viele Opfer kostete, gingen auf diese Weise doch nur wenige Seelen verloren.

Schlussendlich ermahnte Borbarad seine Schüler, dass er selbst nur ein Bote sei, der die Kunde von den Göttern zu den Sterblichen tragen sollte. Auf gar keinen Fall solle ihm eine beson­dere Rolle zugeschrieben werden oder gar der Status eines Heiligen. Er sei nichts als ein unwürdiger Diener, der eine Nachricht überbringe. So kommt es, dass die Angurianer bis heute keine Heiligen kennen, schon gar keinen Heiligen Tharsonius. Die reine Lehre wird um ihrer Selbst willen praktiziert und losgelöst von Personenkult betrieben. Borbarad ermutigte seine Schüler jedoch, die Weissagung in Ehren zu halten, und so erwuchsen zahllose Propheten, welche die verschiedensten Möglichkeiten des Orakelns und der Prophezeiung nutzten und die Lehre beständig weiterentwickelten.

An diesem Punkt überließ Borbarad die Bewegung, die er gestiftet hatte, sich selbst. Sie würde wachsen müssen, sich entwickeln. Er selbst jedoch musste nach Aventurien zurückkehren, um seine dortigen Pläne weiterzuverfolgen. Eines Tages würde er zurückkehren, um nachzusehen, ob die Saat aufgegangen war, die er hier ausgestreut hatte. Um die Antwort zu erhalten auf die Frage, was stärker war. Der Glaube an die eigene Stärke oder der Glaube an die Götter. Noch konnte er nicht ahnen, dass diese Rückkehr zwar stattfinden würde, jedoch erst hunderte von Jahren in der Zukunft.

Tatsächlich wuchs die Rebellion mit jeder neuen Generation, bis eine kritische Masse an Hass und Organisation erreicht war, die schließlich in der Nacht der Befreiung gipfelte, welche die Angurianer bis auf den heutigen Tag als ihren heiligsten Feiertag begehen. Die angurianische Lehre entwickelte sich beständig weiter, bis zu ihrer heute gültigen Form, die durch zahlreiche Visionäre und Schamanen ergänzt und verändert wurde.

Es ist nicht überliefert, auf welche Weise Borbarad nach Aventurien zurückkehrte, womöglich rief er einen Dschinn der Luft herbei, der ihn rasch und sicher über das Meer trug.

 

Die Glaubenswelt der Angurianer

 


Name

Beinamen

dahinter verbirgt sich

Kulturelle Verbreitung

Besonderheit

Aspekte

Verbreitungsgebiet

Heilige Orte

Heilige Steine, Tiere, Pflanzen Artefakte, Heilige

Opfergaben

Feindbild/Sünden/Laster

Hierarchie

Politischer Einfluss

Weltbild / Menschenbild / Stärkstes Argument

Toleranz gegenüber Andersgläubigen

Kulte

Gläubige, Anhänger, Priester

Ahuravovina

Erleuchter, allweiser Geist, ewige Flamme, goldgleißender Drache, Vater der Listen und Wunder, Sturmbringer.

Das Nayrakis, Los, der Himmel, Nandus bzw. Anandusha, Praios (hier der Aspekt der Macht und Überzeugungskraft), Ingerimm (Erschaffen von Neuem, Feuer), Phex (Aspekte List, Rhetorik, Sterne), Chrysir, Kauca und der Windaspekt Efferds.

Angurianer-Kultur

Weisheit, Wissen, Wille, Macht, Freiheit, Grenzenlosigkeit, Inspiration, Licht, Kunst, Kreativität, Kommunikation, Schrift, Rhetorik, Manipulation, List und Täuschung, Zeugung, Wiedergeburt, das Neue, Wandel, Sonne und Sterne, der Himmel, Jenseits, Blitz und Donner, Eis und Hagel.

Yal-Hamat-Gebirge, Grüne Sichel, Kurotan, Dreistromland (selten), Amhas (im Geheimen, da der Kult offiziell verboten ist)

der freie Himmel, der Berg An Gur, die Drachengrotte

Anukah-Kristall (Gwen Petryl), Diamant, Bergkristall, Opal, Lapislazuli.

Drache.

Sonnenpilz (bewusst­seins­erweiternder, psychotroper Hutpilz).

Sphäre der Formen. Eine Lichtsphäre, gebildet aus einem menschengroßen Anukah-Kristall. In seinem Inneren befindet sich ein kleine, stabiler Sphärenriss, der permanent Formen aus dem Chaos bildet, Bilder, Stimmen und Geräusche. Für die Anurkai (Geweihten) ist dies eine Quelle der Inspiration und Interpretation.

Das Erlangen und Erhalten von Wissen, Weisheit und Macht zum Nutzen des angurianischen Volkes, Erleuchtung, Neues Wissen, Lehren, philosophische Dispute, Exorzismus, Täuschen und Betrügen der Feinde des heiligen angurianischen Volkes.

Sünden: (mittel) Verzicht auf Erlangen und Einsatz von Wissen und Macht, Dummheit und Ignoranz, Materialismus, (schwer) Vergehen an der Gemeinschaft.

Unter Angurianern immens, ansonsten im Geheimen tätig, auch in Amhas.

Wissen und Inspiration sind die Grundlagen für geistige Freiheit. Stagnation und Ignoranz bedeuten (geistigen) Tod. Wissen ist Macht. Unwissenheit führt zur Versklavung.

Ranyakaglara

Allmutter, das Grauen aus der Tiefe, Quell der Freuden, Blutsäuferin, Göttin der Höhlen, Beschützerin, Zauberin, Bringerin von Lust und Ekstase, Kriegerin, Vernichterin, Mutter der Kreaturen, wilde Jägerin, Maid der Quellen, Herrin der Qualen.
Das Sikaryan, Sumu, die Dere, Satuaria, Marhyna, Rahja, Owalla, Rondra, Peraine, Tsa, Marbo, Bylmaresh, Belkelel, Efferd, Firun und Levthan.
Angurianer-Kultur

Schönheit, Gefühle, Intuition, Sexualität, Leben spenden/nehmen, Heilung, Gift, Blutrausch, Lust, Schmerz, Nacht, Tod/Geburt, Vampi­ris­mus, Erde, Wasser, Wachstum/Zerfall, Rauschmittel, Wein, Potenz, Körperkult.

Yal-Hamat-Gebirge, Grüne Sichel, Kurotan, Dreistromland (selten), Amhas (im Geheimen, da der Kult offiziell verboten ist)

Höhle des Rausches unter dem Berg An Gur. Jede andere Höhle, Der Tiefenborn, Heiliger Weinberg von Yal Haluth.

Hetrah-Kristall, Obsidian, Granat, Amethyst, Kupfer.

Spinne, Säbelzahntiger, Riesenfledermaus, Kalkar.

Yikh-Ranke, schwarze Lilie, Amam-Rebe

Peitsche der Göttin (versetzt den gepeitschten in heiligen Kampf- oder Liebesrausch). Der Blutkelch (gewährt entweder Heilung von jedweder Wunde bzw. körperlichem Gebrechen oder aber einen sofortigen, schrecklichen Tod, je nach Laune der Göttin.

Lust und Schmerz, bezwungene Feinde, Gebeine, Blut, Blutwein

(leicht) Zurückhaltung, Askese, (mittel) Schaden an der Gemeinschaft.

Unter Angurianern immens, ansonsten im Geheimen tätig, auch in Amhas.

Die Welt ist grauenvoll und schön zugleich. Gut so! Fürchte weder Tod noch Leid, die Göttin schenkt dir einen neuen Körper und die Transformation des Schmerzes zu reiner Lust. Wer die Göttin erkennt, lebt in ewiger Ekstase.

 

Ranyakaglara, die dunkle Göttin

Die Dunkle Göttin wird in Gestalt einer bleichen, überirdisch schönen jungen Frau dargestellt, umgeben von Zwielicht und Nebel. Ihre Haarpracht ist wogend, schwarz oder dunkelviolett. Die Augen der Gottheit leuchten wie Hetrahkristall, sind also rubinrot oder scleradeckend schwarz. Sie scheinen sowohl Güte als auch zerstörerische Leidenschaft zu verströmen. Ihr Gesichtsausdruck zeugt stets von verzückter Ekstase. In ihrer rechten Hand trägt sie eine peitschenförmige Yikh-Ranke, in ihrer Linken einen von köstlichem Blutwein und Wasser überfließenden Kelch. Obligatorisch ist etwas Blut, welches ihren Mundwinkel herunterrinnt. Eine oder mehrere kleine Spinnen sowie ein Hautbild oder Schmuckstück in Form des Geisterbaums Neshanok auf ihrem Körper fehlen nur selten. Bisweilen reitet sie auf einem phallusartigen Objekt auf. Weitere Attribute können Waffen, Hörner, Fangzähne, Krallen oder Fellteile sein, jedoch sind dies keine essentiellen Kriterien. Eine weniger gebräuchliche Darstellungsform ist die einer monströsen, schwarzen Spinne. Statuen sind eher selten, häufiger sind Wandmalereien oder die direkte rituelle Inkarnation durch eine Schamanin.
Dahinter verbirgt sich: Das Sikaryan, Sumu, die Dere, Satuaria, Marhyna, Rahja, Owalla, Rondra, Peraine, Tsa, Marbo, Bylmaresh, Belkelel, Efferd, Firun und Levthan. In ihrem Wesenskern ist die Dunkle Göttin jedoch ein Energiefeld, das von allen lebendigen Wesen sowie den Elementen Humus, Erz und Wasser erzeugt wird, eine Entität ohne festgelegte Persönlichkeit oder eigenen Willen.
Beinamen: Allmutter, das Grauen aus der Tiefe, Quell der Freuden, Blutsäuferin, Göttin der Höhlen, Beschützerin, Zauberin, Bringerin von Lust und Ekstase, Kriegerin, Vernichterin, Mutter der Kreaturen, wilde Jägerin, Maid der Quellen, Herrin der Qualen.
Aspekte: Schönheit, Gefühle, Intuition, Sexualität, Leben spenden/nehmen, Heilung, Gift, Blutrausch, Lust, Schmerz, Nacht, Tod/Geburt, Vampi­ris­mus, Erde, Wasser, Wachstum/Zerfall, Rauschmittel, Wein, Potenz, Körperkult.
Verbreitungsgebiet: Yal-Hamat-Gebirge, Grüne Sichel, Kurotan, Dreistromland (selten), Amhas (im Geheimen, da der Kult offiziell verboten ist)
Elemente: Wasser, Humus, Erz, Dunkelheit (NAWA, USIA, UKESH, UMBAR)
Farben: Schwarz, Violett, Rot, Grün, Braun
Heilige Steine/Metalle: Hetrah-Kristall, Obsidian, Granat, Amethyst, Kupfer
Heilige Tiere: Spinne, Säbelzahntiger, Riesenfledermaus, Kalkar
Heilige Pflanzen: Yikh-Ranke, schwarze Lilie, Amam-Rebe
Gefolgschaft: diverse Natur- und Elementargeister. Xanagla (riesige, uralte Spinne). Einige Götter/­Dämonen/­Geis­ter fremder Völker werden ebenfalls dem Gefolge der Göttin zugerechnet. Umbatarkai (Schamanen, wörtlich: “Freunde der Dunkelheit”).
Heilige: Jede freie, stolze Kreatur.
Paradies: Die Welt. Paradies bedeutet dabei, die Wiedergeburt in einer erwünschten Gestalt und unter faszinie­ren­den Umständen.
Ursprung: angurianisch
Weltliche Aufgaben: sich seinen Ängsten stellen und sie beherrschen, den Körper stählen, die Gemeinschaft mit Nahrung versorgen und beschützen, heilen, Lust spenden und genießen, Kampf gegen mächtige Gegner, Trophäen sammeln, Blut vergießen, Blutwein herstellen und genießen, rituelle Zweikämpfe, Lehren der Kriegskünste, Heilen, Tanz, Musik, Feste ausrichten und feiern, Jagen und Vernichten der Feinde des heiligen angurianischen Volkes, Gefangene martern, Heilmittel, Gifte und Brandöl herstellen.
Opfergaben: Lust und Schmerz, bezwungene Feinde, Gebeine, Blut, Blutwein
Heilige Orte: Höhle des Rausches unter dem Berg An Gur. Jede andere Höhle, Der Tiefenborn, Heiliger Weinberg von Yal Haluth.
Feindbilder: Feigheit, Gefühlskälte, Schwäche
Sünden: (leicht) Zurückhaltung, Askese, (mittel) Schaden an der Gemeinschaft.
Artefakte: Peitsche der Göttin (versetzt den gepeitschten in heiligen Kampf- oder Liebesrausch). Der Blutkelch (gewährt entweder Heilung von jedweder Wunde bzw. körperlichem Gebrechen oder aber einen sofortigen, schrecklichen Tod, je nach Laune der Göttin.
Symbole/ Sinnbilder: Dunkelheit („Schutz der Dunkelheit„), Mond („Juwel der Göttin„), Wasser, Vegetation („Haar der Göttin„) schönes Mädchen und Spinne („schön wie Ranya und grausam wie Kaglara„), „Die Erde ist der Leib, das Wasser das Blut der Göttin„. Wasserquellen. Runde Formen.
Feiertage: Nacht der Befreiung (Jahrestag der Nacht, als sich die Sklaven wider die Amhasim erhoben), jede Nacht die in vollen Zügen genossen wird.
Lehre/Stärkste Argumente: Erkenne und beherrsche deine Ängste, und nichts wird für dich unmöglich sein. Was mich nicht umbringt, macht mich nur härter. Nur die Starken überleben. Genieße den Augenblick, bevor er vorüber ist. Genuss und Ekstase sind der Lohn des Siegers.
Welt- und Jenseitsbild: Die Welt ist grauenvoll und schön zugleich. Gut so! Fürchte weder Tod noch Leid, die Göttin schenkt dir einen neuen Körper und die Transformation des Schmerzes zu reiner Lust. Wer die Göttin erkennt, lebt in ewiger Ekstase.
politischer Einfluss: unter den Gläubigen (allen Angurianern) immens.

 

Ahuravovina, der Himmelsdrache

Der Himmelsdrache wird in Gestalt eines Drachen aus Licht oder Feuer verehrt. Konkrete bildliche Darstellungen sind selten. Es herrscht unter fast allen Gläubigen die nahezu einstimmige Haltung vor, dass kein einzelnes Bildnis die Gesamtheit dieser Urkraft auch nur annähernd darzustellen vermag.
Dahinter verbirgt sich: Das Nayrakis, Kha, Los, der Himmel, Nandus bzw. Anandusha, Tsa (Freiheit, Wandel, Kreativität), Praios (hier der Aspekt der Macht und Überzeugungskraft), Ingerimm (Erschaffen von Neuem, Feuer), Phex (Aspekte List, Rhetorik, Sterne), Chrysir, Kauca und der Windaspekt Efferds.
Beinamen: Erleuchter, allweiser Geist, ewige Flamme, goldgleißender Drache, Vater der Listen und Wunder, Sturmbringer.
Aspekte: Weisheit, Wissen, Wille, Macht, Freiheit, Grenzenlosigkeit, Inspiration, Licht, Kunst, Kreativität, Kommunikation, Schrift, Rhetorik, Manipulation, List und Täuschung, Zeugung, Wiedergeburt, das Neue, Wandel, Sonne und Sterne, der Himmel, Jenseits, Blitz und Donner, Eis und Hagel.
Verbreitungsgebiet: Yal-Hamat-Gebirge, Grüne Sichel, Kurotan, Dreistromland (selten), Amhas (im Geheimen, da der Kult offiziell verboten ist)
Heilige Orte: der freie Himmel, der Berg An Gur, die Drachengrotte
Artefakte: Sphäre der Formen. Eine Lichtsphäre, gebildet aus einem menschengroßen Anukah-Kristall. In seinem Inneren befindet sich ein kleine, stabiler Sphärenriss, der permanent Formen aus dem Chaos bildet, Bilder, Stimmen und Geräusche. Für die Anurkai (Schamanen, wörtlich: “Freunde des Lichts”) ist dies eine Quelle der Inspiration und Interpretation.
Heilige Steine: Anukah-Kristall (Gwen Petryl), Diamant, Bergkristall, Opal, Lapislazuli.
Heiliges Tier: Drache.
Heilige Pflanzen: Sonnenpilz (bewusst­seins­erweiternder, psychotroper Hutpilz).
Elemente: Feuer und Wind
Farben: Weiß, Gold, Silber, Blau
Aufgaben/Opfergaben: Das Erlangen und Erhalten von Wissen, Weisheit und Macht zum Nutzen des angurianischen Volkes, Erleuchtung, Neues Wissen, Lehren, philosophische Dispute, Exorzismus, Täuschen und Betrügen der Feinde des heiligen angurianischen Volkes.
Feiertage: Tag der Erneuerung/des ewigen Neuanfangs (Jahrestag des Sieges der geflohenen Sklaven über das Verfolgerheer der Amhasim).
Feindbild/Sünden/Laster: Sünden: (mittel) Verzicht auf Erlangen und Einsatz von Wissen und Macht, Dummheit und Ignoranz, Materialismus, (schwer) Vergehen an der Gemeinschaft.
Symbole/Sinnbilder: Die Sonne (Das Auge des Drachen), Die Sterne (das gleißende Schuppenkleid), ewig blaue Himmel, alle Phänomene atmosphärischer Optik und elektrischer Entladungen wie Blitze, Elmsfeuer, Regenbögen, Halophänomene, Fata Morganas etc. Außerdem Eiskristall, Fackel, Räuchergefäß, Schriftzeichen, Auge, eckige Formen.
Welt- und Jenseitsbild: Der Mensch entscheidet selbst über seinen Weg. Die richtige List ersetzt ganze Heerscharen von Riesen. Nichts ist dem Wissenden und Erleuchteten unmöglich oder verboten. Die Vernunft ist das Geschenk des Drachen und der Anfang aller Weisheit. Ewige Wiedergeburt, ewiges geistiges Wachstum.
Stärkstes Argument: Wissen und Inspiration sind die Grundlagen für geistige Freiheit. Stagnation und Ignoranz bedeuten (geistigen) Tod. Wissen ist Macht. Unwissenheit führt zur Versklavung.
Weltbild: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Und ihr habt Chaos in euch. Aus dem Chaos kommt jeden Augenblick das Neue hervor. Wir inkarnieren in dieser Welt, um zu lernen und zu verstehen. Die Möglichkeiten, die aus der Erkenntnis erwachsen, sind unbegrenzt. Gegen einen übermächtigen Feind helfen nur List und Erfindungsreichtum. Der körperlich Schwache muss einen um so stärkeren Geist haben. Fürchte nichts, der Körper ist nur eine Hülle, die Erleuchtung ist ewig.
politischer Einfluss: Unter Angurianern immens, ansonsten im Geheimen tätig, auch in Amhas.

 

Der ewige Krieger

Bei der Befreiung der Angurianer spielte Alrik Angur von Amhas, die aktuelle Inkarnation des ewigen Kriegers, eine bedeutende Rolle. Der ewige Krieger ist ein Held, der seit dem Dritten Zeitalter immer dann in unterschiedlichen Identitäten inkarniert, wenn das Gleichgewicht der Kräfte in Gefahr gerät.

Der Gegensatz von Ordnung und Chaos stürzte die noch junge Schöpfung alsbald in einen unauflösbar scheinenden Widerspruch. Die Ordnung, das war jene kosmische Macht, welche den Sterblichen ein stabiles Umfeld und somit Sicherheit zur Verfügung stellte. Aber ihr wohn­te der Hang zur Statik und zum Stillstand inne, zur Unveränderlichkeit, zur Kontrolle und zum Despotismus, der jede Freiheit unterdrückte. Das Chaos trachtete die Schöpfung zu vernichten, um ins Nichts zurückzukehren, verlieh ihr aber zugleich ihre Beweglichkeit, Veränderlichkeit und ihre Kreativi­tät, die Fähigkeit, sich zu entwickeln und zu vervollkommnen. Die geordnete Schöpfung wurde also erst durch den Einfluss des Chaos richtig lebendig, während das Chaos nur durch seine Auseinandersetzung mit der Schöpfung eine Realität gewann, welche es möglich machte, ihm individuelle Züge zuzuschreiben und eine Identität zu erkennen. Etwas, das manche Chaosmacht durchaus zu schätzen wusste, auch wenn keine von ihnen dies jemals zugegeben hätte, von dem am Ende des Sechsten Zeitalters entstandenen Amazeroth einmal abgesehen.

Das Zusammenwirken der Sphären hatte einen funktionierenden Kosmos hervorgebracht, der nur deshalb stabil war, weil Ordnung und Chaos gleichermaßen auf ihn einwirkten. Diese jedoch, obwohl sie einen echten Dualismus bildeten und gemeinsam das Dasein schufen, das die Sterblichen kannten und das ihnen Raum für Überleben und Weiterentwicklung bot, standen einander als unversöhnliche Feinde gegenüber und versuchten sich gegenseitig zu vernichten. Es begann sich herauszukristallisieren, dass es nötig war, ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ordnung und Chaos herzustellen, um zu verhindern, dass jemals eine Seite den endgültigen Sieg über die andere davontrug. Dies hätte bedeutet, dass der Schöpfung künftig eine wichtige Komponente gefehlt hätte, und das wiederum hätte das Ende des gewohnten Lebens des Sterblichen mit sich gebracht.

Das vollständige Entweichen des gesamten Nayrakis in das unendliche Außen der Siebten Sphäre, welches der Sage nach das Ende der Zeit einläuten wird, ist eine Entsprechung dieses Szenarios. In dem Augenblick, wo die Schöpfung jede Idee von ihrer Form verliert, das Chaos indes so viel Realität erlangt hat, dass es seine Idealform, das ungestaltete Nichts, einbüßt, bricht das gesamte Gebilde zusammen, und aus den Trümmern der Welt, die in diesem Augenblick vergeht, entsteht eine neue.

Damit die Schöpfung dieses Schicksal nicht vorzeitig ereilt, bedarf es Entitäten, die als Wächter über das Gleichgewicht der Kräfte fungieren. Auf Seiten der alveranischen Götter obliegt diese Aufgabe den Großen Drachen, allen voran Fuldigor und Aldinor. Wie man sich vorstellen kann, ist die Macht dieser Wächter begrenzt. Selbst gegenüber den Sterblichen können sie das göttliche Gebot nicht immer durchsetzen. So wacht Aldinor unter anderem darüber, dass keine Sterblichen über die Meere vom Riesland aus nach Aventurien fahren und umgekehrt, doch zuweilen entgeht ihm das eine oder andere Schiff und schließt seine Reise erfolgreich ab. Ungleich schwieriger ist es, einen anderen Großen Drachen aufzuhalten, der wider das Gleichgewicht frevelt. Ein solcher Vorstoß mag zwar gelingen, ist aber zeitaufwändig und zum Teil mit großen Verlusten an Leben verbunden. Ein Beispiel wäre der Zweite Drachenkrieg, in welchem Famerlor auf Geheiß der alveranischen Götter Pyrdacor besiegte. Gegen einen Frevel, der durch einen Unsterblichen begangen wird, kann oft auch ein Großer Drache nichts ausrichten, zumal die Großen Drachen trotz aller Unabhängigkeit, die sie im Laufe der Zeitalter erstritten haben, den Göttern im Wort stehen und nur begrenzt gegen sie aufbegehren können.

Zuweilen wird daher angenommen, dass es unabhängige, unsterbliche Wächter geben muss, die über das Gleichgewicht der Kräfte wachen und eingreifen, wenn dieses in Gefahr gerät. Aus der Erkenntnis, dass die Siebte Sphäre, die Sphäre des Chaos, unendlich ist, die geordnete Schöpfung jedoch begrenzt und endlich, folgt, dass ein Ungleichgewicht in aller Regel zu Lasten der Ordnung geht und das Chaos näher an sein Ziel heranführt, die Schöpfung zu vernichten. Ein Überwiegen der Ordnung indes hätte zur Folge, dass die Schöpfung erstarrt und in einem unveränderlichen Zustand verharrt. Es ist außerdem nicht nur das Gleichgewicht zwischen Ordnung und Chaos, das in Gefahr geraten kann, sondern auch das zwischen den Ordnungs­mächten untereinander. Vor allem der Namenlose, der versucht, die Ordnung Alverans zu beseitigen und eine eigene Weltordnung zu seinen Gunsten zu etablieren, erweist sich seit dem Fünften Zeitalter immer wieder als Gefahr für das Gleichgewicht zwischen den Ordnungs­hü­tern.

Unter denen, die an die Existenz der Mythos-Kreaturen glauben, ist die Annahme vorherr­schend, dass jene Wesenheiten, die der Mythos die Älteren Götter nennt, über das Gleichge­wicht der Kräfte wachen und in Fällen, wo es in Gefahr gerät, der unterlegenen Partei helfend unter die Arme greifen.

Diejenigen, die den Mythos für bloße Legende halten, vermu­ten solche Wächter wahlweise unter den bekannten Unsterblichen oder glauben, dass es sich um Unsterbliche handelt, die sich absichtlich im Hintergrund halten und den Sterblichen daher unbekannt sind. Besonders Kha, Satinav und seine Töchter gelten als aussichtsreiche Kandidaten. Dagegen spricht, dass sie klare Ordnungsmächte sind, denen man nicht zutraut, dass sie sich im Falle eines Gleichgewichtsverstoßes seitens der Ordnung das Chaos unterstützen würden. Aller­dings dürfte eine Gleichgewichtsverschiebung zulasten des Chaos in der Praxis so gut wie nie vorkommen. Seit dem Ende des Dritten Zeitalters, Marhynas Frevel und der daraus resul­tierenden Fesselung der Göttin steht auch sie, die als eine der wichtigsten Streiterinnen gegen die Finstermächte gilt, in Verdacht, insgeheim eine Hüterin des Gleichgewichts der Kräfte zu sein.

Wer auch immer sich hinter den Wächtern über das Gleichgewicht verbirgt, ihm dürfte die Existenz des Ewigen Kriegers zu verdanken sein. Bei oberflächlicher Betrachtung drängen sich Parallelen zwischen ihm und dem Dunklen Zwilling auf, den Alveraniaren des Verbogenen und des Verbotenen Wissens. Der Ewige Krieger inkarniert, wenn das Gleichgewicht der Kräfte in Gefahr gerät, oft mehrmals pro Zeitalter. Anders als der Alveraniar des Wissens, der in aller Regel in Gestalt eines Vertreters der dominanten Spezies erscheint, gehört der Ewige Krieger meist einer der nichtdominanten Spezies an. Die meisten Inkarnationen des Ewigen Kriegers sind sich ihrer früheren Leben nicht bewusst und ebenso wenig ihrer Aufgabe, das Gleichge­wicht der Kräfte zu bewahren oder wiederherzustellen. Doch ist jede Inkarnation mit beson­deren Fähigkeiten gesegnet, so wie ein Erwählter eines Unsterblichen. Die meisten Inkarnationen finden im Laufe ihres Lebens heraus, welche Aufgabe ihnen zugedacht ist. Nicht wenige von ihnen begehren gegen die Fremdbestimmtheit ihres Lebens auf und ringen um ihre Frei­heit, nur um am Ende zu erkennen, dass die Erfüllung ihrer Pflicht unumgänglich ist. Der Ewige Krieger kann niemals wirklich ausruhen, niemals wirklich sterben und niemals wirklich lieben, was vielen seiner Inkarnationen seine Bestimmung als Fluch erscheinen lässt. Eine Reihe von Inkarnationen haben nicht nur weite Reisen zurückgelegt, sondern sind auch in andere Welten gelangt oder durch die Zeit gereist, was den Verdacht nährt, dass Satinav bei der Wacht über das Gleichgewicht seine Finger im Spiel hat. Manchmal sind die Herausforderungen, denen sich der Ewige Krieger stellen muss, dermaßen groß, dass mehrere seiner Inkarnatio­nen durch Raum und Zeit zusammenfinden, um das Problem gemeinsam zu lösen. Der Ewige Krieger erinnert sich an die Taten seiner früheren und zukünftigen Inkarnationen im Rahmen von Visionen, Träumen und Albträumen. Bei wenigen seiner Inkarnationen sind diese Erinnerungen dauerhaft präsent, meist ohne sie richtig einordnen zu können. Dies führt entweder dazu, dass die jeweilige Inkarnation besonders gut gegen Herausforderungen gewappnet ist, oder dass sie eine psychotische Persönlichkeit entwickelt, eine multiple Persönlichkeitsstörung herausbildet oder Borderline-Symptome zeigt. Viele Inkarnati­onen sind auf der Suche nach der mythischen Stadt Theralor, wo sich einst das Schicksal des Ewigen Kriegers erfüllen soll. Einige Inkarnationen erhoffen sich dort Erlösung.

Die erste Inkarnation des Ewigen Kriegers war Darion Blutmond aus dem Volk der Archäer, dem die Aufgabe zukam, sein Volk vor der Vernichtung durch die Übermacht der Drachen zu bewahren. Er gilt als der mythische Gründer Krandhors, soll einen ersten Krieg gegen die Drachen gewonnen und einen ersten Friedensvertrag mit ihnen ausgehandelt haben. Es heißt, er habe alle Kontinente bereist, auf jedem einzelnen von ihnen einen Status quo zwischen den den Lindwürmern und den Bashuriden erstritten und/oder ausgehandelt und zuweilen Dra­chen und Archäer im Kampf gegen die Dämonen geeint.

Die Legenden deuten an, dass eine zweite Inkarnation des Ewigen Kriegers dem Volk der Blauen Mahre, dem zweiten Volk der Marhyna, entstammte, an Marhynas Frevel beteiligt war und dabei den Tod fand. Sein Opfer soll die Elementarebene des Feuers versiegelt und somit hunderttausenden von Sterb­li­chen das Leben gerettet haben.

Der Ewige Krieger hat anders als der dunkle Zwilling durch Marhynas Frevel keine magischen Fähigkeiten erlangt, aber es heißt, er trage ein schwarzes Schwert mit eige­nem Willen und eigener Persönlichkeit, erschaffen durch die Mächte des Chaos, doch dem Gleichgewicht der Kräfte verpflichtet, auch wenn sein Träger zu den ordnenden Kräften der Schöpfung gehört. Genau wie der Ewige Krieger wechselt das schwarze Schwert seinen Namen, seine Erscheinungs­form und seine Fähigkeiten, wenn sein Träger erneut inkarniert und das Schwert sich aufmacht, sich erneut in seine Hände zu begeben, um ihn an seine Bestimmung zu erinnern und gemeinsam mit ihm das Gleichgewicht der Kräfte zu verteidigen.

Der Ewige Krieger soll außerdem einen Begleiter haben, der jeweils gemeinsam mit ihm in­karniert, auf immer neue Abwandlungen des Namens Jorah Karenion hört und in aller Regel eine zweite, ebenfalls nichtdominante Spezies repräsentiert.

 

Alrik Angur von Amhas

 

 

Die stetig steigende Macht des Amazth-Kultes, sein Schulterschluss mit dem Kult des Phex und denen anderer alveranischer Gottheiten und der gewaltige Krieg, der seine Schatten vorauswarf, brachten das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ordnung und Chaos erneut in Gefahr. Und dies bedeutete unweigerlich, dass eine neue Inkarnation des Ewigen Kriegers geboren wurde. Alrik Angur von Amhas war ein Brokthar, womit auch diese Inkarnation nicht der dominanten Spezies des Zeitalters angehörte. Aber er wurde in jenes Volk hineingeboren, das als einziges mit der Macht des aufstrebenden Sanskitarischen Städtebundes konkurrieren konnte und im Laufe vieler Jahrhunderte skrupelloser Machtausübung zum unbestrittenen Hegemon Zentralrakshazars aufgestiegen war: Die Amhasim.

Für unzählige Stämme und Völker des Rieslands waren sie Dämonen aus den tiefsten Tiefen der ewigen Verdammnis, doch ihre Heerscharen von Sklaven verehrten sie als erhabene, gottgleiche höhere Wesen. Die Amhasim galten als ruchlos und arrogant. Sie hatten die am weitesten entwickelte Zivilisation des Rieslands hervorgebracht, eine Kultur mit beein­drucken­den Errungenschaften. Insgeheim begriffen sie sich als die Erben der untergegangenen Hoch­kultur, deren Metropole einst im Herzen Rakshazars befand, so wie Amhas in der Gegenwart. Der Erfolg der Amahasim wurzelte in der grausamen Versklavung unzähliger Unschul­di­ger aus allen erdenklichen Völkern. Der brutale, in schwarzes, stachelbewehrtes Eisen gehüllte Arm der Amhasim vermochte bis in den letzten Winkel des Kontinents zu reichen, zum stummen Entsetzen all ihrer Opfer.

Wie so viele Inkarnationen des Ewigen Kriegers zuvor ahnte auch der 702 BF geborene, auf den überaus seltenen Namen Alrik getaufte Sohn des amhasischen Senators Palpatos nichts von seiner Bestimmung. Als Alriks Vater begriff, dass sein Sohn krank auf die Welt gekommen war, versuchte er seine Geburt geheim zu halten, was ihm aber nur für eine kurze Weile gelang. Es begann sich herumzusprechen, dass Alrik körperlich schwach war, krankheitsanfällig und melancholisch, stets schwankend zwischen grüblerischer Inaktivität und echten Depressionen. Seine Haut war selbst für amhasische Verhältnisse kalkweiß, seine Augen glühten förmlich rot und waren überaus lichtempfindlich, ein Albino in einem Volk der extrem Weißhäutigen. Dies kostete Palpatos in einem Staat, dessen Einwohner in Anmaßung und Größenwahn nicht weniger als die Perfektion eines Übermenschen anstrebten, eine Menge gesellschaftlicher Reputation. Dass er seinen Sitz im Senat nicht vollständig verlor, war allein der Tatsache zu verdanken, dass Alrik einen brillanten Geist aufwies und in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen, Philosophie, Geschichte, Rechtskunde, Kriegskunst, Metallverarbeitung, Sklaven­hal­tung, Handel, Reitkunst, Etikette und Staatskunde durch seine rasche Auffassungsgabe, sein eidetisches Gedächtnis und seine überragende Problemlösungsgabe heraus­stach. Damit er aber überhaupt aus dem Bett kam, sich auf den Beinen halten konnte und es schaffte, einen Tag voller Herausforderungen heil zu überstehen, war er zunehmend auf Medi­kamente, schließlich auf Betäubungsmittel angewiesen, und außerdem auf den Einsatz von Heilern, deren Ram seinen welkenden Körper stärkte.

Der unbeugsame Stolz ließ nicht zu, dass Palpatos die Kränkungen unwidersprochen hinnahm, nicht die, die seinem Sohn zugefügt wurden, und erst recht nicht jene, die er selbst erleiden musste. Er beschloss, Rache an den übrigen Angehörigen seines Volkes zu üben. Palpatos wusste, dass seit vielen Generationen große Unzufriedenheit unter Teilen der Sklaven herrschte, die sich so vollkommen von der unterwürfigen, den Gottstatus der Amhasim aner­kennenden Demut der alteingesessenen Sklaven unterschied, welche das Verhältnis der Amhasim und ihrer Diener normalerweise prägte. Vor mehreren Jahrhunderten war ein fremdländischer Agitator in Amhas erschienen und hatte unter den Sklaven den Gedanken an Freiheit verbreitet und damit den Funken der Rebellion entfacht. Noch war die Lage unter Kontrolle. Die Amhasim schienen ungebrochen einig und mächtig, und den Sklaven fehlte es an einer charismatischen Persönlichkeit, welche sie einigte und führte. Amhas war ein Pulver­faß, doch es würde nicht explodieren, wenn niemand ein Feuer legte. Wie gut, dass Palpatos die lodernde Fackel der Vergeltung in seinen Händen hielt.

Der Senator wusste, dass die Anfeindungen und Ausgrenzungen auch an seinem Sohn nicht spurlos vorübergingen. Nicht, dass er Sympathien für die Sklaven hegte, aber von denen wagte es niemand, ihn mit derselben Geringschätzigkeit zu behandeln, die ihm von Seines­gleichen entgegengebracht wurde. Für Alrik und die Unzufriedenen unter den Sklaven waren die Amhasim ein gemeinsamer Feind. Palpatos musste nur dafür sorgen, dass sein Sohn und die Entrechteten zusammenfanden, um ihn mit vereinten Kräften zu bekämpfen.

Die Gelegenheit ergab sich, als 729 BF der Senat Robinius Hodor zur Fahndung ausschrieb. Er war ein Sklave aus dem Volk der Sanskitaren, der seit Monaten unauffindbar war und ab und an von sich reden machte, indem er die amhasischen Herren um ihre Besitztümer erleichterte und sie einsetzte, um Sklaven, die in Not geraten waren, zu helfen. Er versorgte sie mit medizini­schen Gütern, bestach korrupte Amhasim oder andere Sklaven, damit sie bestimmten Familien einen besseren Status verschafften, oder er kaufte Sklaven frei oder verhalf ihnen zur Flucht. Der Senat hegte den Verdacht, dass eine der Ihren, die den Idealisten angehörige Senatorin Morena Marian Mothma, den Rebellen heimlich unterstützte. Palpatos beauftragte Alrik da­mit, Robinius Hodor ausfindig zu machen und wenn möglich Beweise gegen die umtriebige Senatorin zu sammeln.

So verließ Alrik von Amhas den Inneren Ring – zum ersten Mal in seinem Leben. Da er sich in den anderen Stadtringen nicht auskannte und er außerdem damit rechnen musste, dass man ihm als Angehörigen der Herrscherspezies gewisse Informationen vorenthalten würde, wurde ihm ein Führer aus den Reihen der Sklaven zur Seite gestellt, der Nordländer Jhorek Kornalian. Kornalian spielte die Rolle des loyalen Alteingesessenen, der die Amhasim wie Götter verehrte, perfekt. In Wahrheit hegte er jedoch große Sympathien für die Sache von Robinius Hodor und die der übrigen Unzufriedenen. Da er das Potenzial Alriks erkannte, der in der Amhasim-Gesell­schaft ein Außenseiter war, bemühte er sich sehr darum, das Vertrauen des anderen zu gewin­nen und ihn positiv für die Belange der Sklaven einzunehmen. Jhorek sprach sich dabei mit anderen Sklaven ab, die Alrik mit genau den Informationen versorgten, welche ihren Belangen dienten. Es folgte eine Ulissee durch zahlreiche Sklavenunterkünfte in allen drei Stadtringen, auf der Alrik und Jhorek scheinbar Hinweisen auf Robinius Hodor folgten. De facto jedoch führten die Sklaven den Senatorensohn gezielt dorthin, wo das Elend am größten war.

Da die Sklaven Alriks Gesundheitszustand kannten, sorgten sie dafür, dass seine Rückkehr in die Oberstadt sich um mehrere Stunden verzögerte. Der Senatorensohn, abgeschnitten von seinen Drogen und der Chutram-Behandlung, brach schließlich reglos zusammen. Die Sklaven brachten ihn in eine ihrer Unterkünfte und kümmerten sich darum, dass er Hilfe erhielt, und zwar durch Robinius Hodor, welcher der jüngsten Inkarnation des Ewigen Kriegers die dringend benötigten Mittel beschaffte. Da Alrik sich noch mehr als eine Stunde lang nicht rühren konnte, nutzte Hodor die Gunst dieser Stunde und sprach über die Situation der Sklaven, über die Verbrechen der Amhasim und über die Gründe, warum er sich für die Schwächster der Schwachen und die Ärmsten der Armen einsetzte. Zehn Minuten bevor Alrik seine Bewegungsfreiheit zurückerhielt, verabschiedete sich Robinius und verschwand im Getümmel der Großstadt.

Alrik, tief bewegt von allem, was er gesehen hatte, kehrte in die Oberstadt zurück und verlang­te eine Audienz vor dem Senat. Dort sprach er von allem, was er gesehen hatte, und unter­breitete den Senatoren den Vorschlag, im Umgang mit den Sklaven eine andere Politik zu verfolgen. Der Senat solle selbst die benötigten Güter zur Verfügung stellen. Die Sklaven würden ihm dankbar sein und keine andere Wahl haben, als die Güte und Großzügigkeit der Amhasim als Teil ihrer überlegenen Natur anzuerkennen. Außerdem würde es eines Robinius Hodor dann nicht mehr bedürfen. Man könnte ihn begnadigen und so verhindern, dass er unter den Sklaven zum Volkshelden und Märtyrer aufstieg.

Obwohl Alriks Vorschläge die vernünftigste Lösung darstellten, brachte er damit die meisten Senatoren gegen sich auf. Mildtätigkeit und Nachgiebigkeit passten nicht zum amhasischen Selbstver­­ständnis. Alrik wurde teils ausgelacht, größtenteils angefeindet. Nur die Idealisten, allen voran Senatorin Mothma, unterstützten seine Position. Alrik erhoffte sich Unterstützung durch seinen Vater, doch Palpatos positionierte sich mit harschen Worten gegen seinen Sohn, etwas, das den jungen Amhasim sehr vor den Kopf stieß. Wütend verließ er den Senat, nicht ohne zuvor sein Amt als Ermittler gegen Robinius Hodor niederzulegen.

Alrik zog sich für mehrere Tage grübelnd in seine Gemächer zurück, danach hatte er einen Entschluss gefasst. Er würde die Belange der Sklaven unterstützen. Er rief Jhorek zu sich und teilte ihm seine Pläne mit. Der erklärte sich bereits, als Mittelsmann zwischen dem Amhasim und Robinius zu fungieren. Alrik beschaffte dringend benötigte Güter, besorgte Geldmittel oder öffnete Türen. Zugleich bestach er eine Reihe von Beamten, welche Dokumente und Papiere ausstellten.

Etwa ein halbes Jahr lang ging alles gut, bis Jhorek plötzlich mitten in der Nacht in Alriks Gemächern erschien. Er hatte in Erfahrung gebracht, dass Alriks Verstrickungen in die „Auf­stän­de“ ruchbar geworden waren. Der Senat hatte Bewaffnete entsandt, um Alrik zu verhaften. Der Senatorensohn, der schon seit Monaten damit rechnete, eines Tages die Flucht antreten zu müssen, hatte dafür gesorgt, dass in seinem Exil hinreichend Medikamente und Drogen zur Verfügung standen, um für eine längere Zeit seine Beweglichkeit zu bewahren. Es folgte eine abenteuerliche Flucht durch Kanalschächte und Abflussrohre, Wartungstunnel und Löcher in der Stadtbefestigung, die damit endete, dass Alrik seinen Häschern unbehelligt entkommen war.

Er konnte Amhas nicht verlassen, da die Wachen auf den Ringmauern nach einem abtrünnigen Amhasim Ausschau hielten und er mit seiner selbst für amhasische Verhältnisse hellen Haut kaum eine Chance hatte, nicht aufzufallen. Über kurz oder lang würde man ihn aufspüren, und dann würde es nötig sein zu kämpfen. Alrik war ein passabler Schwertkämpfer, aber er hatte so überstürzt aus dem Anwesen seines Vaters aufbrechen müssen, dass er seine Waffe nicht hatte mitnehmen können. Er fasste deshalb den Plan, einer Legende nachzugehen, die von einem besonderen Schwert berichtete, das in eine Kaverne tief unterhalb der Stadt vermutet wurde.

 

 

Das schwarze Schwert, das Alrik suchte, wurde „Orkanrufer“ genannt. Es hieß, sein letzter Träger sei Brokarius gewesen, Feldherr und rechte Hand des Kriegerphilosophen Brutheus, der das alte Amhas erobert und den Bau des neuen Amhas befohlen hatte. Es kursierten wilde Legenden über die Waffe, von der es hieß, sie habe eine eigene Persönlichkeit und einen eigenen Willen, den sie ihrem Träger aufzuzwingen versuche, sie trinke die Seelen ihrer Opfer und führe das daraus gewonnene Nayrakis ihrem Träger zu, sie sei im Chaos geschaffen worden und stets bereit, ihm zu dienen, sie bewahre das Gleichgewicht der Kräfte oder auch, dass ihr Erscheinen stets gewaltige Umwälzungen und Veränderungen nach sich ziehe. Man erzählte sich außerdem, die Waffe sei Brokarius zum Verhängnis geworden. Sie habe ihn zunächst gezwun­gen, jeden zu töten, den er liebte, und dann sein eigenes Leben genommen. Um zu verhindern, dass Orkenrufer weiterhin seinen unheilvollen Einfluss verbreiten konnte, sei das Schwert in ein Gewölbe tief unterhalb der Stadt gebracht worden, das man daraufhin sorgsam verborgen und versiegelt hätte.

Es stellte sich heraus, dass das gegenwärtige Amhas auf den Resten älterer Bebauung stand. Wenn Weltraumstaub, Wüstensand oder vom Winde hergewehtes Erdreich das Land angeho­ben hatten, waren neue Häuser auf den Ruinen der vorherigen Schicht errichtet worden. Tief im Erdinneren waren sogar noch die Reste einer alten marhynianischen Stadt zu finden, und noch tiefer bizarre Bauten weit älterer Kulturen. Alrik und Jhorek mussten sich durch ein wah­res Labyrinth an Kellergewölben, halbverfallenen Gängen und überbauten Gebäuderesten arbeiten, bis sie endlich das gesuchte Gewölbe fanden.

Das Schwarze Schwert ruhte auf einem verwitterten Sockel aus Basalt, und es schien nur darauf zu warten, dass Alrik es in Besitz nahm. Unsäglicherweise erwiesen sich alle Legenden, die über die Waffe im Umlauf waren, als wahr, wie er nur allzu bald feststellen sollte. Kurz nachdem der Ewige Krieger und sein Begleiter die Unterstadt verließen und in den Mittleren Ring zurückkehrten, wurden sie von einer Patrouille der Amhasim erkannt. Unter normalen Umständen hätten sie zu fliehen versucht, doch Orkenrufer entschied anders. Es sprang förm­lich in Alriks Hand und drängte ihn, sich zum Kampf zu stellen. Nicht der Krieger führte das Schwert, das Schwert führte die Waffenhand des Kriegers, und alsbald lag die dreiköpfige Patrouille erschlagen am Boden. Orkanrufer aber trank ihre Seelen, saugte sich mit Nayrakis voll, das seine lang brachliegende Kraft reaktivierte, und gab einen Teil davon an Alrik ab, der sich auf einmal so vital und lebendig fühlte wie noch nie in seinem Leben. Er kam nun tage­lang ohne Medikamente und Drogen aus, und als die Wirkung nachließ, weckte dies in ihm den Wunsch, erneut zu töten.

Er sollte bald dazu Gelegenheit erhalten. Ein brutaler Sklavenaufseher war dabei, einen Xhul-Sklaven beinahe zu Tode zu prügeln. Diesmal brauchte Orkanrufer Alrik nicht lange zu überreden. Der Ewige Krieger ging mit dem Schwert auf den Amhasim los und erschlug ihn, und wieder floss ein Teil seiner Kraft seinem Träger zu.

Orkanrufer erfüllte seinen Träger mit nie gekannter Kraft, Energie und Lebendigkeit. Aber Alrik musste dafür andere umbringen, und das Schwert machte keinen Unterschied zwischen seinen Freunden und seinen Feinden. Es drängte ihn zu töten, sprang nicht selten von sich aus in seine Hand, und der Ewige Krieger musste die gesamte Macht seines Willens aufbringen, um den des Schwarzen Schwertes niederzuringen. Was ihm nicht immer gelang, vor allem dann nicht, wenn seine Kräfte nachließen. Sein Körper schrie dann förmlich nach der Energie, die ihm aus dem Schwert zufloss. Das Nayrakis und das Sikaryan, welche die Unzulänglichkeiten seines Körpers ausglichen, wirkten wie die Drogen, auf die er einst angewiesen war, und erzeugten massive Entzugserscheinungen, je weniger sie wurden. Alrik begriff zum ersten Mal, dass er sich selbst und das Schwert nicht vollständig unter Kontrolle hatte, als er aus einer tiefen Trance erwachte und vor sich die Leiche einer jungen slachkarischen Sklavin fand, durchbohrt von dem seelentrinkenden Schwert in seinen Händen.

Alriks Handeln blieb in der Oberstadt nicht unbemerkt. Der Ewige Krieger hatte andere Amha­sim getötet, ein Affront, den der Senat keinesfalls hinnehmen konnte. Er entsandte Strafex­peditionen in den Mittleren Ring. Sie sollten Alrik umbringen oder dingfest machen und zugleich Druck auf die Sklaven ausüben. Für jeden toten Amhasim sollten zwanzig Sklaven hingerichtet werden. Dies sollte eine Druckkulisse erzeugen, die dazu führte, dass Alriks Verbündete den Ewigen Krieger ans Messer lieferten. Von der Mehrzahl der Sklaven, die sich wie gewohnt voll­kommen loyal gegenüber ihren gottgleichen Herren verhielten, erwartete man ohnehin, dass sie ihn verrieten, sobald sie ihn erkannten.

Palpatos übernahm es persönlich, die Strafexpeditionen gegen seinen Sohn zu koordinieren. Er ging mit aller Härte gegen die Sklaven vor und konnte dadurch den Verdacht abwenden, mit ihm unter einer Decke zu stecken. Dies hätte das Ende seiner Karriere und wahrscheinlich auch seines Lebens bedeutet. Aber der umtriebige Senator hatte vorgesorgt und diesen Fall mit einkalkuliert. Da Alrik sich trotz aller Bemühungen einer Verhaftung entzog, gelang es Palpatos, den Senat zu überreden, ihm und seinen Truppen eine Reihe von Sonderbefugnissen einzuräumen.

Alrik wurde alldieweil von Robinius Hodor beschützt. Der rebellische Sklave verschaffte dem Ewigen Krieger Unterschlupf, beobachtete die Bewegungen der Häscher und verhalf Alrik zu Flucht, wenn sie ihm auf die Spur kamen. Zugleich wusste er genau, welche Sklaven zu den Loyalisten und welche zu den Unzufriedenen gehörten. Er sorgte so gut er konnte dafür, dass die Strafmaßnahmen der Häscher vor allem fanatische Loyalisten trafen, verbarg Alrik vor den Augen solcher Sklaven und hielt seine schützende Hand über die Unzufriedenen und die Schwachen.

Schließlich zeigte er Alrik das größte Geheimnis der Unzufriedenen. Ein geheimer Tempel, tief in der Unterstadt gelegen, wo sich Hodor und seine Verbündeten so oft sie es vermochten trafen, um ihren Göttern zu huldigen. Es handelte sich um die Dunkle Göttin Ranyakaglara und um den Himmelsdrachen Ahuravovina, zwei Gottheiten, von denen vor rund anderthalb Jahrhunderten ein Prediger aus fremden Landen gesprochen hatte. Die beiden Götter waren ausschließlich den Sklaven in Amhas bekannt, und der Kult war bislang nur einmal außerhalb der Stadtmauern in Erscheinung getreten. Vor einigen Jahrzehnten hatten die Orakel des Kultes der Dunklen Göttin geweissagt, dass eine Intrige gegen die Feste der Theaterritter Thy-Ath-Nog in Gang sei und versucht, deren Untergang abzuwenden – vergeblich. Sehr zum Bedauern der Kultisten, denn über kurz oder lang hätten sich die Interessen von Thy-Ath-Nog zwangsläufig mit denen von Amhas überschnitten und womöglich zum Krieg zwischen den beiden Nationen geführt, etwas, das den Belangen der Sklaven hätte dienlich sein können. Womöglich hätte man die Theaterritter gar dazu bewegen können, die Tyrannei in Amhas zu beenden und die Sklaven zu befreien. Dazu würde es jetzt nicht mehr kommen.

Der Kult wurde von zwei geehrten Schamanenpriestern geführt. Die sanskitarische Priesterin Nedima Bint Mohamur galt als die oberste Dienerin der Dunklen Göttin, der Parnhai Mounau war der Hohepriester des Himmelsdrachen. Die Kultisten begegneten dem Amhasim zunächst mit großem Misstrauen und fürchteten schon, dass Robinius den Tod in ihre Heiligen Hallen geführt hatte, aber nachdem Alrik zum wiederholten Male Kultisten vor der Verfolgung durch die Amhasim gerettet hatte, legte sich ihre Abneigung. Alrik war zu sehr im amhasischen Denken verhaftet, um sich dem Kult anzuschließen, betrachtete seine Anhänger aber mit Wohlwollen.

In den kommenden Wochen brach ein Katz- und Mausspiel los, bei dem die Senatstruppen Alrik durch die halbe Stadt hetzten und immer wieder Exempel an den Sklaven statuierten. Die Stimmung heizte sich auf, und selbst unter den Loyalisten machte sich Unmut über die Willkür der amhasischen Herren breit. Senatorin Mothma versuchte die Lage zu retten und Palpatos zu einer weniger harten Vorgehensweise zu bewegen, der aber das genaue Gegenteil tat und weitere Sklaven hinrichten ließ. Schließlich gelang es den Amhasim, Robinius Hodor dingfest zu machen. Senatorin Mothma beschwor den Senat, ihn zu begnadigen, seine Hinrichtung würde ihn in den Augen der Sklaven zum Märtyrer machen und zur weiteren Eskalation der Ereignisse beitragen. Senator Palpatos wusste, dass sie recht hatte, ordnete aber dennoch die Exekution des Gefangenen an, denn die Eskalation der Ereignisse war exakt das, was er beab­sichtigte und was nötig war, um seine Pläne zum Abschluss zu bringen.

 

Die Flucht der Angurianer

Die Hinrichtung des Auführers Robinius Hodor wurde von Palpatos im Mittleren Ring als martialisches Spektakel inszeniert, das vor den Augen möglichst vieler Sklaven stattfinden sollte, angeblich, um sie vor weiterem Aufruhr abzuschrecken. Der Senator sorgte dafür, dass die Details der geplanten Exekution bis zu seinem Sohn vordrangen, der somit nicht umhinkam, Hodors Befreiung zu versuchen, selbst wenn er davon hätte Abstand nehmen wollen.

Die Unzufriedenen sammelten jeden der Ihren, der nur ein wenig vom Kriegshandwerk ver­stand, und besetzten strategisch wichtige Positionen an dem Ort, wo die Hinrichtung statt­finden sollte. Die Stimmung tendierte endgültig zur offenen Rebellion. Selbst unter den Loyalisten gärte es so sehr, dass schwerlich zu erwarten war, dass sie sich den Amhasim helfend zur Seite stellen würden. Die meisten von ihnen würden sich passiv verhalten und nicht in eventuelle Kämpfe eingreifen.

Inzwischen schrieb man das Jahr 730 BF. Die geplante Hinrichtung verlief exakt nach Zeitplan. Es wurde ein Richtbock aufgebaut, auf dem dem Delinquenten der Kopf abgeschlagen werden sollte. Die Senatstruppen erschienen samt Henker und Gefangenem genau zur vorhergesehe­nen Zeit. Doch bevor noch das Richtbeil herabsausen konnte, um Hodors Kopf von seinem Rumpf zu trennen, gab Alrik von Amhas das Zeichen zum Angriff. Zum ersten und einzigen Mal erhoben sich die Sklaven von Amhas gegen ihre Peiniger.

Alrik und Jhorek führten den Aufstand an und kämpften an vorderster Front. Der Ewige Krieger lernte eine neue Facette an Orkanrufer kennen. Das Schwert badete im Blut seiner Feinde und schrie triumphierend auf ob der geballten Kraft, die ihm zufloss. Dies äußerte sich als ohrenbe­täubender hochfrequenter Ton, der über das Schlachtfeld gellte und alleine viele Gegner und Verbündete des Ewigen Kriegers und seines Begleiters zu Boden gehen ließ. Als sich auch die Sklaven, die Alrik bewaffnet hatte, gegen die Amhasim wandten, fingen diese an, ein furcht­bares Gemetzel anzurichten, wobei sie keine Unterschiede machten zwischen loyalen, aufständischen oder neutral bleibenden Sklaven. Dies führte dazu, dass sich weitere Sklaven gegen ihre Peiniger erhoben, bis sie sich schließlich beinahe geschlossen gegen die Amhasim wandten und die Senatstruppen einfach mit ihrer schieren Masse überrannten.

Alrik kämpfte sich zu Robinius durch und wollte mit Orkanrufer seine Fesseln durchtrennen, doch das Schwert konnte nicht genug bekommen und übertrug seinen Blutrausch auf Alrik, der stattdessen die Brust des Sklavenführers durchbohrte. Gierig trank das Schwarze Schwert seine Seele. Alrik war entsetzt, doch seine Tat blieb unentdeckt. Im Chaos der Schlacht hatte ihr niemand Beachtung geschenkt, und als die Sklaven den Tod von Hodor entdeckten, lasteten sie ihn den Amhasim an und zogen noch zorniger gegen sie zu Felde. Diejenigen, die nicht erschlagen wurden, wandten sich panisch zur Flucht.

Der Senat vermisste alldieweil seinen Anführer, Konsul Hermano Weiher. Senatstruppen stürmten seine Villa und fanden ihn tot in seinem Bett liegend, offenbar vergiftet von einer Leibsklavin, die als flüchtig galt. Die Nachricht vom Ableben des Staatsoberhaupts traf etwa zeitgleich mit jener vom Aufstand der Sklaven im Mittleren Ring im Senat ein und drohte das altehrwürdige Gremium ins Chaos zu stürzen. Es kam zu einer hitzigen Debatte, durch die wertvolle Zeit verstrich. Inzwischen beschränkte sich der Sklavenaufstand nicht mehr auf den Ort, an dem Robinius hatte hingerichtet werden sollen. Überall in der Stadt begannen Kämpfe zwischen den Sklaven und ihren Aufsehern. Die Amhasim waren an Ausbildung, Kampfstärke und Bewaffnung ihrem Lebendeigentum haushoch überlegen, aber die Sklaven erdrückten ihre Peiniger durch ihre schiere Zahl.

Palpatos sah dem Treiben mit versteinerter Miene schweigend zu. Solange, bis er überzeugt war, dass die Amhasim die Schlacht gegen die Sklaven verlieren würden, wenn nichts geschah. Dann endlich ergriff er das Wort und verlangte, in einer Eilentscheidung zum Konsul gewählt zu werden. Er gab vor, die vergangenen Stunden genutzt zu haben, um eine Sondereinheit aus dem Boden zu stampfen, welche den Aufständischen trotzen könne. Aber ohne die nötigen Befugnisse könne und wolle er sie nicht zum Einsatz bringen. Gegen die Stimmen der Idealisten und zu Senatorin Mothmas Entsetzen wurde Palpatos tat­sächlich zum Konsul ernannt und setzte seine Truppen in Marsch.

Das neue Staatsoberhaupt hielt Wort. Seine Truppen, die er in Wahrheit schon seit Monaten ausgerüstet und trainiert hatte, damit sie auf genau diesen Augenblick vorbereitet waren, fuhren unter die Sklaven und schlugen den Aufstand brutal nieder. Nicht einmal Alrik, der voll war vom Sikaryan und Nayrakis, welches Orkanrufer an ihn abgegeben hatte, und kaum noch aus dem entrückten Kampfrausch geweckt werden konnte, in dem er wütete, kam gegen ihre geballte Macht an. Obwohl sich der Ewige Krieger gegen die Entscheidung sträubte, setzte sich Jhorek schließlich mit seiner Auffassung durch, dass es Zeit sei, den Rückzug anzutreten und danach die Flucht.

Tatsächlich hatte der Plan der Unzufriedenen genau das vorgesehen. Es bestand keine Hoffnung, den Amhasim dauerhaft die Herrschaft über die Stadt zu entreißen. Doch solange in der Stadt Amhas Anarchie herrschte und die Aufseher erschlagen waren, bestand die Möglichkeit zu fliehen. Diese war durch die Hohepriester Nedima Bint Mohamur und Mounau organisiert worden. Mit Hilfe ihrer schamanischen Kräfte traten sie in telepathischen Kontakt mit allen Sklaven und forderten sie auf, sich ihnen anzuschließen. Unter der Führung der Priesterschaft flohen die Unzufriedenen in Scharen aus der Stadt, und hin und wieder schlossen sich ihnen neutrale Sklaven oder gar Loyalisten an, welche die Rache der Amhasim fürchteten, die den Aufstand ihrer Untergebenen gewiss hart bestrafen würden. Fast achttausend Gefangene entkamen auf diese Art und Weise ihrem fremdbestimmten Dasein.

Alrik, Jhorek und die überlebenden Bewaffneten unter den Sklaven deckten die Flucht der menschlichen, orkischen und Brokthar-Sklaven, indem sie den Vormarsch der Truppen des neuen Konsuls verlangsamten. Gewinnen konnten sie die Schlacht auf Dauer nicht. Als die letzten Unzufriedenen die Flucht aus Amhas angetreten hatten, verschanzten sich die Bewaff­neten auf der äußeren Stadtmauer und hielten sie noch beinahe sechs Stunden lang, um den Flüchtenden einen Vorsprung zu verschaffen.

Der Ewige Krieger hatte dafür Sorge getragen, dass die Sklaven die Reittiere der Amhasim erschlugen. Mitnehmen konnten sie sie nicht, da die auf Loyalität zu ihren Reitern gedrillten Tiere sich ihnen nicht unterworfen hätten, aber immerhin waren die Verfolger so daran gehindert, den Entflohenen nachzupreschen. Zu Fuß jedoch würden sie in ihren schweren stählernen Rüstungen nur langsam vorankommen, langsamer als die Sklaven allemal.

Nedima und Mounau blieben an der Mauer zurück. Sie sahen es als ihre Pflicht an, die Flucht der Sklaven zu decken, solange sie es vermochten. Dies wurde ihnen zum Verhängnis. Als es zur finalen Schlacht um die Stadtmauer kam, gelang es Alrik wiederum nicht, Orkanrufer zu bändigen, und das Schwarze Schwert führte seine Hand, erschlug die Verbündeten und trank ihre Seelen. Unter den Kultisten blieb diese Version der Geschehnisse unbekannt. Als ihre Hohepriester verschwunden blieben, verbreitete sich unter ihnen die Mär, die Dunkle Göttin und der Himmelsdrache hätten die Schamanenpriester entrückt und zu sich geholt, nun, da sie ihre derische Bestimmung erfüllt hätten. In jedem anderen Kult wären sie zu Heiligen aufgestiegen, doch dem Kult der beiden Gottheiten war eine derartige Personenverehrung wesensfremd.

Schließlich flohen auch Alrik und Jhorek aus Amhas. Sie verzichteten darauf, den Sklaven zu folgen. Dank Orkanrufer war es gelungen, den Unzufriedenen die Flucht zu ermöglichen. Doch das Schwarze Schwert hatte dafür einen viel zu hohen Tribut verlangt und das Leben sämt­licher Anführer der Aufständischen gefordert. Alrik konnte sich nicht wieder in ihre Nähe wagen. Orkanrufer würde ihn zwingen, weitere von ihnen zu töten. Der Ewige Krieger und sein Begleiter zogen weiter, zunächst in Richtung Ronthar, wo Alrik Hinweise zu finden hoffte, wie sein finsterer Besitz unter Kontrolle zu bringen sei.

Im Senat traf Konsul Palpatos einige unerwartete Entscheidungen. Ohne die Reittiere erschien eine Verfolgung der Flüchtigen aussichtslos, sodass er zunächst davon Abstand nahm, eine solche anzuordnen. Es würde später gelingen, die Aufständischen wieder einzufangen und sie zu strafen. Senatorin Mothma forderte leidenschaftlich, auf allzu krakonische Bestrafung der verbleibenden Sklaven zu verzichten, und zu ihrer Überraschung pflichtete Palpatos ihr bei und stimmte versöhnlichen Maßnahmen zu, wie etwa einer geeigneteren Unterbringung und einer besseren medi­zi­ni­schen Versorgung der Arbeitskräfte. Binnen weniger Wochen kehrte wieder Ruhe in der Stadt ein. Die Lücken, welche die Flucht in den Reihen der Sklaven hinterlassen hatte, wurden durch intensive Neufänge geschlossen, und der Aufstand wurde zu einer Art Tabu, über das niemand zu reden wagte. Die Sklaven fürchteten die Vergeltung ihrer Aufseher, soll­ten sie beim Gespräch über die zurückliegenden Ereignisse erwischt werden, und die Amhasim ertrugen die Vorstellung kaum, dass einer der Ihren sie verraten hatte, dass die niederen Völker sich gegen ihre Herren erhoben hatten und dabei auch noch erfolgreich gewesen waren. Ein Trauma, das an ihrem Selbstwertgefühl nagte und das sie zu verdrängen trachteten.

In den kommenden Wochen dünnten sich die Reihen des Senates auf erschreckende Weise aus. Eine Reihe von Senatoren verschwand spurlos oder erlitt teilweise grotesk anmutende Unfälle. Darunter befanden sich vor allem politische Gegner des neuen Konsuls und solche Senatoren, die zuvor ihn oder seinen Sohn angefeindet oder verspottet hatten. Senatorin Mothma fürchtete um ihr Leben, weigerte sich aber, ihren Posten zu verlassen, doch ihre Sorge war unbegründet. Niemand vergriff sich an ihr, und Palpatos bemühte sich sogar darum, sie stärker in seine Entscheidungen einzubeziehen.

Die entflohenen Sklaven zogen in Richtung Süden, ins Yal-Hamat-Gebirge. Dies war die einzige Fluchtrichtung, in der die Hoffnung auf ein freies Leben bestand. Der Westen wurde von den Feinden aus Amhas dominiert, im Osten schloss sich das Kurotanische an, wo Scharen entflohener Sklaven aus Amhas, welche die Sklavenjäger zu Vergeltungsexpeditionen einluden, gewiss nicht willkommen waren. Im Norden bildete das Totenwasser eine unüberwindliche Barriere, hinter der sich zudem die Minen der Amhasim anschlossen, und dahinter die verheer­ten Lande, die Opfer des Kometen Kataklys geworden waren. Nur das Gebirge bot die Chance, eine neue Heimat zu finden.

Nachdem die Geflüchteten dort angekommen waren, feststellten, dass die Amhasim ihnen nicht gefolgt waren und endlich ein wenig zur Ruhe kamen, bestimmten sie neue Anführer und neue Hohepriester des Kultes der Dunklen Göttin und des Himmelsdrachen. Ihr junges Volk nannte sich Angurianer, die Kinder der Freiheit. Wenn man später von Alrik von Amhas hörte, der ihren Auszug in die Freiheit überhaupt erst ermöglicht hatte, wurde stets auch sein Zweitname genannt, den er von nun an voller Stolz führte: Angur. Als Alrik Angur von Amhas ging er in die Geschichte ein.

Ihre Vergangenheit in Gefangenschaft der Amhasim konnten die Angurianer niemals vergessen. Und vergessen hatten sie auch nicht die Predigten des Fremden, der vor anderthalb Jahrhunderten zu ihnen von der Freiheit und ihrem Wert gesprochen hatte. Das Streben nach und die Verteidigung der Freiheit nahm von nun an den höchsten Stellenwert in der angurianischen Gesellschaft an, zuweilen auch auf Kosten ihrer Einigkeit.

 

An Khoral

Im Laufe der nächsten Jahre durchwanderten die Angurianer das Yal-Hamat-Gebirge. Zunächst lebten sie nomadisch. Sie fertigten Zelte aus Tierhaut, folgten den Bewegungen des jagdbaren Wildes und wichen Amhasim aus, die das Gebirge auf der Suche nach ihren entflohenen Sklaven durchstreiften. Dafür, dass ihnen das gelang, sorgte zum einen Thufir vom Djer Mussa, der aus Orakeln und Prophezeiungen wusste, dass die Angurianer in der Zukunft eine bedeu­tende Rolle spielen würden und deshalb heimlich seine schützende Klaue über sie hielt wie zuvor über Remshen und Irrogoliten, und zum anderen die Kalkarim, große, rabenähnli­che Vögel mit beinahe menschli­cher Intelligenz und unheimlichen leuchtenden Augen, mit denen die Neuankömmlinge kurz nach ihrer Ankunft einen Pakt geschlossen hatten. Die Kalka­rim werden nicht bejagt und erhal­ten jedes Mal einen signifikanten Anteil an der angurianischen Jagdbeute, dafür gewähren sie den ehemaligen Sklaven Beistand und Schutz. Dazu gehört auch, dass die Vögel die Angurianer vor Gefahr warnen oder ihnen den Weg zu lohnender Beute weisen. Einige wenige der Rabenvögel, die rund anderthalbfache Adlergröße aufweisen, zeigen Interesse an der Sprache der Zweibeiner und lernen sie in der Regel sehr schnell, den meisten von ihnen ist dies allerdings zu lästig. Der Humor eines Kalkar ist schwarz wie sein Gefieder, und zuweilen entwickelt die Spezies morbide Vorlieben. Kalkarin sehen dem langsa­men Tod eines Lebewesens zuweilen genauso interessiert zu wie seinen seltsamen Paarungs­gewohnheiten. Die Angurianer haben unter dem bizarren Humor der Vögel zu leiden, doch wissen beide Seiten die Vorteile des Bündnisses zu schätzen. Viele Lagerfeuergeschichten berichten von gemeinsamen Abenteuern.

Um den Angurianern Hoffnung zu geben, erzählten die Schamanen­priester der Dunklen Göttin und des Himmelsdrachen Geschichten vom Land der Verheißung, in welchem die Angurianer Frieden und eine neue Heimat finden würden. Binnen weniger Jahre wurde daraus ein allgemein verbreiteter Volksglaube, der dem gesuchten Paradies längst einen Namen gegeben hatte. An Gur, Berg/Feste der Freiheit/Schönheit, Heiligtum der beiden Gottheiten und schicksalhafte Heimat der einstigen Sklaven.

Wohin sie auch gingen, die Angurianer hielten Ausschau nach einem solchen Ort, an dem sie neue Wurzeln schlagen und sesshaft werden konnten, mit genügend Wasser und Nahrung in der Nachbarschaft und so weit abgelegen, dass die Amhasim sie dort nicht entdecken würden.

Rund zehn Jahre nach ihrer Flucht aus Amhas ins Yal-Hamat-Gebirge, im Jahre 740 BF, fanden die Angurianer das gesuchte Utopia, oder zumindest das, was sie dafür hielten. Es waren mit großer Wahrscheinlichkeit Jäger, welche den verborgenen Gebirgspass entdeckten, indem sie den Spu­ren von Wildtieren folgten. Die Schamanenpriester der beiden angurianischen Götter indes erzählten dem Volk alsbald von einer Offenbarung durch den Himmelsdrachen, welcher sein auserwähltes Volk wie versprochen in eine neue Heimat geführt habe.

Der Berg, den die Angurianer entdeckt hatten, beherbergte ein gut verborgenes, gewaltiges Höhlensystem, das womöglich nicht natürlichen Ursprungs war. Einiges deutet darauf hin, dass die Marhynianer zu Zeiten des Imperiums an dieser Stelle Bergbau betrieben haben.

Für die Neuankömmlinge wurde dieser Ort zum An Gur der Prophezeiungen, Heiligtum der beiden Gott­heiten und neue Heimstatt der Angurianer. Als sich das neue Volk an dem ihm als heilig geltenden Berg niederließ, taufte es ihn so, wie die Weissagungen es verlangen. Das “An” in “An Gur” bedeutet dabei “Berg” oder “Festung”, “Gur” bezeichnet die Freiheit und die Schönheit. Die ersten allgemein akzeptierten Vokabeln, aus denen sich im Laufe der nächsten Jahrhun­der­te die ebenfalls nach ihnen benannte Zunge Angurak entwickelte.

Im Laufe der Folgejahre entstand in den Höhlen des An Gur An Khoral, was in wörtlicher Übersetzung „Berg des Volkes“ bedeutet und im übertragenen Sinne „das Herz der Freiheit“. Eine Stadt, die den Angurianern als ebenso heilig gilt wie der Berg, in dem sie sich befindet. Heute leben hier rund 40.000 von ihnen.

Die Amhasim freilich umschreiben An Khoral bis in die Gegenwart hinein mit anderen Begrifflichkeiten. Für sie ist es „dieses Rebellennest“ und hinter vorgehaltener Hand auch „Schande des Senats“. Andere Völker halten An Khoral für einen sagenhaften Ort der zügello­sen Träume, auf den sie ihre Bedürfnisse, Wünsche und Begierden projizieren, ein märchenhaftes Utopia, in dem jeder Wunsch in Erfüllung gehen und jedes Leid enden soll. Viele glauben, dass der Ort gar nicht existiere, sondern bestenfalls ein Spiegel der sterblichen Seele sei.

Während An Khoral erst im Laufe der Jahrhunderte zu seiner heutigen Ausdehnung und Größe heranwuchs, wurde es von Beginn an als Heiligtum des Kultes um die Dunkle Göttin und den Himmelsdrachen betrachtet und stellt damit das spirituelle Zentrum des Siedlungsgebietes der Angurianer dar. Neue Schamanenpriester werden ganz überwiegend an diesem Ort ausgebil­det.

Die einstigen Sklaven, denen sich nun vermehrt andere Nomaden und Vertriebene anschlos­sen, übernahmen von ihren einstigen Herren deren „demokratisches“ Staatssystem. Aufgrund des außerordentlichen Stellenwerts, den die Freiheit in der Philosophie der Angurianer genießt, steht allerdings allzu oft die Entscheidung des Individuums über dem Mehrheitsentscheid. Die Lebenseinstellung des Angurianers ist von dem unbändigen Willen geprägt, seine Freiheit um jeden Preis zu verteidigen. Dies führte dazu, dass sich das einstige Sklavenvolk schon bald nach seiner teilweisen Sesshaftwerdung dem Kriegshandwerk zu widmen begann und im Laufe der Jahrhunderte einige der ausdauerndsten und zähesten Kämpfer des Kontinents hervorge­bracht hat.

Selbst Angurianer, die einer anderen Profession folgen, werden in den Kriegskünsten geschult, um den ihnen körperlich oft überlegenen Amhasim die Stirn bieten zu können. Schon die Kinder werden von den Priestern der Dunklen Göttin darauf trainiert, lautlos zuzuschlagen und ungesehen zu verschwinden, das Grauen unter ihre Feinde zu tragen und die eigenen Ängste zu beherrschen.

Es gibt jedoch auch Angurianer, deren Hauptprofession der Kampf ist. Sie bevorzugen eine besondere Form der Kriegerehre. Mit den Amhasim verbindet sie eine Art Hassliebe, die sie als „wertvolle übermächtige Feinde“ betrachten, bei deren Bekämpfung sie nur an Perfektion und persönlichem Wachstum gewinnen können. Solche Kämpfer suchen bisweilen absichtlich die Konfrontation mit den Feinden und fordern sie zum Kampf heraus.

Die Kernaussage des Kultes von Himmelsdrache und Dunkler Göttin lautet: Stelle dich deinen Ängsten, denn die Göttin ist das Grauen aus der Tiefe, und sie prüft unablässig deinen Mut. Nur wenn du dich deiner Furcht stellst, wirst du befreit werden, und der Anblick der Göttin birgt keine Schrecken mehr, sondern höchste Lust.

Der Himmelsdrache indes fordert: Schärfe deinen Verstand, denn ohne ihn bist du nur ein mutiger Narr.

Regeln und Verbote sind dem Kult fremd. Nach seinem Verständnis sollte sich niemand an­maßen, zu entscheiden, was die aus dem Ewigen Chaos geborenen Mächte genau von den Sterblichen verlangen. Als gesichert gilt lediglich, dass die Dunkle Göttin das Blut und den Körper eines Verstorbenen wieder zu sich nimmt und der Himmelsdrache in leidenschaftlicher Vereinigung mit ihr sie zu neuem Leben erweckt. Durch die Wiedervereinigung mit dem Überderischen gewinne die Seele an Macht und Weisheit, sodass sie bei jeder Inkarnation an Macht, Weisheit und innerer Stärke gewinne.

 

Die Höhlenstadt An Khoral

Der einsame Gebirgspass, den die Jäger fanden, stellt den einzigen Zugang zum versteckten An Khoral dar. Er ist an vielen Stellen so schmal, dass kaum zwei Personen nebeneinander Platz finden. Die Angurianer haben hier bereits erste Verteidigungseinrichtungen installiert, beste­hend aus Felsenfallen, Brücken mit Sollbruchstellen und einigen Exemplaren der feuerspritzen­den Drachenschlünde.

Der heilige Berg selbst thront über einem üppig grünen Tal, dessen langgestreckte Geysirse­en und fruchtbare Auen von unterirdischen Quellen, mächtigen Wasserfällen und Wildbächen gespeist werden. Das gesamte Hochplateau ist rundherum von den Bergketten des Yal-Hamat begrenzt, deren Gipfel an dieser Stelle zwischen 3.500 und 5.000 Schritt hoch aufragen. Die von vulkanischer Aktivität geprägte Landschaft ist stark zerklüftet und von Kalksteinterrassen, Klammen, bizarren Felsformationen und üppigem Mischwald durchzogen.

Die Temperaturen im Tal sinken selbst im Winter niemals unter den Gefrierpunkt. In der Nähe der heißen Quellen ist es noch einmal deutlich wärmer. Das äußerst wildreiche Gebiet er­streckt sich über eine Länge von gut achtzig Meilen und ist an der ausgedehntesten Stelle etwa fünfzig Meilen breit.

Die eigentliche Stadt beginnt zu Füßen des majestätischen Berges An Gur an den Ufern des Flusses Inawa und des Quelltopfsees Liamun. Der Wanderer gewahrt – sich von Nordwesten dem Heiligen Berg nähernd – zunächst die Zelte und Baumhäuser der Jäger, die Gestelle zum Trocknen des Fleisches, die Gerbergruben und Räucherhütten, die Fischerflöße auf dem See sowie den großen Tuachplatz mit seinen Handwerkern und Garküchen. Große Hamrakherden durchstreifen das Gebiet und werden bei Bedarf bejagt oder eingefangen und gemolken. Dies ist jedoch nur ein kleiner Teil der Stadt. Das eigentliche Herz An Khorals liegt in dem vom sanf­ten Dämmerlicht der grünlichen Phosphorpilze und der karminrot bis violett leuchtenden Hetrah-Kristalle erhellten Inneren des An Gur. Der Zugang dorthin erfolgt über eine schmale Felsentreppe oder über einen mit Wasserkraft angetriebenen Holzaufzug.

Hat man den schmalen Höhleneingang passiert, betritt man einen basarartigen Bereich, in dem Gebrauchsgegenstände und Beutestücke, Trockenfleischbündel, Ziegenkäselaibe und Handwerksmaterialien in scheinbar ungeordneter Weise und für jeden zugänglich gelagert werden. Jeder nimmt sich von dort das gerade Benötigte und legt seinerseits entsprechend seiner Profession Material hinzu, das der Gemeinschaft zu Verfügung steht. Werden bestimm­te Dinge benötigt, verbreiten Ausrufer die Kunde darüber. „Wir brauchen mehr Fleisch, Brü­der“ oder „Wer uns heute Barumwurzel und Hontig beschafft, soll morgen Blutwein trin­ken“ gehören zur gewohnten Hintergrundkulisse und sorgen dafür, dass wichtige Güter nicht ausgehen. Nicht selten beginnen Handwerker direkt an Ort und Stelle damit, bestimmte Waren weiterzuverarbeiten. Dies bedingt ein reges Treiben im Eingangsbereich, ständig begleitet von Essensgerüchen und lauten Gesprächen.

Nach Durchquerung der rund zweihundert Schritt durchmessenden Vorhöhle erreicht man die Wohnhöhlen, welche durch ein verwirrendes Labyrinth von Gängen, Treppen, Stollen und Schächten miteinander verbunden sind und zum Teil nur kriechend überwunden werden können. Auf dem Weg zur eigenen Behausung muss man dabei nicht selten die Heimstätten anderer Stammesbrüder und -schwestern durchqueren, was als vollkommen selbstverständ­lich hingenommen wird. Im Falle intimerer Begegnungen zieht man sich – wenn überhaupt – einfach in durch Felle oder erbeutete Tücher nur leicht separierte Bereiche zurück. Der durch­schnittliche Angurianer schert sich nicht darum, ob er vor neugierigem Blicken verborgen ist oder nicht. Das Leben in all seinen Facetten findet in der Gemeinschaft statt. Folgerichtig gibt es zahlreiche Gemeinschaftsräume, in denen man sich zum Schwatzen, Ringkampf, Brettspiel, Lieben, Essen, Tanz oder Musizieren trifft. Kanäle und Zisternen sorgen für die nötige Wasserversorgung. Belüftung und Rauchabzug beruhen auf einem ausgeklügeltes Schacht­sys­tem, das teilweise noch aus marhynianischen Zeiten stammt. Immer wieder trifft man auf heiße Quelltöpfe, welche zum geselligen Bad einladen.

Die Bewohner An Khorals scheren sich nicht um Standesunterschiede, Titel oder Privilegien. Jeder leistet den Beitrag zur Gesellschaft, zu dem er persön­lich am besten befähigt ist, und genießt keine irgendwie gearteten Sonderrechte. Streitigkeiten werden durch lautstarke Diskussionen oder einen handwesten Zweikampf bereinigt. Letztere kommen nur selten vor, sind aber in der Regel als ein mit Spannung ver­folgtes öffentliches Spektakel inszeniert.

Steigt man in die Tiefen des Berges hinab, gelangt man zu den dunkleren, räucherwerkge­schwän­gerten Hallen der Umbatarkai, in denen nur noch die violetten Hetrah-Kristalle spärliches Licht spenden. Dort finden sich wunderschöne Tropfsteinhöhlen, Lavakanäle und teilweise überflutete Bereiche, welche von den seltsamsten Wesen der Dunkleheit bewohnt werden. Prächtige Kristalldrusen schmücken Wände und Decken. Sie sind von hohem materiel­len Wert, der aber niemanden zu interessieren scheint. Begibt man sich noch tiefer in das Innere des Berges, erreicht man schließlich die Höhle des Rausches, welche als besonders heilig gilt. In seiner ganzen Schönheit ist dieser Ort nur mit nachtsichtigen Augen zu bewun­dern. In diesem Fall erschließt sich dem staunenden Reisenden eine Märchenwelt aus Kristall und Wasser, natürlichen Brücken und bizarrsten Formen, die von wahrhaft einzigartiger, berauschender Schönheit ist. Ein geheimnisvolles Gas, das aus dem Gestein austritt, sorgt dafür, dass über die Besucher rauschhafte Traumgesichte hereinbrechen und die Finsternis mit den Dämonen oder Musen ihrer eigenen Seele erfüllen. Hier findet sich auch der Tiefenborn, ein bodenloser Abgrund, von dem die Umbatarkai sagen, er sei jener Ort, an den die Seele eines Angurianers geht, um wiedergeboren zu werden. Auf diese Weise finde das Garam des Verstorbenen Zuflucht bei der Allmutter und sei frei vom Zugriff gieriger Geister, Dämonen oder Götter. Für den Eingeweihten sind die Parallelen zwischen dem Tiefenborn und dem ebenfalls im Yal Hamat-Gebirge bei der irrogolitischen Stadt Jalkam gelegene Abgrund offenkundig.

Nimmt der Wanderer von den zentralen Wohnhöhlen aus den Weg nach oben, gelangt er über Treppen und Leitern und durch steile Schächte hinauf bis zur Drachengrotte, dem heiligen Zentrum der Priesterschaft der Anurkai. Hier, nahe dem Gipfel des Berges, führen die Drachen­priester ein Leben in steter Meditation und ergehen sich in philosophischen Betrachtungen. An diesem Ort lagern Schriftrollen und Artefakte. Ständig werden neue Ideen geboren und tiefe Weisheiten erlangt. Die rund fünf Schritt durchmessende Sphäre der Formen bildet den Mittelpunkt der insgesamt etwa vierzig Schritt durchmessenden Grotte. Dieser mannshohe Gwen Petryl schwebt in der Mitte der Höhle, erleuchtet sie und zeigt auf seiner Oberfläche ständig wechselnde Farben und Bilder. Auch erzeugt er Töne und lässt manchmal sogar Worte in seltsamen, größtenteils unverständlichen Sprachen erklingen. Wahrscheinlich stammt auch dieses Artefakt, das von der Drachenpriesterschaft als Weisheitsorakel oder Meditationsfokus verwendet wird, aus der imperialen Ära. An den Wänden und von der Kuppel der Grotte strahlt ein riesiges Bildnis des Himmelsdrachen, das aus tausenden kleiner Gold- und Jadeplättchen besteht. Jede einzelne Schuppe ist von den Priestern mit winzigen Schriftzeichen oder Bildern graviert worden. Diese fügen sich zu Karten, philosophischen Betrachtungen, Geschichtswis­sen, Überlegungen bezüglich der Kriegskunst, Sternkunde, Orakelsprüchen oder Handwerks­wis­sen zusammen. Ständig kommen neue Schuppen dazu und vermehren so den Glanz und die Größe des Drachen, zugleich aber auch das Wissen der Priesterschaft. Befindet sich in Drachenpriester in Meditation, so kann er einzelne Schuppen in der Sphäre der Formen vergrößert wahrnehmen. Wer den Weg in diese schwindelerregenden Höhen nicht scheut, kann zu erstaunlichen Einsichten und zu großem Wissen gelangen. Was die Sphäre der Formen genau ist und warum sie sich an diesem Ort befand, ist eine Frage, über die sich selbst die Drachenpriester den Kopf zerbrechen oder die sie in stiller Weisheit einfach unbeantwortet lassen.

Während An Khoral erst im Laufe der Jahrhunderte zu seiner heutigen Ausdehnung und Größe heranwuchs, wurde es von Beginn an als Heiligtum des Kultes um die Dunkle Göttin und den Himmelsdrachen betrachtet und stellt damit das spirituelle Zentrum des Siedlungsgebietes der Angurianer dar. Neue Schamanenpriester werden ganz überwiegend an diesem Ort ausgebil­det.

 

Das Yal-Hamat-Gebirge – Gleißende Gipfel und finstere Tiefen

Grenzen: Östlich der Gebeinküste bis zur Wüste Lath und bis zur Grünen Sichel. Nördlich bis zur Ebene von Amhas, südlich bis zum Dreistromland.

Landschaft: höhlenreiches Karstgebirge mit hoher Vulkanaktivität. Gebirgszüge bis zu 6.000 Schritt hoch. Viele Wasserfälle, Geysire und heiße Quellen. Tiefe Schluchten und Klammen. Im nördlichen Teil dichter, mediterraner Mischwald, im südlichen Teil subtropischer Felswald. Nahe Teruldan zerklüftetes, trockenes Sandsteingebirge. Im Nordosten an den Gebirgsrändern trockene Steppe und Sandwüste, im Südosten tropische Laub- und Bambuswälder, im Südwesten feuchte Mangrovenwälder.

Klima: im Nordwesten mediterranes, im Nordosten kontinentales Klima, im Süden feucht-tropisch, im Osten nahe der Lath trocken-mediterran. Im Südosten feucht-subtropisch. Im Hochebirge zur Winterzeit Schneefall möglich. Heiße Sommer, gemäßigte Winter. Zum Spätsommer im Süden sehr starker Niederschlag. Im nördlichen Gebirge Schneeschmelze ab Frühjahr. Sehr häufige Gewitter. Oft starker Nebel.

Bewohner: Mischlinge, Faulzwerge, Broktar, Nordländer, Sanskitaren, Braunpezorks, Xhul, Riesen, Trolle, Feenwesen, Elementargeister

Wildvorkommen: Hamrak-Böcke (sehr häufig) Kalkarim (sehr häufig), diverse Spinnenarten (sehr häufig), Höhlentiger (gelegentlich), Säbelzahntiger (gelegentlich), Riesenadler (selten), in den zahlreichen Flüssen und Seen Hechte, Lachse, Riesenwelse, Wasserschlangen (sehr häufig)

Im Norden: Damwild, Rotwild, Schwarzwild (sehr häufig), Luchs, Berglöwe, Donnerantilope (häufig), Riesenfledermaus (häufig), Kurih (häufig), Riesenigel (gelegentlich), Säbelzahntiger (gelegentlich), Panthar (gelegentlich), Boworwolf (gelegentlich), Drachen (Zwergdrache (gelegentlich), Höhlendrache (selten), Kaiserdrache (selten), Düsterwurm (sehr selten), Kazzamuth (sehr selten))

Süden: Diverse Echsenartige, besonders Flugechsen, Hutaffe (gelegentlich), Fetzendrache (gelegentlich)

In den Höhlen: Höhlenspinne, Höhlentiger, Riesenfledermaus, diverse Amphibien und Blindfische, Morfu, Riesenamöbe, diverse Spinnentiere

Flora: Nebeleiche, Riesenesche, Blutulme, Purpurahorn, Birke, Amunok (Traumweide), Pinie, Kachanussbaum, Ölbaum, Ulanok (rakshazarischer Nussbaum), Esskastanie, Eibe, Krüppelkiefer, Riesenschachtelhalm, Riesenknöterich, Blauregen (Kletterpflanze), Buntefeu, Wilder Wein.

Nördliche Wälder und Almen: Azalee, Lilie, Ginster, Distel, Yikh-Ranke.

Südliche Wälder: Bambus, Orchideen, Lotos, Baruma (Ingwer), Riesenschachtelhalm, Nehvizdyella, Lchii.

In Klammen und feuchten Wäldern: Riesenpilze, Sonnenpilze, Riesenschachtelhalm, Knöterich Phosphorpilze, Yikh-Ranke.

In den Höhlen: Phosphorpilze, Moose, Riesenpilze, Yikh-Ranke.

Reiche, Städte, besondere Orte: An Khoral (Hauptstadt der Angurianer), Jalkam (Hauptstadt der Irrogoliten)

Mysteria: Der Tiefenborn (Heiligtum der Ranyakaglara), die Drachenspitze (Heiligtum des Ahuravovina)

 

Schlacht um die Freiheit

Ab 740 BF, dem Jahr ihrer Teil-Sesshaftwerdung, zehn Jahre nach der schambehafteten Flucht ihrer Sklaven, entwickelten sich die Angurianer zu einem ständigen Ärgernis für die Sklavenjäger der Amhasim. Sie hatten sich bewaff­net und in der Kampfkunst geschult, und obwohl ihre Waffen minderwertig waren, ihre Kriegskunst unterlegen und sie zahlenmäßig nicht im Mindesten an die Amhasier heranreichten, ver­setzten sie den Sklavenjägern immer wieder empfindliche Nadelstiche, die in der Summe zu schmerzen begannen. Im Yal-Hamat-Gebirge hatten die Angurianer inzwischen klaren Heimvor­teil. Sie kannten das Gebirge wie ihre Westentasche, wussten um jede Deckung, jedes Versteck, und führten aus dem Hinterhalt heraus einen gnadenlosen Partisanenkrieg gegen jeden Amhasim, der im Gebirge nach Sklaven Ausschau hielt oder es auch nur zu durchqueren trachtete. Immer wieder gelang es ihnen, frisch gefangene Sklaven, die aus dem Dreistromland oder von Kap Parhami hergebracht worden waren, zu befreien und nicht wenige von ihnen in ihre eigenen Reihen zu integrie­ren. Die amhasischen Sklavenjäger wurden damit mehr und mehr darauf verwiesen, sich die begehrten Sklaven aus den Sanskitarenlanden allein über den Seeweg zu beschaffen, was die Sklavenjagd wesentlich verkomplizierte und verteuerte.

Konsul Palpatos, der die fruchtlose Auseinandersetzung mit dem Gegner scheute, mit dessen unbeab­sichtigter Hilfe er sich an die Macht geputscht hatte, konnte sich dem Druck, den die Senatoren in dieser Angelegenheit ausübten, nicht länger widersetzen. Er ordnete eine Straf­expedition an, die schon deshalb unter einem schlechten Stern stand, weil die Amhasim nicht wussten, wo sich das Hauptquartier der Angurianer befand. Es gab Gerüchte, die von dem Heiligen Berg sprachen und von der Heiligen Stadt in seinem Inneren, aber den Amhasim fehlte jede Idee, wo sie danach zu suchen hatten.

Die Angurianer erfuhren frühzeitig von den Plänen des Senats. Viele von ihnen hatten nach wie vor Verwandte in Amhas und unterhielten heimlich Kontakte dorthin. Außerdem schleus­ten die Angurianer bewusst Anhänger ihrer Bewegung in die Dienste bedeutender amha­sischer Familien oder in die Unterstadt ein. Die Kriegsvorberei­tungen ihrer „gottgleichen Her­ren“ blieben den Sklaven nicht verborgen. Nicht unwahrschein­lich, dass die Idealisten um Senatorin Mothma geheime Informationen die Angriffspläne betreffend gezielt nach außen sickern ließen. So erreichte die eine oder andere Warnung die Ohren der Bewohner Yal-Hamats.

Eiligst zogen die Kriegsherren der Angurianer ihre Truppen zusammen. Die Priester befragten ihre Orakel, und Diplomaten hielten nach Verbündeten Ausschau. Und tatsächlich gelang es den Angurianern, einige Feinde der Amhasim zu Hilfe zu rufen, welche die hervorragende Gelegenheit, den arroganten Brokthar eine Lektion zu erteilen, keinesfalls verstreichen lassen wollten. Der erklärte Erzfeind von Amhas, Ronthar, lag zwar weit entfernt am Rande von Vaest­fogg, Aschewüste, Lavameer und Targachisteppe, aber die Stadt hielt stets größere Truppen­kontingente im Süden unter Waffen, um auf Bedrohungen durch Kurotan, die Targachi-Orks oder Amhas frühzeitig reagieren zu können. Da die Ronthar die Sklavenhaltung leidenschaft­lich verabscheuten, waren ihre Feldherren leicht zu überzeugen, den Angurianern in dieser Sache zur Seite zu eilen. Auch Yal-Amir und Shahana, denen die Sklavenjagd der Amhasim auf ihrem Territorium im Dreistromland seit langem ein Dorn im Auge war, sagten Unterstützung zu und setzten Truppen in Richtung des Yal-Hamat-Gebirges in Marsch. Die Angurianer versuch­ten, auch das in der Wüste Lath gelegene Teruldan ins Boot zu holen, doch die Stadt hatte andere Probleme – Al’Hrastor hatte wenige Jahre zuvor den umliegenden Nationen den Krieg erklärt, und die Stadt der Xhul versuchte eine Annexion seitens der Sanskitarischen Stadt­staaten abzuwenden.

Als sich die Amhasim in Richtung des Gebirges in Marsch setzten, zogen die Angurianer und ihre Verbündeten ihnen entgegen. Die Angurianer allein wären zu schwach gewesen, ein Heer der Amhasim in der offenen Feldschlacht zu besiegen, und hätten wie gewohnt in zeitrauben­der und mühevoller Kleinarbeit versuchen müssen, die Feinde voneinander zu separieren und einzeln aus dem Hinterhalt zu erledigen. Die Allianz von Yal-Hamat, wie sich die Alliierten selbst nannten, war jedoch kampfstark genug, den Amhasim in einer zeitlichen begrenzten, offenen Feldschlacht die Stirn zu bieten, was zweierlei Vorteil barg. Die Kämpfer waren so nicht wo­chen- oder gar monatelang gebunden, und die Amhasim erhielten keine Gelegenheit, das Gelände und die Partisanentaktik ihrer Feinde zu studieren und womöglich sogar An Khoral zu entdecken.

Die Truppen der Allianz ließen die Amhasim zunächst unbehelligt ins Gebirge ziehen. Sie hatten einen Talkessel ausgesucht, an dem die Feinde zwingend vorbeikommen würden. Dieser bot unzählige erhöhte Positionen, an denen sich Fernkämpfer in Deckung begeben und die weit unter ihnen befindlichen Amhasim beschießen konnten. Auch war der Zugang zum Tal so eng, dass die Allianz sowohl den amhasischen Nachschub für eine Weile draußen halten als auch die bereits im Talkessel befindlichen Truppen am Rückzug hindern konnte.

Obwohl der kampferprobte Feldherr Brikarion aus Ronthar vehement verlangte, das Ober­kommando über die Operation zu erhalten, bestanden die Angurianer darauf, die Schlacht selbst anzuführen und setzten den Sanskitaren Heskomar als Kommandanten ein. Brikarion verfluchte den Starrsinn seiner Verbündeten, die in diesem Punkt jedoch nicht mit sich reden ließen. Die Priester hatten die Orakel befragt, und alle Zeichen deuteten darauf hin, dass die Götter den Angurianern den Sieg schenken würden, aber nur dann, wenn sie selbst für ihre Belange eintraten. Schlussendlich war dies auch ein Politikum – wenn sich in den Köpfen der Rebellen der Eindruck festsetzte, im Kampf gegen die Amhasim zwingend auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, würden sie den Kampf gegen den mächtigen Gegner auf Dauer verlieren.

Die Allianz wusste, dass die Schlacht hart werden würde. Der Senat hatte Anakos Himmels­läu­fer die Befehlsgewalt übertragen, einem erfahrenen General, der unzählige Scharmützel mit Ronthar, Teruldanern oder Kurotanern ausgefochten und viele Strafexpeditionen an­ge­führt hatte.

Heskomar entschied, den Feind so tief es eben ging in den Talkessel hineinziehen zu lassen. Erst als ein gutes Drittel der Feindtruppen sein Zentrum überschritten hatte, befahl er den Angriff. Es gelang der Allianz tatsächlich, die Amhasim zu überraschen, die in ihrer maßlosen Arroganz nicht damit gerechnet hatten, dass die Feinde ihren Heerhaufen attackieren würden, und folglich auf gründliche Erkundung des Geländes verzichtet hatten. Trotz ihrer schwar­zen Rüstungen fiel eine Vielzahl der Amhasim den Angriffen der Fernkämpfer zum Opfer, die sich, als die Feinde ihre Position zu stürmen begannen, auf eine höhere Ebene zurückzogen und erneut angriffen. Obwohl Himmelsläufer begriff, dass die Allianz versuchte, die Amhasim voneinander zu separieren und in kleineren Gruppen zum Kampf zu stellen, konnte er nicht verhindern, dass Heskomars diesbezügliche Pläne gelangen. Sobald eine hinreichend kleine Menge an Feinden vom Rest der Truppe getrennt worden war, stürmten die Nahkämpfer vor und stellten sich den Amhasim, die auf dem unwegsamen Gelände durch ihre schwere Pan­ze­rung gehandicapt waren.

Am Ende des Tages hatte die Allianz das feindliche Heer vernichtend geschlagen. Die eigenen Verluste waren zwar empfindlich, aber nicht so dramatisch, dass sie die Existenz der Anguria­ner als eigene Volksgruppe gefährdet hätten. Im amhasischen Senat sorgte die Niederlage für blankes Entsetzen. Heerführer Himmelsläufer war in Gefangenschaft geraten, und gewiss wür­den die Angurianer für seine Auslösung horrende Forderungen stellen. Die Senatoren fingen an, einander die Schuld für das Geschehene in die Schuhe zu schieben, und es begann sich herauszukristallisieren, dass die Einheit des Senates nur wiederherzustellen war, wenn man sich auf einen Sündenbock einigte. Senatorin Mothma konnte sich ausrechnen, dass die Wahl auf sie fallen würde, und trat mit Hilfe des heimlich mit ihr verbündeten Senator Balor Orga­non in einer gut durchorganisierten Nacht- und Nebelaktion die Flucht aus Amhas an.

Morena Marian Mothma ging das Wagnis ein, sich Yal Hamat-Gebirge zu begeben, wo sie allein, zu Fuß und unbewaffnet auftrat. Wie sie es gehofft hatte, verzichteten die Angurianer darauf, sie zu attackieren, setzten sie aber nichtsdestotrotz gefangen. Es herrschte großes Misstrauen gegen die Senatorin des Feindes, und erst, als sich mehrere Ex-Sklaven, die von der Rolle wussten, welche Mothma im Senat gespielt hatte, für sie stark machten, wurde sie zu Heskomar geführt, der zum Entsetzen der übrigen Angurianer entschied, sie nach An Khoral zu führen.

 

 

Während die Verbündeten aus den Sanskitarenlanden und Ronthar sich zurück auf ihr eigenes Territorium begaben, versammelten sich die Angurianer in ihrer Heiligen Stadt, um über das Schicksal der amhasischen Senatorin zu entscheiden. Diese hörte sich die Vorwürfe, die gegen sie erhoben wurden, schweigend an, und erst ganz am Ende der Verhandlung verlangte sie das Wort und hielt eine flammende Rede über Freiheit, Zusammenhalt und darüber, dass man wissen sollte, wen man zum Feind und wen man zum Freund hat.

Die erfahrene Rhetorikerin traf den korrekten Tonfall, und die Versammlung entschied, ihr das Leben zu schenken und ebenso ihre Freiheit. Heskomar und Mothma traten daraufhin gemein­sam vor und schworen die Angurianer auf die gemeinsame Sache ein. Die Suche nach Frei­heit, so war man sich an diesem Tage einig, könne nur erfolgreich sein, wenn man es mit dem Streben nach Einheit verbinde, denn nur gemeinsam sei man stark genug, jenen zu trotzdem, die einem die Freiheit nehmen wollen. So schworen die Angurianer einander ewige Bruderschaft, ein Schwur, in den auch Senatorin Mothma einstimmte. Die Rebellion wider die Amhasim war geboren, und die Angurianer wussten, dass es unter den Ronthar und den Sanskitaren hinreichend aufgestaute Wut gegen die Sklavenhalter gab, dass sie bei Bedarf jederzeit eine neue Allianz würden ins Leben rufen können.

Von nun an stand es den Angurianern frei, überall im Yal-Hamat-Gebirge zu siedeln. Die Feinde aus Amhas würden in absehbarer Zeit keinen zweiten Vorstoß in Richtung des Bergkette unternehmen. Die einstigen Sklaven nahmen ein halbnomadisches Dasein auf. Sie bewohnten Höhlensysteme, versteckte Täler und üppige Wälder in den Ausläufern der Berge. Ihre Behau­sungen verstanden sie nahezu unsichtbar in die jeweilige Landschaft einzupassen – Baumhäuser, Erdhöhlen, Felsgrotten, weit verzweigte Höhlenlabyrinthe, deren Eingänge oft hinter Wasserfällen und Vegetation verborgen lagen, Wohntürme aus unbehauenem Gestein, mit Erde und Gesträuch getarnte Hausboote, welche wie natürliche Inseln auf den Seen trieben.

Zähneknirschend mussten die Amhasim hinnehmen, dass ihre Feinde sich als dauerhafter Machtfaktor in der Region etablierten und ihre Sklavenjagden und -transporte auch weiter­hin massiv behinderten. Dies setzte ein fatales Signal – Widerstand gegen den übermächtig schei­nenden Moloch von Stadt im Zentrum des Kontinents war nicht nur möglich, sondern hatte sogar Aussicht auf Erfolg. Das Beispiel der Angurianer ermutigte künftig auch andere Landsleute, sich der Macht der Amhasim zu widersetzen.

 

Borbarads Testament

Ab 955 BF erschienen in Aventurien mehrere geheime Kulte, welche Borbarad Lehren anhingen und ihre Mitglieder die Verwendung der borbaradianischen Blutmagie lehrten. In der Regel griffen die Sektierer auf Borbarads Testament zurück, ein Buch, das der Alveraniar des Verbotenen Wissens der Nachwelt hinterlassen hatte und dessen Besitz aus gutem Grund streng verboten ist. Es enthält die Anleitung zum Bau eines ‘Seelengötzen’. Wer auf die in den Texten beschriebene Weise einen solchen Götzen weiht, die Hand auf ihn legt und die Worte ‘Für Borbarad’ spricht, erhält die Fähigkeit, unabhängig von einer eigenen magischen Begabung mit Hilfe von Blutmagie borbaradianische Zauberformeln zu wirken.

Dies ist die Folge einer geschickten niederhöllischen Täuschung. Weder den Borbaradianern noch Borbarad selbst war bewusst, dass der Effekt auf einem Minderpakt mit dem Erzdämon Amazeroth beruht, den der Borbaradianer unwissentlich eingeht. Mit Amazeroth bzw. Xamanoth, einem Siebengehörnten Dämon, der oft für eine Manifestation Amazeroths gehalten wird. Xamanoth wird im Daimonicon als eine der Hände des Erzdämons bezeichnet. Wer einen Pakt eingeht, um Borbaradianer-Magie wirken zu können, dessen Seele landet bei Xamanoth. Deshalb postuliert das Daimonicon, Xamanoth habe sich in Borbarad inkarniert. Tatsächlich war es wohl so, dass Borbarads uralte Seele auf der verzweifelten Suche nach Verbotenem Wissen bis 1021 BF Xamanoth anheimgefallen ist. Nur seine Entrückung in den Rausch der Ewigkeit konnte verhindern, dass er in die Niederhöllen abberufen wurde. Dies alles war ein raffinierter Teil von Amazeroths Versuch, die Kontrolle über seinen Alveraniar zurückzuerlangen und ihm zu beweisen, dass auch er vom Meister der List hereingelegt werden kann.

Als Borbarad sein Testament schrieb, ging er selbst davon aus, dass jeder Borbaradianer ihm (Borbarad) seine Seele verpfänden würde, sodass er schlussendlich dem Totengott Boron eine Vielzahl von Seelen im Tausch gegen seine eigene anbieten könne. Der Seelengötze, in welchen die verpfändeten Seelen eingehen würden, sollte eine Rückversicherung sein, um seine Rückkehr in die Wege zu leiten. Beschlösse Borbarad, die verpfändeten Seelen zu sich zu rufen, würden die Borbaradianer auf der Stelle sterben, und zwar unabhängig davon, ob Boron sich auf den Handel einließe oder nicht.

Im Ergebnis blieben die Artefakte wertlos. Selbst wenn die Seelengötzen wie vorgesehen funktioniert hätten, hätten sie Borbarad im konkreten Fall nichts genützt, schließlich war der Alveraniar am Ende des Kriegs der Magier nicht getötet, sondern lediglich in eine Globule entrückt worden. Boron war hier also gar nicht zuständig.

Allerdings dienten die sieben speziellen Zauberformeln, welche Borbarads Testament beschreibt, ebenfalls insgeheim Borbarads Machtgewinn. Sie enthalten gut verborgene Hellsicht- und Herrschaftskomponenten, die erst 1019 BF entdeckt wurden.

Auch im Riesland tauchten ab 955 BF vermehrt Kopien von Borbarads Testament auf. Dafür sorgten ausgewählte Amazäer und Zelothim, die in die Pläne ihres Gottes Amazth eingeweiht waren und sicherstellten, dass sie gelangen. Sie besorgten sich die Originaltexte auf verschlungenen Pfaden, übersetzten sie in riesländische Sprachen und verteilten sie dann in ausgewählten Kreisen, von denen anzunehmen war, dass sie Amazth’ Plänen nützen würden. Dabei beschränkte sich die Verbreitung von Borbarads Testament nicht auf die Sanskitarische Welt. Auch unter den ohnehin von Borbarads Lehren geprägten Angurianern, den Kurotanern, den Ronthar und sogar den Amhasim fand das Werk dankbare Abnehmer. Dies umso mehr, als die auf Paktiererei und Blutmagie beruhende Borbarad-Spruchzauberei keine Kritische Essenz-Effekte auslöste.

Während der Borbaradianismus in Aventurien keine allzu großen Wellen schlug, weil er regulärer Zauberei in aller Regel unterlegen war und aufgrund des Verbots zudem im Geheimen agieren musste, führte die Verbreitung von Borbarads Testament im Riesland in viel stärkerem Maße zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse. Eine Spielart der Magie, die keine Rücksicht auf die Kritische Essenz zu nehmen brauchte, war für riesländische Maßstäbe extrem stark, und sie unterlag keinen Restriktionen von Seiten der Obrigkeit. Erst langsam, dann immer bestimmter gelangten auf diese Weise Angehörige der verschiedenen Völker, welche die Borbaradianermagie nutzten, in Führungspositionen.

Den “Gott” Amazth brachte dies in die bequeme Situation, dass die Zahl seiner Paktierer und Minderpaktierer, die ohnehin schon nicht klein war, rapide anstieg, und mehr und mehr von ihnen besetzten Machtpositionen. Amazeroths Einfluss auf Politik und Gesellschaft der Völker des Rieslands wuchs somit von Tag zu Tag. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Amazth’ uneinholbar der stärkste Gott des Rieslands sein würde, noch vor dem Widersacher und erst recht vor jedem Gott, der sich rühmte, alveranisch zu sein.

 

Kampf um das Goldene Netz

Wie Pardona es vorhergesehen hatte, versuchten Borbarads Anhänger ab 1019 BF, das riesländische Kraftliniennetz vom Gesamtnetz zu entkoppeln. Zu ihrem Verdruss und ihrer großen Überraschung stießen sie an nahezu jedem Knotenpunkt auf heftigsten Widerstand. Amadena hatte ihre Taubhaza, zum Teil auch Shakagra und andere Diener ausgesandt, Borbarads Schergen zu stoppen. Wenn er tatsächlich vorhatte, Marhynas Frevel zu vollenden, musste ihm die Abkopplung der riesländischen Kraftlinien zwangsläufig gelingen. Wenn er die Riesländer zu magischen Überwesen machte, so wie er es mit den Bewohnern der anderen Kontinente vorhatte, würde dies Kritische-Essenz-Effekte von unfassbarer Heftigkeit hervorrufen, die im Extremfall Dere auseinanderreißen, auf jeden Fall aber enormen Schaden anrichten würden. Solange das Goldene Netz an das Gesamtnetz angeschlossen blieb, konnte Borbarad seine Pläne nicht in die Tat umsetzen.

Auch Hrastor beobachtete Borbarads Versuche, das Goldene Netz zu kappen. Zu seiner Freude und Genugtuung verließ der sich dabei allein auf seine riesländischen Kulte, welche die Verbreitung von Borbarads Testament hervorgebracht hatte, nicht wissend, dass Amazeroth längst die Führungsriege der vermeintlichen Borbaradianer an sich gebunden hatte. Sie würden das Kraftliniennetz verändern. Aber sie würden es in Amazeroths Sinne tun. Das große Ziel, die Schöpfung zu zerstören, war endlich in greifbare Nähe gerückt. Es war typisch, dass sich die Schergen des verhassten Namenlosen einmischten und versuchten, alles zunichte zu machen, und das, obwohl sie nicht einmal wussten, wer ihr eigentlicher Feind war. Mehr noch. Diese Pardona kannte nicht einmal ihre Verbündeten. Sie wusste nichts von Tridekarius und dass er jeden ihrer Schritte kontrollierte und beeinflusste.

Kataklys und die Zwölfgötter predigten Freiheit und meinten damit, dass der Mensch innerhalb eines engen Regelkorsetts eine begrenzte Menge Entscheidungen treffen durfte. Tridekarius und der Namenlose predigten Freiheit und meinten damit die unbegrenzte Freiheit des Individuums, die ihre Anhänger unfähig machte, an einem Strang zu ziehen. Borbarad predigte Freiheit und meinte damit gnadenlosen Machtkampf und strenge Auslese, bis nur noch die Mächtigsten übrigblieben, um fortan die Geschicke der Welt zu lenken. Archaikus sprach von Freiheit als etwas, das es zu unterbinden galt, um den Status quo zu erhalten. Nur Agrimazth und Amazeroth sprachen nicht von Freiheit. Sie schufen Einheit durch eine Herrschaft aus Wissen, Wahnsinn, Schrecken und Furcht. Ihre Diener würden an einem Strang ziehen und somit als einzige in der Lage sein, ihre Reihen geschlossen zu halten und alle dasselbe Ziel zu verfolgen. Die Vernichtung der Schöpfung, die Rückkehr der Chaosmächte in der Nichts, aus dem sie gekommen waren und dessen Wiederkehr sie herbeisehnten.

Merclador lächelte. Er wusste, dass Hrastor irrte.

Die Frage, ob es möglich war, die verheerten Kraftlinien des Rieslands zu reparieren, weckte Pardonas Ehrgeiz. Die Tatsache, dass sie mit Kataklys alle Geheimnisse der Welt erforschen konnte, ohne ihre Arbeitsräumlichkeiten zu verlassen, teure und zeitaufwändige Expeditionen ausrüsten zu müssen oder an der Erkenntnis zu scheitern, dass uraltes Wissen in den Nebel des Zeitenlaufs verschollen blieb, führten zu raschem Wissenszuwachs. Schließlich begriff sie, dass es möglich war, das Goldene Netz wiederherzustellen, und dass der Schlüssel genau vor ihr lag. Der Komet hatte das Zentrum des Kraftliniennetzes zerschlagen und so das peitschende Chaos verursacht, das dem Kontinent heute all die Kritische-Essenz-Effekte einbrachte. Aber dieser Prozess war nicht unumkehrbar. Würde man Kataklys unter Einsatz der passenden Temporalmagie in die Sechste Sphäre zurücksenden, woher er gekommen war, würde sich das Netz regenerieren, so als wäre es niemals zerstört worden. Die Frage war nicht, ob es funktionieren würde, sondern nur, wie genau man es anstellte. Es war nicht einmal vonnöten, an allen Knotenpunkten des Netzes herumzuwerkeln, so wie es etwa der Ansatz beinhaltete, den Al’Hrastor zwei Jahrhunderte lang verfolgt und für den er seine Kriege geführt hatte.

Nachdem die Dunkelelfe diese Erkenntnis getroffen hatte, rief sie die Schattenlords nach Amhas. Der Orden bestand aus eigenbrötlerischen Individuen, jedes von ihnen verfolgte seine eigene Agenda. Nur einmal in der Geschichte war es den Anhängern des Namenlosen gelungen, als Einheit zu agieren, damals, während der Magierkriege. Doch diesmal war es zwingend erforderlich, dass die Schattenlords ihr Ego beiseiteschoben und gemeinsam auf das große Ziel hinarbeiteten. Würde es ihnen gelingen, das Goldene Netz zu reparieren und die Kontrolle darüber in die Hände zu bekommen, wären die Befreiung des Namenlosen und die Wiederherstellung des Marhynianischen Imperiums nur noch reine Formsache. Pardona machte den Schattenlords die Dringlichkeit ihres Anliegens klar und dass sie jeden von ihnen, der ihrem Befehl nicht Folge leistete, persönlich einen Kopf kürzer machen würde. Und die Schattenlords kamen. Alle ohne Ausnahme. Die Amhasim begriffen nun, dass etwas Düsteres in ihrer Heimat vor sich ging, und begehrten gegen die stumme Invasion auf, die mit Billigung ihres Konsuls sukzessive die Herrschaft über die Stadt übernahm. Doch mit ihrer geballten Macht, versammelt an diesem einen Ort, war es den Schattenlords ein Leichtes, den Widerstand der Amhasim zu brechen und sie ihrem Willen zu unterwerfen. Pardona scheute sich jetzt auch nicht mehr, in ihrer eigenen Gestalt aufzutreten und den Amhasim, die sie nicht anders behandelte als diese ihre Sklaven, Befehle zu erteilen. Eine Demütigung, welche die hochmütigen Brokthar niemals vergessen würden.

Kataklys selbst, mit den alveranischen Göttern im Bunde stehend, ließ Pardona gewähren. Ihm war klar, dass sein Gegner Agrimazth, Amazeroth und ihre Diener versuchen würden, das Kraftliniennetz endgültig zu zerstören, denn auch das konnte mit Hilfe des Kometenkerns, mit seiner Hilfe, bewerkstelligt werden. So besorgniserregend die Ambitionen der Anhänger des Widersachers waren, schienen sie im Vergleich zur völligen Vernichtung der Schöpfung doch das kleinere Übel. Unnötig zu erwähnen, dass Ingror der Zerstörer das anders sah und die übrigen Zwölfgötter dazu drängte, die Bewohner des Rieslands ein für allemal auszulöschen, hatte es sich doch erneut als gewaltige Bedrohung für die Geschicke der Welt erwiesen. Der Komet nutzte seine Gabe, Kontakt mit anderen Kommunikationsartefakten aufnehmen zu können, und rief von überall her Streiter für Alveran ins Riesland. Auch Nahema ai Tamerlein, die sich als der Herr Lamertien über das Schwarze Auge im Haus Am Seeufer zu Festum beugte, empfing die Nachricht, und was sie hörte, war so besorgniserregend, dass sie beschloss, nach Raskahazr zu reisen, sobald sie die Zeit dazu fand. Im Augenblick benötigte man sie hier. Es galt, die Schwanenflügel zu bergen, die Rondrageweihte Ayla von Schattengrund zu retten und den Dämon Karmoth zu besiegen. Danach würde sie Kataklys’ Aufruf Folge leisten. Ihre Prophezeiungen und Visionen sagten ihr, dass sie rechtzeitig dort sein würde.[9]

Hrastor instruierte Al’Hrastor, dass der Kometenkern, den man in der Aschewüste gefunden und nach Amhas gebracht hatte, der Schlüssel war, den Sieg der Niederhöllen über die Schöpfung einzuleiten und alles zu Ende zu bringen, wofür der Dämonensultan und seine Schergen seit ihrer Entstehung kämpften. Dank Agrimazth wusste Hrastor auch, wie es anzustellen sei, und er gab sein Wissen an Al’Hrastor weiter. Auch Merclador, der sich hatte fortschleichen müssen, weil er noch immer den Berater Gorgafans spielte, trat an Suliman heran. Der Komet sei nicht nur der Schlüssel dazu, das Goldene Netz zu zerstören, sondern er eröffne auch die Möglichkeit, das Kraftliniennetz zu reparieren, sich seiner zu bemächtigen und mit seiner Hilfe zunächst Rakshazar, dann die ganze Welt zu beherrschen. Al’Hrastor könne endlich tun, wozu er seit jeher bestimmt war, Amazeroth vom Thron stoßen und seinen Platz einnehmen. Es liege jetzt allein an ihm, wie die Sache ausgehen würde. Die Entscheidung, die Al’Hrastor jahrhundertelang vor sich hergeschoben hatte, er würde sie treffen müssen. Vielleicht noch in diesem Jahr, spätestens im nächsten oder übernächsten.

Suliman war sich noch immer nicht schlüssig. Aber egal, wie er sich schlussendlich entscheiden würde, ewige Herrschaft oder Vernichtung der Welt, der Weg dorthin war derselbe. Der Hexersultan befahl in Yal-Mordai und Yal-Kharibet die Generalmobilmachung. Er versammelte seine Amazäer und Zelothim. Al’Hrastor selbst und seine Zauberkundigen riefen Elementarwesen herbei, beschworen Dämonen, schufen Chimären und Untote, zwangen ganze Armeen unter ihren Befehl. Nur wenige Wochen später setzte sich ein Heereszug in Marsch, wie ihn der Kontinent seit imperialen Zeiten nicht mehr gesehen hatte. Al’Hrastors Truppen marschierten gen Amhas und vernichteten alles und jeden, der sich ihnen in den Weg stellte.

Die Kunde von der Armee, die sich aufmachte, die Tore von Amhas zu überrennen, blieb den Schattenlords nicht lange verborgen, und so nutzten sie die Zeit, die ihnen blieb, um die Stadt der Amhasim zu einer uneinnehmbaren Festung auszubauen. Uneinnehmbar auf Zeit. Amhas brauchte keine jahrhundertelange Belagerung zu überstehen. Es musste nur solange durchhalten, bis es Pardona gelang, den Kometen dorthin zurückzuschicken, woher er gekommen war. Allein die Hundertschaft Drachen, die auf den Zinnen und Türmen Platz nahmen, und die Vielzahl Gargylen, die quasi überall ein Plätzchen Dere fanden, machten unmissverständlich klar, dass die Sanskitaren einen Angriff teuer erkaufen würden.

Das erkannten die Tulamiden- und Remshenabkömmlinge auch, als sie Amhas erreichten. Al’Hrastor zögerte, den Angriffsbefehl zu geben, schien die Feindstadt doch bis an die Zähne bewaffnet zu sein. Aber auch die Schattenlords versuchten den Angriff auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen, zu gewaltig schien die Zahl ihrer Feinde, trotz der Drachen und der Gargylen, die auf ihrer eigenen Seite fochten. Ein Angriff der Sanskitaren von See mit Hilfe der Schwimmenden Festung auf Amhalashal scheiterte, weil die Amhasim die Sanskitaren mit dem provisorischen Demergator überraschten, den sie auf Basis des Rochen von Loquasto gebaut hatten. Die ohnehin bereits ramponierte Schwimmende Festung nahm schweren Schaden, der bis heute nicht vollständig ausgebessert ist.

Beide Seiten beharkten einander, führten kleinere Scharmützel und versuchten sich mit allerlei Tricks und magischen Spielereien gegenseitig auszubooten. Für die Sanskitaren war es eine sehr ernüchternde Erkenntnis, dass die Schatteninsignien der Schattenlords die Angehörigen des Rats der Schemenhaften unterwerfen und kontrollieren konnten, die schließlich selbst so etwas wie Schatten waren. So geriet Hrastor in Gefangenschaft der Diener des Namenlosen, und Pardona kontrollierte mit Kataklys sein Schwarzes Auges Tiefenblick.

Für Al’Hrastors Truppen bedeutete dies Zeitverlust und hohe Verluste bei den Truppen. Hrastor musste auf jeden Fall befreit werden, er wusste viel zu viel, um sein Wissen dem Feind zu überlassen oder um zuzulassen, dass es im eigenen Lager fehlte. Für Hrastor selbst war der Aufenthalt im Feindeslager allerdings sehr aufschlussreich. Da er selbst eine Schattengestalt war, entging ihm die Anwesenheit von Tridekarius keineswegs und auch nicht, dass der die Schattenlords manipulierte. Offenbar gelang es ihm auch, bis zu Kataklys vorzudringen und ein Gespräch mit dem Kometen zu führen, was die beiden besprachen, ist allerdings nicht überliefert.

Gegen Ende des Jahres 1019 BF, etwa zu der Zeit, wo Borbarad aus den Gebeinen seines früheren Dieners, des Drachen Xyxyx bzw. Schwarzer Kurungur, den Knochendrachen Rhazzazor erweckte und seine sieben Pakte mit den Erzdämonen erneuerte, gelang Al’Hrastors Schergen eine verlustreiche Kommandoaktion, in deren Verlauf Hrastor befreit werden konnte. Man brachte ihn von der Front fort, so wie man es zuvor mit den übrigen Ratsmitgliedern getan hatte, damit ihn die Schattenlords nicht wieder ihrer Kontrolle unterwarfen.

Al’Hrastors Gefolgsleute verstärkten ihre Armee, indem sie Trollsöldner anwarben und mit Beherrschungsmagie Riesen ihrem Willen unterwarfen. Einer der Schattenlords kontrollierte eine ganze Armee von Drachen, denen es etwas entgegenzusetzen galt.

 

Die Allianz vom Djer Mussa

Thufir vom Djer Mussa sah seine schlimmsten Visionen und Albträume bestätigt. Ein neuer Krieg zog herauf, und wieder einmal würden Drachen und Riesen auf unterschiedlichen Seiten stehen. Schlimmer noch. Diesmal würden die uralten Völker nicht für ihre eigenen Interessen kämpfen, sondern als Sklaven der jüngeren Völker. Eine solche Schmach würden sie niemals ungesühnt lassen, sollten sie einst wieder freikommen. Aber wenn es nach den verfeindeten Parteien ging, würde das niemals geschehen, weil die eine den Widersacher zu befreien und ein neues Imperium zu gründen trachtete, während die andere gleich die gesamte Schöpfung vernichten wollte. Und dann war da noch die dritte Fraktion, die zum Alveraniar des Verbotenen Wissens gehörte und, wenn er den Orakeln Glauben schenken durfte, vorhatte, Marhynas Frevel zu vollenden, alle Sterblichen zu Vollzauberern zu machen und ihnen so die Macht zu geben, sich von den Unsterblichen zu befreien. Und von konkurrierenden Vertretern ihrer eigenen Art.

Es wurde Zeit, dem etwas entgegenzusetzen, wenn es dafür nicht schon zu spät war. Thufir hatte Tragweite und Ausmaß dessen, was hier geschah, viel zu spät erkannt. Seine Gesandten waren ausgezogen, um für Verbündete zu sorgen, und obwohl einige beachtliche Erfolge erzielt hatten, waren viel zu wenige Streiter für Thufirs Sache im Yal-Hamat-Gebirge eingetroffen. Der Drachenkaiser musste versuchen, jene Völker ins Boot zu holen, die von dem Konflikt unmittelbar betroffen waren.

Die Irrogoliten waren schnell überzeugt, für eine gute und gerechte Sache zu kämpfen. Auch die Ronthar, Kurotaner und Cromor kamen, um der neuerlichen Bedrohung aus Amhas, mit dem man erst vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten Frieden geschlossen hatte, entgegenzutreten. Den Ronthar war mehr noch als den anderen Völkern daran gelegen, Al’Hrastor zu stoppen, gegen den die Ronthar-Brokthar um ein Haar einen Krieg verloren hätten und damit wahrscheinlich ihre gesamte Existenz.

Die Angurianer indes zögerten. Sie waren bereits von einer anderen Fraktion kontaktiert worden, eine Fraktion, die behauptete, sie verbreite die Lehren des Tharsonius, der vor beinahe fünfhundert Jahren in Amhas gepredigt hatte und dem sie ihren Glauben verdankten. Thufir war besorgt. Natürlich war es konsequent, wenn sich die Angurianer hinter den Lehren ihres Religionsstifters versammelten, doch sie an die Borbaradianer zu verlieren wäre dennoch fatal gewesen. Im ständigen Kampf gegen ihre amhasischen Verfolger waren sie zu den stärksten Kriegern der Region geworden, auf ihre Unterstützung zu verzichten wäre nicht nur schmerzvoll gewesen, es nahm dem Bund, den Thufir anstrebte, womöglich jede Chance, den Konflikt entscheidend zu beeinflussen.

Thufirs schlimmste Berfürchtungen wurden wahr. Als die Angurianer erfuhren, dass die Amhasim von den Schattenlords versklavt worden waren, gerieten sie einerseits in Feierlaune, andererseits in Wut, weil Thufir diesbezüglich nicht sogleich mit offenen Karten gespielt hatte. Die Sklaventreiber waren also selbst zu Sklaven geworden. Also gab es für die Angurianer keinen Grund zu kämpfen. Sie würden sich anhören, was die Borbaradianer über ihr Konzept der Freiheit zu sagen hatten.

Anfang des Jahres 1020 BF wurde die Allianz vom Djer Mussa besiegelt, ohne die Teilnahme der Angurianer.

 

Nodix und Nexus

Zu Beginn des Jahres 1020 BF zeigte sich, dass sich die Angurianer offenbar tatsächlich den Borbaradianern angeschlossen hatten. Während die Belagerung von Amhas andauerte, wurden die Knotenpunkte der rakshazarischen Kraftlinien, die an der Grenze des Rieslands lagen, zu hart umkämpftem Gebiet. Die Borbaradianer hatten für Transportwege durch den Limbus gesorgt, die den Angurianern die Möglichkeit eröffneten, jeden einzelnen Nodix oder Nexus binnen kürzester Zeit zu erreichen. Pardonas Schergen bewachten die Knotenpunkte und erwarteten Borbarads Helfer bereits. Sie verteidigten jeden einzelnen Nodix oder Nexus mit allem, was sie hatten, und so kam es, dass sich die Kämpfe fast das ganze Jahr hinzogen. Für manches Ziel brauchte das Bündnis aus Angurianern und Borbaradianern zwei oder drei Anläufe, aber ganz langsam und allmählich gewannen Borbarads Anhänger die Oberhand. Pardona konnte keinen Nachschub entsenden, ihre Truppen waren in Amhas eingekesselt und wurden für den Fall, das Al’Hrastor sich doch zum Angriff entschloss, zur Verteidigung der Stadt benötigt.

Wo immer die Borbardianer eines Knotenpunktes habhaft wurden, unterbrachen sie die Verbindung zu den Nachbarkontinenten. Sie durchtrennten die Kraftlinien nicht, so wie Kataklys es beim Einschlag getan hatte, sondern blockierten lediglich den Fluss der Kraft. Vielleicht würde es zu einem späteren Zeitpunkt ja doch möglich sein, das Goldene Netz zu reparieren und es dann wieder an das Gesamtnetz anzuschließen.

Als problematisch erwiesen sich mächtige Nexus, die da dort lagen, wo sich große Ansiedlungen befanden, wie etwa Sumutul, die Stadt der Riesen, oder Ribukan. Hier mussten Borbarads Vasallen nicht nur Pardonas Truppen besiegen, sondern auch noch die Einheimischen ausmanövrieren.

Alles in allem gelang es den Borbaradianern dank der qualifizierten Hilfe der Angurianer, ihre Verluste gering zu halten. Im Laufe der zweiten Jahreshälfte allerdings machte sich unter den Angurianern Unmut breit. Immer mehr von ihnen begannen die Sinnhaftigkeit ihres Handelns in Frage zu stellen. Die Borbaradianer versicherten zwar, dass der Kampf einem höheren Zweck diente, aber worin dieser bestand, damit hielten sie hinter dem Berg. Die Angurianer wurden den Eindruck nicht los, dass die niederen Chargen es selbst nicht wussten, und die Führungsebene hüllte sich in Schweigen.

Schließlich kam es zu offenem Aufruhr. Die angurianischen Krieger forderten von ihrer Führung, den Borbaradianern mitzuteilen, dass sie nicht weiterkämpfen würden, bis man sie über die Details des Vorhabens in Kenntnis gesetzt hatte. Die Führungsriege der Angurianer, selbst unglücklich über den momentanen Zustand, gab ihren Kämpfern dieses Versprechen. Doch die Borbaradianer kamen ihnen zuvor, erklärten die Operation für abgeschlossen und bedankten sich enthusaistisch bei den Angurianern für ihre hervorragende Unterstützung. Den Angurianern blieb somit kein Druckmittel, um eine Offenlegung der borbaradianischen Pläne einzufordern.

Zum Jahresende hin meldeten die Borbaradianer an Borbarad, der am 22. Ingerimm den frisch herbeigerufenen Rohal getötet hatte, dass die Abtrennung der riesländischen Kraftlinien vom Gesamtnetz planmäßig erfolgt sei. Borbarad war froh über diese Nachricht. Rohals Tod würde bald seinen eigenen nach sich ziehen, er war also in Eile, was die Verwirklichung seines Plans anging. Entsprechend verließ er sich auf die Aussagen seiner Untergebenen und überprüfte sie nicht persönlich, was sich als fataler Fehler erweisen würde.

Natürlich hatte die Führungselite der Borbaradianer gleichermaßen die Angurianer wie ihren vermeintlichen Herrn belogen. Es gab noch sieben Nexus, über die das Goldene Netz mit dem Gesamtnetz verbunden blieb. Die Verwirklichung von Borbarads Masterplan, aus allen Sterblichen Vollzauberer zu machen, um ihnen maximale Freiheit zu schenken, würde auch das Riesland erfassen. Die Kritische Essenz würde den Rest erledigen, das Kraftliniennetz zum Kollabieren bringen, das Riesland auseinanderreißen und eine Schockwelle durch das Gesamtnetz jagen, die dasselbe gesamtderisch bewirken würde. Dere würde förmlich zersprengt werden.

Amazeroth, der wahre Herr der riesländischen Borbaradianer, würde erfreut sein. Borbarad in seiner ungeheuerlichen Arroganz und Selbstüberschätzung hatte ihm nicht nur die Gefolgschaft verweigert, er hatte einst geschworen, kein Dämon, nicht einmal der vielgestaltige Blender selbst, würde ihn überlisten können. Doch Iribaars Angelschnur war ausgelegt und Borbarad zu seinem willfährigen Handlanger geworden. Elf Zeitalter der Forschung hatten ihm doch nicht alle Naturgesetze offenbart. Sein Plan war schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Das Chaos, war unendlich, weil es seine Idealgestalt anstrebte, das alles umfassende Nichts. Geordnete kosmische Prinzipien indes waren zwingend endlich, weil sie sonst vom Chaos nicht unterscheidbar gewesen wären. Das Mysterium von Kha normierte das klar für fast die gesamte Schöpfung, auf jeden Fall aber für Prinzipien wie die Astralkraft und die Karmaenergie. Der Moment, in dem sie zur Neige gingen, weil sie vollständig in die Niederhöllen abgeflossen waren, war der Moment, in dem die Schöpfung in sich zusammenfallen und in einen neuen Entstehungszyklus eintreten würde. Die Schöpfung blieb endlich, entstand aber immer wieder von Neuem. Dies verlieh ihr eine Art Pseudo-Ewigkeit, es sei denn, es gelang den Chaosmächten, den Zyklus zu unterbrechen und sie zum Kollabieren zu bringen.

Dies bedeutete, dass Borbarad gar nicht alle Sterblichen zu Vollzauberern machen konnte. Die Astralkraft des Kosmos war dafür zu begrenzt, die Gabe, die Menge an Kraft im Körper eines jeden Sterblichen auf das notwendige Niveau zu bringen, war es entsprechend. Nur ein Erzdämon kann dies bewerkstelligen, weil er auf beliebige Mengen der Ressource Nichts zurückgreifen und sie in zwei konträre Prinzipien aufspalten kann, so wie er umgekehrt in der Lage ist, Sikaryan und Nayrakis, das in seine Domäne gerät, zu Nichts zu vereinigen und so aus dem Sein zu tilgen. Erzdämonen taten so etwas nicht gerne, weil sie selbst dadurch schöpferisch tätig wurden und die Macht der Ordnung stärkten, aber es war bisweilen unerlässlich, um mit der Schöpfung interagieren und die Oberhand über sie gewinnen zu können. Amazeroth selbst würde die Sterblichen zu Vollzauberern machen. Ohne es zu wissen, würden fast alle Sterblichen einen Minderpakt mit ihm schließen. Die Zunahme an Sternenkraft, durch die Blutmagiekomponente, welche die Kraft dem Sikaryan der Sterblichen entnahm, ohnehin gering gehalten, würde vorübergehend die Ordnung der Welt stärken, aber das war nur ein Durchgangsstadium. Im Ergebnis würde Borbarads Jahrtausendbeschwörung das Eindringen der Niederhöllen in die Schöpfung ins Unermessliche potenzieren. Die Machtkämpfe, die folgen würden, würden den Kosmos entvölkern, die Unsterblichen entmachten und die Schöpfung dadurch destabilisieren. Dieser Plan war narrensicher, selbst wenn die riesländische Komponente misslingen sollte. Die sah vor, den Untergang deutlich zu beschleunigen, denn natürlich würde die Masse riesländischer Vollzauberer zu einer vollkommenen Überlastung des defekten Kraftiniennetzes führen und die volle Härte der Kritischen-Essenz-Effekte hervorrufen. Schlussendlich würde Borbarad genau das tun, was immer seine Aufgabe gewesen war: Amazeroth dienen und ihm bei der Herbeiführung seines ultimativen Triumphs behilflich sein. Danach konnten die Chaosmächte endlich ihre Existenz beenden und ins Nichts zurückkehren. Amazeroth bedauerte ein wenig, dass er dann nicht mehr in der Lage sein würde, Merclador zu bestrafen, der seit geraumer Zeit all seine Pläne zu hintertreiben versuchte. Nun ja, der Sohn Pyrdacors hing an seinem erbärmlichen Dasein, in die Nichtexistenz gerissen zu werden würde als Strafe genügen müssen.

Merclador lächelte. Er wusste, dass Amazeroth Unrecht hatte.

 

Der Lichtvogel

Anfang 1021 BF erlebten die im aventurischen Konzil der Elementaren Gewalten versammelten Magier und Helden das Schlüpfen des Allvogels mit. Der Allvogel, auch Lichtvogel oder Auge des Los genannt, gilt als Sendbote des Gottes Los, der am Vulkan Rashdul Kandscharot den jeweils über Drakonia herrschenden Spezies jährlich ein Orakel schickt. Diesmal wurde der Vorgang durch den Nachtdämon unterbrochen, der das Ei des Allvogels raubte.

Pyriander di Ariarchos, der Schwertkönig Raidri Conchobair, der Rieslandfahrer Ruban ibn Dhachmani, Luzelins Tochter Morena, Farmosch Sohn des Fanderam und der elfische Meisterschütze Der Rote Pfeil verfolgten den Dämon durch die Schwarzen Lande, erbaten die Hilfe des Alten Drachen Fuldigor und erreichten schließlich die Dämonenzitadelle, wo der zwergische Mechaniker sein Leben ließ. Fuldigor brachte Borbarad, der hinter dem Dämonenüberfall steckte, dazu, das Ei des Allvogels herauszugeben.

So wurde das Ritual der Erneuerung vollendet, der Lichtvogel verkündete das Ende des Elften und den bevorstehenden Beginn des Zwölften Weltzeitalters. Die Prophezeiung erscheint in vielfacher Hinsicht befremdlich, weshalb womöglich von einer Manipulation durch den Sphärenschänder auszugehen ist:

Der Allvogel spricht selber von Los, obwohl Los mit größter Wahrscheinlichkeit kein Unsterblicher ist, sondern das Prinzip des Nayrakis. Vermutlich ist der Vogel der Sendbote Khas oder Satinavs. Aber warum gibt er das nicht zu?

Die Prophezeiung spricht vom Ende des Zeitalters der Alten Völker. In der hesindianischen Mythologie ist damit das Zeitalter der Elfen und Zwerge gemeint, das es so nie gegeben hat, weil Pyrdacors Humusritual zu einem Übergang des Zeitalters der Echsen ins Zeitalter der Menschen geführt hat. Zudem sind Elfen und Zwerge, anders als die Mythologie behauptet, sehr junge Völker. Ist “Alte Völker” somit lediglich eine Umschreibung all der Völker, deren Zeitalter zur Vollendung gefunden hat, einschließlich der Menschen?

Der Allvogel verkündet das Ende des Elften Zeitalters, als der Kampf gegen Borbarad noch gar nicht entschieden und der Ausgang des Kampfes folglich noch offen ist. Wie konnte der Lichtvogel da behaupten, dass sich das Schicksal der “Alten Völker” erfüllt habe?

Die Prophezeiung scheint sich an die Menschen zu wenden, obwohl diese womöglich bzw. wahrscheinlich gar nicht gemeint sind.

Sie behauptet, es gäbe sechs Schlüssel der Elemente, und nimmt damit sichtlich auf die Legende Bezug, Mada habe die Zitadelle der Kraft zerschlagen. Dabei hat sie sie erschaffen, und es gibt auch immer noch einen Schlüssel der Kraft. Es sind somit mindestens sieben, wenn nicht gar acht Schlüssel übrig.

Die Worte des Allvogels deuten an, dass die Wacht über die Schlüssel stets bei der dominanten Spezies liege, was auch nicht der Fall ist. Lange Zeit war Pyrdacor ihr Wächter, danach die Elfen und Zwerge, denen es nie gelang, ein Zeitalter zu dominieren. Auch die Menschen hatten während ihrer Dominanz nicht die Wacht über die Schlüssel inne.

Fast scheint es, als hätte der Lichtvogel einen alten Text rezitiert, verfasst in einer Zeit, als das Schicksal einen anderen Ausgang der Geschehnisse vorgesehen hatte.

Hat Borbarad die Prophezeiung des Lichtvogels manipuliert, um seine wahren Absichten zu verschleiern, die sonst zu früh offenbart worden wären? Hat er gar den finsteren Dämon Retcon beschworen, um den Zeitenlauf zu ändern und die Historie Aventuriens in eine neue Bahn zu lenken?

 

Die Lichtvogel- und die Schlüssel-Expedition

Die Lichtvogel-Expedition von 1021 BF holte mit Umweg über Festum, Warunk und einem Besuch der Fuldigor das auf Geheiß Borbarads vom Nachtdämon geraubte Ei des Lichtvogels aus der Dämonenzitadelle zurück. Der Sphärenschänder hatte den Ungeschaffenen an der Dämonenzitadelle beschworen. Expedtionsteilnehmer waren Famosch Sohn des Fanderam, Morena vom Blautann, Pyrianer Di’Ariarchos, Raidri Conchobair, Ruban ibn Dchamnai, Tenobaal Totenamsel und Ulmiescha Luminow. Die Unternehmung gilt als Vorläufer der Schlüssel-Expedition, also der Suche nach dem Humus-Schlüssel, die zuweilen fälscherlicherweise ebenfalls Lichtvogel-Expedition genannt wird.

Raidri Conchobair notierte später über die Begegnung mit Fuldigor:

Unwillkürlich war ich auf die Knie gefallen, als die gewaltige Sprache der Drachen über mich hinwegbrauste. Es waren zugleich Worte, Gedanken und Bilder, Löwengebrüll, Sturmwind und Aschenhauch. Mein Leib und mein Geist erbebten unter dem Ansturm einer Macht, die so alt war wie die Welt.

Fuldigors erste Antwort brach mit Urgewalt über mich herein. Jeder seiner Gedanken war wie ein glitzernder Kristall voll gezackter Kanten, die in das offene Fleisch meines Geistes drangen. Seinen Inhalt zu verstehen hieß nur ihn aufzunehmen, wo seine Schärfe sich am wenigsten schmerzhaft in meinen begrenzten Verstand fügte.

Aber wo mir das gelang, erahnte ich die Schönheit von Sanftmut und Weisheit darin. Mein Gehirn erzitterte, als sich gewaltige Bilder und Vorstellungen in überirdischen Farben ihre Bahn hinein brachen. Ich taumelte unter dem Eindruck von Erinnerungen, die nicht meine waren. Mich trafen Folgerungen, die zu ziehen ich außerstande war. Ich benötigte später noch Stunden, um Bilder zu verstehen, die in Augenblicken auf mich einstürmten. Und manche von Fuldigors Offenbarungen liegen bis heute unzugänglich in meinem Geist wie Diamanten, die wohl niemals gefunden werden.

— aus den persönlichen Aufzeichnungen Raidri Conchobairs (Zitiert nach dem Roman ”Der Lichtvogel“ von Hadmar von Wieser sowie aus ”Rauhes Land im Hohen Norden“, grüner Band, S. 21.)

Über die Dämonenzitadelle berichtet Raidri:

(…) hörten wir erstmals von der Zitadelle der Dämonen im Ehernen Schwert: unzweifelhaft der Ort, den wir suchten, und hundertmal schrecklicher, als wir ihn uns vorgestellt hatten. Die Stimme beschrieb uns eine Wunde in der Schöpfung, die Spitze eines Speeres aus den Niederhöllen, ein Gebilde von Berggröße das seinen Aufenthalt täglich um ein Duzend Meilen veränderte – in den Schluchten des größten Gebirges der Welt.

— aus dem Nachlass des Schwertkönigs Raidri Conchobair (Zitiert nach “Firuns Atem”, S. 77.)

 

Der Klingenkrieg

Ende 1020 BF/Anfang 1021 BF wurde das Yal-Hamat-Gebirge zum Schauplatz einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen den Klingenmagiern. Die Nachricht von dem, was im Zentrum Rakshazars geschah, hatte inzwischen die entlegensten Winkel des Kontinents erreicht. Auch die Klingenmagier der beiden Hauptströmungen wussten bescheid, die der Diener des Namenlosen und die der Famerlorianer. In Scharen strömten die Angehörigen der verschiedenen Traditionen und Zirkel ins Zentrum des Rieslands, um ihrer jeweiligen Fraktion beizustehen, die Klingenkrieger des Namenlosen den Schattenlords und die Famerlorianer Thufir und seinen Verbündeten.

Einzig die Vulkanschrate, die Träger der Runenschwerter, die selbst eine Menge Klingenmagier stellten, zögerten. Sie waren überzeugt, dass es der Wille ihres Gottes Malmar, einem Synkretismus aus Ingerimm und Raschtul, sei, die Famerlorianer zu unterstützen. Doch sie wussten, wer zum zweiten Mal auf dem Thron von Amhas saß, und ebenso war ihnen bekannt, dass ihre Ahnen ein Bündnis mit Pardona eingegangen waren, als diese zum ersten Mal die Herrschaft über Amhas innegehabt hatte. Es musste ihr und ihrem sinisteren Herrn gelungen sein, die Balskin zu korrumpieren, doch wie genau dies vonstatten gegangen war, darüber schwiegen die Legenden. Die Vulkanschrate fürchteten, sie könnten Opfer einer perfiden Manipulation werden, von Pardonas mächtiger Magie oder der finsteren karmalen Macht des Widersachers. Daher blieben daher dem Schlachtfeld fern, um nicht erneut auf die falsche Seite gezwungen oder gezogen zu werden.

Das Umland von Amhas, vor allem aber das Gebirge wurden zum Zentrum der Kämpfe zwischen den Klingenträgern, die schon vorzeitig Zünglein an der Waage spielen wollten. Die Angurianer waren darüber nicht sehr glücklich, da sich der Konflikt immer mehr in Richtung An Khorals verlagerte. Da sie zudem nach ihrer Lossagung von den Borbaradianern fraktionslos waren, bemühten sich beide Seiten um ihre Gunst.

Die Angurianer waren voller Zweifel. Der Widersacher stand für Freiheit wie die, die ihre Vorfahren so mühselig errungen hatten, aber es war die Freiheit des Individuums, die keinen Gemeinschaftssinn kannte. Thufir indes erschien seit jeher als manipulative Macht mit unklaren Zielen. Die Angurianer trauten ihm nicht über den Weg. Einstweilen beschlossen sie, weiterhin neutral zu bleiben.

 

Nahemas Rieslandreise

Nachdem am 24. Praios 1021 BF die Schlacht auf den Vallusanischen Weiden geschlagen war und Nahemas Schicksal im Kampf gegen Borbarad auf aventurischer Seite erfüllt war, brach sie eiligst ins Riesland auf, wobei sie sich von einem Dschinn der Luft dorthin tragen ließ. Wohin sie gehen musste, hatte sich in ihren Prophezeiungen deutlich herauskristallisiert. Das Schicksal des Elften Zeitalters würde, soweit es das Riesland betraf, in Amhas entschieden werden, im Herzen des Kontinents.

Als Nahema das Umland der Stadt erreichte, fand sie es voll mit alptraumhaften Soldaten eindeutig niederhöllischer Prägung. Die Prophezeiungen der Magierin hatten angedeutet, dass die Domäne Iribaar irgendwie in die Borbarad-Krise verwickelt war. Details waren Nahema unbekannt. Während Amazeroth in Aventurien in aller Heimlichkeit agierte, machte er hier keinerlei Hehl aus seiner Identität und aus seinen Absichten. Offenbar hatte er in den vergangenen Jahrhunderten eine solche Machtfülle in Rakshazar angesammelt, dass er auf Heimlichkeiten nicht mehr angewiesen war. Unter den Invasoren befanden sich zahllose Menschen mit eindeutig tulamidischen Wurzeln, was die Besucherin aus Aventurien nur noch mehr beunruhigte.

Als Nahema über die Amazeroth-Truppen hinwegflog, wurde sie von diesen unter Beschuss genommen. Einige der Diener des Erzdämons erhoben sich ihrerseits in die Luft, um den Eindringling zu attackieren. Die Zauberin, die von dem Problem mit der Kritischen Essenz wusste, zündete ein Artefakt, das einen Kritische-Essenz-Effekt nach sich zog, der die Feinde in alle Richtungen versprengte. Ehe sie zu einem zweiten Anlauf ansetzen konnten, erreichte Nahema die Stadt und fand sie von Hundertschaften an Drachen und Gargylen bewacht. Kein Wunder, dass die Invasionsarmee trotz ihrer beunruhigenden Größe den Angriff scheute. Insgeheim rechnete Nahema damit, dass die magischen Ungetüme sie aus der Luft holen würden, doch die ließen sie anstandslos passieren. Sicher landete die Magierin auf den Zinnen des Amtssitzes des Konsuls.

Wenig später sah sie sich von einer Übermacht von Amhasim umringt, die sie nur mühselig von Übergriffigkeiten abhalten konnte. Sie wurde sie vor die Anführerin gezerrt und war erstaunt und überrascht, dass es sich um Pardona handelte. Nahema und die Dunkelelfe waren sich vor rund einem Jahrhundert begegnet und hatten sich sehr gut verstanden. Erschreckend gut, wie Nahema fand, seit sie herausgefunden hatte, dass die Elfe als die Zunge des Namenlosen galt.

Pardona zeigte sich etwas weniger überrascht. Sie hatte das Herannahen Nahemas mit Hilfe von Kataklys längst entdeckt. Sie begrüßte die Magierin als “meine teure Freundin”. Den Amhasim befahlt sie, “ihren geschätzten Gast” loszulassen. Die Magierin ahnte, dass hier ein sehr böses Spiel gespielt wurde, das alles in den Schatten stellte, was sie sich hätte ausdenken können, und schaffte es nur mühsam, gute Miene dazu zu machen.

Die Dunkelelfe erwies sich als charmante Gastgeberin, die ihr ein opulentes Mahl auftischte – Nahema wagte nicht einmal zu raten, wie sie es fertigbrachte, in der belagerten Stadt diese Masse an Vorräten bereitzuhalten –, plauderte mit ihr über aventurische Tagespolitik und Belanglosigkeiten wie die Strafen, mit denen sie unverschämte Sterbliche bedachten, und erkundigte sich dann beiläufig nach Borbarads Befinden. “Zuletzt ging es ihm bedauerlicherweise recht gut”, gab Nahema zurück. “Im Gegensatz zu seinem Bruder Rohal, den hat er im Kampf getötet.

Bruder”, lachte Pardona. “Ich dachte auch, die beiden seien Brüder. Menschenwürmer, keine fünfhundert Jahre alt. Wie man sich doch täuschen kann.” “Was meinst du?”, wollte Nahema wissen. “Kennst du das Gefühl?”, antwortete die Dunkelelfe. “Du verbringst das Vielfache der Lebensspanne eines Sterblichen mit Priestern und Königen, mit Forschungen und Intrigen, nur um am Ende festzustellen, dass du von den Prinzipien, die in der Welt wirken, nicht die geringste Ahnung hast.” Nahema hatte in der Tat eine gewisse Vorstellung davon. “Ich habe diesen Menschenwurm verflucht, weil er die Arroganz besaß, mich zurückzuweisen. Mich, die ich mich doch so viel älter wähnte als er. Und was muss ich feststellen? Er ist beinahe so alt wie diese Welt, ein kosmisches Prinzip, das in immer neuen Inkarnationen wiedergeboren wird, um einen Plan zum Abschluss zu bringen, der in unzähligen Leben in seinem Geist gereift ist. Die Vollendung des Frevels der Marhyna, in dem er geboren wurde.” Pardona hatte mit Hilfe von Kataklys Borbarads Vergangenheit erforscht, von seiner Inkarnation als Assarbad Kenntnis erlangt, dann von Menuril und schließlich von allen anderen, zurückreichend bis ans Ende des Dritten Zeitalters, wo der Alveraniar des Wissens in Strom der Astralkraft getreten war, den Marhyna und Nirandor entfesselt hatten, um fortan zyklisch wiedergeboren zu werden bis zum Ende der Zeit, ausgestattet mit gewaltiger astraler Kraft. Als Nandus sich aufspaltete in Hesinde und Amazeran, weil er sich nicht entscheiden konnte, ob er die Schöpfung mit allen möglichen Mitteln erforschen oder sie bewahren wollte, hatte es auch den Alverniar des Wissens zerrissen, in die beiden Teile, die heute die “Brüder” Rohal und Borbarad waren.

Borbarad ist ein Diener Amazeroths?”, durchfuhr es Nahema. „So, wie Iribaar das begreift, sollte er es sein. Aber sein Alveraniar verweigert ihm die Gefolgschaft. Er will lieber von Hesinde gemocht werden„, lachte die Finsterelfe jetzt. „Hat Amazeroth deshalb seine Truppen aufmarschieren lassen?„, wollte die Magierin wissen. „Es hat in der Tat mit Borbarads Masterplan zu tun„, entgegnete Pardona. „Borbarads Masterplan?„, echote Nahema.

So erfuhr die Magierin dann auch, dass alles, was der Alveraniar des Verbotenen Wissens während seiner unzähligen Inkarnationen getan, alles, wofür er sich interessiert, alles an dem er geforscht hatte, letztlich in einen gewaltigen Plan eingeflossen war. Marhynas Frevel, in dem er entstanden war und der ihn auf ewig mit den letzten Geheimnissen der Magie verband, die es zu entschlüsseln galt. Sein über mehrere Zeitalter reichendes Studium der Bashuriden, Marhynas erstem Volk, das neben den Großen Drachen und dem Alveraniar selbst am meisten von der Freisetzung der Sternenkraft profitiert hatte. Die ablehnende Haltung der Bashuriden gegenüber den Unsterblichen, die sie für die Übel der Welt verantwortlich machten, vor allem für die wiederholte Auslöschung signifikanter Teile des sterblichen Lebens auf Dere. Marhynas Absicht, die Sterblichen mit Hilfe der Magie zu befreien. Ihre Erkenntnis, dass ihr dies nur sehr bruchstückhaft gelungen war. Borbarads Forschungen über das Thema Freiheit, deretwegen er durch das Riesland gereist war und die Philosophie der Angurianer ersonnen hatte. Seine Predigten in Amhas, die schließlich zu dem Aufstand geführt hatten, aus dem die Angurianer hervorgegangen waren. Dies alles hatte sich in Borbarads Kopf zu einem gewaltigen großen Vorhaben verbunden. Er wollte alle Sterblichen zu Vollzauberern machen. Dadurch würden sie ihre eigenen Beschränkungen überwinden, diejenigen unter ihnen hinwegfegen, die zu schwach waren, sich der Unsterblichen entledigen und schließlich die Begrenztheit der Welt zu überwinden, auf dass sie unendlich werde, wie die Niederhöllen es heute schon sind.

In Nahema arbeitete es. Genau diese Freiheit war es, die sie selbst ihr Lebtag gesucht hatte und für deren Verwirklichung sie oft genug ihre Magie zum Einsatz gebracht hatte. Pardona schien ihre Gedanken zu erraten. “Ein vertrautes Konzept, nicht wahr? Im Grunde ist das die Freiheit, die auch der Namenlose lehrt. Nur dass der nicht auf die Idee kommen würde, sich selbst aus dem Spiel zu nehmen. Borbarad indes will den Sterblichen die Magie schenken, damit sie schlussendlich auch ihn selbst überwinden können. So nobel wäre mein Herr nicht. Und ich auch nicht.” Zögernd erwiderte Nahema. “Ich ebenfalls nicht. Was soll jetzt geschehen?

Nun”, sagte Pardona, “Amazeroth hat selbstverständlich andere Pläne. Wenn Borbarads Scharade gelingt, wird die Welt auseinanderbrechen, denn er wird auch die Kraftlinien des Rieslands fluten, und die sind seit dem Kataklysmus dermaßen verheert, dass eine Kettenreaktion ausgelöst wird, die sich über das gesamte Kraftliniennetz verbreitet und sich schlussendlich gegen die Welt entlädt. Borbarads riesländischer Kult ist von Amazeroths Leuten unterwandert. Die haben zum Schein ein paar Verbindungen zwischen dem Goldenen Netz und den außerhalb des Rieslands liegenden Kraftlinien blockiert und Borbarad fälschlicherweise gemeldet, das Goldene Netz sei vom restlichen separiert worden.

Und du willst etwas dagegen unternehmen?”, fragte Nahema erschrocken. “Nun, wenn das Kraftliniennetz repariert würde, bevor Borbarad seinen Plan in die Tat umsetzt, gibt es keinen Grund mehr, es nicht in den Plan des Sphärenschänders einzubeziehen”, führte Pardona aus. “Mit Ausnahme dessen, dass von nun an jeder die Kraft beherrscht und Leute wie du und ich ihre Einzigartigkeit verlieren”, fiel es der Magierin ein. “Nur vorübergehend”, erklärte die Dunkelelfe lakonisch. “Mit dieser Macht in den Händen wird es ein Leichtes sein, den Namenlosen von seinen Ketten zu befreien. Er wird jene hinwegfegen, die sich ihm widersetzen, allen voran die zwölf Verräter, die Alveran besetzt halten. Und dann jene Sterblichen, die sich gegen ihre Konkurrenten durchsetzen, in eine bessere Zukunft führen. In ein neues Marhynianisches Imperium, besser und mächtiger als das zweite und bereit, zu Ende zu bringen, was sein Vorgänger begonnen hat.” “Du weißt, dass ich das nicht zulassen kann”, erklärte Nahema jetzt. “Ich habe immer für die Freiheit gekämpft. Aber für meine Freiheit. Nicht für die eines finsteren Gottes.” “Auch ich hatte meine Sturm- und Drangphase”, erklärte die Finsterelfe. “Manchmal muss man sein Ego zurückstellen, um dem Großen Ganzen zu dienen. Teil einer Gemeinschaft zu sein wichtiger als der eigene Stolz. Schließ dich mir an, wie es sich für meine Enkelin geziemt.” “Enkelin? Was soll das heißen?”, wollte Nahema wissen.

So erfuhr Nahema nun auch, dass Pardona die Schöpferin Tubalkains war – sie selbst wählte den Begriff “Mutter” – und Tubalkain Nahemas Vater. Sie fragte sich, ob Pardona log, doch seltsamerweise glaubte sie ihr. Für einen Augenblick verschlug es ihr die Sprache. Wie viele Jahre hatte sie sich nach einer Familie gesehnt, nach Nähe und Anerkennung. Selbst als ihr Leben schon Jahrhunderte währte, war dies immer etwas gewesen, was ihr gefehlt hatte, was sie ihr Lebtag hatte entbehren müssen. Jetzt endlich fand sie mehr heraus über ihre väterliche Erblinie, und auf einmal wünschte sie sich, es wäre nie bis an ihr Ohr gedrungen.

Was also blieb ihr? Amazeroths Diener gewähren lassen und die Vernichtung der Schöpfung in Kauf zu nehmen? Der Gedanke übte eine gewisse Faszination auf sie aus, denn die tulamidischen Wurzeln Al’Hrastors und seiner Schergen waren trotz aller riesländischen Einflüsse deutlich zu erkennen. Auch wenn es seine pervertierte Variante war, so würde es doch ihr geliebtes Volk sein, welches die Entscheidung traf über das endgültige Schicksal der Welt. Oder Pardona zu folgen, in den Schoß der Familie zurückzukehren, endlich geborgen zu sein, den Untergang der Welt zu verhindern, sie dafür jedoch dem Namenlosen in den Rachen zu werfen?

Ihr Ziel war es immer gewesen, frei zu sein. Welche Freiheit sollte sie wählen? Die Freiheit Amazeroths, die sie von allem befreite, ihrem Leben, ihrem Dasein, ihrer Existenz? Die Freiheit des Namenlosen, der seinen Dienern genug Macht verlieh, sich gegen ihre Feinde durchzusetzen, nur nicht gegen ihn selbst, und die ihm schlussendlich zu Diensten sein mussten? Oder die Freiheit Borbarads, der die Bevormundung durch die Unsterblichen beseitigen wollte, die Sterblichen dafür jedoch in einem gnadenlosen Machtkampf aufeinander hetzten würde? War das alles? Mehr Alternativen gab es nicht?

Nahema ließ sich erklären, wie Pardona die Reparatur des Kraftliniennetzes bewerkstelligen wollte. Auch dies erläuterte ihr die Dunkelelfe freimütig und zeigte ihr sogar Kataklys, den Kometenkern, mit dem entweder sie das Goldene Netz reparieren oder Amazeroth es endgültig zerstören würde.

In der Nacht verließ Nahema Amhas flucht-, ja beinahe panikartig. Pardona ließ sie ziehen.

 

Tulamidendämmerung

Nahema hatte in ihren Träumen und Visionen Hinweise gefunden, dass Amazeroth selbst den Augenstern hervorgerufen und so die erste Tulamiden ins Riesland geführt hatte. Wenn das den Tatsachen entsprach, dann hatte er auf ganzer Linie Erfolg gehabt. Yal-Mordais Truppen waren albtraumhafte Karikaturen all dessen, was das Tulamidenvolk ausmachte. Selbst der Phexkult war bis ins Absurde pervertiert und diente sich den Amazeroth-Dienern an, die den Erzdämon für eine Gottheit hielten und ihr ganzes Staatswesen darauf aufgebaut hatten.

Zum ersten Mal in ihrem über dreihundertfünfzig Jahre währenden Leben war Nahema der Verzweiflung nahe. In Aventurien hatte sie stets gewusst, was es zu tun galt. Sie hatte nicht immer Erfolg gehabt, vor allem nicht in der Anfangsphase, aber sie hatte stets gewusst, wohin ihr Streben zu richten war. Das hier war zu groß für sie. Viel zu groß. Es schien noch immer ihre Welt zu sein. Es gab Tulamiden, es gab den Phexkult, es gab die Magie. Aber nichts davon war so, wie es sein sollte. Gar nichts. Alleine konnte sie nicht gewinnen, aber sie konnte auch keine Verbündeten erwählen, da jede Fraktion, die im Riesland am Werk war, die Welt entweder versklaven oder zerstören wollte. Im Grunde bestand ihre einzige Chance darin, zu Borbarad zu gehen, ihn über all das zu informieren, was hier geschah, und ihn zu bitten, seinen Plan zu modifizieren. Zugleich wusste sie, dass es unmöglich war. Der Sphärenschänder würde nicht auf sie hören. Nicht mehr in dieser Phase, in der Rohal tot und sein eigenes Ende damit absehbar war und in der es deshalb auf jeden einzelnen Tag ankam, wollte er sein Vorhaben rechtzeitig umzusetzen.

Nahema schlug ein Lager auf halber Strecke zwischen Amhas und dem Yal-Hamat-Gebirge auf und überdachte krampfhaft ihre Situation. Da hielt ein gewaltiger Drache direkt auf sie zu. Die Magierin erschrak, als sie erkannte, dass dies kein echter Drache, sondern ein Quitslinga war, einer von Amazeroths Schergen. Rasch war sie auf den Beinen. “Verschwinde, Dämon, oder ich banne dich dorthin, woher du gekommen bist”, fauchte Nahema. “Tsss”, gab Merclador zurück. “Redet man so mit dem Einzigen, der die verkorkste Situation noch zu retten vermag?” Er verwandelte sich in einen Tulamiden mit Turban und Schmerbauch. “Falls Euch diese Gestalt genehmer ist.” “Die Situation retten? Ihr seid nur ein Quitslinga, ein niederer Diener des Feindes. Eine Schmeißfliege der Niederhöllen”, sprach Nahema irritiert. “Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen. Und man sollte andere nicht ausschließlich nach ihrem Äußeren beurteilen. Ich dachte, Ihr würdet das am Besten wissen. Immerhin habt Ihr verschiedenste Qualitäten, die weit über Euer angenehmes Äußeres hinausreichen. Seht noch einmal genauer hin”, forderte Merclador sie auf.

Nahema wirkte einen Odem Arcanum und wurde fast von den Beinen geholt. Was sie sah, blendete sie, weit mehr noch als es ihre eigene machtvolle Aura bei anderen tat. “Was …”, setzte sie an. “Reden wir”, entgegnete Merclador und erzählte Nahema seine Geschichte. Wie er als Sohn Pyrdacors auf die Welt gekommen war, wie er mit dem Drachen der Kraft verschmolzen war, warum er einen Pakt mit Amazeroth geschlossen hatte, dem er trotz aller Bemühungen nicht entkam. Dass er auf den Alveraniar des Verbotenen Wissens spezialisiert war und auf den Stein der tiefsten Nacht. Und dass er frei sein wollte und kein Interesse hatte an der Vernichtung der Schöpfung.

Dass die Begegnung zwischen Nahema und Merclador auf lange Sicht weit mehr in Gang setzen würde, ahnten an dieser Stelle weder die Zauberin noch der Drachendämon. Die Mächte des Schicksal indes hatten mit beiden bereits viel weitreichendere Pläne.

Dass sie beide dieselben Wurzeln hatten, wurde ihnen ebenfalls nicht bewusst. Pardona war Pyrdacors Geschöpf, Merclador war von beiden erschaffen worden. Pardona hatte aber auch Tubalkain ins Leben gerufen, Nahemas Vater. Letzterer leistete sich eine Fehde mit Pardonas menschlicher Schwester. Beide Väter, Pyrdacor ebenso wie Tubalkain, hatten wenig von ihren Kindern gehalten, ihnen keine Fürsorge geschenkt und erst recht keine Liebe. Über Pardona waren die Schicksalsfäden der geschmähten Kinder Merclador und Nahema miteinander verwoben, und jetzt waren sie beide hier, die Finsterelfe aufzuhalten.

Auch ihre gemeinsame Opposition gegen Al’Hrastor folgte einem weitaus größeren Kontext. Nahema hatte vor langer Zeit beschlossen, das Volk der Tulamiden vor Unbill zu schützen, die ihm drohte, von außen wie von innen. Wie hätte sie den finalen Sieg eines Mannes hinnehmen können, der das tulamidische Erbe in Rakshazar an Amazeroth verschachert hatte? Merclador indes hatte sein Leben und sein Seelenheil seinem Vater geopfert. Einem Vater, der seine Leistungen nie anerkannt hatte, der nie Dankbarkeit gezeigt hatte oder ein Lob aussprach. In dem Versuch, seine Gunst zu erringen, hatte er seine Seele an Amazeroth verpfändet. Dank seiner Beteiligung daran, Pyrdacors Karfunkel vor der Vernichtung zu bewahren, hatte er sein Leben verloren; Famerlor tötete ihn für seine Einmischung. Dass er den Niederhöllen anheimgefallen war, war einzig dem vergeblichen Streben geschuldet, seinem Vater zu gefallen. Pyrdacors Karfunkel hatte die Zeiten überdauert, war zum namensgebenden Diamanten des Diamantenen Sultanats geworden, und nun saß mit Al’Hrastor ein Mann auf dem Thron von Yal-Mordai, der den untergegangen geglaubten Titel eines Diamantenen Sultans für sich beanspruchte. Eines Sultans, der im Zeichen Pyrdacors regierte und seine Herrschaft damit direkt von dessen Ansprüchen ableitete, auch wenn ihm das selbst nicht bewusst war. Doch anders als vor Pyrdacor selbst beugte Merclador vor diesem blassen Abklatsch seines Vaters nicht die Knie. Er opponierte gegen den, der im Zeichen von Pyrdacors Karfunkel herrschte, wie er es bereits im Zweiten Drachenkrieg hätte tun sollen.

Nahema strebte stets danach, das Richtige zu tun, doch gelang ihr das nicht immer. Merclador hatte lange danach gestrebt, das Richtige zu tun, doch es war ihm niemals gelungen. Bis zu exakt diesem Moment. Ein Novum, das auf lange Sicht sein Dasein verändern würde.

Und was habt Ihr vor?”, fragte Nahema.
Ich werde Euch einer Fraktion vorstellen, die Ihr noch nicht kennt”, entgegnete Merclador. “Ich nehme an, sie wird eher als die anderen Euren Vorstellungen entsprechen.

Wenige Stunden später wurden Merclador und Nahema zu einer Audienz bei Drachenkaiser Thufir empfangen.

 

Die Schlacht um Amhas

 

Der Angriff auf die Stadt

Mit dem Schwarzen Auge Tiefenblick brachte Hrastor in Erfahrung, dass Pardonas Bemühungen, Kataklys in die Sechste Sphäre zurückzusenden und dabei die Verheerung des Goldenen Netzes rückgängig zu machen, beunruhigende Fortschritte erzielten. Agrimazth war zu derselben Schlussfolgerung gelangt. Die Schlacht um Amhas ließ sich nicht länger verschieben. Es war an der Zeit, den Schattenlords den Kometenkern abzujagen.

Al’Hrastor war unwillig, zum Sturm auf Amhas zu blasen. Sollte die Amazth-verfluchte Dienerin des Namenlosen doch Erfolg haben. Wenn die Kraftlinien repariert waren, konnte er sie nutzbar machen und mit seinem Plan fortfahren, Amazeroth vom Thron zu stoßen. Natürlich konnte Al’Hrastor diese Gedanken gegenüber den anderen Amazth-Dienern nicht zugeben. Schlussendlich stimmte er zu und befahl den Angriff.

Es entbrannte eine mehrere Wochen andauernde, furchtbare Schlacht, in der Drachen gegen Amazäer und Zelothim gegen Gargylen fochten. Die Kräfte der Elemente wurden entfesselt, und ebenfalls Dämonen aus dem Abgrund oder den tiefsten Tiefen der Niederhöllen. Ständig flackerten Kritische-Essenz-Effekte auf und brachten die Beteiligten der Schlacht in zusätzliche Lebensgefahr. Hier, im Zentrum Rakshazars, waren die Beeinträchtigungen am Größten.

 

Thufirs Truppen

Thufir brachte seine Verbündeten in Stellung. Im Augenblick gab es noch keinen Grund zum Einzugreifen. Sollten die beiden feindlichen Parteien sich zunächst einmal gegenseitig schwächen. Seine Leute würden frisch und ausgeruht bereitstehen, um gegen die Überlebenden vorzugehen. Alles hing jetzt davon ab, ob die Frau vom fremden Kontinent mit ihrer diplomatischen Mission Erfolg haben würde. Sie hatte versichert, sie wisse genau, wie man mit Anführern und Machthabern reden müsse. Diese Nahema war wahrscheinlich die letzte und einzige Hoffnung, die Angurianer doch noch ins Team zu holen.

Im Laufe der nächsten Tage erhielt Thufir unerwartete Unterstützung durch jene, die Kataklys aus aller Welt herbeigerufen hatte und die nun, passend zum Endkampf, nach und nach im Riesland eintrafen. Auch Archaikus und eine neue Inkarnation des Ewigen Kriegers fanden sich ein. Da Tridekarius über die geballte Macht der Schattenlords verfügte, schien es ziemlich offensichtlich, welche der Superintelligenzen diesmal Unterstützung nötig hatte, damit das Gleichgewicht der Kräfte gewahrt blieb. Zu Archaikus’ großer Freude erschien sogar die Träger des uthurischen und des myranischen Schildes der Macht, die im Gegensatz zu den Trägern des aventurischen, riesländischen und frangorischen Schildes nicht von Borbarad in der Rulat-Globule eingesperrt worden waren.

 

Die Belagerung

Auch wenn sich Schattenlords und Amazth-Anhänger in puncto Brutalität wenig schenkten, ging Al’Hrastor besonders exzessiv vor und presste das Letzte aus seinen Paktgeschenken heraus und vor allem aus dem Stein der tiefsten Nacht, der durch den nicht allzu lange zurückliegenden Paktschluss nur so vor Kraft strotzte. Dank des Spiegelszepters des Amazth konnte er Effekte der Kritischen Essenz vermeiden oder jedenfalls von sich selber fernhalten, und so erlebte Rakshazar geballte magische Macht, wie es sie seit dem Untergang des Imperiums im Riesland nicht mehr gegeben hatte.

Noch hielten die Mauern von Amhas, aber sie schwankten, und so peitschte Gorgafan seine Drachen und Darknaros seine Gargylen an, reiche Ernte zu halten in den Reihen der Amazth-Diener.

 

Das Ritual beginnt

Da erging eine Warnung von Kataklys an die Allianz vom Djer Mussa: Pardona hatte herausgefunden, wie sie es anstellen musste, Kataklys in die Sechste Sphäre zurückzuschicken, die Kraftlinien des Rieslands wiederherzustellen und das wiederhergestellte Netz der Kraftlinien zu nutzen, die Ketten des Widersachers zu sprengen. Sie würde alsbald mit dem Ritual beginnen. Thufir wusste nun, dass keine Zeit mehr blieb, das Ergebnis der Schlacht abzuwarten und die Reste aufzusammeln. Sie mussten sich den Weg nach Amhas freikämpfen. Jetzt. Um sich trotz der Fesselung durch den Paktstein frei bewegen zu können, sorgte Thufir dafür, dass einer seiner Drachkin sich als Gefäß zur Verfügung stellte, so wie Sultan Kharibet es lange Zeit getan hatte.

 

Thufirs Eingreifen

Es sollte sich erweisen, dass Thufir das Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte. Dass sich neben Yal-Mordainern, Schattenlords und Borbaradianern heimlich eine vierte Fraktion gebildet hatte, war selbst Hrastor mit dem Schwarzen Auge Tiefenblick entgangen. Dafür hatte Kataklys gesorgt, der sich in andere Kommunikationsartefakte einklinken und sie beeinflussen konnte. Er hatte seine Verbündeten für Hellsichtartfakte unsichtbar gemacht.

Das Kampfgetümmel sorgte zudem dafür, dass die kämpfenden Parteien das Herannahen der Allianz erst spät wahrnahmen. Dann jedoch sorgte das plötzliche Auftauchen von allerlei Brokthar (Cromor, Ronthar, Kurotaner) und ihrer menschlichen und orkischen Verbündeten, Irrogoliten, anderen Anhängern Ingrors, Drachen und Drachlingen aus Thufirs Gefolge, unzähligen Famerlor zugeneigten Klingenmagiern, Kämpfern von fernen Kontinenten, den Schildträgern, dem Ewigen Helden und anderen Kriegern für heillose Verwirrung.

Thufir verstand diese auszunutzen und attackierte die Amazäer ebenso wie die Truppen der Schattenlords. Er wusste, dass ein vollständiger Sieg über beide Fraktionen unmöglich war, daher sah seine Taktik vor, eine Schneise durch ihre Reihen zu schlagen, um den Weg nach Amhas zu öffnen. Durch das Überraschungsmoment kam die Allianz gut voran, und binnen wenigen Stunden kamen die Mauern von Amhas in schier greifbare Nähe. Dann jedoch hatte sich Amazäer und Schattenlords auf die neue Situation eingestellt. Beide fokussierten sich auf den neuen Gegner, und so konnte Thufir nicht verhindern, dass seine Truppen eingekesselt wurden.

Drei Tage lang konnte die Allianz die Position halten, doch sie schaffte es nicht, sich aus der aussichtslosen Lage zu befreien. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Feinde den Kessel sprengen und ein gnadenloses Blutbad anrichten würden. Da jedoch erschien eine Wolke am Horizont, und weitere Truppen preschten heran. Angeführt wurden sie von einer schwarzhaarigen, heißblütigen Magierin, die auf Mercladors Rücken ritt, der seine Drachengestalt angenommen hatte, und ihre Verbündeten zur Eile anpeitschte. Nahemas Mission war ein Erfolg gewesen. Sie hatte die Angurianer überzeugt, sich der Allianz anzuschließen.

 

Das Erscheinen der Angurianer

 

 

Die Aussicht darauf, entweder von den Schattenlords versklavt oder von den Amazäern vernichtet zu werden, stimmte die Nachkommen einstiger Sklaven nicht eben fröhlich. Die Tatsache, dass die Bedrohung wieder einmal von Amhas ausging, tat ihr Übriges. Zornlodernd fuhren die Angurianer in die Reihe der Feinde, erkämpften einen Korridor in den Kessel, schlossen sich der Allianz an, und gemeinsam durchbrachen die Truppen der Allianz die Reihen der Feinde und arbeiteten sich in Richtung der Stadtmauern durch.

Pardona hatte mit dem Ritual da bereits begonnen, aber es würde Zeit benötigen, und die wusste die Allianz zu nutzen. Nahema und die Klingenmagier woben einen mächtigen Zauber und schleuderten ihn auf die Mauern von Amhas. Bereits der Spruch selbst schwächte ihre Struktur, doch der Kritische-Essenz-Effekt, der folgte, brachte den trutzigen Wall auf einer Breite von zwanzig Schritt zum Einsturz, so als hätte die Mauer aus Sand bestanden.

Die Schattenlords schonten ihre eigenen Truppen. Stattdessen sandten sie der Allianz die Amhasim entgegen, die unter ihrem Bann standen. Die Angurianer hätten kein Problem gehabt, diese willkommene Chance auf späte Rache zu nutzen, aber Thufir entschied anders. Auch die Amhasim waren Opfer der Intrige der Finstermächte, wenn möglich galt es, ihr Leben zu schonen.

Die Allianz brachte Häuser zum Einsturz und errichtete magische Barrieren. Auf diese Weise gelang es ihr, den Großteil der Amhasim fernzuhalten. Die Schattenlords mussten nun selbst in die Bresche springen. Gorgafan schwang sein Drachenzepter und wollte den Lindwürmern befehlen, sich auf die Allianz zu stürzen, doch da traf ihn Nahemas Feuerstrahl in die Hand, mit der er das Zepter hielt. Brüllend vor Schmerz ließ Gorgafan das Artefakt los, und es fiel achtzig oder neunzig Meter in die Tiefe. Unmöglich, es rasch zu bergen. Die Drachen, denen der Troll seinen Willen aufgezwungen hatte, kamen plötzlich frei, erkannten, dass Gorgafan sie unter seine Knute gezwungen hatte, und wandten sich gegen die Schattenlords und ihre Truppen. Auf einmal waren Gargylen und Drachen in einen tödlichen Kampf verstrickt. Die Verteidigung von Amhas brach zusammen, für Al’Hrastor die Aufforderung schlechthin, auf die Stadt vorzurücken.

 

Kataklys’ Entrückung

Doch die Allianz war schneller. Nahema, Merclador, die Schildträger, der Ewige Held, einige Klingenmagier und ein Dutzend Angurianer stürmten den Sitz des Konsuls und platzten in Pardonas Ritual, kurz bevor es abgeschlossen war. “Nein, nicht schon wieder!”, schrie die Finsterelfe, doch die Eindringlinge ließen ihr keine Zeit, eine Abwehrmaßnahme zu ergreifen. Als magische Geschosse in ihre Richtung flogen, stürzte sich Pardona kurzerhand aus dem Fenster, verwandelte sich im Fallen in einen Gletscherwurm und flog zornlodernd davon.

Kataklys strahlte glutrot, wie er es getan hatte, als er auf Dere herabgefallen war, um das Imperium zu verheeren. Das Ritual war beinahe abgeschlossen worden, nur die temporale Komponente, welche die Verheerung des Kraftliniennetzes rückgängig machen sollte, war noch unvollständig. Die Allianz beratschlagte kurz, doch jeder wusste, was zu tun war. Nahema brachte das Ritual zum Abschluss, doch ohne die temporale Komponente. Ein rotglühender Fanal stieg in die Höhe, schwebte für einen kurzen Moment über Amhas und entschwand dann in Richtung Sechster Sphäre, wobei er einen gewaltigen Schweif hinter sich herzog. Kataklys war dorthin zurückgekehrt, von wo Ingror der Vernichter ihn einst auf das Riesland geschleudert hatte.

 

Rückzug aus Amhas

Damit war die Schlacht geschlagen. Der Komet war dem Zugriff der Kriegsparteien entzogen. Die Pläne der Amazth-Anhänger waren gescheitert. Hrastor bebte vor Zorn, Al’Hrastor indes, der ein weiteres Mal um die Entscheidung herumgekommen war, ob er die Schöpfung vernichten oder Amazeroth vom Thron stürzen wollte, befahl den Rückzug. Völlig entkräftet durch den exzessiven Gebrauch seiner magischen Kräfte, ist Al’Hrastor seit der Schlacht um Amhas noch angeschlagener als zuvor. Seine Regeneration benötigt noch mehr Zeit, als dies ohnehin schon der Fall war, und sein Geist hat weiteren Schaden genommen. Er wirkt nun zuweilen zur Gänze von der Welt entrückt, ist aber immer noch präsent genug, um alle anderen in seinem Umfeld an effektiver Arbeit zu hindern.

Gorgafan konnte das Drachenzepter bergen, aber die Drachen stoben in alle Richtungen davon, bevor er sie erneut unterwerfen konnte. Pardona war geflohen, somit gab es auch für die Schattenlords hier nichts mehr zu tun. Sie schwangen sich auf den Rücken ihrer Gargylen oder nutzten andere Transportwege und kehrten auf ihre Inseln zurück.

Dadurch fiel der Bann von den Amhasim ab, die entsetzt und beschämt auf die Tatsache reagierten, dass ihre alten Feinde, die Angurianer, ihnen, der überlegenen Herrenrasse, buchstäblich den Hintern gerettet hatten. Die Angurianer würden sie an diesen Tag erinnern. Immer und immer wieder.

Die Finstermächte hatten eine empfindliche Niederlage erlitten. Kataklys schwebte jetzt wieder über dem Riesland, und das bot Ingror dem Vernichter die Gelegenheit, den Kometen erneut zu schleudern, sollten die Mächte der Dunkelheit irgendwann wieder die Oberhand gewinnen.

Für Nahema, die Schildträger und andere Unterstützer von anderen Kontinenten war die Zeit gekommen, sich aus dem Riesland zurückzuziehen und sich wieder anderen Aufgaben zu widmen. Die tulamidische Magierin trat die Rückreise mit äußerst gemischten Gefühlen an. Das, was sie hier erfahren hatte, insbesondere soweit es ihre Großmutter und ihren Vater betraf, würde sie noch lange beschäftigen.

Auch wenn die Allianz vom Djer Mussa sich auflöste und alle Beteiligten wieder getrennte Wege gingen, hatte der gemeinsame, erfolgreiche Kampf doch einige Barrieren gegenseitigen Misstrauens eingerissen und sogar ein paar Freundschaften gestiftet. Künftig würde es für einige Fraktionen einfacher sein, miteinander zu kooperieren. Einen neuen Brokthar-Krieg jedenfalls würde es so schnell nicht mehr geben.

 

Mercladors Pläne

Merclador lächelte. Hatte er doch gewusst, dass er Recht behalten und auch diesmal die Dinge in die richtigen Bahnen lenken würde. Das Kapitel “Alveraniar des Verbotenen Wissens” schien ein für allemal abgeschlossen. Sein Herr Amazeroth hatte hoch gepokert und schlussendlich verloren. Merclador gab das ein Stück seiner Freiheit zurück. Er blickte auf den Stein der tiefsten Nacht in seiner Hand. Obwohl der letzte Paktschluss noch nicht lange zurücklag, war seine Macht vollkommen verbraucht. Al’Hrastor hatte alles herausgepresst, was sich herauspressen ließ. Mercladors Karfunkel hatte auf seine ganz eigene Weise auf diese außergewöhnlich rüde Behandlung reagiert und war seinem Träger entglitten. Mehr noch. Der Stein befand sich in einem Zustand, so als hätte es den letzten Paktschluss, der seine Macht erneuert hatte, niemals gegeben. Zu kurz war der Abstand zwischen Al’Hrastors Kontrakt mit Amazeroth und der vollständigen Entladung des Steins. Merclador war also gleichermaßen frei wie verpflichtet, einen neuen Träger zu finden. Nun, vielleicht war es an der Zeit, dem Riesland den Rücken zu kehren und einmal etwas anderes zu versuchen, als den Stein den Größen der derischen Geschichte aufzunötigen. Ein neues Heldenzeitalter brach herein. Vielleicht würde sich unter all den glücklosen Glücksrittern, die solche Zeiten hervorbrachten, ein argloser Trottel finden, den er hereinlegen konnte. Die alte Geschichte, dass der Pakt mit Amazeroth dringend geschlossen werden müsse, um die Welt zu retten, zog eigentlich immer.[10]

 

Der Fortgang des Kosmischen Schachs

Die vier Superintelligenzen zogen sich zurück und spielten weiter ihr kosmisches Schach, dessen Sieger eines Tages den verschollenen Mond Darkoon finden würde. Für Kataklys, der jetzt in der Sphäre oberhalb von Dere schwebte, waren seine Schach- und Winkelzüge künftig etwas schwieriger zu bewerkstelligen. Da er aber nach wie vor in der Lage war, Kontakt zu den Schwarzen Augen und Kommunikationsartefakten Deres aufzunehmen, war dies ein Problem, das sich lösen ließ.

Noch jemand blickte zufrieden auf den Ausgang der Schlacht. Jemand, den keiner auf dem Schirm gehabt hatte. Mit Kataklys war ein interessantes neues Objekt in der Sechsten Sphäre aufgeflammt. Tairach würde sich darum kümmern, wenn seine Orks den Weg in ihre Dritte Welt antraten und die Sechste Sphäre für ihn in Besitz nahmen.

Das Goldene Netz des Rieslands blieb beschädigt, und das ist wohl auch gut so, weil die Kritische-Essenz-Effekte weiterhin verhindern werden, dass riesländische Zauberkundige zu viel Macht erhalten und damit großen Schaden anrichten.

 

Rausch der Ewigkeit

 

Borbarads Entrückung

Borbarad wurde am 23. Ingerimm 1021 BF, nachdem das Götterschwert Siebenstreich die Dämonenkrone zertrümmert hatte, in eine eigenes für ihn geschaffene Minderglobule entrückt, den Rausch der Ewigkeit. Das Kind, welches Satinav und Rahja ins Leben gerufen hatten, hatte sie erschaffen und würde dort über den Dämonenmeister wachen. Zugleich konnte Borbarad dort die absolute Freiheit ausleben, nach der er sich so gesehnt hatte. Am Ende der Zeiten würde er entscheiden können, ob er für die Ordnung der Welt kämpfen wollte oder gegen sie.

Mit diesem Winkelzug verhinderten die Götter, dass eine uralte Seele den Niederhöllen anheimfiel. Borbarad hatte einst sieben Dämonenpakte geschlossen und geglaubt, dass die Konkurrenz zwischen den Erzdämonen um seine Seele diese neutralisieren würde. Doch diesbezüglich unterlag er einem Irrtum. Über kurz oder lang wäre er in die Niederhöllen gezerrt worden. Es war Amazeroth gewesen, der ihm die Idee mit den Pakten eingeflüstert hatte. Da war es kein Wunder, dass sie nicht funktioniert hätte.

 

Das vermeintliche Scheitern von Amazeroths Plänen

Nunmehr hatten die Götter sich revanchiert und Amazeroth hereingelegt, jedenfalls glaubten das die meisten von ihnen. Der Zugriff auf den Alveraniar des Verbotenen Wissens, den der Erzdämon über so viele Äonen so verzweifelt begehrt hatte, war ihm dauerhaft unmöglich gemacht worden. Zugleich bedeutete dies, dass sein abtrünniger Dämon Merclador sich in Zukunft noch mehr Freiheiten herausnehmen konnte, weil Amazeroth ihn zwangsläufig seiner Hauptaufgabe entbinden musste, den Alveraniar für Iribaars Sache zu gewinnen.

Borbarad konnte seinen Masterplan und seine Jahrtausendbeschwörung nicht zum Abschluss bringen. Der Xamanoth-Minderpakt für alle Sterblichen, das Eindringen der Niederhöllen in jeden kleinsten Winkel der Schöpfung, blieb aus. Von Amazeroths hochtrabenden Plänen schien somit einzig der fahle Triumph, dass auch ein Borbarad nicht gefreit war gegen seine Täuschungen, geblieben zu sein.

Niemand ahnte, dass der Vielgestaltige Blender weit entfernt war von jeder Form der Enttäuschung. Hinter dem Sternenwall blickte Amazeroth mit diabolischem Grinsen durch einen der Risse Richtung Dere. Alles war exakt entsprechend seinem Plan verlaufen. Alle hatten sie geglaubt, seinen wahren Willen zu kennen, und wie üblich hatte keiner ihn auch nur im Ansatz erraten, mit Ausnahme Hesindes womöglich, seines Gegenstücks. Er war die Klugheit des Nandus. Und wie sollte ein gewöhnliches Wesen diese je überlisten können, egal ob sterblich oder unsterblich.

 

Die Erfüllung des Schicksals der Menschen

Für die Menschen bedeutete der Ausgang der Auseinandersetzung, dass sie anders als so viele ihrer Vorgänger ihre Schicksal auf eine positive Weise erfüllten und nicht von dem Unsterblichen, der das Ende des Zeitalters markierte, ins Verderben gerissen wurden. So glitt die Menschheit sanft und vielerorts unbemerkt ins beginnende Karmakorthäon, anders als einst die Maritimen oder die Echsen, für die das Ende ihres Zeitalters einen schlagartigen, katastrophalen Niedergang bedeutete. Dies nährt die Hoffnung, dass die Menschen auch im kommenden, Zwölften Zeitalters zumindest eine gewichtige Nebenrolle spielen werden, wenn es ihnen nicht sogar gelingt, als erste Spezies überhaupt die Dominanz über ein zweites Zeitalter zu erringen. Oder sie sich mit einer oder mehreren befreundeten Spezies zu teilen.

Borbarads Herrschaft oder die seiner Anhänger über das Zwölfte Zeitalter, die lange Zeit möglich schien, durch Amazeroths Intrigen aber ohnehin vereitelt worden war, blieb jedenfalls aus. Viele der anderen Völker reagierten irritiert auf die Tatsache, wie entschlossen sich gerade die Menschen, die so wenige feste Werte hatten und so leicht manipulierbar schienen, sich dem Sphärenschänder entgegengeworfen hatten. Für viele von ihnen blieb diese Tatsache schambehaftet, hatten sie selbst und ihre Völker doch recht wenig unternommen, um Borbarads Pläne zu stoppen.

 

Die Scham der Vulkanschrate

Voller Scham blieben unter anderem die Balskin zurück, die riesländischen Vulkanschrate, die aus Furcht vor den Manipulationen des Widersachers die Schlacht um Amhas anderen überlassen hatten. Ihr heißtes Blut geriet in Wallung und formte Worte in ihrem Geist: “Niemals wieder.” Die Schlussfolgerungen, die sie aus ihnen zogen, waren allerdings recht unterschiedlicher Natur. Ein Teil ihrer Klingenmagier zog aus, um Pardona zu finden und sie zu töten. Ein anderer begab sich auf die Suche nach der Vergangenheit der Balskin, um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum sich ihre Vorfahren während ihrer ersten Herrschaft über Amhas der Begehrensauslöserin und dem Widersacher angeschlossen hatten, und wie sie sich davor schützen konnten, dass dergleichen erneut geschehen würde. Wieder andere gründeten neue philosophische Strömungen, die Körper und Geist gegen Beeinflussungen wappnen, die Vulkanschrate moralisch festigen und noch stärker auf den Willen ihrer Gottes einschwören sollten. Manche gingen auf Pilgerfahrt, um Buße zu tun, einige geißelten sich selbst dabei wegen ihrer Feigheit. Verschiedene Fraktionen gerieten in Streit, weil sie anderen die Schuld für ihr Versagen gaben. Verschwörungsmystiker glaubten gar, die Vulkanschrate seien deshalb nicht gegen Pardona angetreten, weil diese ihrem Volk ein weiteres Mal ihren Willen aufgezwungen hätte. Die bis dahin unbekannte Uneinigkeit, ja sogar Spaltung ihrer Gesellschaft dauert bis in die Gegenwart hinein an.

 

Borbarads Erben

Viel Zeit blieb nicht, um verdiente Helden wie Raidri Conchobair oder Reichsbehüter Brin zu betrauern, die während der Dritten Dämonenschlacht oder während anderer Kämpfe gegen Borbarad ihr Leben gelassen hatten. Borbarads Erben existierten noch, und auch darüber hinaus hielt Aventurien wie üblich weitere Herausforderungen für unzählige Glücksritter, Abenteurer und Helden bereit. Und Rakshazar stand dem kleinen Nachbarkontinent diesbezüglich in nichts nach.

 

Angurianische Lebensart

 

Akai neshim – Angurianischer Schamanismus

Xarunai presste ihren nur mit Ockerfarbe und Schlamm bedeckten Körper an den rauen Stein hinter dem schmalen Felssims, auf dem sie völlig unbeweglich verharrte. Endlich hatte sie ihn gefunden. Lorn den Verräter, der vor einem Mond einen Stoßtrupp Amhasim in eines der kleinen Sommerlager ihres Stammes geführt hatte, wohl um seine eigene wertlose Haut zu retten. Im darauffolgenden Gemetzel mussten einige von Xarunais Stammesbrüder und -schwestern ihr Blut der Göttin geben, andere wurden vom Feind verschleppt und hatten gewiss die erste Gelegenheit genutzt, die verhassten Sklavenjäger mit sich in die Tiefe und in den Tod zu reißen. Nun war die Nacht der Rache gekommen. Einen schweren Dolch aus amhasischem Stahl, den er wohl als Lohn für seine ruchlose Tat erhalten hatte, in den Händen drehend, saß der Verräter direkt unter ihrem erhöhten Versteck vor einem kleinen Feuer. Xarunai fühlte den Zorn der Göttin, den sie kurz vor Einbruch der Nacht unter lustvollen Schmerzen in sich aufgenommen hatte, durch jede Faser ihres Körpers strömen. Sie schwor sich, dafür zu sorgen, dass die Seele Lorns nie wieder in ihrem Volk wiedergeboren würde, dem Volk, das er so feige verraten hatte. Sein eigener Dolch sollte sein Gefängnis werden und die Klinge eines neuen Speers der Kaglara bilden. Lautlos stieß sie sich vom Felsen ab und stürzte sich wie eine Höhlentigerin auf ihr Opfer, um ihm die in das betäubende Yikh-Rankengift getauchten Fingernägel tief in den Hals zu stoßen.

 

Hintergrund

Angurianische Magie ist meist intuitiv oder schamanistisch (Pfadmagie). Zauberer, die sich an den Idealen des Himmelsdrachen orientieren, pflegen allerdings auch intellektuellere Ansätze.

Die Angurianer glauben, dass der Fortbestand der Schöpfung davon abhänge, dass sich Ahuravovina und Ranyakaglara in einem ewigen Liebesspiel befinden, eine entfernte Parallele zum Los- und Sumuglauben der Aventurier, welche die beiden Urgötter als miteinander kämpfend und/oder sich vereinigend begreifen. Entsprechend sind Wunderwirken und Magie nach angurianischem Verständnis die Vereinigung von Himmelsdrache und Dunkler Göttin, also etwas völlig Natürliches, wenn die Anwendung astraler Kräfte auch oft gefährlich scheint. Magie und Religion sind für einen Angurianer ein- und dasselbe. Magische Begabung gilt als Segen, aber auch besondere Prüfung der Götter. Mutige Priester unternehmen Limbusreisen, um mit Sphärenwesen zu verhandeln. Im angurianischen Weltbild hat jede Erscheinungsform ihren eigenen Geist und damit ein Abbild in der Geisterwelt. Diese kann in die sogenannte „Obere Welt“, die Domäne des Himmelsdrachen, und die „Untere Welt“, die Domäne der Dunklen Göttin, eingeteilt werden. Indem der Schamane mit den Geistern dieser Domänen kommuniziert, wird er in die Lage versetzt, Veränderungen zu bewirken.

Geister der Oberen Welt (Sphäre des Himmelsdrachen): Die Erleuchteten Meister und die Lichtwesen (Licht ANUR), die Feuerdrachen und Flammenwesen (Feuer BA), die Sturmdrachen und die Donnerdämonen (Luft SIAL), Eisdrachen und Frostalben (Eis IHASH).

Geister der Unteren Welt: Tier- und Pflanzengeister (Humus UMUR), Berg- und Kristallgeister, Geister des Metalls (Erz UKESH), Wassergeister und Schrecken der Tiefe (Wasser NAWA) Die Schatten und die Mütter des ewigen Urgrunds. (Dunkelheit UMBAR).

Priester von Himmelsdrachen oder Dunkler Göttin sind normalerweise immer Schamanen, können aber „Verbindung zum Großen Geist“ erhalten und dann über karmale Kraft verfügen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die beiden Gottheiten nicht ausschließlich die Prinzipien des Nayrakis und des Sikaryan verkörpern, sondern dass eine oder mehrere der alveranischen Gottheiten, welche Borbarad einst mit den beiden Prinzipien assoziiert hat, tatsächlich durch die Verehrung der Angurianer angesprochen werden und ihnen zuweilen Karmaenergie zur Verfügung stellen.

Die Rituale der Anurkai (Drachenpriester) zielen meist darauf ab, Wilen, Sprache und Verstand zu schärfen, ein phänomenales Erinnerungsvermögen zu erhalten, telepathische Nachrichten zu verschicken, geistigen Einfluss auf andere auszuüben, den Geist und die Seele von Wahnsinn und Besessenheit zu heilen oder durch Astralreisen in andere Sphären und Globulen zu gelangen, um Wissen und Geisterverbündete zu gewinnen. Diese Rituale beinhalten oft stunden- bis tagelange Meditation, das Starren in Licht oder Flammen, komplexe Diagramme und Labyrinthe aus gefärbtem Sand, tagelanges Fasten und das Sprechen, Schreiben oder Singen komplizierter Formeln und mystischer Lieder. Der Schamanismus des Himmelsdrachen ist weniger roh und archaisch als jener der Dunklen Göttin.

Schamanische Rituale der Umbatarkai (Schamanen Ranyakaglaras) zielen darauf ab, dem Körper übermenschliche Kräfte zu verleihen oder durch Ekstasezustände wie Lust, Schmerz und Rausch, das Besiegen oder das Wecken von Ängsten positive Wirkungen wie Heilung, Fruchtbarkeit sowie Zeugungs- und Zerstörungskraft zu erlangen. Auch das Austreiben oder Beherrschen von Dämonen kann intendiert sein. Solche Rituale beinhalten Rauschmittelgenuss, Tanz, Opferungen, rituellen Geschlechtsverkehr, Folter sowie die Verwendung von Fetischen und anderen Ritualmaterialien.

Der Schamanismus der Dunklen Göttin basiert also zu einem großen Teil auf Schmerz und Lust. Die Angurianer leben auf ihren zahlreichen orgienhaften Festen die freie Liebe in vollen Zügen aus. Sie sehen darin einen wichtigen Ausdruck ihrer Freiheit von den Ketten der Sklaverei. Sie kennen dabei auch den vor allem im westlichen Rakshazar verehrten Levkron, eine Erscheinungsform Levthans, der ihnen als Gefolgsmann Ranyakaglaras bzw. als Teil von ihr gilt und ihre männlichen Aspekte verkörpert. Zahlreiche Krieger und Jäger haben ihn zu ihrem persönlichen Schutzgeist erwählt.

 

Die Pfadmagier

“Rhythmischer Trommelschlag und Qualm drangen aus der Hütte des Olodun. Sorgenvoll blickte der Dorfälteste in die Runde der versammelten Krieger. Es dauerte schon viel zu lange. Würde der Oludun scheitern?
Sein Blick fiel auf den jungen Schüler des Geisterrufers, der mit gesengtem Haupt am Eingang des Zeltes wachte. „Shanulun, steh auf und komm her“, sagte er ruhig, aber bestimmt.
Der Junge sah auf und tat wie ihm geheißen wurde.
„Bist du fähig zu handeln?“
Der Junge nickte.
„Dann bereite alles vor.“
Der Junge nahm einige Fetische aus seiner Tasche und begab sich mit einem leisen Singsang auf den Weg zur Lichtung der Ahnen. Falls der Schutzzauber seines Meisters versagte, würde es an ihm sein, die gefallenen Krieger zu erwecken, um das Dorf beim Angriff der Echsenreiter zu verteidigen.“

 

Hintergrund

 

 

Die Pfadmagier wandeln auf den Pfaden der Altvorderen und wirken ihre Magie wie schon seit Anbeginn der Zeit. Seien es Tiertänzer, Geisterrufer oder Schicksalsweber – als erwählte Mittler zwischen den Welten achten sie auf die Einhaltung der überlieferten Riten.

In sorgfältig durchgeführten Ritualen öffnen sie Tore in die Anderswelt, um sich dort mit den Jenseitigen zu besprechen. Sie wissen – selbst wenn andere dies nach dem Fall der Mondmutter vergaßen –, dass jegliche Magie stets ein delikater Handel mit den Kräften der Ordnung und damit eine Herausforderung an die Kräfte des Chaos ist.

Den Pfadmagiern werden bei diesen Verhandlungen Intuition und Kreativität abverlangt, aber auch Ver­schwie­gen­heit über die so erlangten Mysterien. Viele Pfadmagier werden auf ihren Geistreisen von ihrem Seelentier begleitet, einigen folgt dasselbe sogar in diesseitiger Gestalt. Meist weben sie ihre Zauber in langwierigen Ritualen, doch in Zeiten der Not können sie sich auch rasch auf alte Bündnisse berufen. Einem Pfadmagier, der sich mit einer Hand auf die Brust klopft, geht man besser aus dem Weg.

 

Vielfalt und Einheit

Einen Pfadmagier zu erkennen ist entweder sehr einfach oder nahezu unmöglich. Je nach Region und jeweiligem Anlass treten sie nämlich auf unterschiedlichste Art und Weise auf: Von den ekstatischen Tiertänzern der Targachisteppe über die ruhig abwägende Drachenpriester der Angurianer bis hin zu den enigmatischen Medizinmännern des Shesalkultes der Parnhai – die Vielfalt ihrer Tradition ist nahezu unüberschaubar.

Ebenso vielfältig wie ihre Trachten sind ihre Rituale. Außenstehende würden kaum erkennen, dass das Shesalpriester-Hüterritual – dem Orixatl geweiht – und das Knotenknüpfen der Druiden der Vaesten ein- und denselben Zweck erfüllen. Umso erstaunlicher ist es, dass der Vaestendruide, würde er dem Orixatlritual beiwohnen, keinen Zweifel am Zweck seines Rituals hätte.

 

Magieanwendung

So vielfältig die Erscheinungsformen der rakshazarischen Pfadmagier sind, so vielfältig sind auch die Zauber­fer­tig­keiten dieser Tradition. Am weitesten verbreitet sind schamanistische Praktiken, häufig durchsetzt mit Elementen der Fluchmagie, Beschwörungstechniken und anderen Naturzaubern. Welche Zauberpraktiken überwiegen, hängt von der jeweiligen Kultur und den persönlichen Vorlieben des Zauberers ab.

 

Besonderheiten der angurianischen Magie

Neben den profanen Masken, welche Angurianer als Teil ihrer Rüstung anlegen, um ihr Gesicht und damit ihre Identität vor Feinden zu verbergen, fertigen die Schamanen besondere magische Kriegsmasken. Sie werden in einem Ritual geschaffen, welches einen niederen Dämon an die Maske bindet. Dieser ist fortan gezwungen, dem Träger bestimmte Kräfte zur Verfügung zu stellen (z. B. Zauber ähnlich wie Tlalucs Odem, Panik überkomme euch, Böser Blick Furcht, Vipernblick, Eigne Ängste etc., eventuell auch Boni auf bestimmte Talente und Eigenschaften, das Auslösen von Kampfrausch usw.). Häufiges Tragen der Maske führt meist zu starken Persönlichkeitsverände­run­gen und Besessenheit des Trägers, da der Dämon durch subtile Einflüsterungen versucht, die vollständige Kontrolle über den Benutzer zu gewinnen. Jenseits dieses Stadiums verliert der Maskenträger vollständig seine Selbstkontrolle – es ist ihm zunehmend unmöglich, den Befehlen des Dämons zu widerstehen. Am Ende dieses Weges steht die Verwandlung in einen Halbdämon (unspielbar, da ohne eigenen Willen). Aus diesem Grund werden die magischen Masken nur an besonders willensstarke (hohe Selbstbeherrschung!) Krieger und Schamanen verliehen, die diese nur zu besonderen Gelegenheiten anlegen. Die armen Irren, welche der Macht der Maske nicht widerstehen konnten, werden von den Angurianern verachtet und gejagt.

In vielen der angurianischen Höhlensysteme leben gewaltige, beinahe menschengroße Spinnen. Vermutlich hätten die Angurianer sie schon vor Jahrhunderten erschlagen und in Eintopf verwandelt, wenn sie nicht erkannt hätten, welch anderen Nutzen ihnen diese Kreaturen bringen können. Ammenspinnen sind wie viele andere Bewohner der Tiefe blind und verlassen sich auf ihre übrigen Sinne. Ihre Tasthaare, welche kleinste Bewegungen und Luftzüge erspüren, machen sie zu exzellenten Jägern. Und auch ihr Gehör ist ausgezeichnet. Menschliche, orkische oder Brokthar-Kinder jedoch klingen für sie wie ihr eigener Nachwuchs, der ganz ähnliche Geräusche von sich gibt. Dies verwirrt die Sinne der Spinnenmütter, und so hüten sie den Nachwuchs der angurianischen Spezies ebenso wie ihren eigenen. Die Angurianer nutzen die Spinnen deshalb als Ersatzmütter für ihre Neugeborenen. Hat man ein Kind erst einmal auf den haarigen Hinterleib der Amme gesetzt, verteidigt diese das Kleine mit ihrem Leben. Damit sie den Nachwuchs wieder herausgibt, bedarf es des beruhigenden Klickens eines soge­nannten Ammensprechers. Ammensprecher sind besonders ausgebildete Schamanen. Es gibt sie in jeder Angu­rianersippe, und sie geben ihr Wissen um die Spinnen von Generation zu Generation weiter. Die Betreuung durch die Spinnen kommt zum Einsatz, wenn die Eltern des Kindes sehr beschäftigt sind oder wenn das Kind keine Eltern mehr hat. Normalerweise ziehen sich werdende Mütter nach An Khoral zurück, bringen ihren Nachwuchs dort zur Welt und ziehen ihn mit Unterstützung der Gemeinschaft auf, bis er sieben Jahre alt wird. Danach beginnt man sie auf ihr Leben als Krieger, Jäger, Schamane oder Priester vorzubereiten.

 

Jarn Flammenfaust, der Erfinder des Drachenkamms

Der Mann, der später als der ehrwürdige Jarn Flammenfaust in die Sagen aller Stämme einging, wurde vor mehr als zehn Generationen als Sohn zweier Angurianer geboren. Früh wurde seine Begabung vom örtlichen Drachenpriester erkannt und gefördert, und so wurde aus Jarn schnell ein aufstrebender Diener des Himmelsdrachen.

Wie jeder junge Angurianer musste auch Jarn eine Visionssuche bestehen, um vor den anderen Stammesmitgliedern als vollwertiger Mann und Angurianer anerkannt zu werden. So zog er aus, um in den eisigen Höhen des Gebirges seine Zukunft zu erkennen. Drei Wochen durchwanderte er die schneebedeckten Gebirgstäler und klirrend kalten Hänge, doch fand er nirgends einen Ort, der ihm geeignet für seine Meditation erschien. Fast einen Monat nach seiner Abreise gelangte er schließlich an eine Höhle, in der er sich zur Ruhe betten wollte, um darüber zu sinnieren, ob er nicht vielleicht den falschen Weg eingeschlagen hätte. Dort, in den Tiefen der Höhle, fand er die sterblichen Überreste mehrerer Personen, womöglich Amhasim. Ihrer Rüstungen und Kleidung beraubt, lagen ihre übergroßen Brokthar-Knochen auf einer behelfsmäßigen Schlafstätte. Zu kraftlos, um sich eine andere Bleibe zu suchen, legte Jarn sich zum lange ersehnten, erholsamen Schlaf nieder. Doch bereits nach kurzer Zeit wurde er von einem Brüllen erweckt, das die ganze Höhle erfüllte – eine riesige, drachenartige Bestie hatte ihn aufgespürt und forderte ihn zum Kampf. Dieser schien schnell zu seinen Ungunsten entschieden, als sein Speer ihm aus den Händen geschlagen wurde und zersplittert auf seiner Schlafstätte zu liegen kam. Verzweifelt wich Jarn dem nächsten Angriff der Bestie aus und sprang seiner Waffe hinterher. Durch Zufall griff er dabei unter das dort verteilt liegende Stroh und fand voller Erstaunen die angerostete Stahlklinge eines amhasischen Schlachtschwertes, welches dort über all die Jahre verborgen gelegen hatte. Geistesgegenwärtig presste er die Klinge und den Rest seines Speers aneinander und befestigte beides mit der Lederschnur eines seiner Schuhe aneinander. Es gibt viele Varianten der Geschichte über Jarn, und eine jede interpretiert den folgenden Kampf anders. Es steht jedoch fest, dass es ihm gelang, zu entkommen und zu seinem Stamm zurückzukehren – in seinem Besitz: der erste Drachenkamm!

 

Heilige Tiere und Pflanzen der Angurianer

* Alle Riesenspinnenarten (Ranyakaglara)

* Alle Drachen (Ahuravovina)

Dass sie als heilig gelten, bedeutet nicht, dass sie prinzipiell nicht getötet werden dürfen. Ihr Erscheinen gilt aber als bedeutsam und schicksalhaft. Mit ihnen den Kampf wagen zu dürfen, gilt als Prüfung der großen Geister, ja sogar als besondere Auszeichnung durch die Gottheiten. Ein Drachenpriester wird diesen Kampf aber wohl eher als philosophische Diskussion mit dem Drachen führen.

* Riesengebirgsbock

Dieses Tier ist nicht direkt einem der großen Geister zugeordnet, aber den Angurianern so heilig wie etwa den irdischen Mongolen das Pferd oder den Prärie-Indianern der Büffel, die jeweils ihre Lebensgrundlage bilden.

* Die Kalkarim

Nicht direkt „heilig“. Sie dürfen aber nach dem Pakt zwischen Angurianern und den intelligenten Vögeln, nicht getötet werden.

* Yikh Dornenranke (Ranyakaglara)
* Sonnenpilz (Ahuravovina)

Beide Pflanzen enthalten Halluzinogene.

 

Angurak, die Sprache der Angurianer

 

Das heilige Symbol der Angurianer

Dies ist das heilige Symbol der Angurianer, das die acht Elemente symbolisiert. Die gesamte Schrift ist im Symbol vollständig enthalten.

 

 

Schriftsprache

Geboren aus der Notwendigkeit, eine gemeinsame Sprache zu erschaffen, mit der sich auch komplexere Sachverhalte abbilden ließen als mit dem einfachen Gmer, entwickelte sich das Angurak, die Sprache der Angurianer, aus Elementen des Amhasa, des Sanskitarischen, des Orkischen und einem halben Dutzend weiterer Sprachen. Das heutige Angurak hat mit dem einfach Gmer gegenwärtig kaum noch etwas gemein. Als Schriftsprache etablierte sich für profane Zwecke eine abgewandelte Version der 55 Zeichen von Amhas. Die Drachenpriester haben zudem die 88 Zeichen des Sahihlam und die Mahanesh-Glyphen entwickelt. In ihren Schriftstücken werden nicht selten alle drei Sprachen verwendet.

Zur angurianischen Schrift siehe Dnalors Blog unter der URL:
https://dnalorsblog.wordpress.com/2020/07/06/karneval-der-rollenspielblogs-sprachen-eine-schrift-fuer-angurak/.

 

 

Aussprache

h wird als ein hartes, kehliges ch ausgesprochen. Ähnlich wie in „Lachen“, „Bach“, oder „Rache“. Je tiefer in der Kehle und je „rotziger“, desto besser.

j wird als weiches dsch wie in „Dschungel“ ausgesprochen.

sh wie sch in Schiff oder Fleisch, y wie j in „jagen“ oder „Jahr“.

Zusammenstehende Vokale werden meist getrennt, also nicht als verbundener Laut gesprochen. So wird z. B. das Wort „maulur“ (Haar) „ma-ulur“ und nicht etwa wie deutsch „Maul“ gesprochen.

Umlaute kommen sehr selten, ü und eu gar nicht vor.

 

Vokabeln

 


adai

Danke

ag

wo

agam

Wein

agam sangirah

Blutwein

age

was

agie

wer

agleh

warten

ago

wie

ahura

hoch, mächtig, Himmel

ahuravovina

Himmelsdrache

ahush

oben

ak(h)

gehen

akhur(h)

reisen

akie

wieder, nochmals

akeh

vorwärtsgehen, Angriff!

akjalah

beginnen, anfangen

akreh

„mach dich weg“

ama

Mutter

ame

Schlaf

amesh

schläfrig

ameh

schlafen

amuh

träumen

amun

Traum

an

Berg, Festung

angur

Berg, Festung der Freiheit

anai

Frau

anaika

Mädchen

apah

genügen, schweig!

apash

genug, ausreichend

anuk

Mensch

astre

gerade, da entlang!

asu

blau

ba

Feuer

bah

brennen

bash

Asche, verbrannt

bahash

heiß, glühend

baruma

Feuerwurzel (Ingwer)

dar / a

Befreundeter Nicht-Angurianer

date

Gabe, Geschenk

dateh

geben

dateh garok

Prost!

datesh

gegeben, geschenkt

dengeh

saufen

denge(sh)

betrunken, berauscht

dengnak

Schnaps, Bran

donaruk

(der) Elf

egleh

setzen, stellen, legen

ehud

Weisheit

ekta

am, bei, nach, zu, zum

eja

aber, jedoch, außerdem

eshkeh

hacken, zerkleinern

funah

scheißen

funash

scheiße [etw. scheiße finden]

funash naug

Verräter

gaht

Abgrund

garam

Kraft, Leben, Chi, Essenz, Magie, Talent

garamai

(die) Liebe

garok

Ekstase, Zorn, Kampfrausch

garapah

zaubern

garush

stark, kräftig

glihnik

Feigling

gur

Freiheit, Schönheit

haba

Pflanze, Gemüse

habana

Frucht

habanika

Blüte, Blume

hakash

Achtung!, Vorsicht!

hano

Baum

haya

Seil, Tau

hayaka

Band, Riemen, Schnur

he

Er/Sie/Es/ Das da….

hetra

Licht

hetrah

leuchten

hetrash

leuchtend, glänzend

ie(h)

Komm

ieshtah

finden

iha

Eis

ihash

kalt, eisig

ioha

Metall, Eisen

ioha mashak

rotes Metall, Kupfer

ioha inash

weißes Metall, Silber

ioha kelem

gelbes Metall, Gold

ioha garuk

starkes Eisen, Stahl

ishta

Auge

ishtah

sehen

jeloh

Ich

kagla

Spinne

kai

Freund, Stammesbruder

kaia

Freundin, Stammesschwester

kaiam

Treue, Brüderlichkeit

kal

unten

kala

Tiefe, Born, Quelle

kama

Kopf, Haupt

kedish

dort

kelem

gelb

ketral

Kristall

ki

Schwester

kin

Mann

kio

Nein

kishto

wirklich

kodai

gut

kohon

zusammen

kolaq

Durst

kon

Bruder

krarla

Bart

kravka

Axt

krok

Knochen

kun

Sohn

kutral

Stein

lia

Mond

maha

groß, erhaben

mai

sanft, weich

maialam

köstlich, gemütlich

mam

Essen

mameh

essen

mashak

rot

mat

Haut

maulur

Haar

maulurmaikin

Der Flauschige

moka

Mund

munih

erinnern

nama

nan

Brot

nashka

Nase

nashkah

riechen

naug

Feind

nawa

Wasser

nawala

Fluss

nawagaht

Wasserfall

nema

Halb, Hälfte

nemale

vielleicht

ni

heute, jetzt

nok

Holz

og

Ei

olam

Ewigkeit

opakalak

Gegenteil

oruk

(der) Ork

paj

Großkatze

pajanika

Katze

pajar

Löwe

pajir

Tiger

pamat

Leder

pameh

tun, machen

parpara

Schmetterling

pashnak teh

fick dich

quaharak

Suche

roguk

(der) Zwerg

sabu

Wolf

shealah

bunt

shishi

Schlange

shivoq

Höhlendrache

slahar

Riesenfledermaus

slaleh

lecken

slaleh funak

Leck an Scheiße

sliva

Gras

su

Ja

tahaska

Wildschwein

takara

Tier

taraka

Jagdwild

tare

Waffe

tarek

Schwert

tarik

Dolch

telok

Tod

teloh

töten

teloh naug

Feind töten

telosh

tot, sterben

umash

grau

urak

Bär

veela

Nacht, Sterne
Angurianische Begrifflichkeiten

 

Liebe im Riesland bei den Angurianern und anderswo

»Ich habe gehört, dass hinter dem Ehernen Schwert die Welt eine andere ist. Dort sollen Menschen leben, die halb so groß sind wie Milzenis, und sie paaren sich mit schwarzbepelzten Wesen, die wie eine Mischung aus Orks und Trollen aussehen. Fremde Götter rufen sie in ihrer Ekstase an … ach, ich geb’s ja zu, als ich das gehört habe, hatte ich schon den achten Becker Meskinnes getrunken.«

– so gehört in einer Festumer Taverne, neuzeitlich (zitiert nach “Rahjas Gunst”, S. 30)

Wie in so vielerlei Hinsicht kennen Aventurier in Bezug auf riesländische Liebesdinge weitaus mehr Rätselraten als echte Antworten. Da es an einem ständigen Kontakt der Bewohner beider Kontinente fehlt, dringen vornehmlich Gerüchte an die Ohren der Aventurier. So lässt die Kneipengeschichte aus Festum gerade noch die Cromor-Brokthar erkennen, die größer sind als Menschen und nicht zimperlich, wenn es darum geht, sich mit den Angehörigen anderer Spezies zu paaren, etwas, das schon die bornländischen Theaterritter nach ihrer Ankunft in Rakshazar allzu rasch erfuhren. Mit den schwarzbepelzten Orktrollen mögen typische Vertreter der Schwarzen Hand gemeint sein, Verbündete der Riesen der Nordebenen, deren einst berühmtester Angehöriger, der legendäre Ralgwa, während des Feldzugs der Goldenen Horde gegen Tie’Shianna zum Gefolge des Widersachers gehörte.

In den Grenzgebieten zum Ehernen Schwert, so heißt es, soll der Glaube an Levkron vorherrschen, eine Erscheinungsform Levthans, der als Gott der Wildnis und der zügellosen Lust betrachtet werde. Und tatsächlich findet sich sein Kult überall dort, wo es nicht nur Gebirgslandschaft und Brachland gibt, sondern wildwüchsige Natur: im Tal der Klagen, in den Firnwäldern von Cromor und auf den Nordebenen. Im Klagental gilt Levkron den Rochkotaii als Gefolgsmann von Warkash oder Kamesh, den menschlichen Legiten als eine ihrer zahllosen Gottheiten, den Waldgrolmen zumindest als bekannt, und selbst einige Trolle und Riesen sollen ihn verehren. Unter den Agrim, Gunnarmannen und Tharai hingegen findet sein Kult keine Verbreitung. Für die Cromor ist Levkron ein urtümlicher Krieger aus Rontjas Gefolge, in manchen Überlieferungen gar der gelegentliche Liebhaber der jungen Göttin, der die Fruchtbarkeit der Cromorfrauen segne. Auf den Nordebenen findet sich der Glaube an Levkron bei Slachkaren und Legiten, aber auch bei den anderen Völkern.

Der Namenlose, der sich fast allen riesländischen Völkern unter den verschiedensten Namen offenbart hat, um sie zu täuschen, sich ihre Verehrung zu sichern und Seelenernte unter ihnen abhalten zu können, tritt zuweilen auch als Liebesgöttin oder -gott in Erscheinung. Man kennt ihn u. a. als die Geberin der Gabe, die schöne Unbekannte, Yad’Madeth, Vielbrüstige und Schamlose.

Bekanntlich gibt es in Rakshazar, ebenso wie in Uthuria und Myranor, eine unüberschaubare Vielzahl an lokalen Gottheiten. Zuweilen werden Riesinnen, eine der seltenen Feen oder noch fremdartigere Wesenheiten wie die Sluagh des Tals der Klagen als Fruchtbarkeitsgottheiten verehrt. Hinter den Liebes- und Lustgottheiten der Riesländer verbergen sich oft mehr oder minder deutlich Levthan, Rahja, die ansonsten vor allem in Uthuria verehrte Owalla oder die Erzdämonin Belkelel. In die angurianische Gottheit Ranyakaglara sind gar Aspekte all dieser und weiterer Gottheiten eingeflossen. Die Angurianer glauben, dass der Fortbestand der Schöpfung davon abhänge, sich Ahuravovina und Ranyakaglara in einem ewigen Liebesspiel befinden. Der Schamanismus der Dunklen Göttin basiert zu einem großen Teil auf Schmerz und Lust. Die Angurianer leben auf ihren zahlreichen orgienhaften Festen die freie Liebe in vollen Zügen aus. Sie sehen darin einen wichtigen Ausdruck ihrer Freiheit von den Ketten der Sklaverei. Levkron ist ihnen bekannt, als Gefolgsmann oder Teil Ranyakaglaras, der ihre männlichen Aspekte verkörpert. Zahlreiche Krieger und Jäger haben ihn zu ihrem persönlichen Schutzgeist erwählt.

Auch die Kunde von den Amhasim, den ewigen Feinden der Angurianer, ist bis nach Aventurien gedrungen. Man spricht dort von einem menschenähnlichen Volk, das unter den Riesländern als fortschrittliche Kultur gelte, an keine Götter glaube, aber Vergnügungen in zahlreichen Orgien suche, die in ihrer Dekadenz nur den al’anfanischen Granden gleichkomme. Erzählungen über die Sklavenhalterrepublik, die sich kaum von denen der Riesländer unterscheiden.

Obwohl man zuletzt zur Theaterritterzeit Kontakt zu ihnen hatte, weiß man im Bornland von der Existenz der Cromor, in deren Gesellschaft die Frauen das Sagen haben und Männer nur eine untergeordnete Rolle spielen. Den Aventuriern ist bewusst, dass es in Rakshazar weitere Matriarchate gibt, etwa bei den Nedermannen, den Sirdak und den verschiedenen Spielarten der Nagah. Man hat auch von Städten gehört, in denen fast ausschließlich die Männer die Rolle von Priestern und Herrschern innehaben und Frauen kaum Rechte zukommen. Dies ist etwa in den sanskitarischen Stadtstaaten Shahana und Yal’Mordai der Fall, von denen aus Sultan Arkamin IV. und Sultan Al’Hrastor als selbsternannte Nachfolger der Diamantenen Sultane der Vergangenheit um die Macht über die Sankitarenlande buhlen. Doch auch dass bei den meisten Völkern Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern herrscht, hat man gehört, obschon beide nicht selten archaisch anmutenden Rollenbildern folgen, die im nachkataklysmischen Rakshazar ebenso rasch um sich gegriffen haben wie die Barbarei.

Insofern ähnelt die Welt der riesländischen Liebesgötter auf seltsam vertraute Weise jener Aventuriens, doch lassen sich auch die Unterschiede allzu leicht erkennen. Eine Dominanz Rahjas, wie sie in weiten Teilen des Westkontinents seit den Anfängen des Elften Zeitalters vorherrscht, lässt sich im Riesland nicht ausmachen. Auf der Schattenseite der Welt, abgewandt von der Götterburg, bleibt der Einfluss der Gottheiten Alverans naturgemäß eher klein, dafür blüht die Macht des Widersachers und der Erzdämonen. Ersterer bedrängt im Westen die Übergänge zur aventurischen Winterwacht, letztere, prominent vertreten durch Amazeroth, versuchen vor allem, ihren Einfluss auf die Sankitarenlande zu festigen.

Den starken Einfluss finsterer Mächte nehmen die Bewohner Rakshazars oft als den vermeintlichen Fluch des Rieslands wahr. Sie glauben, die Götter hätten sich von ihnen abgewandt. Dahinter vermuten sie eine Strafe für die Frevel jenes nur noch als schemenhafte Erinnerung existierenden Reiches, das der Komet vor mehr als dreieinhalb Jahrtausenden vernichtet hat und in dem sich der Widersacher und ein pervertierter Kult der Göttin Marhyna die Rolle als Schutzherrschaften der Liebe geteilt haben. Wie sollten sie auch wissen, dass es den Göttern nicht an Willen, sondern an der Fähigkeit mangelt, größeren Einfluss auf dem Ostkontinent auszuüben, und sie die Seelenernte an allzu vielen Rakshazarern widerwillig ihren Gegenspielern überlassen müssen.

 

2 Antworten zu „Rakshazar, das Riesland, für DSA. Die Heimat der Angurianer“

  1. Avatar von seyfried
    seyfried

    ist dies die goldene horde?

    1. Avatar von admin

      Die Angurianer? Nein, eher das Gegenteil davon. Die Stadt Amhas, mit der sie verfeindet sind, bzw. deren Vorgängersiedlung wurde einst von Rückkehrern der Goldenen Horde gegründet (siehe Aventurischer Bote 157, in der Stadt steht ein Denkmal für die Horde).

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